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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

der der Stadtmauer spotte. Das freie, gesellschaft­liche Dasein ohne absolutes Königthum, ohne eigent­liche Priesterherrschaft, mußte die Arete, die Bürger­tugend, heranziehen. Im Dienst der Stadt, ihrer Im Dienst der Stadt, ihrer Gottheit, ihrer Entwickelung, fonnte der Bürger An volfreiche genannt sein vor den Anderen". An volfreiche Großstädte in unserem Sinne darf man nicht denken; auf der Agora fannte Giner den Andern. Man durfte in der Seele seines Nächsten lesen. Wer fich auszeichnete, that's für seine Gemeinbürgerschaft: der Sieger in den olympischen Spielen sowohl, wie der Bildner, der die Lokalgottheit meißelte; der Tragödiendichter Sophokles  , wie der reiche Bürgers­mann, der durch sein Geld die theatralische Auf­führung, die ursprünglich mit religiösem Kult zu= sammenhing, möglich machte. Ein ewiges Ringen, ein ewiger Wettbewerb, losgelöst von der gemeinen Arbeit, die der freie Mann der Polis mißachtete, entstand. Ehr- und Eifersucht von Polis zu Polis regte sich, und nach der Abwehr gegen die Perser schwoll das Lebensbewußtsein noch unbändiger.

All' diese Bürgerherrlichkeit war freilich nur möglich durch den Helotismus auf anderer Seite. Der Helotismus, die Wirthschaft durch Ueberwundene, durch Sklaven, war der Dinger, auf dem die feine Kunst- und Wissenskultur von Hellas gedeihen konnte, und zugleich neben der Enge der Polis der Grund zum Niedergang.

Die schärfsten Geister Griechenlands   konnten die Einrichtung der Sklaverei sich nicht hinwegdenken, Aristoteles   nicht und auch Plato   nicht, der den Ausspruch gethan: Nichts ist gesund in einer Sklavenseele.

Nicht also privatkapitalistischer Wettbewerb, sondern die innere Macht der Polis haben jene äußersten Kraftanstrengungen hellenischen Geistes hervorgebracht, wie man sie in den vorhandenen Bauten, Bildwerken und Dichtungen bewundert. An der freigesellschaft­lichen Erziehung des Bürgers von Kindheit an, an dem Jdeal, Körper und Geist gesund zu bilden, konnten die griechischen Künstler ihre Kräfte messen. Freiheit giebt stolze Haltung und Selbstwerth. Auf Spiel und Turnpläßen fonnte der bildende Künstler den jungen, schönen Körper studiren und seine erstaun liche Formvollendung gewinnen. Anfangs noch im religiösen Bann, ernst, zur Erhabenheit geneigt, in strenge architektonische Maße sich einschließend, wird fie bewegter, malerischer, milder bei den Meistern Stopas und Praxiteles, wie dem herb erhabenen Tragiker Aeschylos   der menschlich wärmere Sophokles folgt. Spät erst, als mit dem Schwinden der inneren Gewalt der Polis die Staatsaufträge den Aufträgen von reichen Privatleuten wichen, ging's auch mit der eigentlichen, schönheitstrunkenen helleni­schen Kunst zu Ende.

Daß solches wetteifernde Dasein gemächlich ge­wesen war, das wird Niemand im Ernst glauben wollen, und Schiller's romantische Klage über die verschwundene hellenisch- heitere Herrlichkeit kann vor der Wahrheit nicht bestehen. In einem meisterhaften Kapitel zur Gesammtbilanz des griechischen Lebens führt dies der berühmte Schweizer   Kunst- und Kulturhistoriker Jacob Burckhardt   in seiner umfassen den hellenischen Wirthschafts- und Geistesgeschichte

aus.

Demagogen, durch die Unmöglichkeit, den engen Besißstand gegen anstürmende größere Mächte and gegen die eigenen Eifersüchteleien der Städte auf­recht zu erhalten, begann erst die eigentliche inter­nationale Kunstmission von Hellas, die Ausbreitung nationale Kunstmission von Hellas, die Ausbreitung der hellenischen Kultur.

Schou als im eigentlichen Hellas die Privat aufträge der emporgekommenen Familien sich zu häufen begannen, nahmen die Kunstwerke genrehafte, Die Künstler mitunter naturalistische Züge an.

mußten sich mehr oder weniger nach dem Geschmack Einzelner richten. Herb naturalistischer Wahrheits­beobachtung, wie in der schmerzbewegten Laokoon­gruppe, begegnet man nicht selten; hier werden schon Empfindungen losgelöst, die das Feingefühl vor= maliger Hellenen ihrer heftig- leidenschaftlichen Be­wegung wegen vielleicht verlegt hätten.

