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Vonntag, G. Oktober 1929.
Polnischer Spionage-Prozeß. Lemberg  ,<1. Oktober. Am 8. Oktober be­ginnt hier der Prorest gegen die drei deutschen  Studenten Georg K uhnke, Adalbert Hahn   und Herbert Franze iveaen angeblicher Spionage. Bekanntlich sind diese drei Studenten vor einigen Monaten von den polnischen Be­hörden verhaftet worben. Sie hatten die deut« scheu Kolonien Südostpolens bereist,»in dort Studien über die kulturelle llnd tvirtschaftliche Lage der dortigen Deutschen   zu machen. leien die Interessen des Sudetendeutschtunis aufs schwerste geschädigt, tausendfach die städ­tische Bevölkerung, die großen Schichten der Verbraucher in ihrer Lebenshaltung und ihren Lebensinteressen auf das schmerzlichste verletzt, sie haben die Möglichkeiten gerechterer natio­naler Verhältnisse im Staate in weite Ferne gerückt, sich zum Handlanger der tschechischen Machtpolitik gemacht und die Denwkratie ge­schändet. Jahrelang wurde der Kafka-Nosche- Wähler im Glauben gewiegt, eS werde einmal schon für alles der Tag der Abrechnung kom­men. Anstatt, wie sie gelobt hatten, für die nationale Selbstverwaltung einzutreten, ver­kauften die deutschen   Regierungstmrteicn und mit ihnen die Landbündler die nationale SelbstvcNvaltung uni eine Schüssel Linsen mit Knödeln, halfen den Prager   tschechischen Zen­tralismus stärken, bewilligten jede noch so un­geheuerliche Militärforderung(des tschechischen Militarismus!) und gaben sich zn Reklaine- trommleru für den tschechischen Imperialismus im In« und Auslande her. Alles vergeben und verziehen! Jetzt, da die Landbündler die A.- und W.-Gemeinschaft aufgefordert haben, als letzte Reserve für den Bürgerblock einznrückcn, null diese hochbeglückt über die ihr erwiesene Ehre und die Gnade der Ueberlassnng von ein paar Mandätchen nicht weiter an Vergeltung denken, nicht inehr von der Vergangenheit denken und sich freudig zu positiver Arbeit"(das sudetendeutsche und daS arbeitende Volk hat diese positive Arbeit jetzt durch über drei Jahre gründlich-kennen gelernt!) mit den ehedem und bis vor tveni- gen Tag^n noch des schmählichsten Verrates beschuldigten Landbündler» zusaminenfinden! Programme? So ein Stückchen Papier  , auf dem sie stehen, steckt man zusainmengefaltct bequem in die Westentasche, wenn man es nicht vorzieht, es auf den Misthaufen zu werden. Grundsätze? Wer wird so sentimental sein, bei einer deutschbürgerlichen Partei an ihre Dauerhaftigkeit zu glauben! Gelob- nisse? Gut genug, um damit dumme Karp­fen im grasten Teiche der Politik zu ködern! Der L a n d st u r m ruckt ein! Auch die politisch Invaliden müssen nun heran, um zu versuchen, die schwankende Front des Bür­gerblocks zu stützen! Die Interessen der Agrarier und jener, Bevölkerungsschichten, welche die A.- und W.- Gemeinschaft bisher zu vertreten vorgab, stehen einander wie Feuer und Wasier gegenüber, aber eines, das must zugegeben tverdcn. eint diese Parteien über alle Hindernisse hinweg: das g e in e i n s a m e k a p i t a l i st i s ch e Klasseninteresse, der Hast gegen dieMarxisten", das ist die um i h r e n A u f st i e g u n d ihre ökono- mische Befreiung ringende Ar ­
