bringen, bis ich schließlich den Kopf schüttelte und erklärte: Nein, in diesen Saustall gehe ich nicht hinein!— worauf der Polizist sagte: „Nein, da sollen Sie nicht hinein; kommen Sie, wir gehen zum Richter." Nach langem Hin- und Herreden hat mich denn auch der Richter bei einem Bauern untergebracht, woraus sich der Polizist entfernte. Das war der erste Eindruck von meiner theuren Heimath. „Tags darauf ging die Hätz los. Da muhte ich von Dorf zu Dorf laufen, ohne daß man mir etwas zu essen gegeben hätte, alles Bitten und Betteln war umsonst. Immer hieß es:„Im nächsten Dorf bekom- men Sie Ihre Verpflegung." Endlich ist mir das Ding doch zu bunt geworden, als man mich nach 12 Uhr aus einem Dorfe weiterschicken wollte, ohne mir Verpflegung zu geben. Ich fragte den Kleinrichter, was denn das bedeuten solle, daß man mich von Dorf zu Dorf schiebe, ohne mir Nahrung zukommen zu lassen.„Na," lautete die Antwort, „jetzt gehen Sie in's nächste Dorf, da werden Sie Ihre Verpflegung kriegen."—„So, in's nächste Dorf? Da könnte ich, wenn's so fort- geht, bald verhungern." Darauf wollte ich es nicht ankommen lassen und verlangte, vor den Richter gebracht zu werden, was dem Kleinrichter gar nicht zu behagen schien.„Schauen's," sprach er,„ich sag' Ihnen, wie es ist, vom Richter kriegen's nichts. Wenn Sie es aber grad' mit Gewalt haben wollen, will ich Sie hinführen, aber ich sag' Ihnen, es nützt nichts, Sie kriegen nichts." „Als wir vor dem Richter standen, ersuchte ich um die Verpflegung, indem ich ihm klar machte, daß ich nicht weiter gehen könne, ohne etwas zu essen. Damit kam ich aber bei diesem Ehrenmann von Richter an den Rechten. Er begann sofort zu schimpfen:„Du Hallunke, Vaga- bund, Landstreicher Du, was willst Du? Zu fressen? Verhungern soll man Euch Lumpen alle lassen!" Kaum that ich den Mund auf, etwas zu erwidern, so hatte er mir schon den Stock aus der Hand gerissen und schlug unter Schimpfen und Fluchen auf mich los und warf nüch zur Thüre hinaus, ehe ich mich dessen versehen konnte. Da stand ich nun, statt der Verpflegung hatte ich eine Tracht Prügel weg und dazu meinen Stock verloren. „Wie mir zu Muthe war, können Sie sich denken. Eine Bitterkeit be- bemächtigte sich meiner, wie ich sie nie zuvor gekannt. Und von den Opfern einer solchen Behandlung verlangt man, daß sie dieselbe Gesell- schast achten sollen, die sie ächtet!*) „So kam ich um 2 Uhr ermattet und hungerig in Eisenstadt an. Ich erzählte die Geschichte dem Stadtgardisten, dem man mich zur Weiterbeförderung übergeben hatte; der erbarmte sich meiner, gab mir ein ordentliches Stück Speck und Brod, soviel ich essen konnte, dazu einen halben Liter guten Wein, und führte mich in's nächste Dorf, wo er noch ein halbes Seidel für mich bezahlte. „Von dem Vorhaben, gegen den sauberen Richter O t t Klage zu er- heben, rieth er mir ab, da es nicht ausführbar wäre. Ich müßte unbe- dingt einen Advokaten haben, den ich doch wegen Mangel an Geld nicht nehmen könne, und außerdem werde ein solcher Prozeß in's Unendliche gezogen. Richter Ott ist zwar wegen seiner Rohheiten weit und breit bekannt, aber ich würde als Fremder schließlich doch den Kürzeren ziehen. Gegen diese nur zu berechtigten Ausführungen ließ sich nichts Stich- haltiges einwenden, und somit zog ich meinen Weg unter neuer Beglei- tung weiter. „Wie es mir nach diesem Empfange in meinem Heimathlande, das ich seit neun Jahren nicht mehr gesehen hatte, zu Muthe war, das kann sich Jeder selbst ausmalen, der noch zu fühlen im Stande ist.