55. Jahrgang. ♦ Nr. 7Seilage zum»vorwärts" Serliner Voltsblattöerlin, 6. Januar 1H7SDreitöm'gstag.Ein Stern ging auf. der Friede strahlt.Drei Könige wandern weltenweitdurch Tod und Nacht und Menschenleidnach seines Strahls Gewalt.Sie gehen ihre Wanderschaftdurch alle Fernen dieser Erden:Verheißung und Erfüllung werdenin eines Sternes wunderkraft.So gehen wir voll Zuversichtund starken Glaubens au das Ende,wie jene Könige der Legendesehnsüchtig nach des Friedens Licht.Gurt JDIovci,Ueber Lettland und Sie Letten.Bon R i g e n s i S.Dem reichZdentschen Leser klingt das Wort Lettland(lettisch„Latwija") fremdartig. Das ist leicht verständlich,denn vor dem Ausbruch des Krieges gab es wohl sehrwenige sogar unter den gebildeten Reichsdeutschen, die wußten,daß in den sogenannten russischen Ostsceprovinzen auch dieLetten und Esten wohnen, und noch mehr mangeltees an Nachrichten über das Leben, Streben undTrachten dieser Völker. Und dennoch ist das von denLetten kompakt bevölkerte Gebiet mit seinem niehr als63000 Ouadratkilometer großen Flächenraum erheblichgrößer als Belgien, Dänemarck. Serbien, die Schweizund andere noch kleinere Länder. Griechenland ist ebensogroß wie Lettland und Bulgarien wie auch Portugal sindnur anderthalb mal größer. Auch hinsichtlich seiner Ein-wohnerzahl(2 554000) kann es sich neben Norwegen, Däne»mark, Griechenland. Serbien und Finnland stellen.Das von den Letten bevölkerte Gebiet besteht aus Kur-l a n d. den vier südlichen Kreisen L i v l a n d S und I n-s I a n t i e n(lettisch Latgale), d. h. aus den drei nördlichenKreisen der Provinz Witebsk. Dieses Gebiet zusammengefaßtheißt Lettland.Es ist nun jedoch zu beweisen, daß wir dieses Land amGestade des baltischen Meeres mit Recht Lettland nennendürfen, daß es tatsächlich meist von Letten bewohnt ist unddaß überall die lettische Sprache geredet wird.Wenden wir uns zunächst dem flachen Lande zu, wo dieMehrzahl der Bevölkerung lebt, die dem ganzen Lande ihrenCharakter gibt. Wenn wir alle sremdstämmigen, im aktivenKriegsdienst stehenden Männer, als zu den örtlichen Ein-wohnern nicht gehörig, in Abzug bringen, so ergibt sich nachden Ergebnissen der letzten Volkszählung vor dem Kriege,daß hinsichtlich ihrer Nationalität die ländliche BevölkerungKurlands und Südlivlands folgende Zusammensetzung hat:Letten... 94.5 Proz. Litauer... 1.0 Proz.Russen... 0,3, Polen.... 0,2,Deutsche.. 2,2, Esten.... 1,0,Juden... 0,5, Andere... 0,3.,■Berücksichtigt man, daß die Litauer das PolangenscheGebiet in Kurland und die Esten einige Gemeinden in Süd-livland in kompakten Massen bevölkern und daß diese Gc-tneinden eigentlich zu Litauen beziehungsweise zu Estlandgehören, an deren Grenze sie sich befinden, und, falls mandiese, eigentlich mit Unrecht Lettland angefügten Gebiete inAbzug bringt, so ergibt sich, daß in der südlichen Hälfte derbaltischen Provinzen mehr als 95 Proz. der länd-lichen Bevölkerung Letten sind. Auch in dendrei Kreisen Jnflantiens bilden die Letten die absoluteMehrheit der Bevölkerung.Sind die Landgebietc Lettlands durchaus lettisch, sobieten die Städte schon ein viel bunteres Bild hinsichtlichder Nationalität ihrer Bewohner dar. Und dennoch bildendie Letten die absolute Majorität in 17 Städten von den26 Städten des südlichen Baltikums; in 6 Städten bilden siedie relative Majorität und nur in 3 kurländischcn Kleinstädtenbilden die Majorität der Bevölkerung die Juden.. DerProzentsatz der Deutschen machte vor dem Kriege in 5 Städtenweniger als 5 Proz. aus, in 9 Städten von 10—15 Proz.und nur in 3 Städten von 15—20 Proz. In ganz Lettlandgibt es keine Stadt, in der mehr als 25 Proz. Deutsche vor-banden sind. In bezug auf die Russen sei gesagt, daß sie in21 Städten weniger als 5 Proz. der Bevölkerung ausmachenund daß es in Lettland nur 2 Städte gegeben hat, in deneneS mehr als 15 aber weniger als 25 Proz. Russen gr-geben hat.Eigentlich kommen nur einige größere