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Wie groß ist die Welt?

Von Alex. Moszkowski  .

Ein Kapitel aus des Verfassers neuem Buche: Der Sprung über den Schatten"( A. Langen, München  ). Zum Nachdenken wie zum Widerspruch gleich anregenden Betrachtungen allerlei schwierige wissen­schaftliche Probleme. Man hat die schönste Auswahl zwischen allen Formaten und fann bezüglich der Ausmaße nicht in Verlegenheit fommen. Philo­sophie und Sternfunde bieten ein Warenlager, in dem alle Größen­lagen vertreten sind. Von der fleinsten angefangen, die so klein ist, daß man sie bequem in die Westentasche stecken kann. Eigentlich ist das eine Null- Welt ohne jede Ausdehnung. Alles, was sich uns sonst als Sonnentveiten, Siriusfernen, Riefenhaftigkeit der Gestirnwelt vorstellt, verschwindet. Nichts bleibt übrig als das Bildchen von alledem, wie es sich auf der Netzhaut unseres Auges abmalt. Diese Lehre räumt radikal auf mit dem Universum: Der gesehene Raum, von unserem Leibe angefangen bis hinauf zum Sternenhimmel, samt allem, was darin ruht und sich bewegt, ist gar nichts wirklich Gegenständliches außerhalb unserer Sinne, sondern nur eine Ericheinung innerhalb unseres sinnlichen Bewußtseins. So hat es lleberweg gedacht, so hat der bedeutende Denter Otto Liebmann   den Say geformt und auf Betrachtungen gegründet, die astronomisch auf Stepler, physiologisch auf Johannes Müller, Nagel und Hering zurückgehen. Herbart und Loze werden angerufen, um der Großwelt den Garaus zu machen, und diesem Vernichtungs­willen hält fein Fernrohr, fein Spektralwerkzeug stand. Denn auch diefe Apparate sind nur Täuschungen, Phantome, von unserem Augenbildchen hingezaubert in ein Unbekanntes, das uns von einer 2wangsvorstellung als Außenraum vorgeredet wird.

