34. Jahrgang. Nr. 21
Sonntag
Beilage zum„ Vorwärts" Berliner Volksblatt
Berlin, 27. Mai 1917
in verschiedenen Sprachen und verstehen einander nicht. Die wenigen Vorbesprechungen, welche die KriegsteilAber: Wenn man ein Glied schlägt, leidet der ganze nehmer und Kriegsbeschädigten bisher abgehalten haben, Körper;
Pfingstgruß nach Stockholm . er; man fann nicht einen von Guch unterbrüden, hatten, was 3wed und Ziele der Organisation anbetrifft, ein
Eprecht nicht: Jener ist von einem Volte, und ich Glied schlägt, leidet der ganze Störper; man fann nicht Einen von euch unterdrüden, ohne daß nicht alle unterdrückt würden.
ich bin von einem anderen Bolle... Wenn man ein
Lamennais, Worte des Glaubens.
Die leidende Menschheit begeht dies dritte Pfingstfest im Striege mit dem Gedanken an Stodholm. Millionen und Abermillionen hoffender Herzen schlagen Euch entgegen, Genossen! Wir Zeitungsmänner wissen es aus den unzähligen Briefen, die sich auf unseren Schreibtischen häufen, und wir müssen uns hüten, voreilig Euer Lob zu singen, um nicht später allzu heiße Ungeduld zu enttäuschen.
Männer aller Stände schreiben uns und ungezählte Frauen. Wenn wir einen dieser Briefe zur Hand nehmen, wissen wir schon an der Schrift: dies ist ein Mann der höheren Stände, dies ein Proletarier in Feldgrau, der mit Bleistift auf nasses Papier seine Gedanken hinkrikelt, dies eine Mutter, die unt ihre Söhne bangt. In all diesen Briefen aber flingt aber flingt der Name Stockholm wie heller Festtagsklang.
Auch Geistliche schreiben an uns, katholische, evangelische, jüdische. Ihre Briefe sind vielleicht die interessantesten. Oder sie scheinen uns wenigstens so, weil wir sie im Vorgefühl des kommenden Pfingstfestes lesen. Wir erinnern uns da der wundersamen Stelle in der Apostelgeschichte, wo geschildert wird, wie sie alle zusammenkommen. Heiden und Juden, Römer, Aegypter und Kappadozier, und aus dem Brausen der Luft spricht eine Stimme zu ihnen, die sie alle, jeder in seiner Sprache, verstehen. In orgiastischem Gestammel, überwältigt von einer Woge aufivallenden Gefühles, vollzieht sich die Gründung der christlichen Kirche auf internationaler Grundlage.
Wir aber denken weiter an jenen unvergeßlichen ersten Kongreß von Paris , wo ein Franzose unsern Bebel fit die Arme schloß, indem er ihm in seiner Muttersprache die Worte zurief:„ Alter, ich verstehe dich nicht, aber ich weiß, was du meinst!" Oder wir erinnern uns an den Kongreß bon Amsterdam, womitten im Russisch- Japanischen Krieg Sen Katayama und Plechanom unter dem Jubel aller Teilnehmer auf offener Tribüne einander umarmten: den Gedanken der Völkerverbrüderung symbolisierend, der über den Völferhag triumphiert.
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Von Euch, Genossen in Stodholm, erwarten wir anderes und mehr! Auch für den Sozialismus wie für das Christentum ist die Zeit des Frühlingssturms vorbei. Uns verlangt nicht nach Schauspielen, die unser Gefühl befriedigen, nicht nach weithin hallenden Bekenntnissen, die ihren Samen in ferne Zukunft streuen, aber für die Gegenwart fruchtlos find. Die grauenhaften Erfahrungen dieser Jahre haben uns gezeigt, wie wenig sanfte Sentimentalitäten gegen brutale Wirklichkeiten ausrichten fönnen, und daß mit den Protesten einer reinen Gesinnung der Brudermord nicht aus der Welt geschafft wird.