beiterklasse. Der Bürgevblock, daS bru- talc, antisoziale Klassenregime der Besitzenden ist in Gefahr, die Wähler werden am 27. Ok­tober in ihn Bresche schlagen, nun helfe, was helfen kann! Die in die Rumpelkammer der Geschichte gelegten Altliberalen werden her- vorgeholt, um womöglich die Löcher in der Mauer des Bürgerblocks zu verstopfen und diese zehnmal zur Täuschung der Bevölkerung unter falschem Namen einhersegclnde Partei, deren Leben eine einzige Kette politischer Gc- sinnungslosigkeit und des Verrats an den Volksinteressen ist, gibt sich zu dieser Funktion gerne her. Welcher Schwindel in der offiziellen Ankündigung des abgeschlossenen Bündnisses! Dort heißt cs, die für die Wahlen vereinigten politischen Parteien hätten einander dieu n- eingeschränkte Wahrung der par­teipolitischen Selbständigkeit ufw. z u g c s i ch e r t." Wön will man mit sol­chen Gaukeleien täuschen? Welches Interesse hatten denn die Landbündler auf einmal, dem .Herrn Kafka und dem Herrn Rosche zu Man­daten zu verhelfen, wenn sie wüßten, dast die A.» und W.-Gemeinschaft nach den Wahlen in ihre mit Verlaub gesagt! oppositionelle Stellung gegenüber einem eventuell neugebil­deten Bürgerblock zurückkehren werde?! Die A.» und W.-Gemeinschaft sollte nur versuchen,
nach d'er Wahl hiezugesicherte'" Freiheit des politischen Handelns für sich in Anspruch zu nehmen, oder sich sonst irgendwie das Mistfal­len ihrer agrarischen Bundesgenossen zuzuzie­hen! Die Herren Kafka   und Rosche wären dann am längsten Abgeordnete gewesen. Der abgeschlossene Schacher ist nichts an­deres, als ein B ii n d n i s zur Vollen­dung des Programms des Bürger- blocks. Die A.- und W.-Gemeinschaft, die lange genug die Täuschung der Vertretung gewisser werktätiger Schichten der städtischen Bevölkerung, darunter der Beamten und An­gestellten betrieben hat, an der Seite und in einer Linie mit den agrarischen Lebensmittel- verteuerern, die eben jetzt auch ankündigen, dast eine ihrer Hauptaufgaben die Zerstörung des Mieterschutzes sein werde die Front der Klassen ist klar sichtbar und das werden die Marxisten" am wenigsten zu bedauern haben. Grundsätze und Programme, Verheißun­gen und Schwüre, sie sind den bürgerlichen Parteien einen Pfifferling wert, wenn daS nackte Klaffenintcresse der Besitzenden in Ge, fahr ist. Dies allen, die über drei Jahre lang unter dem Joche des Bürgerblocks anklagend die Fauste geballt haben, klar gemacht zu ha­ben, ist das Verdienst der Macher des neuen Bundes!
Der Kampf um die Selbstverwaltung. Der böhmische Landesprösident verbietet den Bezirken den Beitritt zum Verband der deutschen   Selbstverwaltungskörper und rum CesRy zemskf svaz Ms, nräsi a okresfi.
Ain letzten Freitag nachmittag traten die bei der Parteikonferenz in Aussig   anwesenden Mit­glieder deS Gemeindeberatungsausschusses unter den» Vorsitz des Gen. Pölzt zu einer Sitzung zusammen, um zu einigen wichtigen koinmunalen Frage» Stellung zu nehmen, die in der letzten Zeit entstanden sind. Bor allein beschäftigte sich die Sitzung mit der vom Landespräsidenten für Böhme» verfügte» Aufhebung des Beschlußes der Bezirksvertretungen in Teplitz   und Falkenau auf Beitritt zum Verband der deutschen   Selbstver­waltungskörper. Die Bezirksvertretung in Teplitz  hat im März l. I. den Beschluß gefaßt, sowohl dem deutschen als auch dem tschechischen Verband der Selbstverwaltungskörper als Mitglied beizu­treten. Am 19. August d. I. galangte von der Landesbehörde ein Bescheid an die Bezirksbehörde in Teplitz  , nach welchen: der Landespräsident von Böhmen   diesen Beschluß als ungesetzlich aufge­hoben hat. Die Aufhebung deS Beschlüsse» wird damit begründet, daß derselbe die Grenze der Wirksamkeit deS Bezirkes überschreite. Derselbe Bescheid gelangte bereits acht Tage früher an die Bezirksbehöroe Falkenau. Selbst­verständlich erklärten unsere Vertreter sofort, daß sie von dem Recht, gegen diesen Bescheid die Be­rufung an daS Ministerium deS Innern einzu­bringen, Gebrauch machen werden. Der Gemeindeberatungsausschuß erblickt in dieser Verfügung des böhniischen Landespräsiden­ten einen neuerlichen Beweis dafür, daß die Prak­tische Anwendung deS Gesetzes über die Reform der öffentlichen Verwaltung jede selbständige Tätigkeit der Bezirksvertretnng und deS Bezirks- anSschusses in der unglaublichsten Weise beschränkt und diese Körperschaften unter die Botmäßigkeit der Bürokratie stellt. Die Entscheidung des Vor­sitzenden der Landesbehörde, die unter Berufung
