3. B. heute das höchst bemerkenswerthe Schauspiel, daß an Orten, wo vor dem Sozialistengesetz unsere Partei nicht vertreten war, sie heute zahlreiche Anhänger besitzt, und so die letzte Hoffnung der Macher des Soziali stengesetzes, daß dasselbe wenigstens die Weiterausbreitung der Sozialistenpest verhindern werde, zu nichte wird.

Die Armee des Sozialismus ist vorhanden, und wenn auch die Parole noch nicht überall aufgenommen ist, wenn hier und da noch Kleinmuth herrscht, wenn die Masse noch nicht Selbstvertrauen genug besitzt, wenn sie auch noch gleich ihrer Umgebung von Tag zu Tag lebt, so wächst doch täglich ihre Unzufriedenheit mit dem Bestehenden. Jeder Arbeiter ist zwar heut froh, der eine Unterkunft gegen Verhungern und Verlumpen ge­funden, und wenn er sich noch so sehr schinden muß, so hat er doch ein Interesse daran, unter den heutigen Verhältnissen in Arbeit zu bleiben, aber kein Interesse hat er daran, einen Zustand aufrecht zu erhalten, der ihn zum willenlosen Sklaven der Konjunktur des Marktes macht.

Bewußt oder unbewußt, der Arbeiter in Deutschland   ist heute revolutionär, und wer das uns nicht glaubt, der lese die Reden unserer Gegner bei Schaffung des Sozialistengesetzes. Mit dürren Worten hat es unter Anderen Herr Löwe von Bochum   gesagt, daß in keinem anderen Lande die Arbeiter so ausgeprägt das Gefühl des Klaffen­gegensatzes zwischen ihnen und den höheren" Ständen zu erkennen geben, als gerade in Deutschland  . Es ist das auch kein Zufall, vielmehr bietet die eigenartige sozialpolitische Entwicklung Deutschlands   sehr stich­haltige Erklärungen dafür. Darüber indeß ein andermal.

Noch in einer anderen Beziehung ist die Entwicklung der Dinge in Deutschland   günstiger für die Sozialdemokratie als in irgend einem anderen Lande. Nirgends wird die Revolution mit so großer Leichtigkeit ein Riesenheer, das an ihrer Befestigung ein unmittelbares Interesse hat, vorfinden, als gerade in Deutschland  . Und dafür hat Niemand anders gesorgt als nun wer anders, als unser guter, braver Freund

Bismarck  .

Man mag über die Verstaatlichungen sonst denken, wie man will, und wir gehören zu Denen, die selbst auf eine Galgenfrist einer Verstärkung des Bismarck  'schen Regimentes nie das Wort reden werden, soviel steht aber unbestritten fest, daß wenn das ungeheure Beamtenheer, welches durch die Verstaatlichungen" Bismarck's organisirt wird, heute ihn mindestens indirekt stützt, es eines Tages die wirksamste Stütze der Revolution sein wird und sein muß.

Denn dieses Beamtenheer besteht zu vier Fünfteln aus Beamten pro­letariern, von denen heute schon ein großer Prozentsatz unbedingt zu uns hält.

Dafür haben uns die Wahlen massenhaft Beweise geliefert.

Wir wollen gar nicht von den niederen Postbeamten reden, welche längst erkannt haben, daß sie nur von der Sozialdemokratie Verbesserung ihrer Lage erwarten dürfen. Aber viel charakteristischer noch ist die That­sache, daß z. B. bei den Wahlen von 1878 in Berlin   die Arbeiter der Privat werkstätten von Borsig und Freund zum großen Theile noch für den fortschrittlichen Arbeiter" kandidaten Klotz stimmten, wäh­rend die Staats" arbeiter der Ostbahn und Niederschlesischen Bahn weder Falk noch Zelle, sondern Fritzsche wählten.

