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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
Christi , leztere dadurch bezeichnet, daß Maria auf einer Lagerstätte ruht, während die Gemeinde das Lied ,, Hodie Christus natus" anstimmt. Nun erscheinen die drei Könige, sie begegnen den Boten des Herodes, melden von dem neugeborenen König der Juden usw. So wurde Alles lediglich dargestellt, wie es in dem Text des Evangeliums lautet. Die Aufführung schließt damit, daß Herodes durch Teufel von seinem Thron geholt wird.
Diese ganze Aufführung vollzog sich auf dem Hochaltar der Kirche und wurde von Mönchen und Priestern zur Feier des Weihnachtsfestes veranstaltet, wahrscheinlich auch in der Nacht vom Heiligen Abend zum ersten Weihnachtstag dargestellt. Wir sehen hier zum ersten Mal Personen in den ihnen zuge theilten Rollen auftreten; auch finden sich schon die ersten Anfänge einer Charakterisirung der Personen: Die drei Könige kommen mit angeschwärztem Gesicht, Herodes erscheint reichgekleidet, hat aber ein grim miges, bärtiges Gesicht; die Teufel waren in zottige Lumpen gehüllt und lange Schwänze hingen ihnen am Rücken. Auf diese Weise suchte man schon durch das Aeußere das Wesen und die Eigenschaften der dargestellten Person zu zeichnen. Das Resultat, das auf diese Weise erzielt wurde, war ein groteskes, aber durchaus theatralisches Spiel.
Auf die Gemüther der andächtigen, gläubigen Christen mag diese Feier einen erhebenden Eindruck ausgeübt haben; für uns ist sie der erste Versuch einer dramatischen Darstellung, der nur durch die angewandte lateinische Sprache einen kirchlichen Charafter bekommt.
Auch stofflich läßt sich ein Zug zum Tragischen, also nicht rein Kirchlichen, erkennen, denn in der Handlung gewinnt nicht die Geburt Christi das Uebergewicht, sondern der grauenvolle Tod des Kindesmörders Herodes . Von den Veranstaltern war also auch hier schon ob mit Absicht oder nicht, ist nebensächlich eine gewisse Wirkung erzielt, welche die Darstellung eines tragischen Vorganges auf den Zuschauer ausübt.
Es ist demgemäß auch selbstverständlich, daß eine Bearbeitung und Darstellung des Leidens und Todes Christi die zuschauenden Gläubigen auf's Tiefste erschüttern und so das Interesse an den Kirchenfesten auf's Regste erwecken mußte.
Derartige Charfreitag- Feierlichkeiten erstreckten sich über zwei Tage. Am Charfreitag Vormittag begann das Spiel und endete erst Sonnabend Abend mit der anschließenden Feier der Auferstehung Christi . Der Handlung lag wiederum der Bibeltert zu Grunde. Doch hatte man zum besseren Verständniß sehr viele Neuerungen eingeführt: Wechselgefänge in deutscher Sprache, Uebersetzung der lateinischen Worte Christi, ja sogar ganze Einschaltungen von mehr weltlichen Szenen, die eigentlich zum Verlauf der Passion nicht gehörten, aber doch wiederum biblischen Ursprungs waren, z. B. die Bekehrung der Maria Magdalena. Auch der Schaulust des Volkes wurde in erweitertem Sinne Rechnung getragen. Ein Altar stellt den Delberg dar, angedeutet durch aufgestellte Bäume. Dann bewegte sich der Zug zu einem anderen Altar, der die Stadt Jerusalem vorstellte, wieder ein anderer bezeichnete den Palast des Landpflegers; in der Zwischenzeit war der erste Altar in den Calvarienberg umgebaut worden. Während der Kreuzigung ging sogar Sonne und Mond unter; diese wurden mit Hülfe zweier großer Laternen„ gespielt".
Der Erfolg war ungeheuer, der Andrang zu den Kirchen kaum zu bewältigen. Man drängte sich aber zum Mitspielen ebenso wie zum Schauen. Diese Veranstaltungen erweiterten sich immer mehr, und mit dem Versuch, auch andere biblische Stoffe öffentlich natürlich unter Observanz der Kirche- darzustellen, vollzog sich auch die Verlegung des Schauplages aus der räumlich beschränkten Kirche an einen anderen Ort, auf den ungleich größeren Kirchhof oder gar auf den Marktplay.
An den Bau eines Theaters in unserem Sinne darf allerdings nicht gedacht werden. Es bedurfte nur einer Bühne, einer recht großen, denn durch die gewohnheitsgemäße Erziehung war die Schaulust des Volkes recht rege geworden. Der übrige Theil des Plages blieb vollkommen in seiner Verfassung
und bildete den Zuschauerraum. Von Logen und reservirten Plägen wußte man nichts, nicht einmal von Bänken.
