Licht der Welt erblickte, da hatte die preußische Regierung nichts Eiligeres zu thun, als die nöthigen Mannschaften aus deutscher Gefangenschaft los zu lassen, damit dieselben auf Paris gehezt werden konnten und hätte das nicht genügt, würde der Preußen
deutschen Truppen zur Zerschmetterung der verhaßten Revolution in Paris zu mißbrauchen.
selben ferngehalten, so traten doch immer von Neuem Andere an deren Stelle, welche gleich jenen die Verbindung unter den Genossen festigten und neu belebten, auch die Beziehungen zu den auswärtigen Führern, sowie zu den Umsturzparteien anderer Länder aufrecht erhielten. Ihre Mitfönig wohl keinen Augenblic Anstand genommen haben, die theilungen und Anweisungen, in gelegentlichen Zusammenkünften und Besprechungen ausgegeben, gelangten durch die sicher und wirksam geführte Verzweigung der Agitation in kürzester Frist an alle Genossen. Die Sammlung von Mitteln für die Zwecke der Partei wurde insgeheim oder unter Umgebung des Verbots durch Vorspiegelung geselliger oder ähnlicher Zwecke fortgesetzt betreten.
In der festen Gliederung der Berliner Sozialdemokratie fanden die auf den Umsturz der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung gerichteten Jdeen und Bestrebungen Pflege und Kräftigung; sie wurden durch die zuversichtliche Hoffnung belebt, daß nach Ablauf der kurz bemessenen Dauer des Gesetzes vom 21. Oktober 1878 die Zeit kommen werde, in welcher durch die äußerste Ausnuzung der öffentlichen Agitationsmittel und im Vereine mit den Proletariern aller Länder" der Erreichung der allgemeinen Ziele näher getreten werden könne.
"
"
"
Die seit Erlaß des Sozialistengesetzes außerhalb Deutschlands entstandenen Preßerzeugnisse der Sozialdemokratie, namentlich die von Most in London herausgegebene Freiheit" und der in Zürich erscheinende Sozialdemokrat", in welchen mit rück haltloser Offenheit der gewaltsame Umsturz der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung als das unverrückbare Ziel der Sozialdemokratie hingestellt, und die Solidarität mit den Umsturzparteien im Auslande proklamirt wird, hatten in Berlin in erheblichem Umfange Verbreitung gefunden. In den zustimmenden Hinweisungen dieser Blätter auf die radikalsten Anträge und Beschlüsse des im vergangenen Herbste in Marseille abgehaltenen sozialistischen Arbeiterkongresses und in der Verherrlichung der von Nihilisten ausgehenden Attentate in Rußland waren neue Anzeichen der Zunahme der internationalen und extremen Rich. tung der Sozialdemokratie herangetreten.
Dieser Sachlage gegenüber konnte auf die Anwendung aller zulässigen Mittel der Abwehr und Sicherung für Berlin und seine nächsten Umgebungen nicht verzichtet werden. Es erschien daher geboten, die im§ 28 des Sozialistengesetzes vorgesehenen Anordnungen, und zwar mit Rücksicht auf die gemachten Erfahrungen und die Natur der obwaltenden Verhältnisse im ganzen Umfange und auf die gleiche Dauer, wie im Vorjahre, von Neuem zu erlassen.
Revolutionsmacherei oder Revolutionirung der Geister?
"
-o- Paris , 18. Februar. Wie in London , so hat das Auftreten der Freiheit" leider auch hier die Wirkung gehabt, in die Reihen der Parteigenossen deutscher Zunge Zank und Streit zu tragen. Dieselben Manöver, dieselben Schlagworte, ganz dasselbe Gebahren, wie es Ihre Londoner Korrespondenz schildert, hat sich auch hier abgespielt. Deshalb und da ich ein abgesagter Feind solcher persönlicher Streitereien bin, will ich nicht weiter darauf eingehen, sondern Ihnen einmal an den Ausführungen des großen Revolutionärs" Most zeigen, daß er eigentlich gar nicht so böse ist, wie er sich den Anschein gibt, daß seine Lehren aber nichtsdestoweniger mit Vorsicht aufzunehmen sind.