Eine Kunstübung, wie die hellenische, wird nicht durch eine Gewaltkatastrophe überrannt. Auch hier fließt Alles. Oft überrascht das Werk einer Nach blithe, oft die Fähigkeit, sich neuen Umwälzungen anzubequemen. Als die Staatsbildungen Griechen­ lands   längst zerschlagen waren, kam es doch noch durch griechische Künstler zu einem byzantinischen Stil. Es war die Zeit byzantinischer Unterthänig feit, überall ein steifgeregeltes Zeremoniell. Selbst die Heiligen beugen sich wie Unterthanen vor dem Allerhöchsten. Die byzantinische Kunstperiode indessen bleibt episodisch.

Wesentlich ist die Befruchtung Noms durch das überwundene Hellas. Der römischen Kultur fällt feine besondere originelle Note in der Kunst zu. Die altetruskische Stammbevölkerung konnte ihre ursprünglichen Kunstmotive nicht weiter ausbauen. Die gefährdete, in Striegen befestigte republikanische Welt Roms konnte naturgemäß feine künstlerischen Höhen ersteigen, und nach dem republikanischen Niedergang mußte das prunkende Gäsarenthum für sich wie seine Geschöpfe auf Machtausbreitung und stetige Erobererfahrten bedacht sein. Volk und die nothwendige militaristische Raste mußten beschäftigt werden. Ein Keil trieb den anderen. Während Weltmachtpolitik getrieben wurde, nahm man die hellenische Kunstweise, die gleichfalls einen Eroberer­zug durch die damalige Kulturwelt wagte, gleichsam Leihweise auf. Die Ueberfille an fiinstlerischen hellenischen Kräften, die gezwungen waren, sich zu hellenischen Kräften, die gezwungen waren, sich zu zerstreuen und Brot zu suchen, kam dem Allen zu Gute. Dem Sinne Roms, entsprachen die massigen Nußbauten, Wasserleitungen und Kunststraßen, die Inruriösen Bäder und vor Allem die Colosseen, die Niesentheater und Arenen, die durch Massenhaftigkeit Niesentheater und Arenen, die durch Massenhaftigkeit imponiren. Die künstlerischen Vorbilder trugen die römischen Garnisonen in alle Welt hinaus, nach Nordafrika   wie rheinaufwärts brachten sie sie mit; wie die Hellenen ihre Agora, wollten die Römer nicht ihr Forum missen, ihren Marktplatz mit dem Basilikabau, der Versammlungshalle, aus der sich organisch später ein christlich- mittelalterlicher Kunststil entwickeln sollte.

Ehrbegierde

Auf der einen Seite die drohenden Versuche einzelner Familien, zur Tyrannei, zur Gewaltherrschaft zu gelangen, auf der Unterschicht der gährende Helo­tismus. Und dazu der aufreibende Wetteifer inner­halb der Polis und die Fehden der Poleis unter­einander. Wohin die tollgewordene Ehrbegierde führen konnte, an dem klassischen Beispiel des wahn­wißigen Herostat, der den Bau von Ephesos   an­ziindete, ist es zu erkennen. Die pessimistische Mythen­bildung der Hellenen mit ihrem Schicksalsbegriff, dem man nicht entweicht, mit ihren trügerischen Orakelsprüchen und mit ihrem frühen Weltschmerz, sowie die Gedichte der Tragiker und die beißenden Satiren der fomischen Dichter legen Zeugniß davon ab. Kaum eine Gesellschaft verstand sich so trefflich auf die Kunst, im Gespräch Herzleid zuzufiigen, wie die schlendernden Bürger auf der Agora, meint Burckhardt, und Aristophanes  , der Komödiendichter, ist ein treffendes Beispiel.

Nach der Entartung der Polis durch streberhafte

die starr gesetzliche Abschließung mußte die Pflege der bildenden Kunst behindern. Das neuerstandene Christenthum brach mit der theokratischen Ausschließ­lichkeit. Die religiös- soziale Bewegung stieß auf alte Kulturvölker. Kaum hatte sie Boden gefaßt, brauchte sie die Kunst und künstlerische Vorbilder zu ihren Versammlungen, zu ihrer Weihe, zu ihrem Kultus.

Wie viel die altchristliche Kunst der Antike zu danken hat, wie selbst die heidnischen Germanen überall, wo römische Spuren vorhanden waren, wo irgend ein Bildwerk gefunden wurde, ihren eigenen Kunst- und Nachahmungstrieb darnach bildeten, das ist ein Gebiet, das erst die jüngste Forschung deutlicher erschließt. Vor Allem ist aus den fuppel­gedeckten Basiliten der romanische Kirchenbau her­vorgegangen; ein markantes Denkmal befizen wir im Dom zu Speier.