— „Das wäre so ziemlich Alles, was ich außer dem schon Berichteten von meinen Erlebnissen auf diesem Schub schreiben kann. Nur mein Aufent- halt in N e u s i d l am See sei noch erwähnt, wo ich am 8. Juli an- langte und bis zum 14. warten mußte, weil von dort der Hauptschub nur jeden achten Tag abgeht. Der Schubarrcst ist unrein, voller Läuse und Flöhe, wie die meisten in Ungarn . Die Kost wurde von dem dor- tigen Gerichtsnotar geliefert. Sie ist erbärmlich gekocht. Wir waren unser vier Mann und erhielten jeden Tag zusammen in einer Schüsiel ungefähr 2 Liter schlechte Suppe, ebensoviel Gemüse, dazu ein halbes Kommisbrod. Einigemale war das Essen so schlecht, daß man es kaum genießen konnte. „So ging es bis Raab fort, überall schlecht und zu wenig zu essen. Wie es mir von da ab ging, haben Sie schon berichtet."— So, das wäre ein Kapitel aus dem Vagabundenleben in unserer mo- deinen„aufgeklärten",„gesitteten" und„humanen" Gesellschaft, dieser besten aller möglichen Gesellschaften, die zu Grunde geht am U e b e r- f l u h, während Millionen ihrer Mitglieder im Elend verkommen. Er- zählt das einem Wilden, und er wird Euch einfach nicht verstehen. Zu einem solchen Widersinn bedarf es einer so hohen Zivilisation wie die unsrige. Und dieser Zivilisation erklären wir Sozialdemokraten den Krieg. Was für Barbaren sind wir doch!
Sozialpolitische Rundschau. Zürich , 1. Oktober 1884. — Genossen allerorts! Sammelt unermüdlich für den Wahl- fonds! Die Opfer häufen sich, unsere Feinde benutzen alle Mittel, uns im Kampfe zu schwächen; da heißt es, schnell Ersatz schaffen. Sie sollen uns nicht klein kriegen! Vergeßt auch nicht, daß uns diesmal wiederum sehr viel Stichwahlen bevorstehen werden. Schafft also Munition, soviel Ihr vermögt! — Nicht nachlassen im Kampf! Wie wir aus Privat- b r i e f e n ersehen, herrscht vielfach unter den Genossen eine Sieges- Zuversicht, die, so erfreulich sie einerseits ist, doch leicht gefährlich werden kann, weil sie dahin führt, die Hände in den Schooß zu legen, wo Arbeit; eifrige Arbeit unerläßlich ist. Dem muß überall entgegengewirkt werden. Vorzeitiger Triumph ist halbe Niederlage. Kein Sieg ohne Kamps— das muß unsere Parole bleiben. Oft hängt der Erfolg nur an wenigen Stimmen, und Wahlkreise, die unter allen Umständen sozial- demokratisch wählen, gibt es nicht. Darum laßt Euch nicht in Schlaf lullen, Genossen, sondern benutzt die Zeit, die Euch noch bleibt, z u reger, unablässiger Agitation! — D i e„ehrlichen" Fortschrittler. Im 1. Berliner Wahl- kreis hielt der fortschrittliche Abgeordnete Dr. Langerhanns— ein parlamentsstummer Nachbeter des edlen Ritters Eugen— am 22. September eine Wahlrede, in welcher er nach dem Bericht der sfort- schrittlichen)„Tante Voß" u. A. Folgendes leistete: „Ebenso wie die Konservativen kämpfen auch die Sozialdemo- I r a t e n nicht mit offenem Visir. In ihren Versammlungen kommen sie nie auf den Kernpunkt ihrer Forderung: die Vertheilung der Arbeit durch den Staat. Ich bin schon oft auf denVerdachtgekommen, daßdieFüh- rer der Sozialdemokraten eigentlich in Wahrheit gar keine Sozialdemokraten sind. Manche der Führer haben sie ja auch schon angeführt.(Heiterkeit.) Ich bedauere die armen Leute, daß sie ihres saueren Schweißes Frucht heranschleppen zu den Agitationen. Was ihnen verheißen wird, kann nie erfüllt werden. Die Namen Laffalle und Jacoby, welche sie für sich in Anspruch nehmen, dürfen sie eigentlich gar nicht mehr anrufen; ich glaube, keiner von Beiden würde sich den heutigen Demokraten zugesellen.(Lebhaste Zustimmung.)" Also die Sozialdemokraten kämpfen nicht mit offenem Visir. Woraus schließt das Dr. Langerhanns? „Sie— die Sozialdemokraten— kommen in ihren Versammlungen nie auf den Kernpunkt ihrer Forderung: die Vertheilung aller Arbeit durch den Staat." Herr Langerhanns da sagt, ist unwahr und ist B l e ch.