Noch nach dem Attentat wandten sich königliche" Beamte eines sehr geachteten Instituts alles ausgediente Unteroffiziere in corpore an die verpönte sozialdemokratische ,, Berliner Fr. Presse" und baten, man möge sich ihrer annehmen und ihre Lage öffentlich be­sprechen.

J

Kurz, die Armee, die Bismarck   für sich zu organisiren glaubt, organi firt er für uns, für die soziale Revolution. Und wenn er heute daran geht, noch die Oberschlesische und Bergisch Märkische Bahn, jede ein Riesennetz, welches hochindustrielle Distrikte umfaßt, zu verstaatlichen", so können wir ihm dazu nur von Herzen gratuliren. Er wirbt für uns, ausschließlich für die Sozialdemokratie. Die Arbeiter der Oberschlesischen Bahnwerkstätten werden um so festere Anhänger unserer Sache werden, je mehr sie von Staatswegen geschunden werden. Und Bismarck   muß sie schinden, denn er verstaatlicht nicht um irgend einer schönen Idee willen, sondern um des sehr realen Zweckes willen, Geld für den Sankt Militarismus herauszuschlagen.

Noch einmal: vier Fünftel der Beamten dieser und ähnlicher Staats­Institute sind Proletarier. Sie seufzen unter demselben, ja oft noch schlimmeren ökonomischen Druck als die Proletarier der Privatindustrie, der politische Druck aber wird ihnen gegenüber in weit schamloserem, weit umfangreicherem Maße ausgeübt als bei jenen. Und auf so geringe Schwierigkeiten die siegreiche Revolution auch bei der gesellschaftlichen Besitzergreifung und Sozialisirung der großen privatindustriellen Unter­nehmungen stoßen wird, die Sozialifirung der Staatsunternehmungen wird doch so schnell, so unmittelbar vor sich gehen können, vor sich gehen müssen, wie es bei den ersteren kaum möglich sein dürfte. Diesen enor­men Vortheil, der uns aus dem Verstaatlichungswerk Bismarc's er­wächst, dürfen wir nicht unberücksichtigt lassen. Er wiegt Hunderte von Agitatoren auf.

Und wenn man uns fragt, ob es denn nun auch so sicher ist, daß dieses Heer von Staatsarbeitern auf Seiten der Revolution, die es ja unter Umständen infolge seiner Stärke vereiteln könne, stehen werde, so antworten wir ohne Bedenken mit Ja. Wir gehen sogar noch einen Schritt weiter und sagen: sie werden nicht nur nicht gegen, sie werden nicht nur für die Revolution kämpfen, sondern sie werden höchst wahr­scheinlich die Avantgarde bilden, denn sie haben nur einen Feind, den sie aber um so intensiver hassen: den heutigen Ausbeuterstaat, die heutigen Machthaber.

Belagerungszuständliches.

Leo.

Leipzig  , 22. Juli.

Hintennach hat die Leipziger Zeitung", das amtliche Organ der säch­fischen Regierung, sich bemüssigt gefunden, Gründe" für die Verhängung des Kleinen über Leipzig   und Umgegend beizubringen. Und was sagt fie? Zitiren wir wörtlich:

,, Wenn auch in Leipzig   und Umgegend die Sozialdemokratie von jeher große Verbreitung gefunden hat, so war doch die leitende Stellung der hiesigen Sozialdemokratie noch niemals in dem Grade zum sichtbaren Ausdruck gelangt, als in der jüngsten Zeit, insbesondere seit auf dem auf Schloß Wyden   bei Winterthur   in den Tagen vom 20. bis 24. August vorigen Jahres abgehaltenen Kongresse die Most- Hasselmann'sche Richtung eine eklatante Niederlage erlitten hatte und den Leipziger   Parteiführern es gelungen war, alle auf sie und ihre Parteileitung gerichteten Vor­würfe fiegreich zurückzuweisen. Hier, in Leipzig  , hielten sich fortdauernd oder vorübergehend die hauptsächlichsten Parteiführer auf, hier liefen alle Fäden der Partei zusammen, von hier aus wurden, wie aus bei Haus­fuchungen vorgefundenen und beschlagnahmten Briefen mit Evidenz sich ergeben hat, die umfangreichen Geldsammlungen für sozialistische Zwede eingeleitet, und Rathschläge über das von den Parteigenossen bei Kon­flikten mit der Polizei, bei Haussuchungen u. s. w. zu beobachtende Ver­halten ertheilt, hier trafen Abgesandte der auswärtigen Sozialdemokratie zusammen, um über die innere Lage der Partei und den weiteren Plan der einzuleitenden Agitationen zu berathen. Lebhaften Antheil an diesen geheimen Berathungen und Versammlungen, sowie überhaupt an der sozialdemokratischen Agitation, nahmen die aus Berlin  , Hamburg   und Altona   ausgewiesenen, zum großen Theil hierher gezogenen Sozialdemo­fraten, die sowohl unter sich als mit den Führern der hiesigen Sozial­demokraten von Anfang an in lebhaftestem Verkehr standen. Auch aus Rußland   hatten sich einige Führer der nihilistischen Partei hierher gewendet, um mit den Leitern der hiesigen sozialdemokratischen Partei Verbindungen anzu knüpfen beziehentlich selbst agitatorisch zu mirfen. Einige derselben haben nach den angestellten Er­örterungen fortgesetzt an den geheimen Berathungen der Partei­führer theilgenommen.

,, Vor einigen Monaten ist in geheimen Zusammenkünften sozialdemo­fratischer Agitatoren hier ein neuer Organisationsplan für den 12. und 13. Reichstagswahlkreis( Stadt- und Landbezirk Leipzig  ) berathen und angenommen worden. Nach demselben sind diese beiden Wahlkreise in 18 Organisationsdistrikte eingetheilt worden. Jeder Distrikt hat sich den Verhältnissen angemessen unter dem Vorsitz eines Obmannes zu organi­firen. Jeder Parteigenosse, der seine Parteisteuer entrichtet, gehört der Organisation seines Distrikts an, beim Wegzuge aus einem Distrikte in den anderen hat eine Ummeldung stattzufinden. Der Ausschuß der beiden Wahlkreise besteht aus den achtzehn Obmännern der Distrikte, derselbe wählt sich zwei Vorsitzende und ist durch das zur Führung aller Geschäfte und Abwickelung aller weniger wichtigen, sowie dringlichen Angelegen­heiten taktischer und finanzieller Art aus sieben Mitgliedern gebildete Exekutivkomite je nach Bedürfniß, aber mindestens monatlich einmal zu einer Zusammenkunft behufs Erledigung aller wichtigen Angelegenheiten prinzipieller, organisatorischer, taktischer und finanzieller Art zusammen­zuberufen. Das Exekutivkomite wählt sich aus seiner Mitte einen Vor­sitzenden und den Hauptkassier, an welch letzteren alle Gelder abzuführen find. Das Komite hat stets Fühlung mit der Parteileitung Deutsch­ lands   zu halten und flüssige Gelder an die Partei- Zentralkasse abzuführen. Bei Berathung dieses Organisationsplanes ist die Eventualität einer ,, allgemeinen Erhebung" für den Fall, daß man das Asylrecht in der Schweiz   und andere Freiheiten aufhebe, ausdrücklich in Betracht gezogen

worden."

So weit die ,, Leipziger Zeitung".

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Nach Herausschälung des Unwesentlichen( daß einige Parteiführer" hier wohnten, als ob sie nicht irgendwo wohnen müßten-; daß die " Fäden hier zusammenliefen u. s. w.) behalten wir zwei Thatsachen" in der Hand: den Verkehr mit den Nihilisten, und den Organisations­plan.