Die schweren Katastrophen, die über das Nömer­reich hereinbrachen, die wirthschaftliche Zerbröckelung, die Völkerwanderungen, eine elementar- ökonomische Bewegung um Land und Leben und die Ausbreitung christlicher Ideen hatten, da ja die Kunst des Menschen Thaten überallhin begleitet, auch auf die Kunstpflege ihren natürlichen Einfluß geübt. Aber unterbunden, ihren natürlichen Einfluß geübt. Aber unterbunden, völlig unterbunden war der künstlerische Besiz ans der Antike niemals. Der Draht zwischen Hellas und dem Judenchristenthum war niemals entzwei­gerissen. Darin haben so geistvolle Leute, wie der heidnisch- philosophische Antisemit Eugen Dühring  , Unrecht. Das Zeitalter Karl's des Großen schon faßt antife Erinnerungen zusammen, und Bauten wie die Palastkapelle Karl's im Aachener Münster sind nicht möglich ohne fortgesetzten Zusammenhang mit römisch- griechischer Kunst.

Die sogenannte Renaissance( Wiedergeburt), die auf dem Grund der Antike ein grandioser Emanzi­pationsfampf war und recht den modernen Begriff der Individualität, wie des Weltbürger- Gedankens zugleich vorbereiten half, kam also durchaus nicht so ganz unvorbereitet, als hätte man plöglich längst vergrabene Schäße aufgefunden. Gewaltige Sträfte wurden in der Renaissance frei, besonders in ihrem Mutterlande, in Italien  . Es war, als wären überall fruchtbare Gewitter niedergegangen; aber all diese Höhenerscheinungen haben ihren ökonomischen und geistigen Untergrund, der weit in die feudal- kirchliche Verfassung des Mittelalters und in die Weltmacht­kämpfe der römisch- deutschen Kaiserherrschaft zurück­reicht. Dichter und Künstler, daran muß man fest­halten, sind keine Propheten, wie uns die Schul weisheit lehrte. Oft bringen sie eine Epoche nicht zur Vollendung, wenn veränderte Erkenntniß, ver­änderte Wirthschaftbedingungen neue Wege angebahnt haben. Altes und Neues freuzen und begegnen sich. Ein ganz einleuchtendes Zeugniß giebt der Wandel der gothischen Monumentalfunft ab, die von Frank reich, dem führenden Land mittelalterlicher Stunst bewegung ausgegangen war und in der Kathedrale zu Rheims ihren Höhepunkt erreicht hatte.

Das theokratische, priesterlich gelenkte, geistig und wirthschaftlich streng abgeschlossene Judenthum mußte sich auf sich selber konzentriren. Lyrische Künste, Empfindungs- und Gedankenergiisse, innerlich- religiöse Betrachtung haben bei ihm sich vorzugsweise ent­faltet. Sie umfassen Idyllisches und so erhabenes Pathos, wie im Buche Hiob niedergelegt ist. Aber

Man kann es sentimental bedauern, daß es den germanischen Stämmen. im heutigen Mitteleuropa  nicht vergönnt war, sich trotzig auszuleben, ihre naturreligiösen Anschauungen, ihren Mythenbesis auszubauen. Aber alle Sentimentalität schwindet vor den thatsächlichen Ereignissen; und wo hätte je eine Nation gelebt, völlig unbeeinflußt, von anderen unbefruchtet. Nicht einmal chinesische Mauern sind ein Schutz für durchaus originale Entfaltung. Die Noth hat die wirthschaftlichen Einheiten der Geschlechter zum Stammesbewußtsein geleitet, die Noth hat die Wanderfahrten und die Berührung mit Rom   gezeitigt. Verblaßt leben die Erinnerungen alter Stultur im neuangenommenen Christenthum, verblaßt werden mythisch- religiöse Anschauungen zum Heldengedicht der Nibelungen. In der römischen Krönung sehen die Wahlkönige das Sinnbild des alten Imperiums, der alten Weltherrschaft; ritterlich- höfische Vorrechte durchbrechen die vormalige soziale Ordnung und die ritterliche Poesie mit ihren Wechselwirkungen zwischen Frankreich   und Deutschland   beginnt. Troubadoure und Minnesänger tauchen auf, das Genie Walther von der Vogelweide   mit seinen agitatorisch- politischen Gesängen reicht schon über sie hinaus und Wolfram von Eschenbach's  " Parcifal  " ist die poetische Ver klärung christlich- ritterlicher Anschauung, ein Weltbild für sich. Aeußere Weltbegebenheiten, der erobernbe Wanderdrang des Islamis, die Machtkämpfe zwischen Kaiser und Papst um das Imperium kommen hinzu und überall ist die Geistesverfassung gegeben, als der man die inbrünstig- religiösen Bewegungen bis zu ihren Eraltationen und Bußübungen begreift. In Frankreich   predigten die beredten Zungen vorall. In Frankreich   zunächst entwickelte sich der mönchische Einfluß zur Größe. Man braucht nur an Bernhard von Clairvaux   zu denken; und in Frankreich   die hochaufstrebende gothische Pfeilerkonstruktion. Der Massenbau wird in einen Gliederban verwandelt, so bezeichnet es der Kunsthistoriker Springer. Aus dem romanischen Bau wird ein Strebesystem aus gebildet. Es ist, als drängte Alles nach oben empor

und

Bau

faffu

entbi

tatte

Glas

fit in

gothi

Schon