auf daS VerwaltungSgeseh erfolgte, ist aber auch gesetzwidrig. Sie unterläßt es näher zu begrün­den, weshalb eS nur den Bezirksvertretungen ge­setzlich verwehrt sein soll, Mitglieder einer Jn- teresieuvereinigung von SelbstverwaltungSver- bänden zn werden. Das Gesetz über die Verwal­tungsreform bestimmt im 8 75, unter welchen Voraussetzungen eine öffentlich-rechtliche Vereini­gung von Bezirken statthaft ist. Daraus kann aber unmöglich abgeleitet werden, daß es den Be­zirken verwehrt ist, sich als Wirtschaftssubjekt und Subjekt des privatrechtlichen Verkehrs vereinS- mäßig zusammenzuschließen. Wäre eine der­artige Auslegung möglich, dann könnte der LandeSpräs ident den Bezirken auch verbieten, daß die Teinehmer gemischtwirtschaftlicher Unternehmungen Mitglieder einer Genossenschaft mit beschränkter Haftung, einer Raiffeisenkassa usw. werden. Die Verfügung nimmt den Bezirken sogar daS im 8 118 der BerfassnngSurkunde allen Bürgern gewährleistete Vereinsrecht. Die Sitzung dev Beratungsausschusses faßte einhellig den Beschluß, die ganze Öffentlichkeit und vor allem unsere Mitglieder in den Bezirks­vertretungen zum schärsiten Kampfe gegen diese» nenerliche Attentat aus die Bezirke anfzurusen. Unseren Bezirksvertretern wird dringendst emp­fohlen, gegen diesen Bescheid der in der näch­sten Zeit zweifellos auch an die übrigen Bezirks­behörden ergehen wird, deren Vertretungen den Beitritt zum verband der deutschen Selbstver- waltungskörper beschlosien haben fristgerecht die Berufung an das Ministerium des Innern zu überreichen. Der Kampf um die Autonomie der Selbstverwaltungskörper muß überall mit ver­stärkter Kraft und Entschlossenheit geführt werden!
Das Tuka-Urtest. tftaige Bemerkumgen von De. Egon Schwelb  . Artikel vni der Strafgesetznovelle vom 17. Dezember 1862 droht jedem Strafe an, der sich aus Anlaß einer»och im Zuge befindlichen Straf. Verhandlung in Druckschriften Erörterungen über die Kraft der Belveismittel, die Aufstelmng von Vermutungen über de» Ausgang der Verhand- lung oder Entstellungen der Ergebnisse deS Pro­zesses erlaubt, welche auf die öffentliche Meinung einen denr AuSfpruche des Gerichtes vorgreifen» den Einfluß zu nehmen geeignet sind.. Run hat derjenige, der die tschechische Presst während der zehn Wochen deS Tukapsozesseö auch nur oberflächlich verfolgt hat, gewiß nicht deu Eindruck haben können, daß diese Bestimmung noch in Geltung steht. Denn dieHemmungSlostg kett, mit welcher die tschechisthen Zeitungen aller Parteischattierungen das Verbot des zitierten Art. vni zu Unguuften deS Angeklagten über­treten haben, steht wohl in der Rechtsgeschichte aller Kulturstaate» einzig da. Ich erwähne, daß ein mit Verlaub seriöses Blatt, die Brün­ner ,Mdove Novtny", sich zur Ueberkretung de» Verbotes stolz bekannt und sie danrit begründet haben, daß da» Verbot in der Slowakei  (!) nicht bestehe. In KoSiS Keinem Konversations­lexicon(Nauöny Slovnik  ) konnte man schon vor einer Woche unter T auf Seite 1993 lest», daß Dr. Tuka Abgeordneter war und wegen Hochver­rats verurteilt worden Ist. Wir dürfen mit einem solchen Wohlwollen des Zerrsor» nicht rechnen und können daher im Folgenden unsere wahre Meinung über diese» Urteil nicht zum Drucke befördert!, müssen un» vielmehr auf die nachstehenden Feststellungen de« schränken. 