So entstanden an allen größeren Orten gelegentlich der Feier christlicher Feste große Schaubühnen. Zur Aufführung kamen biblische Begebenheiten, die aber nunmehr gänzlich in deutscher Sprache ausgearbeitet wurden. Dieser Umstand ermöglichte auch den BürgerSöhnen und Bürgertöchtern die Betheiligung an der Darstellung; das Ganze bekam einen volksthümlichen Anstrich. Es verlohnt sich, das ganze Arrangement Anstrich. Es verlohnt sich, das ganze Arrangement einer solchen Aufführung einmal näher anzusehen.
Gelegentlich einer großen Ablaß- Prozession veranstalteten die Dominikanermönche zu Eisenach im Jahre 1322 eine große Feier. An einer Häuser front des großen Plazes zwischen Pfarrkirche und Franziskanerkloster wurde die mächtige Bühne auf geschlagen. Unter Bühne ist allerdings eben nur wieder ein hohes, roh zusammengezimmertes Gerüst zu denken, das je nach Bedarf mit Brettern belegt und verschlagen war. Die Bühne bestand, um das gleich vorherzusagen, aus drei Theilen. Vorerst waren ja nur zwei Theile zu sehen; der obere, nach hinten zu gelegene Theil stellte den Himmel vor. Der Himmel hatte seinen eigenen Vorhang, und Der Himmel hatte seinen eigenen Vorhang, und wenn dieser hochgezogen war, konnte man über einige Stufen hinunter auf den zweiten Theil gelangen, die Erde. Unter dieser befand sich der dritte Theil der Bühne, die Hölle. Doch der Höllenrachen that sich nur im Bedarfsfalle auf, um die bösen Teufel auf die Erde gelangen zu lassen, und schloß sich dann gelegentlich wieder; man schien es auch schon zu wissen, daß ein vorübergehender Anblick sich immer wirkungsvoller gestalten läßt, als eine dauernde Szene. Das Ganze war mit einem großen, prächtigen Vorhang gegen den freien Marktplatz abgeschlossen. Dieser freie Play, der Zuschauerraum, bot ein Bild, von dem sich unsere Theaterbesucher kaum einen richtigen Begriff machen können. Bänke, Stühle oder andere Bequemlichkeiten eristirten nicht; dagegen durfte jeder Zuschauer, ohne Entgelt zu zahlen, sich frisch und frei hinpostiren, wo und wie er wollte. Er durfte auf bloßer Erde fizend, oder stehend, oder in skrupelloser Anstandslosigkeit lang hingestreckt den Vorgängen auf der Bühne zuschauen. Daß sich im Laufe der Aufführung bedeutende Umwälzungen im Zuschauerraum vollzogen, mag als selbstverständlich gelten, wenn man bedenkt, daß der Beginn auf Vormittags neun Uhr angesezt und das Ende erst Vormittags neun Uhr angesezt und das Ende erst am späten Nachmittag zu erwarten war.
Aufgeführt wurde das Spiel von den fünf klugen und den fünf thörichten Jungfrauen.
Glockengeläute verkündet den Anfang. Beide Vorhänge werden hochgezogen, und wir blicken direkt in den Himmel hinein. Auf der Erde ist noch Alles leer und der Höllenpfuhl geschlossen, aber dort oben ist es lebendig. In der Mitte erscheint Christus, und um ihn her ungefähr alle Glorienerscheinungen, und um ihn her ungefähr alle Glorienerscheinungen, die sich der Mensch in den Himmel hineindachte: die Maria, der Joseph und andere Heilige und in ganz erdrückender Masse Engel . Die Engel singen, während einer von ihnen niedersteigt, um, wie es mit der Zeit üblich geworden war, einen Prolog mit der ganzen Inhaltsangabe des Stückes an das Volt zu sprechen.
Nach Beendigung desselben erhebt sich Christus; er ruft einen anderen Engel und trägt diesem auf, hinauszuziehen und die Menschen auf sein Kommen vorzubereiten. Der Engel zieht hinaus, d. h. er geht vorzubereiten. Der Engel zieht hinaus, d. h. er geht die Stufen hinab auf den unteren Theil der Bühne, auf die Erde, wo in der Zwischenzeit auch die zehn Jungfrauen aufgetreten sind. Der Engel richtet seine Botschaft aus und begiebt sich wieder hinauf in den Himmel. Nun wird der Vorhang vor dem Himmel heruntergelassen, und das Spiel auf der Erde beginnt.
Die thörichten und die klugen Jungfrauen, die bereits durch ihre Kleidung kenntlich sind, theilen sich nun ab, und während die einen beten und sich auf die Ankunft des himmlischen Bräutigams vorbereiten, leben die thörichten Jungfrauen in Saus und Braus, schwelgen an gedeckten Tafeln und verlachen die frommen" Tempeltreterinnen", die fortwährend nur auf den Knieen rutschen.