tasten nennen wird, dagegen ist mir das Zos der Arbeiterklasse geben will, it steifellos auf Scharffing gestimmt. Innerhalb des Pferden ausgezeichnet war. Wenn es sich auch bei allen jung und Rußlands   nicht gleichgültig. hier aufgestellten Rahmens ist natürlich weder eine Angabe noch paläolithiichen Funden um Reste von Wildpferden handelt, die ganz Und solange ich kann, werde ich dem russischen Pro- einer Erörterung feiner Beweise möglich. Für unseren Zweck genügt unzweifelhaft nicht gezähmt waren, so erscheinen doch jene Pferde Ietarier einprägen: die Feststellung des Formates felbst. Wir erfahren, daß heute Stre- wichtig als das Material, das die Menschheit sich in späteren Zeiten Du wirst ins Berderben geführt! Du wirst als Ma- bungen im Gange sind, die der Welt gewisse auskömmliche, end durch Zähmung und Züchtung dienstbar machte. Als das Gebiet der terial für einen unmenschlichen Versuch ausgenutzt! In den liche, nicht eben weitgespannte Maße zuweisen. Man fann in ursprünglichsten Domeſtilation( Zähmung) bezeichnet Antonius 40 000 Kilometern existieren, ohne sich an ihnen zu berauschen, wie den euraasiatischen Steppengürtel, Augen deiner Führer bist du noch immer nicht Mensch!" 100 fich übrigens bis man sich auch an den Sonnenwirkungen erfreuen fann, wenn man auf die Gegenwart Reste des einstigen Reichtums an mit dem denkerischen Wagemut des Dr. Barthel alle Gestirne un- Wildpferden erhalten haben. Nach den Forschungen des endlich viel fleiner als die Erdmasse ansieht. Im Ernst gesprochen: Verichterstatters find für die Geschichte des Hauspferdes drei Zu Zeiten Galileis wäre jene furiose Schrift nicht auf den Inder wichtige Typen wilder echter Pferde von besonderer Bedeutung. gefommen, während sie heute allerdings wie eine Keßerei gegen die Der eine, noch heute in wildem Zustand lebende Typ ist das Allmacht der Astronomie auftritt. mongolische Wildpferd. Das zweite Wildpferd hat sich ebenfalls bis Sie steht aber nicht vereinzelt da. Wir sind in neueren Jahren in die Gegenwart hinein erhalten, und zwar ist es das südrussische, von ganzen Stimmdören umflutet worden, die das Hohelied der das früher Tarpan" genannt wurde. Festgestellt ist durch die Fors Endlichkeit fingen; alle astronomischen Strecken sind ihnen zu weit, schung, daß folche wilde Pferde nicht nur den Steinzeit­alle Bewegungen zu flint, sie wollen legten Endes darauf hinaus, jägern als Hauptnahrung dienten, sondern auch ein beliebtes Modell irgendwie und irgendwo im angeblichen Unendlichen Abschlüsse für die fünstlerischen Arbeiten gegen Ende des Paläolithikums zu finden. Mißverstandene Lehren von Flammarion   und Henri waren. Im westeuropäischen Boden hat man viele hundert derartige Poincaré gingen vorauf; ibnen folgten die Mißversteher August Umrißzeichnungen und Skulpturen gefunden, die mit Sicherheit er­Strindberg, Boodhouse, eigensinnige Deutsche von der Gefolgschaft fennen lassen, daß damals das Equus ferus, zu dem die beiden des Johannes Schlaf   mit ihren gellenden Schlagworten: sinnlose genannten Typen gehörten, die häufigste Art war. Durch Knochen­Astronomie", Wissenschaften, die beute von den Universitäten ver- reste aus prähistorischer Zeit und durch Darstellungen von der Hand höfert werden"," Symphonie des Unfinne"! Gine geozentrische( die gleichzeitig lebender Menschen wurde aber auch noch ein dritter Erde als Mitte der Welt betrachtende) Anschauung sollte durch- Pferdetypus im alten Europa   nachgewiesen, zu dessen Formenkreis brechen noch unter Lukrez   hinunter, der zwar die Sterne als Klein- vor allem die großen Pferde gehören, daneben auch einige mittel­wesen erachtete, aber doch den Weltraum nicht berengern wollte. große Pferdearten. Dies sind also die drei Typen in jenen Deutlicher umschriebene Formate gibt es nicht innerhalb dieser Ländern Europas  , die zur Zeit der ersten Bekanntschaft mit dem Lehre. Man kann immer nur sagen: Kleinwelten, Mittel- Hausvferd ohne Zweifel noch Wildpferde beiaßen. welten, wie sie sich denen darstellen, deren Sinn von den Wann das Pferd zuerst demestiziert wurde, ist schwer zu sagen. ehrlichen Massen nicht loskommen. Anaxagoras   hatte behauptet, die Mit ziemlicher Gewißheit kann man hingegen annehmen, daß zu Sonne sei größer als der uns heute fo vertraute Peloponnes  ( Süd- Beginn der historischen Zeit das Pferd in China   schon bekannt war, griechenland  ). Das war in seinem Sinne eine Erweiterung des was mit der Ansicht übereinstimmt, daß bei ihrer Einwanderung Größenbegriffs, in unserem ein Festkleben am alten Diminutiv. ungefähr 2000 v. Chr. die arischen Inder das Pferd ein Die Welt des Anayagoras ist ein maklofes Ungeheuer, am Verstand führten. Um 1700 v. Chr. muß es auch für Vorderasien feiner Zeitgenossen gemessen, ein Mikrob für uns, die wir die und Aegypten angenommen werden. In Mitteleuropa   ist Strecken nach Lichtjahren beurteilen. δας Hauspferd überall mit dem Beginn der Bronzezeit Danach ergibt sich ein Weltformat, das nur noch im 8ahlen- feststellbar, also um die Wende des 3. und 2. Jahrtausends finne Bedeutung hat, das sich an die Zahl heftet, um überhaupt v. Chr. Es handelt sich dabei natürlich nicht um das Hauspierd aussprechbar zu werden. Die Anschauungsmöglichkeit entfchwindet. im heutigen Sinne, sondern sozusagen um das primitive Hauspferd. Wir lernen und glauben, daß die Firsterne erfter Größe durch Ueberall, wo das bodenständige Pferd die eingeführten Hauspierde fchnittlich 17 Lichtjahre von uns abstehen die Lichtſekunde zu 300 000 au 3ahl übertvog, hat es der allmählich sich heranbildenden neuen Kilometern, also rund 150 000 Milliarden Kilometer; und daß diefe Maffe ihren Charakter verliehen. Die alten Kulturländer haben also Unfaßbarkeiten wieder verschwinden gegen die Erstreckung der Milch das Hauspferd von dem europäisch- asiatischen Steppengürtel aus straße, für die wir siebentausend Lichtjahre bewilligen müssen. Und erhalten. Ueber die Art der ersten Domestikation sind genauere auch damit hätten wir erst eine Insel im Univerfum erfaßt, nicht Austünfte ziemlich schwierig. Vielleicht handelte es sich ur­dieses selbst. sprünglich um eine etiva aus religiöfen Gründen erfolgte Hege des beliebten Jagdtieres, vielleicht fam man zur Verwendung des Pferdes als Haustier auch einfach auf dem Wege der Nachahmung. Der Mensch hatte viel früher das bereits domestizierte Rind vor Wagen und Pflug gespannt und mag so auf den naheliegenden Ge­danken verfallen sein, daß das Pferd sich für den Dienst vor dem Wagen noch weit besser eigne. Feft steht auf jeden Fall, daß über­all das Pferd zuerst nicht als Reittier, sondern als Zugtier ge­braucht wurde. Anfangs war auch diefe Verwendung sehr be­schränkt, man spannte es nur vor den Streitwagen der Könige und Großen, erst allmählich wurde die Benüßung des Pferdes als Haus­tier allgemein.