Wer schildert den Weg vom Zusammenbruch des geplanten Kongresses von Wien bis zum mühseligen Ausbau der Konferenz von Stockholm ! Lloyd George hat in einer seiner
mit neuem.
ohne daß nicht alle unterdrüdt werden". So vermählte selbst für die ersten Anreger der Idee verblüffendes Resultat. sich in Lamennais ' christlichem Sozialismus alter Pfingstgeist Es zeigten sich immer neuenotwendige Aufgaben Von Euch aber, Genossen in Stockholm , möge einer zu schaffenden Organisation, fast jeder Bericht irgend die Stimme ausgehen, die jeglicher in der Sprache, in der er eines Kriegsbeschädigten über seine bisherigen Schidjale ent hüllte neue Probleme auf wirtschaftlichem und sozialem Gegeboren ist, versteht! biet, an die vorher noch niemand gedacht hatte. Von der Mannigfaltigkeit der Aufgaben, die auf wirt. schaftlichem, sozialem und öffentlichem Gebiet hinsichtlich der Ariegsbeschädigten wie der Kriegsteilnehmer überhaupt zur lösen sind, macht sich wohl erst einen Begriff, wer das auf Grund dieser Beratungen zustande gekommene Programm der neuen Organisation studiert.
Komm, o Pfingsten!
Pfingsten, ich suche dich, Du Fest der Freude, Wo neues Leben Durch Not und Tod Alten und Jungen Mit Feuerzungen Weltoffenbar wird.
Pfingsten, dich suchen wir, Du Fest des Sieges, Wo Wahrheitsschwingen Ob Lug und Trug Die Luft erfüllen, Falschheit enthüllen, Völkerdurchbrausend.
Pfingsten, ich suche dich, Du Fest der Geistkraft, Wo Sturmgeläutert Von Neid und Streit Sich Menschenmächte Für's Edel- Rechte Strömend vermählen.
Pfingsten, dich suchen wir, Fest der Gemeinschaft, Wo gleich durch Wunden Zu Rat und Tat Sich frei verbunden Höchste Geringsten: Komm, o Pfingsten!
Karl HendelL
Warum wir Kriegsteilnehmer
Oft fonnte mon zum Beispiel lesen, daß es sich für die Kriegsbeschädigten doch nur um eine Reform der MilitärRentengejezgebung handele. Wie falsch geurteilt! Ganz abgesehen davon, daß diese Reform sich feineswegs nur etwa auf die Höhe der Renten, sondern auf die Art der Renten bemessung, auf die Sicherung des Rechtsweges, auf die Mitwirkung der Beschädigten selber bei Rentenfestsegung erstreden müßte, läßt diese Auffassung die ganze privatmirtschaftliche Seite des Problems außer acht. Die Kriegsbeschädigten verlangen Schuh gegen Lohnbrüderei, gegen Nichteinstellung und Arbeitslosigkeit. Daraus ergeben sich Forderungen, deren Durchführung zum Teil geradezu revolutionierend auf unser Wirtschaftsleben wirken muß. Die Kriegsbeschädigtenfürsorge ist wie geschaffen, den Sturmbod für eine energische Fortführung der gesamten Sozialreform zu bilden.
Aus dieser Mannigfaltigkeit und besonderen Bedeutung der Aufgabe ergibt sich auch der Grund, warum wir die Gewerkschaften wenigstens zum Teil von der Arbeit hierfür entlasten wollen. Wir glauben damit in ihrem wohlverstandenen Interesse zu handeln. Denn die Gewerkschafter iverden nach dem Kriege auch noch mit genug anderen Dingen überlastet sein. Selbstverständlich wollen wir und dies ist auch ausdrücklich festgelegt, soweit es irgend geht, mit den gewerkschaftlichen Organisationen der Arbeiter- und Angestelltenbewegung in allen wirtschaftlichen und sozialen Fragen Hand in hand arbeiten. Aber wir leben heute in der Zeit des Spezialistentums. Es gibt Aerzte, die den ganzen Körper behandeln, ihnen schadet es nichts, wenn daneben für Spezialleiden Spezialärzte tätig find. Und allein das Spezialgebiet der Kriegsbeschädigtenfürsorge ist so groß, daß es einer besonderen Organisation hinreichend Arbeit gibt.