Städte in Be-tracht als Sitz der nichtlcttischen Bevölkerung LctUands. Sozum Beispiel ergab die letzte Volkszählung in ganz Lettlandnur 120212 Deutsche"), von denen �95 990 in Riga,M i t a u und L i b a u wohnhast sind. So finden sich 80 Proz.von allen in Lettland lebenden Deutschen in diesen dreiStädten. Also kann eigentlich nur von diesen drei einiger-maßen bedeutenden deutschen Kolonien in Lettlanddie Rede sein, während in allen übrigen Städten und aufdem flachen Lande zusammen nur 24212 Deutscheunter annähernd 2 Millionen N i ch t d c u t s ch e nwohnen. Und doch bilden die Deutschen in diesen dreiStädten nur einen verhältnismäßig geringen Bruchteilder Bevölkerung. So machte der deutsche Teil der EinwohnerRigas nach der Volkszählung vom 13. August 1917 nur14,4 Proz. der Gesamtbevölkerung aus ldie Letten dagegen54,7 Proz.), in Libau im September 1917 13,7 Proz. Alsoauch in den Städten, in welchen vier Fünftel aller DeutschenLettlands wohnen, machen sie kaum den siebenten Teil derGesamtbevölkerung aus und in ganz Lettland tveniger als6 Proz. der Gesamtbcvölkerung. Der Prozentsatz der Russenund anderer Nationalitäten ist wie auf dem flachen Lande,so in den Städten noch geringer als der der Deutschen.Doch kann die Frage erhoben werden, ob die Letten ingenügendem Maße Kulturvolk sind, um das Schicksalihrer Heimat selbständig lenken zu können. Bevor wir aufdiese Frage eingehen, muß darauf hingewiesen werden, daßdie politischen Verhältnisse Rußlands und des Baltikums dieeinigermaßen freie kulturelle Entwicklung des lettischenVolkes nur seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts möglidhmachten und daß das lettische Volk ununterbrochen ringenmußte, um seine nationale und kulturelle Entwicklungsmöglich'keit zu sichern.Um. beispielsweise über die Bildungsstufe des lctti-scheu Volkes zu urteilen, sei darauf hingewiesen, daß es unterden Letten keine Analphabeten gibt. Es gibt zwarältere Leute, die des Schreibens unkundig sind, doch lesen*) Außerdem noch 13 000 deutschsprechende Juden.können alle. So gibt es unter der Bevölkerung des Walk-schcn Kreises nur 4,7 Proz. Analphabeten, des WolmarschcnKreises nur 3,6 Proz. Analphabeten usiv. Daß man über-Haupt noch Analphabeten antrifft, erklärte sich dadurch, daßdie obigen Zahlen sich auf die Gesanitbevölkerrrng beziehenund daß unter den Russen und Juden verhältnismäßig vieleAnalphabeten anzutreffen sind. So sind in Südlivland desLesens und Schreibens unkundig 43,4 Proz. aller Juden und44,1 Proz. aller Russen.In bezug auf die Mittelschulen nimmt Lettland dieStelle an der Spitze aller Kulturländer ein, denn im Jähre1910 gab es in Lettland 98 Mittelschulen mit 22600 Schülern.was eine Schule auf 26000 Einwohner ausmacht. MitLettland hält in dieser Beziehung nur Norwegengleichen Schritt, tvo auch auf 26 090 Einwohner eine Mittel-schule kommt, während in Belgien eine Schule auf 41 300 Ein-wohner, in Frankreich auf 44600, im Deutschen Reiche auf54100 Einwohner, in Oesterrcich-Ungarn auf 63700, Bul-garten auf 161 000 Einwohner usw. kommt. Es muß dabeidarauf hingewiesen werden, daß es in Lettland vor dem KriegeMittelschulen in allen Kreisstädten gab und daß die Schülerin den Schulen der Kleinstädte fast ausschließlich Letten warenund daß in Riga eine bedeutende Zahl von Schulen besteht,die nur vo» lettischen Kindern besucht werden, während inden kommunalen und staatlichen Schulen die lettischen Kinderineist die große Hälfte der Lesenden bildeten.Im Zusammenhang mit der Zahl der Mittelschulen-besucher steht auch die Zahl der lettischen Studenten.Im Jahre 1913 gab es auf den russischen Hochschulen1850 lettische Studenten und außerdem besuchten Hundertejunger Letteir Hochschulen in Deutschland, Frankreich, in derSchweiz usw. Somit beträgt die Zahl der studierendenLetten mehr als 2000, während es auf den UniversitätenSchwedens nur 1200 Studierende gibt, in Dänemark 1400,Norwegen 