*) Der Name dieses Schurken von Richter sei übrigens tiefer gehängt. Der Mann heißt Josef Ott, Richter von Mühledors im Bezirk E i s e n st a d t, Komitat Oedenburg. Anmerkung der Redaktion.
Unwahr ist, daß die Sozialdemokraten jemals ihre Ziele verleugnet hätten. Daß nicht in jeder Versammlung von jedem sozialdemokrati- scheu Redner„der Kernpunkt ihrer Forderung" betont wird, ist ebenso richtig als selbstverständlich.(Apropos, wir möchten nur einmal wiffen, was die„Kernpunkte" der fortschrittlichen Forderungen sind!) Auf der anderen Seite steht aber fest, daß der„Kernpunkt" der sozialdemokratischen Lehren da, wo es nöthig ist: im Reichstag und anderswo, bei jeder sich darbietenden Gelegenheit von den sozialdemokra- tischen Rednern betont und in's hellste Licht gestellt worden ist. Wenn Herr Langerhanns freilich meint, der„Kernpunkt" der sozialdemokrati- schen Lehre sei„die„Vertheilung der Arbeit durch den Staat", so bekundet er entweder eine große Unkenntniß der sozialdemokratischen Lehre oder drückt sich außerordentlich konfus aus, was ungefähr auf dasselbe hinausläuft. Die„Vertheilung der Arbeit durch den Staat" ist noch lange kein Sozialismus. Bei den alten Peruanern, in den preußischen Militärwerkstätten u. s. w. haben wir„Vertheilung der Arbeit durch den Staat", ohne daß da von So- zialismus die Rede sein könnte. Und wenn auch nach dem Rezepte des Bismarck 'schen Judenhetz-Profeffors Wagner„alle Arbeit" durch den Staat vertheilt würde, so hätten wir immer noch blos gemeinen Fiskalismus— Kasernenwirthschaft oder Monopolismus— allein nimmermehr Sozialismus. Der Sozialismus bedeutet die demokra- tische Organisation der Gesammtarbeit zum größt- möglichen Vortheil der Gesammtheit und die gerechte Vertheilung des Arbeitsertrags imJnteresse der Gesammtheit. Dieser„Kernpunkt", den der unglückliche Dr. Langerhanns nicht be- griffen hat, ist von den Vertretern der Sozialdemokratie im Reichstag, in Volksversammlungen, in Büchern und Broschüren und in der Presse tausend- und tausendmal betont und erläutert worden— leider jedoch, wie wir jetzt sehen, mit nicht genügender Deutlichkeit für die fortschritt- liche Hirnmaterie des Herrn Dr. Langerhanns. Da das, was er sich unter Sozialismus vorstellt, mit dem wirklichen Sozialismus ungefähr ebensoviel gemein hat, wie fein— des Dr. Langerhanns— Gehirn mit dem Hirn eines Laffalle oder Jacoby, so ist es natürlich, daß er „die Führer der Sozialdemokraten" für gar keine Sozialdemokraten und Laffalle und Jacoby für— Langerhännse hält. Dieser Langerhännsische Gedankenprozeß ist wesentlich dadurch gefördert worden, daß der fort- schrittliche Herr Doktor im Reichstag unmittelbar vor der ersten Bank der Sozialdemokraten sitzt und sich so von der erstaunlichen Thatiache überzeugen mußte, daß die„sozialdemokratischen Führer" keine Dynamit- Patronen in Petroleumsauce zum Frühstück verzehren, auch es nicht als Lebensaufgabe betrachten, ihre Mitmenschen zu berauben oder gar todt- zuschlagen. Für das menschenfreundliche„Bedauern" des Herrn Doktor werden „die armen Leute, die ihres saueren Schweißes Frucht heranschleppen zu den Agitationen", dem Herrn Doktor und seinen fortschrittlichen Freun- den gewiß sehr dankbar sein. Soviel steht fest, die fortschrittlichen „Leute" schleppen„ihres saueren Schweißes Frucht" n i ch t zu den „Agitationen" der Langer- und