Von diesen zwei Thatsachen" ist die erste erlogen, die andere wahr. In Deutschland   gibt es noch keine Nihilisten und mit Ausnahme von einigen Dutzend Agents provocateurs   und Hansnarren auch keine Leute, die sich so nennen. Einen oder anderthalb solcher Hansnarren haben wir auch in Leipzig   gehabt, aber die Partei hat nie mit ihnen verkehrt. Wenn besagte anderthalb Hansnarren mit den paar Dutzend Berliner   Agents provocateurs  , die sich seit Anfang dieses Jahres hier herumtreiben, Zusammenkünfte gehabt und in Nihilismus gemacht haben, so geht das uns nichts an. Und die Leipziger Zeitung" weiß dies ebensogut wie wir. Sie hat also mit Vorbedacht und unter den erschwerendsten Um­ständen gelogen.

Der Organisationsplan ist dagegen eine unleugbare Thatsache. Freilich ist derselbe nur von einem kleinen Bruchtheil der Parteigenossen ausgegangen, und wegen seiner Mangelhaftigkeit und der in ihm zu Tage tretenden Geheimbundspielerei von den Parteiführern" mißbilligt worden und ferner ist der Plan auch niemals zur Ausführung gelangt aber er hat bestanden, und es fällt mir nicht ein, ihn ab­

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leugnen zu wollen. Allein, was in aller Welt hat dieser Plan mit dem Belagerungszu­stand zu thun?

Glauben die Herren in Berlin   und Dresden  , wir würden unsere Orga nisation und mit unserer Organisation unsere Parteieristenz aufgeben? Dann müssen sie sehr naiv sein.

Ist uns nicht eingefallen, und wird uns nicht einfallen.

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Das Sozialistengesetz hat uns zur Umänderung unserer alten Organisation genöthigt und wir haben sie den Umständen gemäß modifizirt. Hier so, dort so, wie die Verhältnisse es eben mit sich gebracht. An dem einen Ort ist die Organisation mehr lose, am an­deren mehr zentralistisch je nachdem. Und das wissen die Herren von der Polizei und sie dürfen es wissen, denn sie können beim besten Willen unserer Organisation in ihrer jezigen Gestalt nichts anhaben. Wo die Polizei bisher uns gegenüber kleine Erfolge aufzuweisen hatte, waren regelmäßig unsere eigenen Leute schuld, die vielfach die Sache noch zu gemüthlich nehmen, und der deutschen   Erbsünde: Schwaz   haftig­feit noch nicht hinlänglich Herr geworden sind.

Ich sagte vorhin: der Plan, den die Leipziger Zeitung" produzirt, sei niemals ins Leben eingetreten. Das ist richtig. Er ist deshalb nicht ins Leben eingetreten weil- und nun mögen die Herren Spitzel die Langohren spitzen( die deutschen   Spizzel haben nämlich durchweg Lang­ohren, was eine recht hübsche Fügung Gottes") er ist nicht zur Anwendung gekommen, weil die vorhandene Organisation zehnmal besser ist, als die in diesem Plan vorge schlagene.

Sie hat sich vor dem Belagerungszustand bewährt, sie bewährt sich während desselben und wird sich nach ihm bewähren. Sie hat den Herren in Berlin   und Dresden   schon einige Ueber­raschungen bereitet und wird ihnen noch größere bereiten.

Die Wahl Bebels, die Vertheilung von 20,000 Wahlflugblättern im Landtagswahlkreise, von denen kein Haus verschont blieb, vorgestern die Vertheilung von 25,000 Flugblättern, den Belagerungszustand geißelud, in Leipzig   und sämmtlichen umliegenden Ortschaften, das sind kleine Pröbchen, welche die Herren in Berlin   und Dresden   sich ad notam neh­men können.

Das war Alles sehr friedlich und gesetzlich wenn man das Wort Gesetzlichkeit im Gegensatz zu Gewaltthätigkeit gebraucht es kann jedoch mit der Zeit anders kommen.