findet ihn in der Vermutung, daß zwar der Raum unendlich sein müffe, nicht aber die Menge und Masse der Weltkörper. Es gibt einen auf Herschel zurückgehenden Scheinbeweis, der diese Vermutung mit optischen Gründen zur Gewißheit erheben möchte. Er wirft auch optisch ganz überzeugend, rennt aber gegen einen Grundpfeiler der in uns eingebauten Logit. Denn alle Ermeßlichkeit ist Null gegen das Unendliche, und all die Lichtjahre bedrängen uns nicht so schmerzlich wie der Zwang, diese Ganzgroßwelt wiederum auf Null berkümmern zu fassen.

Auf anderen Wegen wird ein ähnlich historisches Ergebnis er­zielt. Es gibt eine Philofophie der Schrumpfung, die zunächst der Welt nichts zuleide tut und sie so groß bestehen läßt, als man nur irgend will. Dann aber fährt sie mit der Frage fort: Was geschähe, wenn die Welt mit allem Inbalt plöglich auf die Hälfte ihrer früheren Dimensionen einschrumpfte? Befäßen wir Menfchen ein Beobachtungsmittel, diesen Vorgang festzustellen? Keineswegs! Die Anschauung sucht in ihrer Bedrängnis einen Ausweg und Denn da alle unfere Organe, einschließlich unserer Maßstäbe und Megwerkzeuge, diese Verjüngung auf ein halb mitmachen, so ändert sich für uns nicht das allermindeste; das heißt ein solcher Vor gang fönnte stattfinden, ohne uns irgendwie zu berühren, wir würden nichts merken. Der Mond wäre nach wie vor 50 000 Meilen von uns entfernt, aber Halbmetlen", die für uns ganz diefelbe Bedeutung hätten, wie vordem die Ganz­meilen. Spüren wir aber nicht eine Verkürzung auf ein Halb, so spüren wir sie auch nicht auf ein Zehntel, auf ein Tausendstel, überhaupt nicht, das Univerfum fönnte plöglich oder allmählich auf die Größe eines Stecknadeltopfes, eines Atomes zu sammenschrumpfen, ohne daß sich für uns, für unser Leben und unsere Auffassung das geringste ändern würde. Wir fahren fort, nach parallaftischen Bestimmungen die ungeheuerlichsten Stern­entfernungen herauszurechnen, in voller Unkenntnis der Tatsache, daß sich in Wirklichkeit eine beobachtende Null mit einer Weltnull messend beschäftigt. Das ist aber eine Möglichkeit, über deren Wefen wir nur das eine auszusagen vermögen: fie ist viel wahrscheinlicher als die ererbte Gewißheit, die uns mit festen Strecken und riesigen Räumen operieren läßt.

Nein, wir suchen immer noch nach größeren Formaten für die Welt, und wer mit der eigenen Phantasie nicht auskommt, der mag die des Voltaire zu Hilfe rufen.

Der Weise von Ferney  ( Voltaire  ) schlägt in mehreren Erzäh­lungen das Thema von der Weltgröße an und, wie zu erwarten, er gibt sich dabei nicht mit Kleinigkeiten ab. Gin Engel tritt als Lehrmeister auf: die Welt mag noch so ausgedehnt fein, mit einer einzigen ist nicht auszukommen; ſeßen wir also einen hübschen Multiplikator ein und behaupten wir: im Raum find hundert tausend Millionen von Welten vorhanden, eine immer schöner und besser als die andere; oder rückwärts gerechnet; eine immer toller als die andere; die uns zunächst liegende, die irdische, kommt leider dabei am schlechtesten weg und wird in Voltaires   Betrachtung als Tollhaus des Universums" bematelt.

