280
Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
Bestürzung ihr die Sprache geraubt hatte. Ihre schwarzen Augen waren drohend, ihre Hände krampften sich zusammen.
"
Elender Lump!" rief sie, und schleuderte ihre Faust nach Champenois," Du hast ihn verkauft!" Der Geselle zuckte mit boshaftem Lächeln die Schultern und drehte ihr den Rücken.
Champenois," sagte der Vater Vincart entrüstet, das hätte ich nicht von Dir gedacht!..." Dann wandte er sich zu den Gendarmen und fuhr fort: Berzeihung, meine Herren, warum wollen Sie diesen Jungen fortnehmen?".
"
, Dieser Junge," erwiderte der Brigadier Fendreton in strengem Tone, ist ein Hallunke, der aus dem Gefängniß von Auberive entflohen ist und den wir ungesäumt dorthin zurückbringen werden... Was Sie anbetrifft, Vater Vincart, so haben Sie sehr Unrecht gethan, einen solchen Taugenichts bei sich zu behalten, ohne die Behörde zu benachrichtigen, und Sie ristiren infolgedessen als Mitschuldiger verfolgt zu werden... So! und nun, vorwärts Marsch!"
Doch Norine hatte sich zwischen Herzkirsche und die Gendarmen geworfen und versuchte, ihn den Händen Seurrot's zu entreißen.
"
" Ich bitte, lassen Sie ihn los, meine Herren, lassen Sie ihn los," flehte sie. Er ist nicht boshaft, er arbeitet und wird bei uns ein guter Mensch werden, während er da unten bei all' den Gefangenen verloren ist... Jawohl! verloren!... Ich stehe Ihnen für ihn ein, meine Herren! Lassen Sie ihn los; wir werden einen tüchtigen Arbeiter aus ihm machen!"
fie vergebens an, ihren Freund noch ein letztes Mal umarmen zu dürfen. Als sie sah, daß fie fühllos blieben, gerieth sie in Wuth und schrie:
" Ihr seid herzlose Menschen! Schämt Ihr Euch nicht, zu Dreien einen armen Jungen zu quälen! Doch ich werde Euch nicht in Ruhe lassen, ich werde mich beim Präfekten beschweren! Claude gehört uns; ich will ihn haben, gebt ihn mir zurück!"
Mit wirren Haaren und blißenden Augen er= füllte sie den Wald mit ihrem Wehflagen. Sie verfolgte sie auf diese Weise bis zur Waldlichtung; dort ließ sie sich erschöpft und vom vielen Schreien heiser am Wegrande niederfallen.
Die Liebe machte sie erfinderisch und gab ihr Argumente ein, die nach ihrer Ansicht alle vernünftigen Leute überzeugen mußte; doch die fühllosen Gendarmen ließen sich ebenso wenig rühren, als wenn sie aus Stein gewesen wären. Norine versperrte ihnen hartnäckig den Weg. Der Oberauf- ,, Norine!" murmelte Herzkirsche, während Seurseher schob sie mit rauher Faust bei Seite. rot ihn auf die Landstraße stieß, es ist unnüße „ Vorwärts!" sagte er und schleppte seinen Ge- Mühe; kehre nach Hause zurück! Leb' wohl, fangenen fort. ich habe Dich sehr lieb!"
"
Norine! Vater Vincart! lebt wohl!" stammelte Herzkirsche endlich mit erstickter Stimme.„ Ich werde Euch nie vergessen!"
Die Eskorte und der Sträfling entfernten sich ziemlich schnell auf dem Waldwege; doch Norine folgte ihnen noch immer, und die Gendarmen hatten tüchtig zu thun, um sie fern zu halten. Sie flehte
"
Claude!" schrie sie auf.
"
Die Gendarmen und der Gefangene entfernten sich auf der staubigen Landstraße, und hinter ihnen jammerte noch immer die Stimme der verzweifelten Norine:" Claude!... mein Claude!"
( Schluß folgt.)