Wie's in den Wald schallt, so schallt es heraus. Die Sammtpfötchen der Gesetzlichkeit sind nicht krallenlos und unser Wahlspruch im politischen Kampf wird stets sein: A corsaire, corsaire et demi! Auf einen Schelmen anderthalbe.

Der Muth und die Macht unserer Feinde imponiren uns um fein Haar breit mehr, als ihre Klugheit, die wir sicherlich nicht hoch zu ver anschlagen Anlaß haben.

Und da wären wir zu dem heikelen Punkt der allgemeinen Erhebung" gelangt, die bei Berathung des Organisationsplans in Betracht gezogen worden sei.

Ich war bei jener Berathung nicht zugegen, zweifle indeß nicht, daß die erwähnte Eventualität in Betracht gezogen worden ist.

Was soll damit aber bewiesen werden? Und was ist Verwunderliches daran? Wäre es nicht umgekehrt verwunderlich, wenn unsere Genossen diese Eventualität" nicht in Betracht zögen?

Glauben unsere Feinde, die Sozialdemokraten seien Hämmel, die sich widerstandslos scheeren und schließlich abstechen lassen? Pas si béte! Wie sagte doch der bairische Minister?

Schießt ihr her, schießen wir hin."

Das ist zwar ein Ministerwort, aber, gleich einem Königswort fann ein Ministerwort mitunter gut sein, und dieses ist ein sehr gutes Wort, das uns als Motto dienen kann.

Daß eine Partei die für vogelfrei erklärt ist, der ihre Feinde jede gesetzliche Möglichkeit der Existenz und Entwicklung zu rauben suchen, an eine allgemeine Erhebung" denkt, und die Eventualität" gewalt­samen Vorgehens ins Auge faßt, ist natürlich, ist selbstverständlich; und wenn das unseren Feinden nicht gefällt, so rufen wir ihnen das Molière'sche: Tu l'a voulu, George Dandin  !" zu. Ihr habt es so gewollt!

Wer Parteien ächtet, muß auf die unvermeidlichen Folgen gefaßt sein. Was insbesondere Leipzig   anbetrifft, so werden unsere Feinde finden, daß sie mit dem Kleinen" ein recht schlechtes Geschäft gemacht haben. So lange man noch annehmen konnte, das Sozialistengesetz werde hier mit einer gewissen Loyalität angewandt, unterblieb so gar Manches, was sonst nicht unterblieben wäre.

Und was von jest an nicht unterbleiben wird.

Zweifellos wird der verschärfte Konflikt mehr Opfer fordern das ist traurig, aber nicht zu ändern.

Und je erbitterter der Kampf, je größer die Zahl der Opfer, de sto rascher vollendet unsere Partei ihren nothwendigen Erziehungskursus,

Einen haben sie mit ihrem Kleinen" glücklich unter die Erde ge­bracht, den armen Anlauff. Aus Berlin   ausgewiesen, fand er in Leipzig   nach langem Ringen ein Unterkommen. Kaum außer Nahrungs­sorgen, wird er von Neuem ausgewiesen. Siech und krank, nimmt er, um sich und den Seinen Brot zu schaffen, zu Halle in einer Maschinen­fabrik eine Stellung an, von der er weiß, daß sie ihn tödtet. Die Arbeit rieb den schwächlichen Körper bald auf nach acht Tagen traf den Unglücklichen, der bei der glühenden Hitze am Feuer arbeiten mußte, ein Hitzschlag, dem er binnen 48 Stunden erlag. Vorigen Sonnabend haben ihn die Genossen begraben. Die Polizei trieb ihre bekannten Allotria am Grabe. Wir werden ihn nicht vergessen, ihn nicht, und auch nicht die Mörder.

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Umsturz in der Kaserne.

Eine heitere Episode aus ernster Zeit.

I.

