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8. Jahrgang.

Sozialdemokrat

Zentralorgan der Deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der Tschechoslowakischen Republit.

Bürgerblock und ſoziale

Fürsorge.

Zahrelang hat die Arbeiterklasse der alten Monarchie um das allgemeine Wahlrecht in das Parlament gekämpft. Alle Begeisterung, alle Leidenschaft eines Jahrzehnts hat sich auf die Demokratisierung der Gesetzgebung tongen­triert. Der Aufstieg der Arbeiterklasse hat die Sozialdemokratie zunächst in den Kampf um den Einfluß auf die Gesetzgebung ge­trieben.

Raum aber war das allgemeine Wahlrecht in die gefeßgebenden Körperschaften errungen, trat vor die Sozialdemokratie ein anderes, nicht minder wichtiges Problem: das der Demokrati­fierung der Verwaltung, des Eindringens in jene Körperschaften, denen die Verwaltung obliegt.

Der Einfluß der breiten Massen auf die Verwaltung im Staate ist nicht gerade eine proletarische Forderung, sondern gehört zu den Forderungen der bürgerlichen Revolution. Es gibt eine Reihe von Ländern, in denen das Bürgertum herrscht und in denen doch eine gewisse Demokratisierung der Verwaltung play­gegriffen hat. In Europa   bietet dafür ein Bei spiel die englische Lokalverwaltung, in der alle wichtigen Posten durch Wahlen besetzt werden, wo die Träger der Lokalverwaltung die Ver­trauensmänner der Bevölkerung sind. Im alten Desterreich, wurde jahrzehntelang über die Reform der Verwaltung gesprochen ,, unzählige Entwürfe wurden ausgearbeitet, eine Menge Kommissionen eingesetzt. Aber die Gemeinden und Bezirke blieben weiter in den Händen, der besitzenden Klassen, die Arbeiter hatten auf die autonomen Verwaltungskörperschaften keinen Einfluß, in der staatlichen Verwaltung hatten sie überhaupt nichts dreinzureden.

Dienstag, 24. April 1928.

Die französischen   Wahlen.

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Nur 175 Mandate im ersten Wahlgang besezt. 427 Stichwahlen! Erfolg Poincarés. Bessere Aussichten der Linken für die Stichwahl. Paris  , 23. April. Erst in den heutigen Frühstunden wurde der Hauptteil der Ergebnisse der geftrigen Wahlen nach Paris   gemeldet. Es sind bisher die Resultate aus 602 Wahlkreisen bekannt; es fehlen demnach nur nom die Ergebnisse aus zehn Wahlbezirken. In 427 Wahl­bezirken werden am nächsten Sonntag engere Wahlen stattfinden. Bloß in 175 wurde die Wahl gestern mit folgender Verteilung der Mandate abgeschlossen. Es erhielten: Die Konservativen 13 Mandate,

die Republikaner  ( Marin- Gruppe) 72, die Linksrepublikaner( Bokanowski) 41, die Radikalen der Richtung Louchers 15, die sozialistischen   Radikalen( Herriot) 16, die sozialistischen   Republikaner  ( Painlevé) 4, die Sozialisten( Blum) 14, die Kommunisten 0.

Die Wahlbeteiligung war gestern groß und überstieg schäßungweise 80 Prozent. Be­zeichnend ist, daß beim ersten Wahlgange kein einziger tommunistischer Kandidat durchdrang. Die Zahl der von den Kommunisten erzielten Stimmen genügt aber zur Er­langung einiger Mandate im zweiten Wahlgange, namentlich, wenn sie ihre unverföhnliche Politik gegenüber den Sozialisten und eventuell den übrigen Linksparteien aufgeben. Das Mißverhältnis zwischen der Zahl der definitiv erlangten Mandate der Rechtsparteien und jener der Lintsmandate fann einstweilen nicht als Niederlage der Linken angesehen wer­den. Diese hat sichere Aussichten auf Erlangung einer beträchtlichen Anzahl von Man­daten im zweiten Wahlgange, namentlich, wenn sich die ehemaligen Kartellparteien, nämlich die Sozialisten, die Sozialistisch- Radikalen und die sozialistischen   Republikaner  , gegen die Rechts­Yandidaten zusammenschließen, wofür alle Anzeichen vorliegen. Als ein charakteristisches Er­gebnis fann die Stellung des Vorsitzenden der radikalen Partei Daladier   sowie jene des Führers der Sozialisten, Leon Blu m, verzeichnet werden, welche sich als Kandidaten in für fie wenig aussichtsreichen Bezirken aufstellen ließen und in denselben trotzdem eine so große Zahl von Stimmen erhielten, daß ihre Wahl im zweiten Wahlgange gesichert zu sein scheint.