sonstigen Hänse herbei— sie bringen statt dessen den„saueren Schweiß" ihrer Arbeiter— was viel angenehmer sein soll. Die erstaunliche politische Weisheit des fortschrittlcchen Langerhanns oder langerhännsischen Fortschritts bekundet sich noch drastisch in dem weiteren Satz, welchen der biedere Doktor im Verlaufe seiner Rede vom Stapel ließ: „Im Aeußeren verfolgt der Reichskanzler liberale Politik; im Inneren wandelt er konservative Bahnen. Nun wollen wir, daß er liberale Bahnen auch im Innern wandelt und dafür werden wir bis zum letzten Athemzug kämpfen." B u m! Also„im Aeußeren" wandelt der Junker Bismarck„liberale Bahnen." Es war wohl„liberal", daß er Schleswig-Holstein 1864 für die Hohen- zoller'sche Militärmonarchie eroberte? Es war wohl„liberal", daß er 1866 gegen den Willen des preußischen Volkes und der preußischen Fortschrittspartei den„Bruderkrieg" vom Zaune brach, um die preußische Militärmonarchie zu vergrößern? Es war wohl„liberal", daß er 1870 seinen„Freund" und Lehrer Bonaparte in eine Falle lockte, um das preußische Junker-Jdeal: Aufgehen Deutschlands in die Militärmonarchie Preußen, verwirklichen zu können? Begreift denn dieser sortschrittliche Langerhanns nicht, daß gerade durch diese„liberale" Politik„im Aeußeren" die„konservative" Politik „im Inneren" erst ermöglicht wurde? Und hat dieser fortschritt- liche Langerhanns denn ganz vergessen, daß gerade diese„liberale" Politik„im Aeußeren" den Zweck hatte und erreichte, den großen .Konflikt" zu Gunsten des Junkers Bismarck zu beendigen und die Herrschaft der Fortschrittspartei, das heißt des Herrn Langerhanns und seiner fortschrittlichen Mit-Langerhännse, zu brechen? (Nachdem wir dieses geschrieben, werden wir darauf aufmerksam ge- macht, daß die letztere Phrase— von der„liberalen" Politik„im Aeußeren" und der„konservativen" im Innern— nicht Herrn Langerhanns, sondern dessen Freund und Kollegen Hermes, welcher unmittelbar nach ihm sprach, zum Urheber hat. Nun— ob der Fort- schrittshans Langerhanns oder Hermes heißt, das thut nichts zur Sache— sie denken beide nach der nämlichen Schablone, und Herr Hermes hat nur eine Blüthe der famosen Zweiseelentheorie zum Besten gegeben, welche der tapfere(Maul-) Ritter Eugen für seine Partei zurechtgemacht hat. — Von dem„Kopenhagener Kongreh-Prozeß" ist nicht viel Neues zu melden. Vernommen sind bis jetzt Auer, Bebel, Viereck, D i e tz und Ulrich; zur Vernehmung— durch Ausschreiben in der„Leipziger Zeitung"!— eingeladen ist V o l l m a r. Alle Ge- nannten wurden seiner Zeit auf der Rückkehr von Kopenhagen sistirt oder verhaftet. Die damals angeordnete Untersuchung ist also äugen- scheinlich vvn den richterlichen Behörden sortgesetzt worden und das Chemnitzer Landgericht hat das Polizei-Ei glücklich bis zum Stadium der richterlichen Voruntersuchung ausgebrütet. Denn nur um eine Voruntersuchung handelt es sich bis jetzt. Ob man über dieses Stadium hinauskommen und zu einer regulären Anklage gelangen wird, ist, bei dem vollständigen Mangel an juristischem Material, nach wie vor sehr zweifelhaft. Jndeß, wie schon gesagt, in Deutschland ist Alles mög- lich, und die Nähe der Wahlen wirkt überdies ausregend aus Richter, Staatsanwälte und Polizei. Speziell die Polizei entwickelt überall eine fieberhafte Thätigkeit. Ausweisungen, Haussuchungen, Versammlungs- verböte, Versammlungsauflösungen sind an der Tagesordnung. Aus Berlin , wo es am Tollsten hergeht, ist soeben(25. September) W. Hasenclever ausgewiesen worden, der gar nicht dort wohnt, auch sich momentan gar nicht dort aushielt. Aber er ist