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Ein seltsames Denkmal menschlicher Torheit.

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( Illustrationen siehe Seite 552 u. 553.)

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So bezeichnet ein berühmter englischer Geschichtsschreiber die Kreuzzüge, jene merkwürdige Völkerwanderung, die sich vom Westen, Süden und von der Mitte Europas   nach dem fernen Osten bewegte und die am mittelländischen Meer gelegenen Küstenländer Asiens  , teilweise auch Afrikas   überflutete. Der Engländer hat recht, und es muß dies um so mehr betont werden, als es heute noch Leute genug gibt, die sei es nun in vollem Ernst oder aus irgend welchem eigennüzigen Grunde jene Bewegungen als den Ausfluß christlich- idealer Ge­sinnungen, als ein großes Opfer europäischer Nationen für ihre religiösen Ueberzeugungen darzustellen bemüht sind. Mag im­merhin in den Kreuzzügen ein Stück aufrichtiger, mystisch­frommer Schwärmerei enthalten sein wir bemühen uns ver gebens in den eigentlichen nicht den angeblichen Zielen jener Bewegung und in der Art ihres Verlaufes jene erhebenden Momente zu entdecken, die den denkenden und ge­wissenhaft prüfenden Menschen mit Begeisterung für eine Sache zu erfüllen oder sie ihm wenigstens sympatisch zu machen ver­mögen. Der bloße Fanatismus mit seinen oft so abstoßenden und widerlichen Wirkungen ist dazu keineswegs geeignet. Jedes Blatt der Geschichte der Kreuzzüge ist durchtränkt mit ebenso grausam als unnüz vergossenem Blut; in einem wüsten Knäuel toben da alle bösen Leidenschaften der Menschen durcheinander, und es gestaltet sich ein Gesammtbild voll solcher Greuelszenen, von solch grauenhafter Entartung alles Besseren in der mensch­lichen Natur, daß man glauben möchte, die Hand der Geschichte hätte zittern und den Griffel fallen lassen müssen, indem sie jene Verirrungen des menschlichen Fanatismus der Nachwelt überlieferte.

Wie überall, so liefert uns auch hier die Geschichte die Er­flärung für jene seltsame und schreckliche Erscheinung. Man braucht sich nur in das Studium der Zustände jenes Zeitalters im allgemeinen zu vertiefen und man wird begreifen, wie es möglich war, sieben millionen Menschen in dem Zeitraum von etwa zweihundertfünfzig Jahren nach dem fernen Orient zu locken, angeblich zu dem Zwecke, das Grab Christi zu Jeru­ salem  , resp. das Land Palästina für die Christenheit zurückzu­erobern.

Etwa zwanzig Jahre vor Beginn des ersten Kreuzzuges, im Jahre 1077, war der deutsche   Kaiser Heinrich IV. über die Alpen   gegangen, um die Verzeihung des mächtigen Pabstes Gregor VII.   zu erflehen, der ihn in den Bann getan und ihn dadurch in eine verzweifelte Lage gebracht hatte. Denn eine Versammlung der Großen des deutschen Reiches, in der ein päbstlicher Legat den Vorsiz führte, hatte Heinrich den Verlust der Krone in Aussicht gestellt, wenn er nicht binnen Jahres frist sich mit dem Pabst ansgeföhnt habe. Heinrich erschien in Canossa, wo sich Gregor aufhielt, und es erfolgte die bes fannte Szene, bei der sich der Pabst daran ergözte, wie der deutsche   Kaiser im Schloßhofe drei Tage lang im Büßerhemde mit bloßen Füßen dastand und die Verzeihung des Herrn vom römischen Stuhle erflehte. In solcher Weise dominirte damals die geistliche Macht über die weltliche. Dieses trostlose Ver­hältnis, die daraus entstehenden endlosen Zwistigkeiten, die Ein­mischung der Päbste in die Angelegenheiten Deutschlands   und die der deutschen   Fürsten   in diejenigen Italiens   machten Deutsch  land und Italien   zu permanenten Schlachtfeldern. Für ehrgeizige Adelige waren diese Zustände eine bequeme Gelegenheit, sich gegen die kaiserliche Macht aufzulehnen und ihre eigene Macht vollkommenheit, ihren Besiz zu erweitern. Die Hände der Päbste wühlten in all diesen trüben Strudeln, und jemehr das Ansehen der deutschen Kaiser geschwächt wurde, desto höher stieg der Einfluß Roms. Deutschland   aber verzehrte seine nationale Kraft in diesen Kämpfen und seine sozialen Zustände wurden immer erbärmlicher, je stärker die römisch- geistliche und je schwächer die weltlich- deutsche   Macht wurde. Damals war das Ritter