1400, Bulgarien 800 usw. Die Zahl der Studie-rcndcn im Verhältnis zur Gesamtzahl der Bevölkerung istgeringer als in Lettland noch in viehrcrcn großen Kultur-staatcn, z. B. in Frankreich und Italien.Als eine gewisse Charakteristik der Jntensivität de?lettischen Kulturlebens sei auf die lettische Pressehingewiesen. Im Jähre 1913 erschienen in lettischer Sprache51 periodische Ausgaben, wovon 27 politische Zeitschriften.Allein in Riga erschienen vor dem Beginn des Krieges zehnTageszeitungen in lettischer Sprache.Auch das Vereins- und Genossenschaftswesen ist stark ent-wickelt. Es bestanden vor dem Kriege iir Kur-Livland 140landwirtschaftliche Vereine, 20 Bienenzuchivercine. 2 Obst-und Gartcnbauvereine, mehr als 100 korporative Gesell-schaften, welche sich zum Zweck die Hebung der Viehzucht unddie rationelle Verwertung ihrer Produkte gesetzt haben, zweilandwirtschaftliche Schulen und mehrere Versuchsstationen.Im Jahre 1913 wurden 90 landwirtschaftliche Kurse voran-staltet, die von 9000 Personen besucht wurden. Weiter bc-standen 300 gegenseitige Versicherungsgesellschaften und zirka60 korporative Konsumvereine, davon 18 in Riga, die imVerbände der Konsumvereine Lettlands vereinigt sind.Die Höhe der erreichten Kulturstufe ist um so höher au-zuerkennen, wenn man in Betracht zieht, daß alles bis jetztErreichte nur daS Resuttat privater Tätigkeit ist. daß derrussische Staat die kulturelle Emanzipation der Letten nich:förderte, sondern sie mit allen denkbaren Mitteln hinderte,daß die baltisch-dcutschen herrschenden Klassen aus Furcht vorder Konkurrenz des aufblühenden Lcttcntums alles taten, umden Entwicklungsgang des lettischen Volkes aufzuhalten.Stern im Osten.Von L. S m r a i n.DurS den dunkeln Winterabend trottete ein Husar.Der Tauwind war gekommen und hatte einen Teil des Schneesweggeschmolzen, der Rest war als blankes glattes Eis auf der Land-stratz« zurückgeblieben. Vorsichtig, mit kleinen Schritten, arbeitetesich der Mann vorwärts und hielt dabei ein Beutelchen, das erbequemer auf dem Rücken getragen hätte, ängstlich an den Leibgepreßt, um, wen» er doch ausgleiten sollte, die Bürde nicht zugefährden.ES war ein dunkler Abend— hinter dem zerrissenen Gewölltrat nur zuweilen flüchtig ein Stern hervor» und der wilde Tau-wind fegte die Erde.In der großen Stube eines Vorwerks saßen vier preußischeOffiziere am langen Tisch und hatten die Abendmahlzeit beendet.Die hatte aus grauem Brot und Ziegenkäse bestanden. Weiß Gott, dassollte ein Essen für preußisch« Offiziere sein! Für Leute, die seitsechs Jahren in diesem Lande Krieg führten! Der rosigen Jugendwaren dabei die Wangen hart und braun geworden, und denMännern hatte eS vor der Zeit daS Haar gebleicht und diese Offi-ziere lagen nun seit vier Monaten, seit Oktober 17S1, mit ihrenSchwadronen in diesem Vorwerk mit seinem Häuflei» gottverlassenerHütten und hatten das Heer des Königs vor den lauerndenschweifenden Horden der Ungarn und Kroaten zu sichern,— auchvor den Kosaken, die nicht alle mit vor Kolberg gezogen waren:auch ihrer waren etliche hiergeblieben, um daS kleine Preußenheerzu beunruhigen und einzuschließen und die Sorge des Königs, derjetzt in Breslau über großen düsteren Entwürfen brütete, zu der-mehren. Weiß Gott, die Offiziers in der grotzsn Stube desVorwerks hatten Grund zu schlechter Laune!Der älteste von ihnen war der Rittmeister von WolierSdorf, einlanger, dürrer Hecht mit ungeichnitteiunr Haar von einer Farbe wiedaS Eis draußen auf der Landstraße,— doch nicht er führte dasKommando, denn er war einst kassiert worden und erst bei Kriegs-ausbruch durch schwer erreichte königliche Gnade wieder zu Ehrengekommen. Der starrte auf den bis auf einige Krumen leerenTisch. Die anderen sahen ihn verstohlen an und warteten auf dasLosbrechen seines Grolles, dessen er kein Ende wußte, weil er eSsich nie verzeihen konnte, daß er sich zu diesem Handelgedrängt hatte. Als er