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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

So viel, oder der Menge der erhaltenen Zeugnisse gegenüber richtiger: so wenig vom alten deutschen  Recht. Vielleicht ein andermal mehr und Genaueres über besondere Einzelgebiete mi.telalterlich- deutschen  Nechtslebens. Jedenfalls aber hoffe ich, daß das Dargebotene dazu beiträgt, jenen alten Irrthum zu beseitigen, daß die ganze Weltgeschichte zerfällt in's Alterthum mit dem hohen Kulturglanz von Alt­Hellas und Rom  , worauf dann das finstere, bar­barische" Mittelalter gefolgt sei, dem dann die vollauf geflärte, geradezu himmlisch vollkommene Neuzeit unserer allermodernsten Tage sich als höchste Aus­blüthe aller Gesittung und Bildung angereiht habe.

Was unser gegenwärtiges deutsches Rechtsleben anlaugt, gilt voll das Wort des schon oben zitirten Freybe: In Deutschland  , dessen Rechtszustand nicht zu den glücklichsten gehört, ist das Volksrecht hart bedrängt, gebrochen und umgeformt worden, denn dem Volke selbst ward die freie Bewegung ver­kümmert, und die Gesetzgebung und der Juristenstand haben sich hier nicht als die Organe einer volks­mäßigen Rechtsbildung bewährt."

Von der wirthschaftlichen und politischen Seite unseres modernen deutschen   Rechtslebens schweigen wir lieber ganz: es ist wenig Erbauliches darüber zu sagen. Die Besten haben erkannt, daß uns vor allen Dingen noth thut die Schaffung eines Rechtes, das sich auf sozial- ethischen Grundsäßen, auf einer gesunden Gesellschaftssittenlehre" aufbaut und sich au's wirkliche Volksleben anschließt. Ich schließe mit einem legten Wort Freybe's:" Erkennt die Rechtspflege wirklich, daß die Kodifikation des Rechts wenigstens in erster Linie durchaus keine politische, sondern eine eminent soziale Bedeutung hat, so kann sie sich nicht länger von der Volkssitte* trennen, die von ihr oft so geringschäßig und feind selig behandelt ist, der Sitte, welcher gleich dem so lange verachteten Aschenbrödel, zuletzt doch das Königskleid sozialer Majestät gebiihrt."

Die Herstellung der Stecknadel.

Von P. M. Grempe.

ollte man die kleinen, faſt werthlosen und trotzdem unentbehrlichen Gegenstände auf zählen, die der Kulturmensch im täglichen Leben häufig gebraucht, so müßte man die Stecknadel mit an erster Stelle nennen. Würden wir einmal zählen, wie oft wir im Laufe eines Tages die Steck­nadel zu Zwecken mannigfachster Art benußen, so würde das kleine Ding jedenfalls außerordentlich in seiner Werthschäßung bei uns steigen. Hat diese Nadel ihren Zweck erfüllt und wird sie nicht mehr benöthigt, so muß sie es sich gefallen lassen, achtlos bei Seite geworfen zu werden es ist ja nur eine Stecknadel! Wer es zum ersten Male hört, wird es kaum glauben wollen, daß auf diese Weise die Kulturmenschheit täglich mindestens 120 000 000 Steck­nadeln verbraucht. Eine ziemlich bedeutende Industrie ist damit beschäftigt, den Bedarf an Nadeln dieser Art zu decken.

Wie wird nun die Stecknadel hergestellt? Auch jetzt wird Mancher erstaunt sein, wenn er erfährt, daß dieser unscheinbare Gegenstand oft mehr denn fünfzig Handgriffe bei der Fabrikation erfordert, ehe er zum Verkauf fertig ist. Bevor wir uns aber zu dem heutigen Herstellungsprozeß wenden wollen, dürfte es angebracht sein, einen Blick auf die Geschichte der Stecknadel zu werfen.

Jedenfalls ist die Stecknadel der Vorläufer der Nähnadel gewesen. Wollte der Mensch in früheren Zeiten Felle oder Stoffe aneinander heften, so brauchte er nur einen spigen Gegenstand in geeigneter Weise zu benutzen. Die Natur bot ihm in rohen Formen derartige Pfriemen; der Mensch brauchte nur Knochen, Geweihtheile, Fischgräten oder kleine Holztheilchen von den Bäumen und Sträuchern des Waldes wenig oder garnicht nachzuarbeiten, um eine Stecknadel primitivster Form zu haben.

* Und namentlich vom Rechtsbewußtse'n des Volfes! Der Verf.