Bon den Ministern wurden gewählt: Briand  , Herriot  , Tardieu, Louis Marin, Bokanowski und Leygues. Die Minister Painleve   und Quenille befinden sich für den zweiten Wahlgang in günstigen Chancen. Dies gilt aber einstweilen nicht von dem erübrigen­den neunten Minister- Deputierten, Arbeitsminister Fallieres.

Unter den bereits im ersten Wahlgange gewählten hervorragenden Persönlichkeiten be­finden sich ferner der Kammerpräsident Soglatist Bauisson, der ehemalige Staalafelretär für Flugwesen, Laurent Eynac  , der ehemalige Vorsitzende des Kammerfinanzausschusses Malby, der der radikalen Partei angehört, und der Führer der demokratischen Alliance F. R. Poncet. Unter jenen, über welche erst der zweite Wahlgang entscheiden wird, befinden sich außer den bereits Genannten Dalladier und Blum noch der ehemalige Minister Lou­cheur, der Führer des rechten Flügels der sozialistischen   Partei Renaudel, der Führer der Dissidenten der Radilalen, der sogenannten Unionisten, Franklin- Bouillon und der Radi fale Montigny.

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Wahlgang zu einem Abkommen mit den Sozia listen bewegt.

Es ist durchaus möglich, daß der zweite Wahl gang das bisherige Ergebnis start zugunsten der Linken ändert, vorläufig aber muß von einem Erfolge Poincarés und der nationalisti­schen Rechten gesprochen werden. Das war von dem Augenblid an vorauszusehen, da Poincaré   den Kampf um den Frank zur Wahlparole machte. In der Furcht vor dem Währungsverfall entschied sich die Masse der Kleinbürger für die Rechte, die es in der Hand hat, mit Hilfe der Banken den Frank zu halten oder zu ruinieren.

Einen Mißerfolg Poincarés stellt allerdings der überraschende Erfolg der äußersten Rechten, der Gruppe Marin, dar. Poincaré  hätte sie gern geschwächt und aus der Regierung gedrängt, da sie der Außenpolitik Briands Oppo ition machen und Poincaré  , durch das Erperi­ment des Ruhrkrieges und durch seine Niederlage im Jahre 1924 belehrt, außenpolitisch lieber einen vernünftigen Kurs einschlagen möchte.

Die Kommentare der französischen, aber auch der Berliner   Presse sind sehr vorsichtig und wol­len dem Ergebnis der Stichwahlen nicht vorgrei­fen. Erst der nächste Sonntag wird ent­cheiden, welche Kräfteverhältnisse die Politit der französischen   Kammer bestimmen werden.

Große Sozialdemokratische  Wahlerfolge in Kärnten  . -  

Wien, 23. April  .( Eigenbericht.) Gestern haben in Kärnten   mit Ausnahme der Hauptstadt Klagenfurt   allgemeine Ge meindewahlen stattgefunden. Sie haben den Sozialdemokraten neue erfreuliche Erfolge gebracht. Selbst in den fleinsten Landgemeinden haben die Sozialdemokra ten Stimmen gewonnen. Soweit bisher Berichte vorliegen, haben die Sozialdemo fraten 88 Gemeinderatsmandate und fünf Bürgermeisterstellen neu erobert. Der Erfolg ist um so höhe zu werten, als gerade in Kärnten  Das war für die Arbeiterschaft schon im Die Unternehmer schamlose Terrormetho Den anwandten, um der Sozialdemokratic alten Desterreich ein unerträglicher Zustand. Abbruch zu tun. Vor allem die Alpine Die Arbeiterklasse verlangt von der Verwal­Montan Gesellschaft organisierte Seim tung etwas ganz anderes als die befizenden wehren und arbeiterfeindliche Nandidatu Wie zu erwarten war, hat der erste Wah! Im zweiten Wahlgang, wo die Partei mit der ven. Kärnten   ist das dritte österreichische Klassen. Ihr Lebensinteresse drängt sie, einen neuen Grundjazz in die Verwaltung zu tragen: gang in Frankreich   nicht einmal in einem Drittel größten Stimmenanzahl das Mandat gewinnt, Bundesland, das im Laufe der letzten der Wahlbezirke die Entscheidung gebracht. Von haben die Sozialisten, die in den Industriegebie- Monate gewählt hat und sein Botum das Prinzip der sozialen   Ber- 612 Nammerjizen sind 175 besetzt worden, 427 ten überall führend sind, bessere Aussichten, vor- stimmt mit dem Salzburgs und Vorarl­waltung. Die Arbeiterschaft muß die Ver- Mandate werden in der Stichwahl vergeben wer ausgesetzt, daß die Kommunisten im Falle einer bergs wie auch mit der Währinger   Abstim­waltung des Staates dazu benüßen, um den den. Bei dem ersten Wahlgang mußte die Rechte bürgerlichen Einigung ebenfalls auf Splitterkan mung überein. licberall ist die Sozial­sozial und wirtschaftlich Schwachen der Bevöl- naturgemäß gut abschneiden. Gehört doch zur Er- didaturen verzichten und für den Sozialisten stim demokratic im Vormarsch. ferung zu heifen, sie muß ihren Einfluß auf reichung eines Mandats die absolute Mehrheit men. Es scheint, daß der Mißerfolg der die Verwaltung dazu ausnüßen, ihren sozialen der Stimmen, die von den Sozialisten nur in Sommunisten im ersten Wahlgang­und fulturellen Aufstieg zu beschleunigen wenig Wahlkreisen aufgebracht wird, zumal ja die haben in ganz Frankreich   fein Mandat erlangen Schon im Jahre 1913 hat die deutsche Sozial- Sonderkandidaturen der Kommuniſten eine fönnen, nicht einmal in den Pariser Vororten demokratie Böhmens einen Landesparteitag ab. Schwächung der proletarischen Position bedeuten. gehalten, auf welchem sie das Problem der

