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Pflichten entband und allen Kreuzfahrern die Zinsen ihrer Schulden erließ, durch welch leztere Bestimmung namentlich die Juden große Verluste erlitten.
Auf die Aufforderung Urbans nahmen tausende das Kreuz, d. h. sie ließen sich ein rotes Kreuz auf die rechte Schulter heften, um damit ihre Verpflichtung zur Kreuzfahrt zu bekunden. " Gott will es!" hatten die fanatisirten Massen zu Clermont geschrien, und der Ruf ging durch die Länder, tausende und hunderttausende in Bewegung sezend. Man ließ alles im Stich und eilte zu den Fahnen der Kreuzfahrer. Die hohen Wogen, die diese gewaltige Bewegung schlug, trugen auch den Pabst Urban wieder empor; die abendländische Christenheit wandte sich ihm zu, und er konnte sich sowohl gegen seinen Gegenpabst als gegen Kaiser Heinrich IV., der sich beiläufig um die Kreuzzüge wenig kümmerte, aufrecht halten bis zu seinem Tode. Damit war für den schlauen Urban der Hauptzweck erreicht.
Einmal ins Rollen gebracht, schwoll die Bewegung lawinenantig an. Eine Menge von Fürsten , Grafen ," Herren" und " Rittern" nahmen das Kreuz. Einige mögen es aus frommer Schwärmerei getan haben; andere nahmen es aus Ehrgeiz und Lust zu Abenteuern und wieder andere suchten sich auf diesem Wege herauszureißen. So Boemund von Tarent und Tanfred von Brundusium, die beide vor Schulden weder aus noch ein wußten, und von denen der leztere all' seine Güter der Königin von England verpfändet hatte.*) Gottfried von Bouillon scheint vor frommer Schwärmerei und von friegerischem Ehrgeiz getrieben worden zu sein; er war der bedeutendste Feldherr des ersten Kreuzzuges. Raimund von Toulouse war mehr ein staatsmännischer Kopf und ein ehrgeiziger Abenteurer. In Europa ein mächtiger Fürst zu sein genügte ihm nicht. An diese Fürsten schloß sich ein Schwarm bon rauf und raublustigen Rittern und Herrn an, die sich alle im Drient zu bereichern dachten, und von denen viele auf diese Weise ihren heimatlichen Gläubigern entflohen. Aeußerlich gaben fich natürlich alle den Anschein, als hätten sie aus rein religiöser Begeisterung das Kreuz genommen.
Die Massen, die hinter ihnen herzogen, folgten keineswegs nur den fanatischen Trieben einer religiös- mystischen Begeisterung., Diese wirkte bedeutend mit; unendlich mehr aber tat die Aussicht, dem heimatlichen Elend zu entgehen und in neue Länder zu kommen. Schlechter als daheim konnten die Verhältnisse nirgends sein, und den Ablaß bekam man noch obendrein. Dazu die Aussicht auf Kriegsbeute, Plünderung und Vernich tung der Ungläubigen! Die Masse faßte die Kreuzzüge als eine Gelegenheit zur Besserung ihrer wirtschaftlichen Lage auf. Daher haben wir denn auch die merkwürdige Erscheinung zu beobachten, daß die Kreuzfahrer wenigstens anfangs feineswegs nur aus waffenfähigen Männern bestanden, sondern sich alle Elemente der Bevölkerung in denselben vereinigten.
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Frauen und Jungfrauen, Greise und Kinder bis zum Säugling, Knaben und Mädchen nahmen neben den waffenfähigen Männern an diesen merkwürdigen Zügen teil, und dieses beweist am besten, daß die Kreuzzüge ursprünglich eine Art sozialer Bewegung waren, die freilich in der Anlage wie im Ziel gleich verfehlt erscheint. Denn alle suchten ein neues Heim, wie heute die Auswanderer in Amerita und in Australien ein neues Heim suchen. Daß unter diesen Umständen hunderttausende zusammenströmten und das Kreuz nahmen, ist leicht erflärlich.
Die fanatisirten und beutelustigen Massen konnten es nicht erwarten, bis der Zug nach dem Morgenland begann; nachdem sie erst vielfach in der Heimat sich an den Juden und deren
* In der historischen Beleuchtung erscheinen diese„ Helden" natürlich anders als in dem berühmten Gedichte von Torquato Tasso : " Das befreite Jerusalem ". Der geniale Dichter konnte den Kreuzzügen nur auf Kosten der historischen Wahrheit die poetische Seite abgewinnen, mit der er sich in seinem Werke unsterblich gemacht. Namentlich der lüderliche Tankred und der hinterlistige Raimund erscheinen Befreiten Jerusalem " als ideal und herrlich angelegte Heldengestalten.