Gerade aus diesen Szenen mit ihren schroffen Kontrasten ist zu ersehen, wie sich eine bunt- bewegte, gleichsam weltliche Handlung auch im kirchlichen Spiel entwickeln konnte.
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Der Herr erscheint aber nun, um zu richten die Guten und die Bösen; der Vorhang des Himmels geht wieder auf, und Christus hält furchtbares Gericht. Während er die frommen Jungfrauen zu sich heraufruft- ausgeführt ist dieser Ruf sehr leicht: sie gehen die Stufen hinauf in den Himmel und sezen sich zur Rechten der Jungfrau Maria überweist er die thörichten Jungfrauen dem Teufel. Nun öffnet sich der Höllenrachen. Entseßliche Teufel mit angeschwärztem Gesicht, mit Pferdefuß und langem Schwanz treten hervor und holen unter allerhand Grimassen und Gesichterschneiden die ihnen anheimgefallenen, thörichten Jungfrauen. Selbst die Flucht in den Zuschauerraum kann die thörichten Jungfrauen vor ihrem Schicksal nicht retten; mit grimmigen Geberden sezen die Teufel ihnen nach, um sie aus der Mitte des Volkes herauszuholen und dem Höllenrachen zuzuführen
Die Wirkung auf das Volk soll ungeheuer gewesen sein. Einer von den anwesenden Potentaten, der lange Zeit mit seinem Vater in bitterer Fehde gelebt hat, soll sogar melancholische Anwandlungen bekommen haben und später infolge der Nervenaufregung gestorben sein. Und der Zweck, den die Geistlichkeit mit dieser Aufführung verfolgte, daß nämlich das Volk zu eifriger Betheiligung an den eben beginnenden Bußübungen herangezogen werden sollte, mag wohl hinlänglich erreicht worden sein.
Einen besonderen Reiz bekamen diese Biihnenspiele durch die Beimengung eines harmlosen Humors. Unter einer Menschenmenge von 5 bis 600 mitwirkenden , Künstlern" war es schwer zu vermeiden, daß nicht der Eine oder der Andere eine kleine Zote riß, die eigentlich in seiner Rolle nicht stand. Ein Scherz kann selbst in einer sehr ernſten Handlung ganz gut angebracht sein, oder braucht doch wenigstens nicht zu stören. Wenn die Teufel aus ihrem Höllenrachen schlüpften, um die hübschen, thörichten Jungfrauen zu holen, so mögen sie mit dem angebundenen Pferdefuß wohl manchen possirlichen Sprung gethan haben, und vor den Engeln, die zum Theil von Menschen dargestellt wurden, die aber auch zum Theil als Holzfiguren an Wand und Decke hingen, mag das Volk auch nicht gerade allen heiligen Respekt gehabt haben. Berichtet doch sogar der Chronist in sehr humorvoller, aber höchst respektloser Weise von einem Theaterunglück in Stuttgart :„ Das Theater( also nur die Bühne) fiel ein, die Hölle gerieth in Flammen, die Teufel liefen erschrocken davon, der Weltrichter fiel vom Stuhle und hätte sich beinahe den Hals gebrochen."
Doch gerade dieser Umstand, eine gesunde Mischung von Ernst und Scherz, war dazu angethan, das Bühnenspiel recht volksthümlich zu machen, und man hätte, bei der wachsenden Beliebtheit und dem großen Interesse an dem Gebotenen, sehr wohl erwarten dürfen, daß das Bühnenspiel im Verlauf der weiteren Entwickelung auch das bürgerliche Drama bringen und zur vollsten Blüthe gelangen lassen würde. Diese Erwartung hat sich nicht erfüllt.
Hans Sachs äußerte sich einmal, es sei nothwendig, daß außer Pflege der Kunst und Wetteifer der Künstler noch tausend andere sichtbare und unsichtbare Dinge zusammentreffen müssen, um eine wahre Kunst hervorbringen zu können. Dazu ist also, wenn ich so sagen darf, die Gunst des Augenblicks erforderlich. Doch die heranbrechende Zeit mit ihren Wirrnissen war einem höheren Emporstreben der veredelnden Künste sehr ungünstig. Wäre es nur ein Stillstand in der Fortentwickelung ge= wesen, so hätte sich dieser gewiß nachholen lassen können; es muß aber leider von einem gänzlichen Verfall der dramatischen Kunst gesprochen werden.
Einen nicht geringen Theil der Schuld trugen die Darsteller selbst. Das Spiel verweltlichte sich allmälig und wurde in immer reicherem Maße verlangt. Die geeigneten Darsteller reichten kaum noch aus und das herumziehende Volk bot sich zur Unterstützung an.
Nomadisirende Stiinstler" hat es von jeher ge