Im Alterthum wurde mit den Heftnadeln großer Lurus getrieben. Die archäologischen Funde Egyptens zeigen, daß die Stecknadeln der damaligen Zeit kunst­voll verziert wurden. Die Ausgrabungen auf damals römischen Gebieten haben außer schönen Ringen, Hals- und Armbändern auch prächtige Stefnadeln zu Tage gefördert, die noch heute von einer staunens­werthen Kunstfertigkeit der alten Nömer Zeugniß ablegen. Die Künstler dieses Volkes fertigten die Heftnadeln aus Gold, Silber und Bronze und ver zierten sie mit Perlen und Edelsteinen; auch kostbar emaillirte Stecknadeln wurden vielfach angefertigt. Allerdings ist hierbei zu bedenken, daß die meisten dieser Heftmittel etwa in Form der Broche zur Verwendung gelangten. Stiftartige Nadeln, die etwa unserer heutigen Stecknadel im Aussehen entsprechen, wurden nur selten gefertigt; das Befestigungsmittel wurde vielmehr in jener Zeit fast durchweg als Sicherheitsnadel ausgeführt, die sich nach Art eines Scharniers oder auch federnd in schnallenartige Er­hebungen der funstvol gestalteten Ringe oder Scheiben einlegten.

Bis zu Anfang unseres Jahrhunderts stellte man die Nadel, welche auch nach dem heutigen Sprach­gebrauch mit Stecknadel" bezeichnet werden würde, fast ausschließlich aus Messing her. Ein Stift aus diesem Metall wurde an seinem stärkeren Ende mit einem, aus dinnem Draht gewundenen Köpfchen versehen. Später fam dann auch die Fabrikations­methode auf, bei der das Endtheil zu einent fleinen Kopf flachgeschlagen wird.

Da den eisernen Stecknadeln nachgesagt wurde, daß ihr Stich giftig sei, so ist es erklärlich, wenn noch im Jahre 1761 den Meistern der Nadelschmiede­noch im Jahre 1761 den Meistern der Nadelschmiede­kunst in Paris   bei vier Thalern Strafe verboten wurde, eiserne Nadeln anzufertigen. Von Esen wurden in Frankreich   nur die schlechtesten Stef nadeln hergestellt, die aber von Niemand als den Frauen auf dem Lande gekauft wurden.

Zur Fabrikation der Nadeln waren zu jener Zeit folgende Arbeiten nöthig: 1. mußte der auf die richtige Dicke gezogene, gereinigte Draht gerichtet und 2. auf die richtige Länge abgeschnitten werden; 3. wurde er gespißt und 4. fertig gemacht oder polirt. Die 5. Arbeit war das Schmieden der Schäfte, die 6. das Spinnen des Kopfdrahtes, die 7. das Schmieden und die 8. das Ausglühen der Köpfe, die 9. das Aufsetzen und das Stumpfen der Köpfchen, die 10. das Scheuern der Nadeln, die 11. das Verzinnen derselben, die 12. das Abspilen, die 13. das Ab­trocknen im Rollfaß, die 14. das Schwingen und die 15. das Einstecken der Nadeln in Papier  .

In Deutschland   wurde die Nadelfabrika ion be­sonders in Aachen   und Nürnberg   betrieben. Nach Aachen   hatte ein Spanier die Industrie eingeführt, Aachen   hatte ein Spanier die Industrie eingeführt, und die Nadeln gingen unter dem Namen spanische" Stecknadeln in den Handel. Im Jahre 1631 verbot aber der Senat diese Bezeichnung und bestimmte, daß die Heftmittel fortan nur unter dem Namen Aachener Nadeln" zu verkaufen seien.

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Der Preis der Stecknadel war, wie folgende Preisliste aus dem Jahre 1623 zeigt, ziemlich be­deutenden Schwanfungen unterworfen.

Im Meißnischen Kreise fosteten: Das Tausend der besten Stecknadeln 12 Gr.; das Tausend anderer Gattung 10 Gr.; das Tausend dritter Gattung 8 Gr. Im Leipziger   Kreise: Ein Brief( 500 Stück) bester Stecknadeln 6 bis 7 Gr.; 100 der gemeinen Steck­nadeln 8 Pf. Im Erzgebirgischen Kreise: 100 Steck­nadeln 10 Pf.; 100 der gemeinen Stecknadeln 5 Pf.

Die Vervollkommnung der Qualität des Eisen­und Stahldrahtes hat die Fabrikation der Stecknadel in außerordentlich großem Umfange erleichtert und die Nadel aus Messing fast ganz verdrängt. Während früher das gewundene Köpfchen fast ausschließlich hergestellt wurde, ist in unserer Zeit die kugelrunde Form des Stefnadelkuopfes vorherrschend. Diese Nadelart wird jest in Fabriken in großem Maßstabe angefertigt.