jozialen Verwaltung in seinem ganzen Umfang läßlich der Verhandlungen über die Verwal aufrollte. Damals, am 28. September 1913 hat tungsreform betont, daß dem aber tatsächlich Josef Seliger   auf diesem Parteitag unsere so ist, dafür bietet den Beweis der Erla, des diesbezüglichen Aufgaben folgendermaßen um- Landesverwaltungsausschusses für Böhmen  , riffen: Bahl 41.760-3-28, in dem folgendes gejagt wird:

Die soziale Verwaltung ist für uns so wichtig, wie die Gesetzgebung im Reiche. Diese kann nur den Rahmen und die Grundlage für die soziale Verwaltung schaffen. Wenn wir nun in dem Kampf ziehen für die Neuordnung der Dinge, so lämpfen wir für eine bessere materielle Zukunft, so machen wir die Bahn frei für unseren geistigen and materiellen, für unseren ganzen fulturellen Aufstieg in unserem Lande.

Nach dem Kriege haben nun die Arbeiter in der Tschechoslowakei   ihre Macht dazu benüßt, um in die untersten Zellen der Verwaltung, in die Gemeinden und Bezirke einzudringen. Die Vertreter unserer Partei haben die geringen Möglichkeiten, die der sozialen Verwaltung in der Tschechoslowakei  , durch eine sie einengende staatliche Gesezgebung gegeben sind, nach Mög­lichkeit ausgenüßt, sie haben eine Menge sozialer Einrichtungen geschaffen, wie Erholungsheime, Kinderheime, sie haben die bestehenden sozialen Ginrichtungen, wie die Krankenhäuser, umzu­gestalten gesucht. Dieser ganzen sozialen Reform­arbeit, die wir noch bei Gelegenheit einmal eingehender darstellen werden, hat die unter Teilnahme der deutschbürgerlichen Parteien be­schlossene Verwaltungsreform fast so gut wie ein Ende gefeßt. Den Gemeinden und Bezirken werden die Einnahmen so beschnitten, daß ihnen für die Ausgestaltung der sozialen Fürsorge nichts übrig bleibt. Wir haben das schon an­

Es ergehen daher an die Bezirke und Ge­meinden folgende Weisungen, nach welchen jie jich unbedingt zu richten haben:

Die Steirerbank regiert wieder in Graz! Graz, 23. April  .( Eigenbericht.) Im stciri­sie eines Beſſeren belehrt und sie für den zweiten schen Landing wurde heute die Wahl des Landes­hauptmanns vorgenommen. Bekanntlich hatten Die aus dem außerordentlichen Vor. die Christlichsozialen ihren Landeshauptmann anschlagserfordernisse resultierenden, Dr. Paul gezwungen, zurückzutreten, damit der zur Durchführung neuer Bauten und Einrichtun- frühere Landeshauptmann Rintelen, der gen usw. bestimmten Aufwände dürfte über- wegen seiner Korruptionsaffären von der sozial­haupt nicht in dieser Frist verwirklicht demokratischen Obstruttion gestürzt worden war, wieder zurüdkehren fönne. Die Großdeutschen werden. hatten in den letzten Tagen einen Pressefeldzug Es wird daher jenen Bezirken und Gemein­gegen Rintelen unternommen. In der heutigen den, welche um Beitragsleistung aus dem Fonds Sigung fielen sie aber um und stimmten mit den ansuchen, auferlegt, von der Inangriffnahme, Christlichsozialen für Rintelen. Da beide Par­Fortsetzung sowie Projektierung jeglicher Investi- teien nicht die Mehrheit im Landtag haben, er­Im ordentlichen Erfordernisse tion als Bau von Straßen, Wasserleitungen, Ge­hielt Rintelen nur 24 von 56 Stimmen. Dic darf in erster Linie den auf einem Rechtstitel bäuden( Krankenhäusern, Siechenhäusern, Schulen), Sozialdemokraten hatten die Landbündler öffent beruhenden Verbindlichkeiten( z. B. Bezüge der Straßenwalzungen, Straßenrekonstruktionen lich aufgefordert, einen Kandidaten zu nomi­Angestellten, die Leistungen aus Verträgen und stand zu nehmen, und zwar auch in dem Rechtsverbindlichkeiten, Zinsen und Amortisationen Falle, daß die Bedeckung des Aufwandes durch nieren, für den die Sozialdemokraten stimmen von, Darlehen usw.) nachgekommen werden. Bei ein nach dem 6. Juli 1927 genehmigtes Dar- würden, um dem Lande die Schande der Rück­fehr des Korruptionärs Rintelen zu ersparen. Erfüllung von Aufgaben, zu welchen die Bezirke Die Landbündler gingen aber auf den Vorschlag and Genteinden gesetzlich verpflichtet sind, st was die Weite der Leistung anbelangt--- größt Mit einer Brutalität sondergleichen, mit nicht ein. Die Sozialdemokraten stellten daher möglichste Sparsamkeit zu beachten und find nur einer Stulturfeindlichkeit, die sich in der ganzen den Genojjen Pongraß als Kandidaten auf, durchaus unvermeidliche Ausgaben zu der Welt sehen lassen kann, wird da gesagt, daß der in beiden Wahlgängen 19 Stimmen erhielt. wirklichen. Die Ausgaben dieser Art dürfen bis die Erfüllung jeder sozialen Aufgabe einfach Mintelen erhielt 24 Stimmen, der Landbündler im ersten Wahlgang 11. Im zweiten Wahlgang zur Erledigung des Gesuches um Beitrag aus dem Fonds in der Regel nicht 30 prosent des aufzuschieben ist, und zwar auch dann, wenn gaben die Landbündler leere Stimmzettel ab, tatsächlichen zu einem bestimmten sich die betreffenden Störperschaften ein Darfo daj; Rintelen gewählt erschien. Swede nach dem Rechnungsabschluß des Jahres lehen beschafft haben. Stein neues Erholungs­1926 verwendeten Aufwandes überschreiten, soferne heim mehr, fein Ausbau eines Strankenhauses. allerdings der Aufwand im Jahre 1926 nich: höher feine Elektrifizierung. Allen diesen Dingen hat st als der für das Jahr 1928 veranschlagte Be- der Bürgerblock ein Ende gemacht. trag. Ausnahmen sind nur in jenen einzelnen Die deutschen aktivistischen Parteien haben Fällen zulässig, wo die höhere Ausgabe mit Rüd­sicht auf die Beschaffenheit der Sache durchaus sich damit für alle Zukunft den Namen von anvermeidlich ist, oder wo sonst ein be- Totengräbern der sozialen Für deutender Schaden entstehen würde. sorge verdient. Die Erfüllung der übrigen Aufgaben ist bis

zu jener Zeit völlig auszuschieben; dies gilt ins

lehen beschafft wird.

Diejenigen, welche der sozialen Fürsorge besondere von gänzlich freiwilligen Leistungen bedürfen, werden die Abrechnung mit diesen Totengräbern vollziehen.

( Subventionen, Gaben usw.).

Kongreß des deutschen Gewerkschafts­bundes in der Zschechoslowakei. Reichenberg  , 23. April  .( Eigenbericht.) Die Zentralgewertschaftskommission hat den dritten ordentlichen Gewerkschaftskongreß für die Zeit vom 22. bis 26, September 1928 einberufen. Als Tagungsort wurde Reichenberg   bestimmt. Die Bekanntgabe der Tagesordnung und alle weiteren Mitteilungen für den Kongreß werden rechtzeitig erfolgen.