Kan- didat für den 6. Wahlkreis, und diesen wollen die Stöcker- Bismarck'schen sich durchaus„erobern", wozu die Polizei natürlich be- hülflich sein muß. Nützen wird dieser Polizeistreich den Stöcker-Bis- marck'schen allerdings nichts. Die Berliner Arbeiter sind derartige Coups gewöhnt, sie pfeifen auf Madai und seine Heerschaaren und werden mit verdoppeltem Eifer für Hasenclever in's Zeug gehen. In Berlin , Frankfurt , Bielefeld und anderen preußischen Städten werden sozialdemokratische Wählerversammlungen trotz des bekannten Reichstagsbeschluffes im Voraus verboten. Nicht regelmäßig, aber sehr häufig. Da von preußischen Blättern wiederholt aus jenen Reichstagsbeschluß aufmerksam gemacht wird, so soll offenbar dem Reichs- tag ein Fußtritt versetzt werden— was selbstverständlich aus Ordre von oben zurückzuführen ist. Nun, die Genossen allerwärts sind in kampfsreudiger Stimmung und lachen ob dieser elenden Manöver. — Verkehrte Welt. In Eisenach tagten am 21. September die deutschen Kolonialschwärmer und nahmen mit„stürmischem Beifall" die Vorträge der Herren L ü d e r i tz und W ö r m a n n über die deutschen Kolonialbesitzungen in Afrika entgegen, woraus die Herren einstimmig eine Resolution zu Gunsten der Kolonialpolitik und der berühmten Dampservorlage im Bismarck 'schen Sinne beschlossen— selbstverständlich als Stichwort für die kommenden Wahlen. Es liegt nicht in unserer Absicht, hier auf die in Eisenach gepflogenen Debatten näher einzugehen— wir haben unser» Standpunkt in der Kolo- nialfrage schon des Oesteren dargelegt. Aber einen Satz aus der Rede des Herrn W ö r m a n n, des„Eroberers" von Kamerunland, wollen wir doch zur Illustration des ganzen Kolonialrummels herausgreisen. Er sagte unter Anderem: „Denjenigen, die gegen alle Projekte Opposition erheben, sobald sie
vom Fürsten Reichskanzler ausgehen, sei gesagt, daß Westafrika ein z> Kolonisation durchaus geeignetes Land ist. Die dort wohnenden Negl sind sehr wohl der europäischen Kultur zugänglich; die Neger im Kam« runland suchen den Europäern Alles nachzuahmen. Sie kauf« sich einen schwarzen Rock, sobald sie den Europa « einen schwarzen Rock tragen sehen, sie arbeiten, sobald st den Europäer arbeiten sehen. Die deutsche Handelsbewegung nach West asrika erhellt aus der Thalsache, daß 1880: 30,000 Tons, 1884: 46,7i> Tons deutscher Waaren von Hamburg aus nach Westafrika gegange sind. Es gilt blos, in Kamerunland den Boden, der zum Anbau Palmölkörnern, Cacao, Gummi-Elastikum tc. sich vortrefflich eignet, g« hörig zu bearbeiten, und sind allerdings dazu nur die Neger zu ve» wenden. Deutsche Arbeiter dürften unter dem dortigen mörderische« Klima sehr bald sterbe n." Es handelt sich also, wie man sieht, darum, die Neger Afrika's j« „zivilisiren". Wie geschieht das? Man gewöhnt ihnen europäische B> dürfniffe an:„sie kaufen sich einen schwarzen Rock, sobald sie-c. if.' Ob die Neger, gleich den Indianern Amerika's, an dieser, ihrem Klirst durchaus nicht angepaßten„Zivilisation", an den„europäischen Bedürst nissen" zu Grunde gehen, was kommt's darauf an? Wenn sie nur„aus einen schwarzen Rock tragen." Die Neger Afrika's werden der Zivilisation gewonnen, indem m«? ihnen höhere Bedürfuiffe angewöhnt, den Proletariern Europa « aber werden durch fortgesetzte Lohnreduktionen die höheren Bedürsni?