"
Zu den Weihnachtsfeiertagen war nämlich M. herüber gekommen, um ein wenig Propaganda für seine engere Richtung zu machen und da hielt er denn natürlich auch eine Rede in einer Versamm
lung, worin er so einigermaßen sein Programm entwickelte. Der längeren Rede furzer Sinn, resp. der Hauptinhalt war nun der: Nachdem M. feierlicher Weise erklärt hatte, daß die deutsche sozialdemokratische Partei jezt die Kinderschuhe ausgetreten habe und nunmehr in das aktionsfähige Mannesalter eingetreten sei, erklärte er es für an der Zeit, von jetzt ab die Betonung des friedlichen Weges- an den noch kein deutscher Ge nosse im Ernste geglaubt hat bei Seite zu lassen und eine kräftige, revolutionäre" Agitation zu unterhalten, damit - und nun werden Sie staunen! wenn den Herrschenden das Ruder aus der Hand fiele, wenn, wie schon so manchmal, die Regierungsgewalten so zu sagen auf der Straße lägen, sich auch muthige und entschlossene Männer fänden, die die Gewalten aufheben würden." M. hat damit den Fall vorgesehen, wo Preußen- Deutschland , von einem auswärtigen Feinde überwunden, ohnmächtig darniederliegt.
"
Als ich diesen furchtbaren" Vorschlag hörte, konnte ich nicht umhin, dem Bürger Most ein„ Natürlich" zuzurufen. Und ich frage: Was ist denn auch natürlicher als dieß? Welcher Sozialist würde in einem solchen Falle nicht hinzuspringen, würde nicht dem Sterbenden den letzten Gnadenstoß geben und ihm das Ruder aus den müden Händen reißen? Wenn das der ganze Zweck der großen ,, revolutionären" Propaganda sein soll, so behaupte ich: diese Propaganda ist längst gemacht. Denn sollten sich unter den über 50,000 ausgesprochenen Sozialisten, in Berlin 3. B., nicht einige hundert entschlossene Menschen finden, die einen solchen im Grunde ja gar nicht so schweren Streich ausführten? Ist es nun, um zu einem solchen Resultat zu gelangen, nöthig, noch eine Extra- Revolutions- Partei, im Gegensatz zur deut schen Sozialdemokratie zu gründen? Himmel und Hölle in Bewegung zu setzen, die deutschen Genossen Schlafmüßen zu nennen, unsere bewährten Vorkämpfer zu beschimpfen, sie der Feigheit, ja des Verrathes an der Sache zu zeihen? Ich meine, die Antwort wäre leicht.
Aber die Sache hat noch eine andere Seite, und es ist gerade das Hauptübel und auch eine Erklärung des Gebahrens von M., daß er darüber so leicht hinweggeht. Gesetzt, das angedeutete Ereigniß tritt ein, die Armeen Preußen- Deutschlands sind in alle Winde zersprengt, der Kaiser mit seinen Prinzen auf der Flucht oder gefangen, der Feind vor den Thoren der Hauptstadt- und nun haben die Sozialisten die allgemeine Verwirrung benutzt und sich zum Meister der Situation gemacht. Was dann? Ist es möglich, anzunehmen, der siegreiche Feind, sei es nun das despo: tische Rußland oder die blaue Republik Frankreichs , werde die neue sozialdemokratische Regierung ohne Weiteres anerkennen? Als die Pariser Kommune unter ähnlichen Verhältnissen das
Und was damals geschah, wird sich in dem angedeuteten Falle zweifellos wiederholen. Jede heutige Regierung sieht und muß in der Sozialdemokratie ihren grimmigsten Feind sehen. Wissen sie doch alle ganz genau, daß der Sieg derselben in einem Lande unfehlbar den Sieg im eignen Lande nach sich ziehen wird. Sie werden darum hundertmal eher den so eben niedergeworfenen König oder Kaise: wieder einsehen. Und nun zu glauben, mit einer fleinen Schaar entschlossener Männer, wie sie M. in seinen Ausführungen für„ genügend" erklärte, einem durch den Sieg doppelt starken Feinde, einer zahlreichen geübten Armee- und die gehört ja doch wohl dazu, um eine Militärmacht wie Preußen zu besiegen-mit Gewalt entgegentreten zu können: dazu ge hört eben die ganze Jllusion eines Mannes, dessen Jdeen wohl sehr wohlmeinend sein mögen, aber an politischer Reife so viel wie alles zu wünschen übrig lassen.