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Nun zu den Welten mittleren Formats, für die ich hier aus dem reichlich versorgten Warenlager eine Probe vorlegen möchte. Ver­gleichen wir sie mit dem soeben angedeuteten Zustand des absoluten Schwundes, so werden wir sie außerordentlich geräumig finden, Gleichbiel. Unsere vergleichende Studie foll fich ja mur mit den tvenngleich immer noch etwas eng im Verhältnis zu den üblichen Weltformaten beschäftigen, zwischen denen sie genügende Auswahl Universalbegriffen. Der gradlinige Durchmesser des gesamten Welt- veriprach. Bon einer Abschägung nach Vortrefflichkeit und Ungüte raumes beträgt nach dieser Auffassung 40 000 Kilometer, also genau bat fie sich fernzuhalten. In ihr gilt nur das Relative, das jedes soviel wie die Länge unseres Aequators; die Erde verzichtet auf Gut und Böse abwehrt und selbst in der Abschäßung reiner ihre Kugelgestalt, wird zur vollendeten Scheibe, zur Totalebene", Raumgrößen der letzten Frage nach Richtig oder Falsch aus dem tein Himmelsförper, sondern eine Scheidewand, ein Zwerchfell im Wege geht. endlichen Raum, zugleich dessen untere Hälfte. während sich alle Gestirne, der ganze Himmel" in der oberen befinden.

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Wir beschwören hier feinen urzeitlichen oder mittelalterlichen Sput, berienten uns nicht in die Grübelei eines Scholastikers, fondern folgen den Spuren eines fehr gelehrten Modernen, des Dr. Ernst Barthel  , der seine Weltansicht in einer großen Behand­Lung festgelegt hat. Der Ort der Veröffentlichung,. Steins Archiv für systematische Philosophie( heft 1 von 1916) erzwingt Beachtung, und der Vortrag des Mannes, der uns eine neue Weltorientierung Mensch, wenn der Wirt Wind kriegt und die Pickelhaube hinter uns herjagt", stöhnte der Buchbinder. Landstreicherei, Diebstahl, Gefängnis,

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vollendeten die Ge­

danken unbarmherzig und die Augen suchten nach einem Schlupf­winkel, fanden aber nur die rücksichtslos gerade Straße, die den Schall unserer Tritte rascher und rascher wiedergab. Bis ein Trippeln draus wurde, ein Rennen, ein Jagen...

Die Dämmerung sank und wob dunkelgraue, undurchsichtige Schleier um uns. Auf den sanften Wellen des Stromes glänzte das ersterbende Abendrot des Himmels. Weit draußen blinkte die Baterne einer Fähre. Wie die Motten huschten wir dem Lichtpunkt zu. Zum anderen Ufer, rasch zum anderen Ufer!

Als wir einmal verschnauften, hörten wir hinter uns das Prellern eines Wagens daherkommen. Dazu langhinhallenden Peitschenknall. Die Berge gaben ein Echo wieder, als ob der Satan selbst auf dem Kutscherbock gesessen hätte. Sezte man uns bereits nach? Alle Hochgedanken an Pennensuppen und Bratkartoffeln maren aus unseren Seelen gewischt. Nur das Licht existierte für uns, das Licht am anderen Ufer

Schweißtriefend erreichten wir den Anlegesteg der Fähre, schweißtriefend und zitternd. Die Mosel   glitt herzlos und gleich gültig dahin. Das Boot schaukelte am anderen Ufer und schwamm unermeßlich faul, mürrisch- glucksend über das Wasser. Auf der Landstraße aber prellerie die Satanskutsche immer rascher, dröh­nender, drohender heran Selten ist mir eine Beit so lang­fam erschienen wie die Minuten, die das Boot vertrödelte, ehe es uns auf dem Strome wiegte. Die Dunkelheit löste den Uferrand in schwarzbraunen Brei auf, so daß der höllisch prellernde Wagen, der da drüben mit Peitschenknall vorüber sauste, nur durch ein rotes Lämpchen kenntlich war.