« immer mehr a b gewöhnt, ihnen predigen die Soldknechte des Kapitals mus, die Pfaffen der Kanzel und des Journalismus, daß die wahr« Seelengröße darin besteht, auf irdische, materielle Genüsse zu verzichtet Die europäischen Arbeiter, die warmer Kleider ic. bedürfen, setzt man au' Hungerlöhne, und weil es infolge dessen beständig an Käufern für di« Produkte ihres Fleißes fehlt, weil der Markt beständig mit Waare» überladen ist, exportirt man dieselben nach Afrika — zu den Negern Und diese Weisheit sollen wir bewundern? Nein, wir könnten höchsteiü über sie lachen, denn es ist die Weisheit der verkehrten Welt. — Mit der Wahlagitation ist natürlich in der gegnerisch«» Presse auch das angeblich sozialdemokratische Schlaraffenland wieder aufgetaucht. Die Sozialdemokratie soll das Schlaraffenleben zu«» Ideal haben: möglichst viel Genuß und möglichst wenig Arbeit. Wenn das Wort Genuß richtig aufgefaßt wird, hätten wir gege» die Definition im Grunde nichts einzuwenden. Die Arbeit ist eine g«' sellschastliche Nothwendigkeit, aber sie ist nicht Zweck des D»' seins, sondern bloß Mittel. Die steigende Kultur bringt größer« Produktivität der Arbeit mit sich, so daß das Arbeitspensum— unt«> Arbeit ist die zur E x i st e n z n o t h w e n d i g e Arbeit oerstanden bei gleichmäßiger, gerechter Vertheilung der Arbeit für das Jndividuu«« immer kleiner wird. Und daß jedes Individuum die Vortheile unsere« Kultur„genießen" soll, das erstreben wir allerdings. Doch so meine» es unsere Gegner nicht. Sie können nicht aus ihrer Haut und ihre« Anschauungsweise heraus und jedesmal, wenn sie der Sozialdemokrat� etwas anhängen wollen, hängen sie ihr ihre eigenen Sünden an. D«� Schlaraffenleben, so wie unsere Gegner es meinen, mit möglichst vi«« Genuß und möglichst wenig, wo möglich gar keiner Arbeit, ist 8 out' g e o i s i d e a l und, so weit die Ausführung möglich, B o u r g e o i' praxis. Und gerade weil wir dieses i h r Schlaraffenleben st ö r e>«< werden wir von den Herren Schlarassen so arg angefeindet und verfolgt Nun— wir arbeiten tüchtig, und das fette Schlaraffenland wird woh bald so„unterwühlt" sein, daß es seinen faulen Bewohnern nicht meh« wohnlich sein wird.— — Zum Thema vom„Sprengen fortschrittliche Versammlungen", über welches wir uns schon in voriger Numme« ausließen, wird uns noch geschrieben: „Die Berliner Fortschrittler haben die Frechheit, den Sozialdemokrate» vorzuwerfen, dieselben störten und sprengten systematisch die sortschritb lichen Versammlungen. Das ist eine elende, aus der bekannten Richten schen Fabrik stammende Verleumdung. Die Wahrheit ist: Wenn di« Herren Fortschrittler eine öffentliche Versammlung fortschrittliche Wähler anzeigen, fällt es keinem Sozialdemokrat ein, in die Versainn» lung zu gehen und das wahrhastig nicht anziehende Fortschrittsblech(dai ja seit Jahrzehnten dasselbe ist) anzuhören. Wenn aber eine öffent' liche Wählerversammlung, ohne jegliche Einschränkung, angf zeigt ist, dann ist die Sache anders; dann erscheinen natürlich auch sozialdemokratische Wähler und verlangen natürlich ebenso gut zum Woti zu kommen, wie die Wähler anderer Parteien. Allein das paßt de» Herren Fortschrittlern nicht. Sie kündigten die öffentlichen Wählev Versammlungen nur an, um eine größere Zuhörerschaft zu erlangen, di« das Recht hat zuzuhören, jedoch nicht zu sprechen. Die Sozialdemokrate» sollten also bloß den Herren Fortschrittlern gewissermaßen als„ S t i in itu v i e h" dienen— eine Rolle, zu der sich dieselben natürlich nicht he«' geben konnten. Infolge dieser unverschämten Bauern- oder Arbeitef fängerei kam es wiederholt zu unliebsamen Szenen, für welche die Herre« Fortschrittler, und nur sie, verantwortlich sind. Da die Herre» Fortschrittler ihre demagogische Absicht nicht durchsetzen konnten, und vo« der Oeffentlichkeit eine heilige Scheu haben, so