Nehmen wir aber einmal das Unwahrscheinliche an, daß der Landesfeind sich, etwa durch große gewährte Vortheile, bewegen laffe, Frieden zu schließen und abzuziehen. Wer nun etwa meint, daß dann Alles gewonnen sei, der täuscht sich ganz gewaltig. So schwer der Sieg zu erringen sein wird, die Hauptschwierig teiten fangen erst dann an, wenn es gilt, die sozialdemokratischen Einrichtungen ins Leben zu rufen. Zu solch einschneidenden, tief in das Leben jedes Einzelnen hineingreifenden Umänderungen, gehört die volle Hingabe und Mitwirkung und hierzu wiederum das volle Verständniß des Volkes oder wenigstens eines großen Theiles desselben. Und zu diesem Verständniß gelangt das Volk nicht durch ein paar Brandreden oder dito Zeitungsartikel, sonnicht durch ein paar Brandreden oder dito Zeitungsartikel, son: dern dazu bedarf es eben der zwar mühsamen, aber sicher zum Ziele führenden Belehrung. Und damit komme ich auch zu dem Hauptunterschied unserer Auffassung und derjenigen Most's.
Während M. meint, daß nach erlangtem Siege die volle Agitation, die volle Aufklärung beginnen könne, sagen wir: die Aufklärung muß vorausgehen, bis zu einem gewissen Grade eine vollzogene Thatsache sein, ehe überhaupt ein erfolgreicher Schlag ausgeführt werden kann; und es ist deshalb die Pflicht eines jeden einsichtigen Sozialisten, nicht nur keinen verfrühten Ausbruch zu provoziren, sondern geradezu, so viel es in seiner Macht liegt, denselben zurückzuhalten, bis unsere Jbeen so weit in alle Volksschichten eingedrungen sind, bis die Luft ( wenn ich mir dieses Bild erl uben darf) derart mit Sozialismus geschwängert ist, daß das reinigende Gewitter mit Natur
nothwendigkeit hereinbrechen muß.
Wenn nun M. weiter sagt, wir hätten nach einem Siege auch die Ueberläufer, die Erfolganbeter auf unserer Seite, so ist bas eben auch wieder eine seiner illusorischen Berechnungen. D ja, wir werden diese Leute in unserem Lager finden; aber zu unserem größten Schaden. Denn sie werden kommen mit den übertriebensten Hoffnungen auf das Wunderding, den Sozialismus. Erfüllen sich aber diese Erwartungen nicht sogleich, fängt das Schlaraffenleben, das sich dann Mancher träumen mag, nicht alsogleich an, dann sind diese Erfolganbeter sofort wieder unsere Feinde, und werden in den Händen unserer Gegner ein weiß recht wohl, welch mühsamer Arbeit es noch bedarf, bis das willkommener Sturmbod sein. Der aufgeklärte Sozialist dagegen Endziel erreicht ist: die Wohlfahrt Aller durch den kommunisti schen Betrieb der Arbeit“ und versteht deshalb seine Wünsche zu zügeln.
Und dann hat der junge soziale Staat noch eine Gefahr zu befürchten: die der Ehrgeizigen, von denen M. allerdings nicht gesprochen, obgleich es ihm so nahe gelegen hätte. Auch dieser kann nur durch die möglichste Durchbildung des Volkes vorgebeugt werden. Wehe unserer Sache, wenn dieselbe durch irgend ein Ereigniß berufen werden sollte, die Gesellschaft umzuformen und dann an dem Unverständniß der Masse scheitern würde! Dieselbe wäre auf lange Zeit begraben, den Gegnern aber ein furchtbarer Scheinbeweis in die Hand gegeben, für die Undurchführbarkeit unserer Ideen.