Die zur Steinadel- Fabrikation bestimmten, in Nollen bezogenen Drähte werden in einer mit den besten und neuesten Einrichtungen ausgerüsteten Werkstatt von der Schneidemaschine in Stücke ge= schnitten. Diese Maschine scheidet acht Drähte

gleichzeitig. Die Stärke der so bearbeiteten Drähte schwankt in 25 Abstufungen zwischen 1/5 bis 3 Milli Die Länge der von der Schneidemaschine gelieferten Schäfte, die später in der Mitte durch schnitten werden, schwankt zwischen 4 bis 18 Zenti metern, je nachdem die Vorrichtung eingestellt wird. Die Maschine liefert in einer Stunde etwa 50 000 Schäfte, also die Drahtstii.fe zu 100 000 Sted nadeln.

Die Schäfte werden zwischen senkrecht stehenden Wänden aus Blech aufgeschichtet; hier liegen sie zu Tausenden aufeinander. Die Maschine arbeitet so eraft, daß die Schäfte durchaus glatte Flächen bilden.

In früheren Zeiten, als man das Zerschneiden des Drahtes noch durch Handarbeit vornahm, mußte selbst der geübte Schäfteschneider angestrengt thätig sein, um in der Stunde etwa 2500 Drahttheilchen zu liefern.

Die nun folgenden Einzelarbeiten werden in den Aachener Fabriken, deren Einrichtung durchaus auf der Höhe der Zeit stehen, nach Büttgenbach in fol gender Weise vorgenommen:

Beim Nichten werden die Nadelschäfte in ge eigneter Weise zwischen Ringe gelegt, so in den Gliih­ofen gebracht, dann herausgenommen und mit dem Streicheisen bearbeitet, um endlich noch in heißent Zustande in eine ölige Flüssigkeit geschüttet und so gehärtet zu werden.

Das Schleifen versieht den Nadelschaft an beiden Enden mit Spizen. Die Spizenschleifmaschine arbeitet automatisch und liefert unter Aufsicht eines Arbeiters stündlich 25 000 bis 30 000 angeschliffene Schäfte; vor Erfindung der maschinellen Einrichtung konnte selbst der geschickteste Arbeiter höchstens 3000, also den zehnten Theil in dem gleichen Zeitraum, zuspißen.

Nachdem die Nadelschäfte in der Mitte durch schnitten sind, müssen sie an den Enden, wo die fleinen Köpfe haften sollen, weich gemacht werden; diese Arbeit wird das Ablassen" genannt. Gine am Umfange eingeferbte Scheibe nimmt in jeder ihrer Vertiefungen einen Stecknadelstift auf und führt den über den Scheibenrand vorstehenden Drahttheil durch eine Gasflamme. Hat die Scheibe den tiefsten Stands punkt erreicht, so fällt die abgelassene Nadel heraus und der nun leere Kerb nimmt beim Aufsteigen wieder einen neuen Drahtstift mit fort.

Das Köpfchen wird aus Eisen- oder Messing­draht von 3/5 bis 7/10 Millimeter Stärke in der Weise gefertigt, daß dieser diinne Draht um eine etwa 1 Millimeter dicke Eisenstange in engen Win dungen gespult wird; ist die Spule 50 Zentimeter lang, so wird sie abgezogen und durch die Abschneide maschine zertheilt. Zehn Spulen werden von der die Maschine bedienenden Person in der Weise vor geschoben, daß gleichzeitig zehn Theilchen von je zwei Windungen abgeschnitten werden. Eine 50 Zenti meter lange Spirale liefert etwa 250 Stöpfe.

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Die Befestigung des Köpfchens am Steck nadelstift geschieht durch das Wippen". Die Person, welche diese Arbeit verrichtet, greift mit mehreren Nadelschäften zugleich die Spitzen nach vorne gerichtet in einen Haufen abgeschnittener Spiralen. Nachdem die gewundenen Köpfchen durch eine bestimmte Bewegung der Hand bis zum anderen Ende gerutscht sind, wird die Nadel unter einer Stampfe mit fünf bis sechs Schlägen fest mit dem Kopfe verbunden. Die Wippe" ist ein Gestell, in dem eine ungefähr 10 Kilo schwere Kugel durch einen Hebel gehoben wird; diese hat am unteren Theil den Schlagstempel. Der Arbeiter jetzt mit dem Fuß die Kugel um einige Zentimeter in Be­wegung und versieht mit dieser Vorrichtung in einer Stunde etwa 500 Nadeln mit Stöpfchen.

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Bei der erwähnten Operation des Ablassens ist der Nadelschaft bläulich angelaufen; um un den Stecknadeln die allbekannte helle Färbung zu verleihen, werden sie in verdiinnter Schwefelsäure gebeizt und dann mit trockenem Sägemehl vom Holze der Buche in sich drehenden, großen Fässern von der anhaftenden Feuchtigkeit befreit.

Eine besondere Art dieser Nadeln sind die Sted nadeln mit Glasköpfen. Der für derartige Stecknadeln brauchbare Draht muß durch geeignete Behandlung hart und politurfähig gemacht werten;