Wir haben es allerdings für richtig gehalten, unter, besonderer Sicherung der engeren Interessen der Kriegsbeschä digten eine Organisation aller Kriegsteilnehmer ins Leben zu rufen. Als Kriegsteilnehmer fordern mir Beseitigung aller Borrechte in Reich, Stoat und Gemeinden, durch die Vermögen, Steuerleistung oder Geburt über die Erfüllung der Landesverteidigungspflicht gestellt wird. Als Kriegsteilnehmer fordern wir umwandlung des Heeresin ein wirkliches Volksheer; als Kriegsteilnehmer fordern wir eine Politik, welche die Wiederkehr fünftiger Ariege verhindert, als Kriegsteilnehmer wollen wir die Erkenntnis dessen, was ein moderner Arieg bedeutet, noch auf Generationen in der Bevölkerung wach halten. Man fragt wieder: Warumt überlaßt ihr das nicht der politischen Partei? Wir hindern
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Reden gejagt, in diesen drei Jahren hätte die Menschheit so und Kriegsbeschädigte uns zusammen- die Bartei nicht, das gleiche zu tun, im Gegenteil, wir be
viel Erfahrungen gemacht wie sonst in tausend. Und so scheint es uns, als ob auch der Sozialismus in drei Weltkriegsjahren um tausend Jahre älter geworden sei, und als ein ganz anderer tritt er nun in Eurer mühselig männlichen Arbeit heran als in den jungen Träumen, die wir noch vor drei Jahren sponnen.
grüßen es, wenn sie es tut. Aber wir glauben nicht, auf die große moralische und öffentliche Wirkung verzichten zu sollen, die darin liegt, wenn gerade die Kriegsteilnehmer diese Forderungen erheben. Es ist ein großer Unterschied in der öffentlichen Wirfung, ob heute 1000 nicht Nach mehrfachen Besprechungen und Beratungen im näher bezeichnete Personen oder ob 1000 Ariegsinvaliden, Vor drei Jahren fanden wir alle noch Befriedigung in Kreise der Kriegsteilnehmer ist jetzt eine Organisation ins die selber ihr Blut geopfert haben, in einer öffentlichen Verder furzen Formel: Der Sozialismus ist der Frieden!" Leben getreten, die sich die Intereffenvertretung der Kriegs- fammlung gegen die Auffassung protestieren, daß das verHeute liegt das ganze ungeheure Problem, verwidelt und beschädigten und Kriegsteilnehmer im Zusammenhang mit gossene Blut Sühne durch Unterdrückung fremder Völker erverzweigt, vor uns, und wir wissen, daß jene Formel wohl der modernen Arbeiterbewegung zur Aufgabe gesezt hat. heische. Ebenso liegt es, wenn gerade Ariegsteilnehmer als die Richtichnur unseres Handels abgibt, daß sie aber, in ein- Wir sind uns bewußt, daß dies Ereignis einiges Aufsehen folche gegen die Strafe des Anbindens, gegen die besonderen töniger Wiederholung, nicht die vielfältige Arbeit ersetzen erregen wird, zumal da die Frage der Notwendigkeit einer Offiziersküchen, gegen die sonstigen Klassenunterschiede in fann, die zu seiner Lösung zu leisten ist. Die Welt, Genossen besonderen Kriegsteilnehmerorganisation seit Wochen in der der Armee protestieren. Welcher Mißbrauch wird nicht heute in Stockholm , erwartet von Euch nicht, daß Ihr sie mit Euren Partei- und Gewerkschaftspresse erörtert worden ist und neben mit dem Namen der Feldgrauen" getrieben. Jeder Hinz Borten trösten, sondern daß Ihr sie durch Eure warin zustimmenden sich auch skeptisch ablehnende Stimmen und Kunz, der ein Stück Land annektieren, der die Neuorien Zaten retten sout! geltend gemacht haben. Uns sind diese Auseinandersetzungen tierung hintertreiben will, beruft sich auf die Meinung der Diese Erwartung legt auf Eute Schultern eine ungeheure mohl bekannt, und niemand darf glauben, daß wir, von Feldgrauen. Gegen