Seine
Eigentum ausgetobt, begann sich schon im Mai 1096 ein großer Zug von Kreuzfahrern, der zum großen Teil aus verwahrlostem und beutegierigen Gesindel bestand, über Europa nach dem Osten zu wälzen. Führer war ein herabgekommener Ritter, eigentlich Walther von Pereio, dem die Geschichte den Spottnamen Walther von Habenichts angehängt hat. Schaaren verwüsteten gleich einem Heuschreckenschwarm jede Gegend, die sie durchzogen und erbitterten dadurch deren Bewohner so, daß man von allen Seiten über sie herfiel. Die Bulgaren erschlugen einen großen Teil des Raubgesindels; der Rest kam durch Mangel und Pest um.
Das Hauptheer begann erst im Herbst 1096 sich in Bewegung zu sezen. Es soll aus 600 000 Menschen bestanden haben, wobei natürlich der zahllose Troß von Weibern, Kindern und anderen Waffenunfähigen eingerechnet ist. Gottfried von Bouillon war der oberste Feldherr; doch wahrten sich die anderen Führer eine bedeutende Selbständigkeit und der päbstliche Legat beim Zuge, Adhemar von Puy, saß mit im Kriegsrat.
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Im Winter kam man vor Konstantinopel an und zog dann quer durch Kleinasien , die bedeutendsten Städte belagernd und erobernd, was bei der damaligen Unvollkommenheit der Bewaffnung ziemlich rasch durchgeführt wurde. Man nahm Nikäa, Tarsos , Edessa uud Antiochia . Bei allen diesen Gelegenheiten verfuhr das Kreuzheer, das schon in Ungarn und Griechenland wegen seiner Räubereien Kämpfe zu bestehen gehabt hatte, mit jener Grausamkeit, die wir immer finden, wenn das Pabsttum den religiösen Fanatismus gegen Ungläubige" oder„ Kezer" entflammt hat. In den eroberten Städten wurde ohne Unterschied des Alters und des Geschlechts alles einfach ermordet, und man machte nur dann eine Ausnahme, wenn die Habgier die Mordlust überwog und man einen Teil der Gefangenen in die Sklaverei verkaufen wollte. Da die seldschukkischen Stämme, welche Kleinasien und Palästina besezt hielten, unter sich zerfallen waren, fand kein energischer Widerstand statt und die Kreuzfahrer drangen unter Sengen und Brennen, Morden und Plündern nach Palästina vor, wobei sie selbst sehr rasch zusammenschmolzen. Auch trennten sich bald einzelne Führer von dem Hauptheer, um sich eigene Herrschaften zu gründen, was ihnen auch teilweise gelang.
Am 7. Juni 1099, also nach dreijährigem Zuge, langten die Kreuzfahrer, noch etwa 40000 Mann stark, vor Jerusalem
an.
Die Stadt ward belagert und von den durch allerlei religiöse Vorspiegelungen entflammten Kreuzfahrern im Sturm genommen. Ein grauenhaftes Blutbad, nicht geringer, aber vielleicht brutaler als jenes bei der Zerstörung Jerusalems durch die Römer, weihte den Sieg der Kreuzfahrer ein; nachdem fast die ganze Einwohnerschaft niedergemezelt war, zogen die Sieger barfuß und barhäuptig nach der Erlöserkirche. Ein herrliches
Kulturbild!
Die glücklich angelangten Kreuzfahrer nahmen nun das Eigentum der besiegten Seldschukken und der Juden, soweit es ihnen gefiel, an sich. Wie viele waren mit ihren Hoffnungen auf dem Wege dem Tode verfallen! Nun bildete man das christliche Königreich Jerusalem , dessen Haupt Gottfried von Bouillon wurde, der sich aber nur„ Schirmherr des heiligen Grabes" nannte. Das ganze Reich wurde nach abendländischem Muster eingerichtet und ihm drei Vasallenstaaten untergeordnet, nämlich Tripolis , Edessa und Antiochia .
Die Zerstörung dieses Königreichs Jerusalem bildete natürlich den Gegenstand der Hauptanstrengungen der angrenzenden mohamedanischen Völkerschaften. Schon August 1099 rüdte der Vezir von Egypten, Afdal, mit einem ungeheuren Heere gegen Jerusalem , aber Gottfried von Bouillon schlug ihn bei Askalon . Gottfried starb 1100, und das neue Reich, das sein Bruder Balduin gegen Egypten hin erweitert hatte, geriet bald in Bedrängnis. Die Sarazenen unter Nureddin eroberten Edessa und Pabst Eugen III. ließ durch den Abt Bernhard von Clairvaux das Kreuz predigen, um dem bedrängten Königreich Jeruſalem Hilfe zu schaffen. Die frühere Begeisterung ließ sich nicht mehr erreichen; indessen beschlossen der deutsche