Kurze Raft. Ein heißer Sommertag. Am wolfenlosen Himmel steht sengend die Sonne. Die Luft flimmert vor Hiße und liegt drückend auf der Natur. Still stehen die Bäume, in ihrem Gezweig spielen glizernd die Sonnentupfen. Spiegelglatt liegt der Teich und giebt in ber= schwimmenden Umrissen das Bild des Uferlandes mit seinen Bäumen und Büschen und dem vergilbenden Rohr wieder. Ein lauschiger Winkel. In starken Windungen führt ein schmaler Pfad aus dem Gehölz im Hintergrunde um den Hügel herum, der sich sanft zu dem Teich herabsenkt. Die beiden Wanderer sind eben dort hinten hervorgekommen; mit einem Freudenschrei begrüßten sie den Anblick des stillen, klaren Weihers. Ihr Durst ist brennend nach dem langen Marsche an dem heißen Tage. Eilig schwenken sie vom Wege ab, hin zu einer günstigen Stelle am Rande des Wassers. Stock und Reisetasche des Jüngeren fliegen in's Gras, schnell den Becher heraus, und auf den Knieen liegend, schöpft er den Labetrunk. Der Aeltere ift ruhiger, er wartet in lässiger Haltung, bis der Jüngere in seinem Ungestüm gesättigt ist. Sinnend ruht derweil sein Blick auf der schönen Natur. Sie haben nicht allzu viel Zeit, ihr Ziel ist noch weit. Nach furzer Raft geht der Marsch weiter.
Im Bergwald. Spätsommer ist es, nach der Mitte des Augusts. Aus den Fichtenwäldern der deutschen Mittelgebirge ist die stickige Backofenhize des Hochsommers, an der nur der Sandlauffäfer seine Freude hatte, berschwunden; alle überschüssige Feuchtigkeit hat die Sonne fortgesogen, wie grüngelber Sammt erscheinen die rundlichen Moospolster. Eine Freude und eine Lust ist es jetzt, durch den deutschen Wald zu wandern. Still ist es im Walde, kirchenstill. Aus der klaren, schier unbewegten Luft treten die meilenfernen Bergspigen und Kuppen zum Greifen deutlich hervor. Nur wenige lichte Wolfen schwimmen im Aether . Und diese stille Schöne, sie wächst, bis die Sonne am Untergehen ist. Ein heller, ruhiger Schein erfüllt den Wald. Die Stämme glühen, aufleuchten die Steige, und über die Gräser der Haue, die breiten, lappigen Blätter des Huflattichs, die hohen Ginsterstengel, die geschlagenen Klößer und jungen Fichtenpflanzen spinnen die Sonnenstrahlen ihr goldenes Nez. Ich liebe dich, Wald: wenn du unter dem weiten Schneemantel daliegst wie ein schlafendes Kind, wenn Vogelsang schallt aus allen Zweigen und von allen rinnenden Wassern her, wenn die schwarze Wetterwolfe rothe Blize in deine Wipfel schmettert. An's Herz greifft du mir zur Zeit des scheidenden Sommers. Mälig finkt die Sonne. Aus dem Grunde klingt der tiefe, volle Ton der Drossel, über den Hauen schwebt die Haidelerche, und süß wie die Liebe ist ihr Lied; still und steil steigt aus dem einsamen Forsthause blauer Rauch... Möge mein Frühherbst so schön sein wie deiner, o Wald!
Das Fallen der Körper. Alle Körper, ob groß, ob flein, ob schwer, ob leicht, fallen im luftleeren Raum gleich schnell. Es ist dies eine Thatsache, die bewiesen wird, indem man ein Metallstück und eine Flaumfeder in eine lange Glasröhre thut, diese dann luftleer pumpt und darauf die Körper durch Umkehren der Röhre beliebig oft fallen läßt. Man überzeugt sich dann leicht, daß die Flaumfeder wirklich eben so schnell fällt, wie das Metallstück; das ungleich schnelle Fallen, das man für gewöhnlich wahrnimmt, muß also von dem Widerstande der Luft verursacht sein. Dem gewöhnlichen Verstande, der seine Kenntnisse aus der Erfahrung des täglichen Lebens schöpft,
Feuilleton.