solche Verfälschungen ihrer wirklichen Verantwortung, aber sie erfüllt auch Euch wie uns mit freu- irgendeinem Gründungsfieber besessen, an den Argumenten Ansicht fann feine Partei, fönnen nur die Kriegsteilnehmer digem Stolz. Der Sozialismus, vor drei Jahren der Zer der Gegenseite achtlos vorübergegangen sind. selber Verwahrung einlegen. schmetterte, Verhöhnte, heute wieder eine Macht, an die sich Aber jede öffentliche Aussprache hat das Eigentümliche, Das sind ein paar Gründe beileibe nicht alle-, sondie Hoffnung von Millionen flammert- scheint es nicht daß eine Urteilsfällung über das Für und Wider nicht er- dern nur ein paar herausgegriffene, die uns zur Gründung wirklich, als läge ein Jahrtausend zwischen damals und jetzt? folgt und nicht erfolgen fann, da es keine höhere öffentliche einer eigenen Organisation bewogen haben. Wer unsere Auch an unser längst ungläubiges Ohr schlägt ein Brausen, Meinungsinstanz gibt. Urteilen fonnten in diesem Falle nur Biele und Zwede vollständig fennen lernen will, den verdas Brausen eines Beitensturmes, der uns über Jahrhunderte die Kriegsbeschädigten und Kriegsteilnehmer selber, und weisen wir auf unser Programm. Aber schon das Gefagte jäh hinwegträgt. Aus einem Zusammenbruch uns erhebend, fie haben sich nach reiflicher lleberlegung zugunsten wird hoffentlich beitragen, manches Vorurteil gegen die neue wie er erschütternder nicht gedacht werden kann, fühlen wir einer eigenen Organisation entschieden. Organisation zu zerstören und zu zeigen, daß ihr Daseins.
uns reifer, stärker als je zuvor, und gehen getrost an ein Wenn uns schließlich die Gründe gegen eine besondere zwed und damit ihre Daseinsberechtigung größer ist als wohl Werf, dessen Vollendung die Kraft von Riesen fordert. Organisation als die schwächeren erschienen, so sprach hier viel mancher ursprünglich angenommen hat. Reßten Endes war Ihr in Stockholm feiert fein Pfingstfest der Begeisterung der Umstand mit, daß die Stimmen, die eine solche Organija- uns maßgebend Stimme und Bedürfnis der KriegsteilSondern Ihr tragt in gewissenhafter Arbeit Steine und tion berwarfen, sich zum großen Teil ein vollkommen nehmer selber, die, soweit wir mit ihnen bisher in Fühlung Steinchen zusammen, führt umständliche Verhandlungen, ichi e fes Bild vom Wesen, Tendenz und Zweden einer treten fonnten, fast ausnahmslos freudig und begeistert, dem fammelt Materialien und setzt Protokolle auf. Euer Lun ist Kriegsteilnehmerorganisation in unserem Geiste machten. Gedanken der Organisation zustimmten. Und mehr als durch ohne packende Szenen und berauschende Bilder, nüchtern, Vielfach glaubte man on harmlose Gejelligkeits- und Alim- Artikel und Reden hoffen wir durch unser fünftiges Wirken schmudlos, jachlich, und dennoch voll von der verhaltenen bimbereine, es tauchte jogar, von seiten der Gelbenbewegung auch denen, die der Sache heute noch ifeptisch gegenüberStraft jenes leidenschaftlichen Willens, ohne den nichts Großes begierig aufgegriffen, das törichte Schlagwort vom Roten stehen, den Beweis zu erbringen, daß wir einen fruchtbaren in der Welt geschieht. Ariegerverein" in der Debatte auf, ein Zeichen, wie traurig Gedanken in die Tat umgesetzt und ein gutes Werf nicht mur auch oft von Wohlmeinenden die besten Absichten mißver- für die Kriegsbeschädigten und Kriegsteilnehmer, sondern für standen werden können. die gesamte Arbeiterklasse begonnen haben.
Heute sprechen wir noch:" Jener ist von einem Volfe, und ich, ich bin von einem anderen Volte...". Wir reden