Und doch schwor der Buchbinder, eine Pickelhaube habe auf dem Kutschbock geglänzt

Am andern Morgen schuppten wir uns die Streu der Nacht aus den Haaren. Wir hatten uns nicht auf die Penne gewagt, hatten im Bauernschober genächtigt, ohne Suppe und Bratkar­toffeln, hatten alles Geld von uns geworfen, in den Straßen­schlamm getreten alles aus Angst vor der Polizei. Denn der Groschen konnte jedem von uns ein halbes Jahr Arbeitshaus ein­bringen und alles das, was so ein Abenteuer aus dem armen Teufel machen kann. Es ist manchmal ein Groschen, der in diefer Welt eine Lebensfurbe bestimmt.

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Mancher nahm den Groschen und fam nie wieder ins Gleis. Mancher nahm ihn auch, wird später betoastet und beprostet und

ſtreicht sich ehrbar über ben grauen Bari   mie ich, the Rieben! für künftige Ehren

toaste..."

Ein neuer Tizian  .

Das Kaiser- Friedrich- Museum hat ein neues Bild von Tizian  erworben, cines jener wenigen Weltwunder, die es erklärlich machen, daß die Menschheit nicht längst an sich selbst verzweifelt ist. Eines jener Bilder, das nicht denkbar wäre, wenn nicht macht und Kampf, Reichtum und Eroberung, Weisheit und Sinnenluft sich im engen Raum zusammenballten und so das entstehen ließen, was Größe solch eines Dokuments gerade darin besteht, daß es zeitlos wir eine Kulturepoche heißen. Wobei dann aber die eigentliche ist und volles Leben atmet, während die Welt, aus der es einst hervorging, die Hohezeit der Renaissance, längst zu Staub zerfallen ist. Bilder, wie dieses hier von Tizian  , sind eine der Antworten auf die rastlose, uns Tag und Nacht beunruhigende Frage nach dem Sinn des Lebens.

Ermed uns, mach aus uns ein Bacchanal!" Rief alles Lebende, das ihn ersehnte

Und seinem Blick sich stumm entgegendehnte... Das ist die Lösung des Geheimnisses: aus dem Durcheinander des Lebens gestaltete dieser Maler ein mit Ewigkeit umkränztes bacchantisches Fest. Ein nacktes Weib liegt auf einem Ruhelager, zu seinen Füßen sißt der Liebhaber; er spielt auf einer Orgel und wendet sich dem Weibe zu. Vorhänge fallen in schweren Falten, purpurne Decken brennen, Linnen leuchtet, des Liebhabers Gewand strahlt golden, silbern spielt es über die Orgelpfeifen, im Hinter­grund träumt eine Landschaft. Es waren Zeiten schöner Unbe­fangenheit und selbstverständlicher Kraft, da sich liebende Frauen nicht scheuten, ihren Leib so auf den Mtar der holdesten Fleisches­anbetung zu legen. Ein durch alle Feuer gebranntes Raffinement der Nerven ist wieder naiv geworden. Siegesgewisse Muskeln lösten sich zu pflanzenhafter Ruhe. Gin durchdringliches Schweigen Tiegt über diesem Bilde, das von Musik erfüllt ist. Die Farben strömen in schweren, horizontalen Wallungen. Purpur und Gold entgleiten sich in heißen Umarmungen. Die Reife voller Männ­lichkeit entspannt sich landschaftartig im ausgeglichenen Kampf. Tizian   war achtundsechzig Jahre alt, als er dieses Bild gemalt hat; es dürfte um 1545 entstanden sein.

Durch ein Jahrhundert, hoher Tizian, So zogit du leuchtend deine Bahn, Der Farben zauberische Glut,

Wie ein Gewand um dein Venedig   breitend. Auf sahen, an dir vorüberschreitend,

zu dir in Ehrfurcht drei Geschlechter.

Dir dankten seine Söhne, seine Töchter Ein schönres Dasein als dies ewige Werden Und Untergehen, das unser Los auf Erden.

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Zu den schönsten Stellen des Bildes gehört das Gewand des Mannes, das die Empfindungen zu Rembrandt   hinübergleiten läßt, und das kleine weiße Hündchen, das die besten Meisterwerke des Impressionismus vorweg erledigt.

R. Br.

Die Kohlenzille."

