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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
zweite meist die Aufmerksamkeiten, die ihr der liebende Gatte erweist, bitter entgelten. Wo die ältere Frau mur tann, sucht sie ihre jüngere Nivalin zu quälen und in der Gunst des Eheherrn herabzusetzen. Die Folge ist ein ewiger häuslicher Kampf zwischen den beiden Frauen. Ist der Mann besonders reich, so leistet er sich manchmal das Vergnügen, nach der Zahl seiner Frauen zwei, drei völlig gesonderte Haushaltungen in verschiedenen Aulen zu führen und jedem Haushalt einen bestimmten Theil seiner Heerden zuzuweisen. Er lebt dann abwechselnd, gerade wie es ihm gefällt, bald mit der einen, bald mit der anderen Frau. Solchen Lurus können sich jedoch nur Wenige gönnen; die meisten Kirgisen haben nur eine Frau.
Gegen die Verwandten des Mannes, vor Allem seine Eltern, ist die Frau zu größter Ehrerbietung verpflichtet. In unzähligen kirgisischen Sprichwörtern und Liedern wird sie ermahnt, demüthig gegen ihres Mannes Sippschaft zu sein. Sogar ihrem eigenen erwachsenen Sohn muß die Mutter sich unterordnen. Durch den Brautpreis, den der Mann vor der Hochzeit dem Vater seiner Gattin zahlen muß, wird diese sein völliges Eigenthum. Sie kann demnach, wie noch bei manchen anderen unzivilisirten Völkern, auch nach dem Tode ihres Mannes nicht zu ihrem Aul zurückkehren, sondern hat bei des Mannes Verwandtschaft zu bleiben und wird von dieser einem jüngeren Bruder des Verstorbenen zum Weibe ge= geben, ob sie will oder nicht.
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Anfang oder Mitte April, je nach der Witterung, beginnt der Auszug der Aule aus ihren Winterquartieren. Heimlich sind schon in den letzten Tagen alle Zurüstungen zum Aufbruch getroffen und zwischen den benachbarten Aulen die nächsten Zielpunkte der Wanderung verabredet worden und eines guten Morgens fliegt endlich der Schwarm aus. Ihm folgen in den nächsten Tagen die übrigen zusammenhaltenden Aule des Geschlechts; denn wo ein Trupp sich zuerst mit seinen Heerden niederläßt, dort hat er vor den Späterkommenden ein Vorrecht auf die Weiden , und jeder Schwarm sucht deshalb möglichst bald günstig gelegene Triften zu erreichen. Sobald das festgesetzte nächste Ziel erreicht ist, macht der Zug Halt, die Jurten werden aufgeschlagen, und Alles richtet sich häuslich ein, bis nach einigen Tagen die Umgegend abgeweidet ist und nun von Neuem das Lager abgebrochen und vorwärts gezogen wird. So schiebt die Masse sich, über ein weites Gebiet in einzelne Abtheilungen zerstreut, allmälig immer weiter vorwärts. Anfang Juni erreichen die Trupps ge= wöhnlich ihre Sommerweidepläge, wo sie sich, bald hierhin, bald dorthin ziehend, ungefähr bis Mitte August aufhalten, worauf dann auf demselben oder einem anderen Wege gleicher Richtung langsam die Rückwärtsbewegung nach den Wintersigen erfolgt. Wie lange auf diesen Zügen die einzelnen Trupps
weitesten vorgeschritten ist. Im Spätsommer beim Abstieg nehmen sie dann ihren Rückweg über die der Sonne abgekehrten Schluchten und Bergrücken, der Sonne abgekehrten Schluchten und Bergrücken, wo fein Sonnenbrand die Kräuter und Gräser aus zudörren vermochte. Die oft nahe an der Grenze des ewigen Schnees liegenden Gebirgstriften mit ihrer ungemein reichen alpinen Grasflora geben eine weit fettere Weide ab, wie die der Sonnengluth oft allzusehr ausgesezten, zum größeren Theil wasser armen Sommerweiden der flachen Steppe; dagegen haben die Winterquartiere am Fuße der Gebirge oft einen viel rauheren und schneereicheren Winter, als die des Flachlandes.
In manchen Geschlechtern betheiligen sich nicht alle Angehörigen der Aule an der Wanderung; ein Theil der Telenguten, d. H. der verarmten, von den reicheren Heerdenbesitzern in Dienst genommenen, nicht vollberechtigten Kirgisen, bleibt mit einigem Vieh zurück und baut an den Ufern der Flüsse und Seen Weizen, Roggen und Hirse, manchmal auch Erbsen, damit die im Oktober von den Triften Zurückkehrenden während der Winterszeit mit dem nöthigen Getreide versehen sind. Früher war dieser Ackerbau in manchen Theilen des Steppenrayons recht beträchtlich, namentlich bei den Karakirgisen; seitdem aber die vordringende russische Kolonisation den Kirgisen die Möglichkeit bietet, sich ihren Bedarf an Ackerbauprodukten von den Kolonisten gegen Vieh, Häute, Filzdecken 2c. einzutauschen, ist er, wie schon erwähnt wurde, mehr und mehr zurückgegangen.
