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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

von dem Advokaten Brentano  , dem Führer der badischen Demokratie neben Blum der populärste " Bolksmann" der Märzrevolution, nachdem Hecker freiwillig das Feld geräumt hatte, die Vertheidigung in meinem Prozeß abgeschlagen, weil ich mich als Kommunist bekannt hatte! Unter den ärmeren Klassen, unter den Arbeitern und Bauern waren zwar radikale und republikanische Ideen sehr ver­breitet in Südwestdeutschland   auch besonders stark unter den Soldaten doch von einer Organisation und einer Summe von Kräften, stark genug, der lawinenartig anwachsender Neaktion siegreich zu be­gegnen, konnte die Rede ni jt sein.

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Die Mehrheit des Frankfurter   Parlaments war blind fiir die Zeichen der Zeit. Sie that, als wisse sie nicht, daß Blum in Wien   erschossen, und daß in Berlin   der Belagerungszustand verkündet war. Die Grundrechte" hatte man glücklich in Worte gefaßt und dem deutschen   Volke die Tantalusqual bereitet, unter allen Völkern der Erde die schönsten und vollständigsten Freiheiten und Rechte auf dem Papier zu besitzen und bewundern zu können. Das Parlament wollte jezt auch praktisch" sein. Der ,, fiihne Griff" war nur ein Nothbehelf gewesen- und ein mißglüdter. Das war nachgerade den Herren der Majorität klar geworden. Das freie" und einige" Deutschland   sollte jetzt endgültig unter Dach und Fach gebracht werden. Die Frage: Republik  oder Monarchie? war durch die Ereignisse längst entschieden. Der republikanische Gedanke, der nur an der Schweizer   Grenze tiefere Wurzel gefaßt hatte, drang in die Massen erst, als es zu spät war und alle Voraussetzungen der Verwirklichung aufgehört hatten. Also Monarchie. Und natürlich konsti­tutionelle Monarchie eine Monarchie mit den Grundrechten, was ungefähr so logisch wie die ,, Republik   mit dem Großherzog", die auch aus jener Zeit stammt, wo die Zahl der guten Menschen und schlechten Musikanten so außerordentlich groß war.

Gut: Konstitutionelle Monarchie. Aber wer sollte Monarch sein? Es gab nur drei Möglichkeiten. Entweder mußte es ein Habsburger   sein, oder ein Hohenzoller, oder irgend ein neutraler Fürst, der weder Habsburger   noch Hohenzoller war. Allein ein Habsburger   würde sich nie einem Hohenzollern  , ein Hohenzoller sich nie einem Habsburger  , und die Hohenzollern   und Habsburger   sich nie einer der fleineren Dynastien unterordnen. Das ließ sich mit Händen greifen.

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Die dritte Möglichkeit wurde schnell fallen gelassen. Das dämmerte den Herren Parlamen­tariern doch auf, daß weder Preußen noch Dester reich je einen der kleineren Brüder" und Kollegen über sich dulden würden. Und so wollten sie es mit einem der großen halten, dem dann die Aussicht eröffnet werden sollte, mit Hülfe der Volksmacht, welche das Parlament zu vertreten sich noch ein­bildete, die anderen unterzukriegen". So über­legten sie denn: ob Habsburger  , ob Hohenzoller? An das Weder Noch dachten sie nicht. Blos an das Entweder Oder. Das einzige, nicht aberwißige Dritte: das deutsche   Volt, galt für die Herren von der Frankfurter   Parlamentsmajorität überhaupt nicht und es war leider nicht stark genug, den Herren Vernunft zu lehren.

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Habsburg   oder Hohenzollern  ? Das war das Feldgeschrei.

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Und öffentlich wurde agitirt und heimlich gewühlt nach Noten. Zum ersten Mal tauchten die Stich­worte auf: Kleindeutschland Großdeutschland. ,, Kleindeutschland", das war Preußen mit den übrigen Bundesstaaten ohne die zum Deutschen Bunde ge­hörenden Provinzen Oesterreichs  , mit Oesterreich, das Einheitsdynastie wollte, in Bundesgenossenschaft Großdeutschland" war das gesammte Dentschland des alten Bundes" mit dem österreichischen Reich, soweit es nicht zu Deutschland   gehörte, im Bundes­verhältniß. Großdeutsch war die Demokratie auch die Sozialisten, soweit welche vorhanden waren, weil sie Oesterreich   gewissermaßen als deutsche   Kolonie betrachteten, durch deren Besiz erst Deutschland   eine selbstständige Machtstellung zwischen der romanischen und slavischen Welt erlangen konnte. Kleindeutsch land" war sehr unpopulär. Wenn man vor 1848