An all dieses denkt aber ein M. nicht, setzt sich vielmehr über alle diese schwerwiegenden Gründe leichten Herzens mit der Phrase hinweg: daß Revolutionen stets durch Minoritäten gemacht worden seien. Jawohl: Palastrevolutionen, Militairrevolten, z. B. in Spanien , wo es sich darum handelt, einen Herr einen anderen einzusetzen. scher wegzujagen oder todtzuschlagen, um einen anderen einzusetzen. Selbst eine Monarchie in eine Republik umzuwandeln, kann einer Minorität gelingen, da das Volk bei allen diesen Dingen ja doch nur mehr oder weniger den indifferenten Zuschauer abgibt und es ihm schließlich gleich bleiben kann, ob es von dem oder jenem, von Einem oder Mehreren geschoren wird. Aber eine soziale Revolution, in welcher die innersten Lebensbedingungen jedes Einzelnen total umgestaltet werden sollen, wo so viele vermeintliche Intereſſen angegriffen werden( man denke nur an den Eigen thumsfanatismus der Bauern), eine solche Umwälzung, die will man mit einer Minorität durchführen?! Gewiß wird eine Minorität das Signal geben, da die entschlossenen und muthigen Geiſter immer in der Minorität sind; aber sie wird elendiglich verbluten( und wäre sie noch zehnmal aufopferungsfähiger wie die russischen Sozialisten) wenn die Menge nicht vorbereitet, wenn sie nicht begreift, um was es sich handelt, kurz, wenn sie dem kühnen Signal keine Folge gibt.
Und deshalb denke ich mir die kommende Revolution auch nicht in einem einzelnen Lande, nach einem urglücklichen Kriege, sondern sie muß, soll sie von dauerndem Erfolge sein, in allen
zivilisirten Ländern zugleich losbrechen. Wahrscheinlich gibt ein
Land das Beispiel, und dazu noch im tiefsten Frieden. Und gerade unsere Partei wird berufen sein, je mehr sie sich ausausbreitet, die Herrscher zu diesem äußeren Frieden zu zwingen; denn jede Regierung wird einen Krieg scheuen, wenn sie weiß, daß in threm Innern eine mächtige Partei steht, die bei schlechtem Ausgang ihre Erbschaft antreten wird. Aber zu dieser gesunden, zu dieser wahren Revolution gelangen wir nicht durch Schlagworte, sondern dazu gibt es nur Ein Mittel und das heißt: Aufklärung!
=
Eine parlamentarische Schandthat.
Entrüstung der schamlosen Orgien erinnern, welche die Chemnizer Polizei
Dresden , 19. Febr. Jeder Leser dieses Blattes wird sich mit tiefer gelegentlich der leßten Landtagswahlen gegen die sozialistischen Wähler von Chemniß und Umgegend verübte. Bersammlungen wurden ohne gefeßlichen Anhalt verboten, Blätter unterdrückt, Plakate, zu deren Anschlagen es gar feiner behördlichen Erlaubniß bedarf. weggenommen, kurz der berüchtigte
Bolizeidirektor Siebdrat riß hohnlachend das Gefeß in Feßen und etab.
lirte eine türkische Paschawirthschaft in verschlechterter Auflage. Endlich sandte er sogar seinen Spießgesellen, den neuerdings verstorbenen Polizei- Inspektor Cartus, einen gemeinen Dieb- derselbe bestahl die Bekleidungskaffe der Polizeimannschaft um 5000 Mart, was aber von Siebdrat und Con sorten bis heute vertuscht blieb mit der Leine nach dem Verkehrslokal der Sozialisten und ließ Alles, was dort zufällig verkehrte, verhaften, wo durch der sozialistische Kandidat, Reichstagsabgeordneter Vahlteich ebenso wie der Abgeordnete Wiemer beseitigt wurden und die durch solche un ehörte Gewaltthätigkeit eingeschüchterte Arbeiterschaft, die sich nun jedes Verbrechens seitens der Polizei gewärtig sein mußte, führerlos dastand. Das Alles ist bekannt wir führen es dem Leser nur nochmals vor Augen, um die Stellung der sächsischen Bolksvertretung" diesen Schänd lichkeiten gegenüber in's rechte Licht zu stellen.
-
Wie jeder anständige Mensch über die Chemnizer Skandale das Haupt schüttelte, so durchzuckte auch selbst die zweite Kammer unseres Landtags ein Gefühl der Scham, als der Chemnizer Wahlprotest vorgelegt wurde. Sie schwang sich zu dem Beschlusse auf, Untersuchung anstellen zu lassen und im Fall der aktenkundigen Bestätigung des Vorgefallenen das Mandat des als gewählt nach Dresden gekommenen ,, reichstreuen" Kandidaten Ruppert zu verwerfen. Letztere Absicht sprach sich in einstimmiger Beanstandung jenes Mandats aus.