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war

Ludwigsburg   im Juli. Unser sonst stilles und ödes Württembergisch- Potsdam wurde kürzlich in gewaltige Auf­regung versetzt: Am 6. Juli lief die schaurige Kunde durch die Stadt, in der verflossenen Nacht seien von unbekannter Hand auf geheimniß­volle Weise sozialistische Flugblätter in größerer Anzahl in den Gängen der Artilleriekaserne verbreitet worden. Und leider! fie nur zu wahr, diese Schreckensnachricht, die Aufregung unserer biederen Spießbürger gab nur ein schwaches Bild von dem, was sich Nachts in der Kaserne zugetragen. Noch um Mitternacht mußten der Feldwebel und der dienstthuende Offizier sämmtliche Gänge inspiziren, alles wurde peinlichst durchsucht, sogar die Strohsäcke wurden umgeworfen, die Mannschaften wurden aus den Betten gejagt und verhört; indeß der böse Attentäter blieb unentdeckt. Des andern Tages regalirten die Vor­gesetzten ihre Untergebenen mit blödsinnigem Geschwätz, hielten ihnen Vorträge über die Ziele der Sozialdemokraten, erzählten ihnen, daß diese Ungeheuer nichts anderes bezweckten, als die Nihilisten in Rußland  , als die Ligiften in Irland  , als die französischen   Kommunarden: sie wollen theilen, theilen und immer wieder theilen. Wie es nur im Gehirn dieser Halbnarren aussehen mag?!

Ein paar arme Teufel von Artilleristen, welche die Flugschriften nicht sofort abgegeben hatten und am andern Tag noch im Besitz derselben betroffen wurden, steckte man auf drei Tage in strengen Arrest; die Wachen sind seit dem verruchten Attentat verstärkt; Patrouillen schleichen allnächtlich in den Gängen umher; kein Zivilist darf die Kaserne mehr betreten; kurz die Herren entwickeln eine fieberhafte Thätigkeit. Aber durch alle diese Chikanen erreichen sie nichts anderes, als daß der Soldat auf­merksam gemacht wird auf die gemeingefährlichen Bestrebungen" der Sozialdemokratie!

Eine dieser edlen Seelen von Offizieren konnte sich nicht das Ver­gnügen versagen, seinen Unteroffizieren auf das Erwischen eines dieser ,, Mordbrenner" eine Belohnung von 20 Mark auszusetzen. Sein Name sei der Nachwelt überliefert: es ist der erlauchte Graf von Degenfeld­Schomburg, seines Handwerkes Rittmeister bei den Dragonern.

Aber, Ihr Herren von Molsberg  , von Degenfeld  , und welch' adelige und nicht- adelige Namen ihr sonst noch führen möget, die sozialdemo­kratischen Soldaten scheeren sich um eure Blackereien den Teufel; bald wird's noch besser kommen!

V

II.

Die rothe Pickelhaube.

Die Flugschriften Affäre beim 2. Württem bergischen Feld Artillerie- Regiment Nummer 29 in Ludwigsburg  .

Laut Ludwigsburger Zeitung" wurden am 5. Juli d. J., Abenvs 10 Uhr, auf höchst geheimnißvolle Weise sozialdemokratische Flug­schriften in die Kaserne eingeschmuggelt.

Nachts um 1/22 Uhr wurden von Offizieren und Mannschaften der Wache die Kästen, Schränke und Strohsäcke sämmtlicher Soldaten sorgfältig untersucht: Ergab nichts Neues. Morgens um 5 Uhr wiederholte Suche: Resutat 0. Dann wurde jeder einzelne Mann aus­gefragt: Wiederum nichts Neues. Schließlich hielt jeder Hauptmann eine Anrede an seine Mannschaften: Resultat???