Ein Geschichtenbuch Robert Größfchs. Während die noch junge deutsche Arbeiterdichtung mindestens ein halbes Dußend namhafter Vertreter der 2hrif umfaßt, find die Profaleistungen, von mehr journalistisch zu wertenden Talenten abgefehen, auf die zwei Namen Robert Größich und Edgar abnwald befchränkt, beide Redakteure an der Dresdner Volks­zeitung". Hahnwald steht seit Kriegsbeginn im Felde und hat ein feines, tiefes Buch geschrieben, das hier schon Erwähnung fand. Größich ist mit seinem Lustspiel Dyderpotts Erben" temperament­voll und erfolgreich auf die Bretter gesprungen. Nun hat er bei Egon Fleischel eine Folge feiner Erzählungen herausgegeben.( Die Kohlenzille. Preis 3,50 M.)

N

Grözichs Humor ist unbändig, greift fed ins volle Menschen­leben, holt selbst die Sterne vom Himmel; sein Humor ist lachender Ernst und darum ect. Er zeigt uns die Kinder seiner Muie mit der Heiteren vorsorglichen Liebe des Dichters. Technisch: seinem Gestalten steht er mit dem scharfen, verstehenden Blick des Humoristen für die Unzulänglichkeiten und Kleinheiten des Lebens gegenüber, vor allem treten sie plastisch und in der Bewegung hervor. Die Auswahl der Worte und Gefichte ist ficher und drastisch. Größfch hat nicht den Fehler der weitausholen­den Malerei und der bloßen Schilderung, aus der der Leier die Bointen herausschälen muß. Jede Zeile, jedes Wort atmen Wit, darum hält die Spannung durch das ganze Buch an, selbst da, wo wie im Groschen", die Moral von der Geichicht" etwas billig ist. Am prächtigsten sind die Titelnovelle und die Spaßengeschichte Emil und Familie", E. F. G. Meier und Gojana" wendet sich besonders ans Zwerchfell.

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Gesang der Frauen.

Run ist es Weihnacht vorüber, und wir find noch allein! Wann kehrt der Friede wieder in unire Herzen ein? Wann endet er die Пot, die ewig unfre Cieben und unfer Glück bedroht?

a. z.

In Sehnsucht und in Bangen all unfer Mut zerrann, indes ein Glückverlangen um unire Seelen spann, ein Wunsch, ein heißes Flehn; daß bald es Frieden werde und wir euch wiederfehn!

Die Hoffnung hilft ertragen das Ceid, das an uns zehrt, bis ihr zu frohen Tagen einit glücklich wiederkehrt. Dann werden wir, befreit, Still an die Bruit euch linken, weinend vor Seligkeit!

Notizen.

Karl Petersson

Gin Liebermann- Saal wurde in der National­galerie eröffnet. Es sind zehn Gemälde, darunter vier neue, eins aus der letzten Zeit( Gartenbild aus Wannsee  ). Insgesamt stellen die 10 Bilder wovon zivei nur vorübergehende als Leihgaben find( die Arbeiter im Rübenfeld" und das" Münchener Bierkon­zert") die wichtigsten Epochen in Liebermanns Schaffen in be­deutsamen Verkörperungen bar.

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Vorträge. Im Institut für Meereskunde: Dienstag: Prof. Dr. A. Merz: Nach Konstantinopel  während des Krieges. Freitag: Prof. van Caller- Stiel: Der Reichstag   und die Freiheit der Meere. In der Urania behandelt Dienstag und die folgenden Lage Herr W. Kranz, den Siegeszug nach Venetien  ". Am Dienss tag beginnt Prof. Lampe feinen sechsstündigen gyfius: Länderfunde der mit uns verbündeten Staaten, Donnerstag Prof. Laas einen e Iten" spricht Dir. Archenhold in einer zehnstündigen Vortrags­Kurfus über Schiffsbau. Bewohnbarkeit der reihe, die Dienstag, abends 7 Uhr, in der Treptow- Stern warte beginnt.

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Als Profeffor für fyftematische 30ologie ist Von der Urgeschichte des Hauspferdes. an die Berliner   Universität Prof. Willi Küfenthal in Breslau   be Um die Geschichte des Hauspferdes in ihren wesentlichsten Zu- rufen worden. Stüfenthal bat fich besonders durch Erforschung der sammenbängen zu erkennen, muß man, wie Dr. Otto Antonius   in Säugetiere( ale uſiv.) herborgen und auf eine the beg den Naturwissenschaften" ausführt, bis in die Zeit des europäischen   Forschungsretien in arttischen und tropischen Gebieten wertvolles Quartärs zurückgreifen, das durch einen ungeheuren Reichtum and Material gesammelt.