Nun die Untersuchung ist geschehen, es hat sich Alles bestätigt; Siebdrat hat sich mit nicht weiter ausreden fönnen, als mit der Angabe, familien, die sie durch Entziehung des Kolportagerechts dem Hunger über die Zwickauer Kreishauptmannschaft( dieselbe, welche sich an Kolporteurs liefert, schon so vielfach versündigte) habe ihn auf die Chemnißer Sozia listen gehetzt.
Die Wahlprüfungsdeputation des Landtags sah sich in der Lage, ent weder an dem ehrlosen Werke der Siebdrat und Konsorten durch Vertuschung theilzunehmen, oder die Wahl des Ruppert für ungültig zu erklären und dadurch einem Sozialdemokraten die Pforten des Landtags zu öffnen; denn daß bei unbeeinflußter Wahl der Sieg auf unsere Seite fallen würde, unter Landtage dennoch kassation der Wahl vorzuschlagen, und die Abthei liegt nirgends einem Zweifel. Die Deputation war ehrlich genug, dem lungen der Kammer beschlossen einstimmig, in Konsequenz ihrer früheren Entscheidung, der Deputation zuzustimmen.
So weit war Alles in Ordnung. Da am Montag Abend, als die Wahl für Dienstag schon auf der Tagesordnung stand, geschieht eine jener Machi nationen hinter den Koulissen, durch welche im Reichstage das Volk schon so oft verrathen und verkauft wurde: die gesammte tonservative und libe rale Fraktion werden umgestimmt wahrscheinlich durch gemessene ,, Wünsche" des Ministers, denen unsere allerunterthänigsten Stände" zum großen Theil nicht zu troßen wagen und es wird beschlossen, die Ehre des Volksver treters, das Recht der Wähler und das Interesse der durch Polizei- Drgien schwer gettänkten öffentlichen Moral und Sitte zu opfern, die Konsequenz des früheren Beschlusses zu verlassen, und die rohefte Polizeiwillfür durch Anerkennung der Ruppert'schen Wahl zu sanktioniren!
Nachdem dieser nichtswürdige Beschluß im Geheimen gefaßt war, ver ließ die betreffenden Abgeordneten jede Regung von Scamgefühl und die erstaunten Zuhörer der Landtagsverhandlungen hatten am andern Tage das häßliche Schauspiel, ein Parlament fich selbst moralisch hinrichten zu sehen. Die Debatte eröffnete ein gewiffer Richter aus Tharandt mit der tächer lichen Bemerkung: die Polizei habe zwar jene Gesegesverlegungen begangen, aber das habe doch mit der Wahl nichts zu thun, es sei ja tein Wähler gewaltsam von der Urne zurückgehalten worden. Man bedenke: erst bean flandet man einstimmig die Wahl wegen der Polizeimaßregeln und jetzt hatten plößlich die letzteren mit der Wahl ,, gar nichts zu thun". Die Kammer brach über diese Phrase nicht in homerisches Gelächter aus, es war ja auch ganz gleich, was die Redner sag enter Verrath war ja längst erkauft und beschlossen! Ein Konservativer fand es nothwendig, besonders zu verfichern, daß er wortbrüchig sei und der nationalliberale Führer Kirbach that dasselbe, noch hinzufügend, man werde heute zwar unlogisch handeln, aber Logik sei ja nicht das höchste! Ein anderer Konservativer, Günther, ging in Allotria noch weiter: er habe eine Sammlung jener gefälschten Bitate aus angeblich sozialistischen Schriften zur Hand und las daraus zum größten Gaudium des Tribünenpublikums aufreizende Stellen vor und brachte auf diese Weise auch einige fette Majestätsbeleidigungen" an, die einem andern armen Teufel mehrere Jahre Zwickauer Buchthaus einbringen würden, wenn er sie öffentlich vorläſe.
Unsere Abgeordneten beschränkten sich darauf, in ruhigen Worten gegen den namenlosen Standal Protest einzulegen und auf die Folgen aufmerkjam zu machen, welche über einen Staat hereinbrechen, dessen Wacht haber durch Gewaltthaten durchaus Gewaltthaten provo ziren wollen. ,, Sie proklamiren den Bürgerkrieg", erklärte Liebknecht, während Freytag das verrätherische Spiel hinter den Koulissen aufdeďte, welches von Liberalen und Konservativen getrieben worden war. Die Fort
schriftler beschränkten ſich auf einfache Reſervehaltung.