kommt die Behauptung von dem schnellen Fallen aller Körper sehr ungereimt vor, weil wir ja fast stündlich die Beobachtung machen, daß die schwereren Körper bedeutend rascher fallen, als die leichteren, ein 10 Kilo schwerer Stein z. B. bedeutend schneller, als ein leichtes Stück Papier . Daher nimmt der gewöhnliche Verstand einfach an, daß die schwereren Körper nach Maßgabe ihres Gewichtes schneller fallen, als die leichteren, und auch die Alten, Aristoteles z. B., lehrten dieses als einen physikalischen Sazz. Und doch kann man sich, auch wenn man feinen luftleeren Raum zur Verfügung hat, und selbst ohne irgend einen Versuch anzustellen, leicht davon überzeugen, daß schwerere Körper nicht schneller fallen können, als leichtere. Würde dies der Fall sein, so müßte doch ein leichter Körper, der fest mit einem schwereren verbunden würde, dessen Fallen verlangsamen; ein Stein von 10 Kilo falle z. B. mit einer ständig um 10 Meter in der Sekunde zunehmenden Geschwindigkeit, ein Stein von 5 Kilo dagegen blos mit einer um 8 Meter wachsenden Geschwindigkeit. Würde man nun die beiden Steine zusammenbinden, so daß sie beim Fallen nicht sich trennen können, so würde der schneller fallende den lang= samen beschleunigen, dafür aber dieser den Ersteren verlangsamen. Beide zusammen würden also eine stets wechselnde Geschwindigkeit haben, die größer als 8 und fleiner als 10 Meter in jeder Sekunde ist, also etwa 9 Meter beträgt. Nun kann aber jeder Stein von 15 Kilo Gewicht als eine Summe von zweien von je 10 und 5 Kilo aufgefaßt werden; ein solcher würde beim Fallen nur eine um 9 Meter wachsende Geschwindigkeit haben, d. i. eine fleinere Geschwindigkeit, als der leichtere Stein von 10 Stilo. Aus der Annahme, daß der schwerere Körper schneller fällt, kommt man also zu dem Schlusse, daß er gerade umge= fehrt langsamer fallen müsse; diese beiden Säße vertragen fich nicht mit einander und müssen daher beide falsch sein, d. h. die Körper müssen, ob leicht, ob schwer, gleich schnell fallen. Verschieden schnelles Fallen kann also nur durch den Widerstand der Luft hervorgerufen sein, und für diesen ist in erster Linie nicht das Gewicht, sondern die Form eines Körpers maßgebend. Lasse ich z. B. eine viereckige Holzplatte mit der scharfen Kante die Luft durchschneiden, so wird sie bedeutend rascher auf dem Erdboden anlangen, als wenn ich sie mit der flachen Seite horizontal liegend herabfallen lasse. In letzterem Fall hat die widerstehende Luft eben eine viel größere Angriffsfläche und muß daher das Fallen desselben Körpers, der sein Gewicht natürlich nicht verändert hat, bedeutend verlangsamen.- 0.