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von einem einigen freien Deutschland  " schwärmte, dann dachte man an das Wort des späteren Reichs­verwesers: Kein Preußen und kein Oesterreich ein einiges freies Deutschland  , groß und start wie seine Berge." Die Staaten Preußen und Oester­ reich   sollten verschwinden und das zu ihnen gehörige Land mit den Mittel- und Kleinstaaten des deutschen Bundes das neue Deutschland   bilden ein Ganzdeutschland. Daß das Ganzdeutschland eigent lich auch die russischen Ostseeprovinzen zu umfassen habe, das wurde von Vielen ausgesprochen; dagegen wurde von Niemand ausgesprochen, daß Elsaß Lothringen   dem neuen Deutschland   wiedereinverleibt ncrd: n miisse. Dem blöden Nationalismus, den man uns seitdem einzuimpfen versucht hat, ist das deutsche   Volk von jeher fremd gewesen. Unsere Ur­Ur- Großväter und Großmütter, welche das römische Reich eroberten und eine neue Welt grün­römische Reich eroberten und eine neue Welt grün­deten, beugten sich vor der höheren Kultur der Be­siegten, nahmen die Sprache derselben an und ver­mischten sich mit ihnen zu neuen Nationalitäten. Das unter Karl dem Großen geeinigte germanische Weltreich hatte Paris   zur Hauptstadt und das frühere Frankreich   und Deutschland   zu seinem Kern. Von den deutschen Fürsten, die beiläufig am aller wenigsten ein Recht haben, von deutscher   Nation und deutscher   Nationalität zu reden, ist das freilich vergessen worden außer etwa insofern sie es vor zwei Jahrhunderten nicht verschmäht haben, Jahresgelder von dem französischen   König anzu­nehmen( z. B. der Große Kurfürst") was sie doch sicherlich nicht gethan hätten, wenn ihnen Frank­ reich   nicht als national- stammverwandtes Land erschienen wäre. Der chauvinistische Deutsch  - Natio­nalismus, das Teutschthum oder Alldeutschthum", das jetzt Mode geworden, ist ein spezifisch preußisches Produkt, gleich dem preußischen Fuselschnaps, und, von einigen deutschthiimelnden Hanswursten abge­sehen, auf ostelbischem, das heißt zu drei Vierteln slavischem, folglich undeutschem Boden gewachsen und ist durch und durch undeutsch. Was insbesondere Elsaß   betrifft, so lese man blos Göthe's" Dichtung und Wahrheit  ", um zu erkennen, wie jeder Gedanke, Elsaß   als ein Deutschland   geraubtes und durch uns zurückzueroberndes Land zu betrachten, dem deutschen  Volfe ferne lag. Die Elsässer waren zu Frankreich  gekommen, das ja, wenn auch jezt ein selbstständiges von Deutschland   getrenntes Neich, doch vor tausend und mehr Jahren von uns Deutschen   erobert worden, und aus einem römischen Gallien   in ein germanisches Frankenreich, abgekürzt: Frankreich  , umgewandelt Frankenreich, abgekürzt: Frankreich  , umgewandelt worden war. In der französischen   Revolution, die, worden war. In der französischen   Revolution, die, mit dem französischen   Geschichtsschreiber Michelet  mit dem französischen   Geschichtsschreiber Michelet  zu reden, die deutschen   Elsässer zu Bürgern des revolutionären und demokratischen Frankreich   gemacht hat, waren es vor Allem die Elsässer  , welche die Ideen der Nevolution in Deutschland   verbreiteten, und schon Ende des vorigen Jahrhunderts tauchte das Wort auf: Elsaß- Lothringen   ist der Binde­strich( trait d'union) zwischen Frankreich   und Deutschland  ". Es verschwand nach der Knebelung des revolutionären Frankreich   und wachte wieder auf nach der Julirevolution, wo die elsässer National­garden mit ihrer blauweißrothen Kokarde und die elsässer   Soldaten mit ihren rothen Hosen gar gern gesehene Gäste in Baden   waren, mit denen zahllose internationale Verbrüderungsfeste im kleinen Maß­stabe gefeiert wurden. Auch auf dem Hambacher Feste waren sie im Vordergrunde des Interesses und das lebendige Symbol der Verbrüderung Frants reichs und Deutschlands  . Als die Reaktion die Juli- Hoffnungen zerstört hatte, war auch von den elsässer Nationalgarden und Soldaten auf deutschent Boden nichts mehr zu sehen. Die Februarrevolution aber holte das Versäumte nach. Mit den blauweiß­rothen Kokarden wanderten die Jakobinermüßen über den Rhein  , und daß die republikanische Strömung in Südwestdeutschland   so stark wurde, ist den Elsaß­Lothringern fast ebenso viel zu verdanken, wie den Schweizern. Bei jeder politischen Kundgebung in Baden   und in der Pfalz   waren elsässer National­garden zu sehen und elsässer Nothhosen und kein deutschländischer Deutscher( hier gebrauche ich den Ausdruck, den die amerikanischen   Landsleute erfunden

haben, um den ausländischen Deutschen   vom Deutschländischen zu unterscheiden)- und kein deutsch  ländischer Deutscher hat für die deutsche   Einheit und Freiheit tiefere Begeisterung empfunden als unsere elsässer Landsleute, von denen es darum aber keinem eingefallen ist, die Loslösung des Elsaß von Frank reich zu wiinschen.