-
Als die Debatte einige Stunden gedauert hatte, und die Konservativen namentlich eine eminente Gesezesverachtung durch Gutheißung aller Sieb drat'schen Schandthaten gezeigt hatten, so daß selbst ein Fortschrittler zu dem Geständniß genöthigt war: Der Abgeordnete Liebknecht hat heute mehr Sinn für Recht und Gesez bewiesen, als der konservative Günther", voll zog die Abstimmung formell, was längst beschlossen war. 45 Stimmen waren für 26 gegen die Giltigkeitserklärung der Wahl Rupperts. Für den infamen Richter'schen Antrag man merte sich die Namen! ftimmten: Ackermann( der Schwindelgründer und neue Reichstags- Vize präsident), Ahnert, Beeg, Berndt, v. Bosse, Bunde, Cichorius , Däberib, Gelbke, Georgi, Grimm, Günther, Heymann, Hildebrand, Käuffer, Kirbach, Anechtel, Dr. Krause, Kreller, Kreßner, Leutriß, Matthes, Mehnert, Möbius, Müller( Freiberg ), Niethammer, Bäßler, Benzig, Dr. Pfeiffer, Prüfer. Richter( Blasewiß), Richter( Tharandt ), Roth, Scheller, Schieck, Seydel, v. Seydewiß, Sieboth, Sped, Stauß, uhlemann Ullrich, Bodel Werner; da gegen: Bönisch, Breitfeld, Führmann, Freytag, Grahl, Haberkorn, Dr. Heine, Röfert, Köselig, Lehmann, Liebknecht , Way, Dr. Meischner, Dr. Minckwig, Müller( Coldig), Dehmichen, Philipp, Puttrich, Riedel, Dr. Schaffrath, Schmidt, Schreck, Streit, ühle( Glauchau ), Uhle( Blauen),
Walter.
Durch diesen Beschluß hat die Majorität der zweiten Rammer des säch fischen Landes ihre politische Ehre( soweit sie davon noch besaß. D. R. ) verloren, sie hat mit Polizeischergen der schlechtesten Sorte Gemeinschaft ge.
macht und fich fogar zu deren ausführendem Organ hergegeben. Ja, fie hat dadurch die Polizei zu neuen Gesezesverhöhnungen ermuntert und da durch die öffentliche Sicherheit gefährdet. Einen schlimmeren Mißbrauch des Voltsvertreter Mandats gibt es nicht! Und dies Alles geschah nur, um die gefürchtete Wahl eines Sozialdemokraten im Reime zu ersticken und einen reichstreuen Geseßesverächter der Kammer zu erhalten, der auch wirklich frech genug ist, auf Grund eines dergestalt erschwindelten Mandats Volksvertreterbefugnisse auszuüben und Diäten zu verlangen.
Die ganze Affaire zeigt, daß Alles, was von ,, Gesez und Recht" in Deutschland gesprochen wird, uns gegenüber eitel Heuchelei und Lüge ist. Man geht gefeßlich" vor, so lange mittels unserer schlechten Geseze etwas zu unserer Unterdrückung erreicht werden kann; dann, wenn die ,, ordentlichen" nicht mehr zureichen, macht man Ausnahmegefeße; und schließlich tritt man alle diese Geseze doch noch mit Füßen, wenn man mit ihnen nicht mehr auskommt. Man übt offen Willkür, wenn man es nicht mehr mastirt thun tann. Die Sozialdemokraten find vogelfrei, gegen uns ist jede Schandthat erlaubt, jedes Mittel, auch das schlechteste, ist zu unserer Unterdrückung recht... Und in dieser graffen Anarchie redet man noch von staatlicher Ordnung" und von„ Gefeß", ja man verlangt von uns, den Geächteten,
"
Achtung vor bestehenden Parteigesegen! Nun
mögen fie ihren Staat vernichten, mögen sie ihre Gesellschaft zur Auflösung treiben: wir stehen beim Verenden dieses Organismus wie am Krantenbett eines Verbrechers, dessen Verhängniß uns die Mühe erspart, ihm den Gnadenstoß geben zu müssen!