So wiederholen sich Jahr für Jahr, immer in derselben Weise, die Wanderzüge der kirgisischen Steppenbewohner: ein ewiges Einerlei, das nur selten von besonderen Vorkommnissen unterbrochen wird. Einst, als noch die kirgisischen Stämme unter ihren erwählten Chanen miteinander Krieg führten, als sie noch große Raub- und Eroberungszüge in als sie noch große Raub- und Eroberungszüge in die südlichen Reiche unternahmen, brachten oft Kampf und Streit Abwechselung in das einförmige Leben; aber seitdem die Russen streng auf Ordnung halten, ist es stiller und stiller geworden, und nur eine Hochzeitsfeier, ein Todtenerinnerungsfest oder ein Besuch russischer Gäste bieten hin und wieder Gelegenheit russischer Gäste bieten hin und wieder Gelegenheit zu einer willkommenen Unterbrechung des gewöhnlichen Einerlei. Besonders die Hochzeiten und die Todtenfeste der Reichen gestalten sich manchmal zu wahren Volksfesten. Aus weitem Umkreis strömen dann die Gäste herbei. Große Gelage, zu denen der Veranstalter Duzende von Schafen, Rindern und Pferden schlachten läßt, werden abgehalten; Wettrennen, Wettgefänge und Reiterspiele finden statt, und tagelang herrscht in der Zeltstadt ein frohes, ausgelassenes Jahrmarktstreiben.
überzeugend, weil zwingend. Und in der That hat die Chirurgie große Fortschritte gemacht. Dazu haben ihr zwei bedeutende, segensreiche Entdeckungen verholfen: die Antiseptik, die Kunst, die Wunden vor Fäulniß zu schüßen, und die Narkose, die Kunst, den Kranken unempfindlich für Schmerzen zu machen. Wir Epigonen wagen es kaum, uns die schrecklichen Foltern vorzustellen, die vor Einführung der Narkose ein Kranker bei einer großen Operation auszustehen hatte, können uns kaum die seelischen Qualen ausmalen, die der Operateur bei dem zuckenden und jammernden gefesselten Kranken ausstehen mußte, und missen die Schnelligkeit und Geschicklichkeit, mit der die Chirurgen früher zu arbeiten gezwungen waren, höchstlichst bewundern. Daß eine Operation heute ruhig und verhältnißmäßig ohne Aufregung verläuft, hat die Menschheit dem Amerikaner Jackson, der 1846 den Aether, und dem Engländer Simpson, der 1848 das Chloroform in die Praxis einführte, zu danken. Also wieder etwas Gutes, was uns die vierziger Jahre bescheert haben.
Jeder, der einer Narkose beiwohnt, erkennt, daß sie ein ernster Eingriff in das Getriebe des Organismus ist. Das heftige Sträuben der Kranken und ihre Würgebewegungen im Beginn, die aufgeregten Phantasieen traurigen oder heiteren Inhalts im Erregungsstadium, das todtenähnliche Aussehen auf der Höhe der Narkose, der kazenjammerartige Zustand nach dem Erwachen sind sehr geeignet, dem ungewohnten Zuschauer das Gruseln beizubringen. Der Arzt aber, der die Narkose zu leiten hat, kommt aus der stärksten seelischen Anspannung überhaupt nicht heraus. Er weiß, daß man, selbst bei aller Vorsicht der vorausgegangenen Untersuchung, nie mit mathematischer Sicherheit für die Ungefährlichkeit des Mittels im vorliegenden Falle bürgen kann, er weiß, daß es keine so niedrige Dosis giebt, daß nicht unter Umständen auch das geringste Quantum verhängnißvoll werden kann. Nur die gespannteste Aufmerksamkeit auf die Athmung und Herzthätigkeit des Kranken, auf den Ausdruck und die Farbe seines Gesichtes, die stete Beobachtung der Pupille können ihn ihn in den meisten Fällen glücklicher Weise rechtzeitig-warnen; und alle Besonnenheit, Ruhe und Geistesgegenwart hat er zusammen zu nehmen, um das Leben des ihm Anvertrauten, wenn ein bedrohliches Zeichen eingefreten ist, erhalten zu können. Man hat vorgeschlagen, daß bei einer Narkose nie nur ein Arzt allein sein solle. Ja, wenn das nur immer so ginge! Nicht nur auf dem Lande, selbst in der Stadt sind zwingende, keinen Aufschub duldende Situationen denkbar und kommen oft genug vor, wo derselbe Arzt narkotisiren und operiren muß. Er steht dann gewissermaßen mit einem Fuße vor dem Untersuchungsrichter. Schon vor Einleitung der Narkose hat der Arzt auf Allerlei zu achten. Für die Reinheit des Betäubungsmittels hat aller
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in ihren Lagerplägen verbleiben, richtet sich ganz nach Ueber betäubende und beruhigende Wittel. dings der Apotheker aufzukommen. Doch muß der
der Giite der Weiden und nach der Witterung. Findet ein Haufe besonders gute Weidepläße vor, so bleibt er vielleicht zwei, drei Wochen an dem selben Ort; im ungünstigen Falle zieht er schon nach einigen Tagen weiter. Im Allgemeinen halten sich die Züge in ihren Frühjahrsstationen weniger lange auf, als auf ihren Sommerlagerpläßen, da im April und Mai meist die Vegetation noch spärlich ist, während im Frühsommer saftiges Steppengras, unter mischt mit blühenden Artemisien, Astern, Goldblumen und Melden, weite Flächen bedeckt und die Steppe in ihrer traulichen Ruhe vielfach an die eigenartige, poesievolle Schönheit norddeutscher Haidelandschaften gemahnt.