Der Bindestrich" war 1848 und 1849 gar beliebt in Südwest- Deutschland  , und mehr als ein Elsässer hat in seiner Nationalgardeuniform, und ver schiedene sogar in ihrer französischen Soldatenuniform auf den Schlachtfeldern Badens gestritten, und mehr als einer hat den Bindestrich" mit seinem Blut und seinem Leben besiegelt. Dann und wann kam mit den elsässischen Freischärlern das Gespräch auch ernstlich darauf, ob sie denn, da Deutschland   doch nun frei sei oder doch ganz gewiß frei sein werde, nicht wieder ein Theil Deutschland werden wollten. Allein stets war die Antwort: Wozu? Haben die deutschen   Schweizer Lust, Theile Deutschlands   zu werden? Was können sie dabei gewinnen? Freiheit steht über Nationalität. Als Theile Frankreichs sind wir frei geworden. Und können wir die Mission des trait d'union zwischen Frankreich   und Deutschland  nicht besser erfüllen als deutsche   Franzosen wie als von Frankreich   wieder abgetrennte Deutsche  ? Fühlt der deutsche   oder französische Schweizer   sich unbehag lich? Sie sind beide gleich, sind beide frei- keiner vol beiden herrscht über den anderen und so hat feiner von beiden den Wunsch, sein Verhältniß zu ändern. Genau so wie das Verhältniß der französischen   zur deutschen   Schweiz   wird auch das Verhältniß Frank reichs zu Deutschland   und werden, dann sind Deutsch  laudund Frankreich   zwei große Kantone einer großen Eidgenossenschaft, und da ist es ganz gleich gültig, welchem Kanton Einer angehört.

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Die Unpopularität Kleindeutschlands" wurde durch die Unpopularität Preußens noch wesentlich vermehrt. In den letzten drei Menschenaltern ist an Geschichtsfälschung und an Fälschung der öffent lichen Meinung schier Unglaubliches geleistet worden­und zwar in erster Linie zu dem Zweck, Preußen in den deutschen Nationalstaat", den Staat mit dem deutschen Beruf" umzuliigen. Von Bismard und unter Bismarck   ist das Märchen nicht erfunden worden es war schon fertig, ehe er geboren ward; und Preußen, welches die Vorkämpfer des einigen Deutschlands  , die harmlosen Demagogen" auf's Niederträchtigste verfolgte, gründete gleichzeitig den Zollverein und heuchelte bei dem übrigen Deutschland Liebe fiir deutsche Einheit, die es bei sich zu Hause in den Kerker warf. Das Wahrheits torn in dem Liigenmärchen ist, daß Preußen seit Jahrhunderten den Erbberuf verspürt hat, das ver wahrloste und herrenlose Deutschland   in seinen Beſiz zu bringen wenigstens ein möglichst großes Stüid.

Diese Doppelzüngigkeit, diese Undeutschheit der preußischen Politik und das steife, brutale, knech tischen Gehorsam heischende, den slavischen Ursprung verrathende Wesen der preußischen Bureaukratie war in ganz Deutschland   verhaßt, und Kleindeutschland" war gleichbedeutend mit preußischem Deutschland  .

Lange wogte der Streit hin und her; hiiben und driiben ward geeifert, gewühlt, gelogen, gemogelt, gefälscht. Entschieden wurde der Streit zu Gunsten der Hohenzollern   durch die Tragödie der Erſchießung Blum's. Der todte Blum stellte sich zwischen das Haus Habsburg   und das deutsche   Volk, entriß dem Hause Habsburg   die deutsche   Kaiserkrone und be reitete 1866 vor.

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Am 27. März 1849 wurde die Reichs­verfassung, enthaltend den erblichen Kaiser, mit 267 gegen 263 Stimmen angenommen; und am folgenden Tage, dem 28. März, der König von Preußen zum deutschen   Erbkaiser erwählt mit 290 Stimmen. Der Abstimmung enthielten sich 248 Abgeordnete darunter 100 Desterreicher. Durch die oftroyirte österreichische Verfassung vom 7. März, welche alle Staaten der österreichischen Monarchie für eine einheitliche und untheil­bare konstitutionelle Monarchie erklärte, hatte die österreichische Regierung Desterreich aus Deutschland  ausgeschlossen, und die österreichischen Vertreter im Frankfurter   Parlament, von ihrer eigenen Regierung

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