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Rede des Hauptmanns der 2. Batterie, Rus  , an die Reservisten: Es besteht eine Partei, die, mag sie in Deutschland   Sozialdemokratie, in Rußland   Nihilisten, oder in England Landliga heißen, überall ein- und dieselben Zwecke verfolgt. Diese Partei ist mit den jetzigen Zuständen unzufrieden und schimpft auf die Steuern, andererseits aber legt sie sich selbst Steuern auf, indem sie die Ausgewiesenen aus Berlin  , Hamburg  und Leipzig   unterstützt. Denn wenn sich die Kerle dem Gesetz fügen würden, würde man sie nicht ausweisen. Dann will diese Partei theilen und besteht nur aus unbemittelten Leuten, welche nicht schaffen mögen. Wenn diese Kerle schaffen wollten, so könnten sie schon schaffen. Geschäft gibt es genug und derjenige, welcher schafft, kann auch die Steuern zahlen, es tommen allemal wieder bessere Jahre nach dem Krieg. ( Bravo  ! So wird für den Krieg Stimmung gemacht.) Diese Partei will uns Soldaten forthaben und sucht durch Flugschriften das Militär aufzuwiegeln, um dann Revolution anzufangen. Es ist jetzt Befehl vom Generalkommando und Pflicht jedes einzelnen Soldaten und Reservisten, diese Lümmels, wo Ihr ein solches Flugblatt zugesteckt kriegt, festzunehmen und einzuliefern, und dazu stehen zu Diensten die Polizei und die Portiers auf den Bahnhöfen, als Beweismittel müßt Ihr das Blatt in den Händen behalten.( Sehr gut!) Wenn die Polizei nicht bei der Hand ist, so seid Ihr selbst Manns genug, und ist Gewalt zu gebrauchen, um diese Schwächlinge einzuliefern.

Wenn Ihr Euch nur ein klein wenig dort hinüber neigt, so habt Ihr schon den Fahneneid verletzt.( Bravo  ! Redaktion des Sozial­demokrat.)

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Rede des Lieutenant 3iemann an die Reservisten der 1. Abtheilung: Wenn Ihr noch einmal solche sozialdemokratische Flugschr isten findet, so ist es Befehl, dieselben sofort ungelesen(!!) abzuliefern. Von einer solchen Partei, die nur im Dunkeln existirt, verspricht er sich nicht viel.

Diese Partei will theilen und besteht aus jungen Leuten von 20 bis 22 Jahren, die nicht schaffen mögen, und sich ein Vergnügen daraus machen, Flugschriften zu verbreiten, und be­zahlt werden mit ungefähr 3 Mark täglich.( Muß nicht da dem armen Militärsklaven das Wasser im Munde zusammenlaufen?) Den Agitatoren könne man nichts anhaben, die sitzen in London   und in der Schweiz  . Jch will Ihnen' mal ein Beispiel vom Theilen geben: wenn ich Jedem heute 16,000 Mark gebe, so hat der Eine morgen vielleicht noch 9000 und der Andere noch 6000 Mark; Sie sehen also, daß nie­mals alles gleich sein kann.( Großartiger Beweis!) Wenn Ihr die Kerle erwischt, nur ordentlich durchschlagen; am besten wäre es, wenn man die Kerle gleich niederschießen würde.( Wie das nach Sozialistenblut gierig lechzt, diesen Bluthunden wäre ein Maimassakre ein reiner Spaß!)

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Rede des Regiments- Kommandeurs Oberlieutenant Freiherr von Mols­ berg   an sämmtliche Reservisten des Regiments: Es gibt einen inneren und einen äußeren Feind. Der innere, das sind die Sozial­demokraten. Ich will Ihnen diese Partei schildern. Es ist dies eine Partei, die im Trüben fischen( freilich, und das Trüben besorgt Ihr!) und theilen will; wer ein selbständiges Geschäft hat, gibt sich mit den Leuten nicht ab. Es kommt überhaupt nicht viel dabei heraus( es gibt nämlich keine Orden und keine Avancements) und es ist besser für Euch, wenn