Romantische Naturbetrachtung. Alexander von Hum boldt hat gezeigt, wie die Menschen des Alterthums eigentlich nur Schönheit in der Natur fanden, insofern dieselbe lächelnd, freundlich und ihnen nüßlich war. Umgekehrt die Romantiker: für sie ist die Natur unschön, insofern sie nüßlich ist, und sie finden sie am schönsten in ihrer Wildheit oder wenn sie ihnen unbestimmte Angst einflößt. Das Dunkel der Nacht und der Bergschluchten, die Einsamkeit, in welcher panischer Schreck das Gemüth graufig erfaßt, ist dem Romantifer lieb, und der Tieck 'sche Vollmond strahlt unveränderlich darüber... Mit diesen Worten schildert Georg Brandes in seinem Werk, Die romantische Schule in Deutschland" das Naturempfinden der Nomantiker, und um dies an einem Beispiel deutlicher zu machen, erzählt er weiterhin, wie er einst mit
einem romantischen Dichter zusammen die Sächsische Schweiz durchwanderte: Wir hatten einige Tage in der
-
flaren Bergluft verbracht, nach Böhmens Felskuppen und Hochebenen hinüberblickend, die einem Meere gleichen, aus welchem scharf umrissene Berge und Inseln emportauchen, mit einem unabsehbaren Reichthum von Feldern und tannenbewaldeten Höhen. Man geht durch den Uttenwalder Grund zur Bastei hinauf. Das Thal ist von hohen, schichtenweis aufgethürmten, phantastischen Sandsteinfelsen umschlossen, und Tannen flammern sich in jeder Spalte fest. Oft hängt der obere Theil des Berges drohend ganz über den unteren hinaus und scheint herabstürzen zu wollen. Manche seltsamen Launen der Natur überraschen uns: Thore, sogar dreifache Felsenthore. Auf der Bastei hat man endlich gerade vor sich die ungeheuere Ebene mit ihren steilen Inselfelsen die Felsenfeftung Königstein liegt auf einem solchen mit geraden, feſten Linien, hart, ohne die geringste malerische Schönheit. Der Kuhstall ist ein riesiger Rundbogen, welchen der Felsen bildet. Man sieht, daß diese Natur beständig wie von Menschenhand gebildet, daß sie als Kunst, als Produkt der Phantasie erscheint. Die Aussicht von dort oben war, als ich sie zum letzten Mal erblickte, seltsam imponirend im hellsten Sonnenlicht. Ueber den mächtigen Tannenwäldern, welche die unter ihnen liegenden Höhen bedeckten, deren Gipfel wie Filz oder Wolle erschienen, lag ein fräftiger blaugrüner Dunst, der trichterförmig längs der umliegenden Berge hinanstieg. Die böhmischen Dörfer lagen gruppenweise umher und blinkten wie Scheiben in der Sonne; in weiter Ferne Basaltkegel, näher heran pyramidenförmige, viereckige und obeliskenartige Blöcke. Stand ein einzelner Eichbaum drunten zwischen den Tannenwäldern, so funkelte sein herbstlich gelbes Laub wie Goldfleckchen in der dunklen Umgebung. Sonst war nichts Gelbes zu erblicken, als die Flechten an einigen Felswänden. Die Felsen sahen aus, als hätten Riesen in der Urzeit mit ihnen Ball gespielt, wie Kinder mit Steinen werfen, oder hätten sie zum Spaß aufeinander gelegt... Da hat der Leser einen treuen Bericht, wie die Natur mir erschien, wie sie also aussieht, wenn ein kalter und nüchterner Realist sie anschaut. Der Romantiker, mit dem ich die Tour machte, schien mir von dem Anblick minder ergriffen zu sein als ich selbst. Wenigstens sagte er mir im Laufe des Tages wenig oder nichts. Aber als wir beim Anbruch der Nacht vom Berge herabsteigen sollten, ward seine Phantasie plötzlich lebendig. Es war ganz dunkel, und die Dunkelheit wirkte start auf seine Nerven. Es schien ihm, je dunkler es ward, als kämen mehr und mehr Naturgeister hervor. Und als wir nun in der Ferne die ersten hellen Punkte entdeckten, Fensterscheiben der Häuser, welche an den Berghängen lagen, deren Umrisse man aber der Dunkelheit halber nicht unterscheiden konnte, da war es ihm, als säßen die Scheiben an der Felswand selber, als habe der Fels sich gehoben, und man könne hineinblicken, wenn man nahe genug herangehe. Diese Scheiben erschienen ihm wie große Augen, mit denen der Berggeist auf uns herunterschaue; es war ihm, als ob die großen Bergabhänge uns anglotten.
-
Nachdruck des Jnhalts verboten!
"