halten sie ihre Versamw' lungen jetzt nur noch hinter verschlossenen Thüren ab, wo sie unter si«! sind, und thun mögen, was ihnen beliebt. — Eugen Richter denunzirt wieder. In einer seine« letzten Berliner Wahlreden, oder richtiger: in einer der letzten Berlin «« Wiederholungen seiner Wahlrede— denn Herr Eugen Richter hat nu« eine einzige Wahlrede, die ihrerseits nur eine etwas veränderte Ausgab« seiner einen Reichstagsrede ist— hat Herr Eugen Richter die Fach' vereine als„sozialdemokratische Gründungen" und die ganze Fach Vereinsbewegung als maskirte sozialdemokratische Agi t a t i o n, die jetzt in Berlin an der Spitze der Arbeiterpartei stehende» Personen als verkappte Sozialdemokraten bezeichnet. Ersteres ist ein« Denunziation, letzteres sollte wenigstens eine sein. Die Männer, welche jetzt innerhalb der Arbeiterpartei die Wahlbewegung letten, habe» aus ihrer sozialdemokratischen Gesinnung nie ein Hehl gemacht— das mildert jedoch in nichts die Nichtswürdigkeit der Denunziation. Anders mit den Fachvereinen. Obgleich allerdings von Seiten der Sozialdemo' kraten zur Bildung von Fachvereinen aufgefordert worden ist, so wurde mit dieser Aufforderung doch stets die andere verbunden: daß die Fach vereine als solche sich unter keinen Umständen in politische und religiös« Parteikämpfe einmischen sollten. Von Liebknecht, der durch seine Chein- nitzer Rede im Herbst 1882 das Signal zu dieser sozialdemokratischen Mas< kerade gegeben haben soll, wurde dies damals aufs Schärfste betont; und ebenso von allen Genossen, die für die Fachvereine gewirkt haben Es war und ist das kein opportunistisches Verschweigen— es ist einfach eine praktische Nothwendigkeit. Die Fachvereine können nur bestehen, wenn sie sich mit ihren Fachangelegenheiten beschäftigen, zu denen indes natürlich die wirthschaftlichen Fragen gehören— die einzelnen Mitglied«« werden durch die Verhältnisse schon von selbst auf die politischen und sozialen Fragen gestoßen— das braucht in den Fachvereinen nicht z» geschehen. Und, wie die Dinge heute in Deutschland liegen, würde ja jeder Fachverein, der sich auf das Gebiet der Politik wagte, unfehlbar von der Polizei ausgelöst. Wenigstens dies mußte Herr Richter wissen, wenn wir ihm auch nicht zutrauen, daß er, der in den Hirsch-Duncker'schen Wechselbälgen ächte Gewerkschaften für die Fortschrittspartei eingefangen zu haben vermeinte, von dem Wesen der Fachvereine und Gewerkschaften auch nur die elementarsten Begriffe hat. Aber daß die Fachvereine po- lizeilich unterdrückt werden, wenn die Polizei Zeugen dafür gewinnt, sie seien„sozialdemokratische Gründungen"— das wußte Herr Eugen Richter ganz genau, als er jene Behauptung ausstellte, die wir also un< zweifelhaft in die Kategorie der gemeinsten Denunziationen zu verweisen haben. — Noch einen Ausspruch von Friedrich Engels über die� Bedeutung des allgemeinen Wahlrechts für die Ar» beiterklasse finden wir in seiner in den nächsten Tagen erschei- nenden Schrift„Ueber den Ursprung der Familie, des Privateigenthums! und des Staats". Dort sagt er auf Seite 139: „Und endlich herrscht die besitzende Klasse direkt vermittelst des allge- meinen Stimmrechts. So lange die unterdrückte Klaffe, also in unserm Fall das Proletariat, noch nicht reif ist zu seiner Selbstbefreiung, so lange wird sie, der Mehrzahl nach, die bestehende Gesellschaftsordnung als die einzig mögliche erkennen und politisch der Schwanz der Kapita listenklaffe, ihr äußerster linker Flügel sein. In dem Maß aber, worin sie ihrer«Selbstemanzipation entgegenreift, in dem Maß konstituirt sie