Aehnlich wie in der flachen Steppe vollzieht sich auch die alljährliche Wanderung der schwarzen Kirgisen in dem südlichen gebirgigen Theil des Semiojetschensker Gebietes. Ungefähr Mitte April verlassen sie ihre Wintersitze in den Flußniederungen und den tiefgelegenen geschüßten Thalschluchten und dringen dann durch das Untergebirge des Thian Schan und Ala Tau allmälig bis zur Zone der alpinen Wiesen vor( 8000 bis 14 000 Fuß über dem Meer), wobei sie darauf achten, daß im Frühjahr der Aufstieg über die der Sonne zugekehrten Gegenden erfolgt, in denen die Grasvegetation am
( Narcotica).
Von Dr. Ernst Schneider.
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n dieser Aera der Rückblicke auf die Leistungen des zur Neige gehenden Jahrhunderts hört man, wenn von den Fortschritten der Heilkunde gesprochen wird, vor Allem den staunenswerthen Aufschwung" rühmen, den die Chirurgie in den letzten Jahrzehnten genommen hat. Das ist begreiflich, denn die chirurgischen Erfolge sind die sinnfälligsten, handgreiflichsten. Die Mutter, deren diphtheriekrantes Kind von seinen Erstickungsqualen durch einen gut ausgeführten Luftröhrenschnitt dauernd befreit worden ist, wird zu dem Chirurgen wie zu einem höheren Wesen emporblicken; aber der Zuckerfranke oder Herzleidende, an dessen Entsagungsfähigkeit, Selbstbeherrschung und Energie der Arzt lästige Anforderungen stellt, rächt sich für solche Zumuthungen, indem er über die Ohnmacht der inneren Medizin wißelt, die ihm kein Mittel aus der Apotheke schafft, das ihn schnell und dauernd gesund und genußfähig macht. Für uns Aerzte ist das chirurgische Messer, wenn man zu ihm überhaupt Zuflucht nehmen kann, das letzte Mittel, unsere Heilbestrebungen durch zusetzen, ein Mittel, das wirksam ist, weil radikal,
Arzt daran denken, daß bei Gaslicht das Chloroform für die Athmungsorgane schädliche Zerseßungsprozesse bilden kann, daß der Aether sehr erplosibel ist. Im Krankenzimmer muß Ruhe sein; denn der Chloroformschlaf tritt wie der physiologische um so leichter ein, je stiller es in der Umgebung ist. Es muß darauf geachtet werden, daß der Kranke, der seit mehreren Stunden nüchtern sein soll, nichts im Munde habe( falsche oder lockere Zähne, Kautabat, Speisereste), was er in der Narkose verschlucken könnte, Herz und Lungen, auch Nieren sollen gesund, das Gemüth des Kranken verhältnißmäßig ruhig sein. Nebenbei sei bemerkt, daß der Arzt, was er von dem Betäubten im Erregungsstadium hört, diskret zu behandeln oder vielmehr zu vergessen hat. Es ist eine alte Erfahrung, daß der Betäubte in diesem Stadium oft seine innersten Geheimnisse ausplaudert. Ja, man hat sogar allen Ernstes den Vorschlag gemacht, bei nicht geständigen, eines Verbrechens Angeklagten die Narkose oder auch die Hypnose anzuwenden, um die Wahrheit heraus zu bekommen. Selbstverständlich sind solche Vorschläge zu verwerfen; denn selbst, wenn der Arzt keine fittlichen Bedenken gegen eine solche Verwendung seiner Kunst hätte, ist es durchaus noch nicht sicher, daß der Betäubte nur seine wirklich begangenen