noch länger schwieg und auf denTisch starrte, wagte der Leutnant Cleve den noch haltendenDamm ein wenig anzurühren:.ES ist langweilig, meine Herren— Dieser Cleve war ein loser Kerl, kein eigentlicher Soldat, sondernein Student, der zum Heer gekommen war und sich auf seine Ver-bindung mit den Leuten der Hofgesellschaft viel zugute tat. Denneö war ja bei diesem merkwürdigen König so, daß man nicht geradehoch geboren zu sein brauchte, um durch die königliche Gunst aus-gezeichnet zu werden. Er wagte darum«in keckes Wort und dieanderen ließen es geschehen, weil dieser Mensch sehr viel vonden Meinungen und Plänen des König« wußte— oder doch so tat.Rittmeister Woltersdorf horchte auf und sah den Leutnant an..ES ist langweilig, meine Herren, ober wer weiß, vielleichtwären wir im nächsten Jahre floh, wenn wir noch in dieser Ver-fassung aus diesem Platze säßen."Woltersdorf sprang auf und stieß den Stuhl, auf dem er ge-sessen, mit dem Fuße von sich, trat ans Fenster und sah in dieNacht hinaus, in der das blanke Eis der Straße fchinimerte..Die Kerls kommen natürlich erst zurück, wenn wir uns schlafengelegt haben!" sagte der andere der beiden Rittmeister, der ruhigeKorff— der Kommandant des Platzes..Wenn sie überhaupt zurückkommen!" rief WolierSdorf über dieSchulter hinweg.Das Wort drückte jeden Widerspruch nieder. Jeder mußle dabeidenken, daß der Zweifel berechtigt war, jeder dachte daran, daß dieZahl der Deserteure aus den zwei Schwadronen schon ein Dutzendüberstiegen halte; und war das geschehen, als die ganze Welt zu-geschneit war, wie würde eS erst iverden, wenn das Frühjahr dieStraßen wieder öffnete? Die große Frage»ach dem Ende undAusgange des Krieges, die ja fort und fort durch aller Sinne ging.stand plötzlich in ihrer ganzen quälenden Furchtbarleir bei denHusarenoffizieren in der Vorwerkstube. DaS Wort: Wenn sie über-Haupt zurückkommen werden! hatte sie herbeigezwungen.Es war doch so: Warum sollte» diese armen landfremdenTeufel denn bleiben oder zurückkommen, wenn man sie fortschickte?Der Krieg nahm kein Ende, und wenn einst das Ende käme— wietraurig würde es fein? Was war daS Leben, wenn man eS immerso leben sollte— in diesem Schmutz, dieser Plackerei— ohne Ruheund Behaglichkeit?—Da schlug die Tür. Jetzt hörte man Tritte auf der Diele.Sie kamen also doch zurück! Die Osfizicre wandten sich derTür zu. Wolterödorf riß sie auf. Der Husar kam herein und legtedas Bündel, daS er so behutsam über die vereiste Landstraße ge-trage» hatte, auf einen Stuhl..Wo ist der Andere?" fragte Korff.„Fortgelaufen, Herr Rittmeister".„Wohin?"„In die Nacht hinaus! Holte den Wein vom Fourier.während ich nach dem Befehl ging. AIS ich zur Tür hinaus will,liegt da das Päckchen unter der Laterne,— ich kannte es— eSwar doch mein Habersack."„Wo ist er hingelaufen?"„Weiß nicht. Herr Rittmeister!"„Grashupfer, Do weißt eS wohl. Er hat Dich bereden wollen,daß Du mitliefest. Er hat Dir gesagt, wo der Weg offen ist, woman für die Montur einen Bauernkittel bekommen kann und wohindie Reise gehen soll. Sage mir, was Du weißt!"Grashupfer wußte aber nichts weiter. Der Wachtmeister mußtekommen und erhielt die Befehle über die Verfolgung.Dann hatte Korff den Besehl vom Regiment geöffnet. Nicht»Neues,— die Schwadronen Korff und Woltersdorf sollten dasVorwerk„weiter als Standquartier innehaben und durch rigorosesteWachsamkeit alle ManeuvreS der feindlichsten DetachcmeniS fest-stellen". Das war der Befehl, den man seit Oktober jeden drittenTag erhielt.Cleve hatte eine Flasche geöffnet und«ingeschäukt.„Korff." sagte Woltersdorf, indem er den feuchten Bart ab-strich,„wir werden den Hundsfott wohl in diesem Leben nickt wieder-sehen, sollte es aber doch fein, so wollen wir es ihm gedenken, daßer wenigstens den Wein nicht mitgenommen hat."In der Tat— der KasuS war' merkwürdig und lenkte die Gc-danken wieder auf den Deserteur, die Desertionen und die Lage derArmee zurück.