wesen aufgeblüht, eine Erscheinung, die durch poetische Ver­herrlichung einen ganz unverdienten Nimbus erhalten hat, und die mit ihren Raubschlössern, mit ihren Raubzügen, mit ihren Fehden und ihrem Faustrecht wie ein Alp auf dem Lande lag. Durch das Rittertum herrschte der Adel durch die deutschen Gauen, der überall seinen Grundbesiz mit den rohesten und ge­walttätigsten Mitteln vergrößerte und die an der Scholle haf­tenden Leibeigenen wie Tiere behandelte. In den Städten begann erst langsam ein vorschreitendes Bürgertum dem Adel seine verbrieften Rechte und Freiheiten unter harten Kämpfen abzutrozen, um bei jeder Gelegenheit darum betrogen zu werden.

Am schlimmsten sah es mit der Bildung aus. Bei den Massen gab es einfach keine. Was sollte dem Unbemittelten auch die Kunst des Lesens und Schreibens nüzen? Bücher gab es nur für den Reichen, denn sie mußten noch alle abgeschrieben werden, da man die Vervielfältigung durch den Druck noch nicht fannte. Die unwissende Masse war eine Beute des krassesten Aberglaubens einerseits und des unglaublichsten wirtschaftlichen Elends andrerseits. Wenn man schon in den Städten sich mit einer Lebenshaltung begnügte, die man heute keinem Europäer mehr zumuten dürfte, so lebten auf dem Lande die Leibeigenen so ziemlich auf gleicher Stufe mit den Lasttieren, wo sie unter dem Druck einer unmenschlichen Knechtschaft ihr elendes Leben dahinschleppten.

Die Wissenschaften und die Poesie waren ein Spezialbesiz sehr enger Kreise und auch bei den Besten jener Zeiten zeigt sich nur sehr wenig Gefühl für das Elend der Massen. Die Ritter hielten die geknechtete Masse für das natürliche Piedestal, auf das sie nach Belieben treten konnten, wie auch die besten Geister des Altertums sich keine Gesellschaft ohne Sklaverei denken konnten. In dieser Verrohung florirte das Rittertum, und wer daran rührte, den griff es mit Schwert und Spieß an.

Und wie in Deutschland  , so stand es in den meisten anderen Ländern Europas  . Ueberall die gleiche Knechtschaft der Massen, überall die gleiche unbeschränkte Herrschaft des Adels und der Geistlichkeit.

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Um 1094 fam ein Mönch, genannt Peter von Amiens  , von einer Wallfahrt aus dem Drient resp. aus Palästina, zurück. Ob nun die glühende Sonne des Orients seine Einbildungskraft entzündet hatte oder nicht genug, Peter von Amiens   gab vor, Visionen zu haben, die ihn dazu antrieben, vom Pabst zu verlangen, er möge das heilige Land den Ungläubigen, nämlich den Türken resp. den Seldschukken, entreißen. Der Pabst, da mals Urban II.  , wies erst den zudringlichen Schwärmer mit Unwillen von sich. Allein Peters Hartnäckigkeit wuchs mit den Schwierigkeiten, und so kam es endlich, daß der Pabst sich doch mit seiner Idee" beschäftigte. Urban II.   war damals in der Klemme; sein Gegenpabst Klemens und Kaiser Heinrich IV. be­drängten ihn sehr, und so entschloß er sich, auf die Vorschläge Peters von Amiens   einzugehen und durch eine religiöse Be­geisterung der Massen sein gesunkenes Ansehen zu heben. Man hielt deshalb im Jahre 1095 zwei große Kirchenversammlungen zu Clermont   und Piacenza   ab, auf denen Pabst Urban II.  erschien und an die Menge feurige Ansprachen hielt, in welchen er sie aufforderte, nach dem heiligen Lande zu ziehen und es den Ungläubigen abzunehmen. Schon vorher war eine rege Agitation entfaltet worden; eine Menge von Schwärmern und Wander predigern hatte das Land durchzogen und die Massen auf­geregt. Urban fand daher bereits ein bis zum äußersten fana­tisirtes Volt vor; als er aber selbst zu Clermont auftrat, er reichte die Begeisterung ihren Gipfelpunkt. Denn Urban ver hieß in seinen Reden nicht nur einen vollständigen Ablaß für alle, die nach Palästina ziehen würden, sondern er stellte auch materielle Vorteile in Aussicht. Diese famen freilich erst be­deutend später unter Pabst Eugen III.  , welcher die Lehens­pflichtigen, die sich an den Kreuzfahrten beteiligten, ihrer