1. Die gerichtliche Zuständigkeit. Tuka und Snaezky waren angeklagt und sind verurteilt worden: 1. wegen des Verbrechen» des militärischen Verrates gemäß 8 6, Z. 2, Abs. 3, Schutzgesetz; 2. Wege» de» Verbrechen» der Vor- bereitung von Anschlägen gegen die Republik ge- mäß 8 2 des Schutzgesetzes. Gemäß 8 86 des Schutzgesetzes steht die Durchführung der Haupt­verhandlung über eine AEage wegen de» im 8 2 angeführten Verbrechen» dem Geschwo­renengericht zu, wenn der Staatsanwalt eine Strafe von mehr als fünf Jahren beantragt. Sonst gehöret: die erwähnten Delikte vor den gewöhnlichen Dreirichtersenat de» Kreis« geeichtes. Man wundert sich nun, zu Höven,, daß der Dreirichtersenat de» Kreisgerichte« eine fünfzehn« jährige Zuchthausstrafe verhängt hat. Dieses Kunststück wurde dadurch zustande gebracht, daß der Staatsanwalt den Hochverrat als eine Art Zugabe zur Spionage behandelt hat. Spionage ist nämlich mit einer Strafe von drei bi» fünf Jahren, bei besonder» erschwerenden Umständen von fünf bi» zwanzig Jähren bedroht. Der Staatsanwalt, mild wie er ist, sah überlxrupt keine erschwerenden Umstände bei den Vorberei­tungen zu den Anschlägen(.Hochverrat) und transportierte alle» Erschwerende in die Abtei­lung Spionage, worauf der höhere Strassatz die Zuständigkeit des Schwurgerichte» nicht herbei­führt. Dieser Kunstgriff entzog Tuka seine»! or­dentlichen Richter, nämlich dem Schwurgericht. Der Einspruch der Verteidigung gegen die Zu­ständigkeit de» Dreirichtersenate« wurde zurück­gewiesen. Hiezu verweise ich Roß auf die jedem Stu­denten der Rechte bekanMe Tatstiche, daß die Ge« schworenengerichte gegenüber den Dreirichter­senaten ein Gericht höhererOrdnung sind.
Roman von Aluizio Azevedo. 84 Dann, als sie begriff, daß ihre Tochter sie verlas­sen hatte, streckte sie die Arme gen Himmel, starrte ins Leere und fing an zu weinen. Die Tränen liefen ihr verrunzeltes Gesicht herunter und schienen die Wut, die in ihr getobt hatte, fortznwaschen; jetzt war sie nur noch eine bejam­mernswerte, gebrochene, alte Frau, eine ihres einzigen Kindes beraubte, tiefgebeugte Mutter. Aber wo kann sie nur sein?" schluchzte sie. Wo ist sie nur hin?" Ja, Sie haben sie doch seit gestern un­unterbrochen geschlagen", erwiderte Rita.Jetzt ist sie Ihnen fortgerannt, nnd sie hat recht ge­tan. Das Mädel ist doch aus Fleisch und Bint und nicht aus Eisen." Ah, meine Tochter!" Ja, ja, jetzt ist sie Ihre Tochter. Schade, daß Sie das vergessen haben, als Sie sie prügelten." Kein Mensch schien viel Mitleid mit Mar- eianna zu haben, außer der alten Negerin, die hinging und sich, ohne ein Wort zu sprechen, aber mit traurigen Blicken auf ihre untröstliche Freundin, neben sie vor die Türe setzte. Auf einmal aber riß sich Marcianna aus ihrer dumpfen Betäubung heraus, sprang ans und rannte mit hocherhvoenen Arme» und fliegendem Schwarzhaar ins Hinterzimnter von Joao Ro- maos Lokal. Dieser verdamtnte Portugiese ist an allem schuld. Sei verflucht, du Dieb! Wenn du nicht für meine Tochter einstehst, werde ich dein Haus in Brand setzen." Ein düsteres Lächeln spielte einen Augen­blick cnff dem Gesicht der Hexe, als sie diese letzten Worte hörte.
Ter Budiker erschien auf der Schwelle und befahl Marcianna, Nummer zwölf zu räumen. Und ein bißchen plötzlich, verstanden? Ich habe eS satt, dich hier langer herunrschreien zu hören. Mach', daß du'rauskvmmst, oder ich hol' die Wache und laß deine Sachen herauS- werfrn. Heut nacht darfst du noch bleiben, aber morgen'raus!" Er war den ganzen Tag schlechter Laune gewesen. Mehr als einmal hatte er Bertoleza ungeduldig angeschrien, nur weil sie ihn irgend etwas wegen der Arbeit gefragt hatte. Noch nie hatte ihn jemand so reizbar und unbeherrscht gesehen: er schien gar nicht derselbe zu sein, den alle als ruhig, sachlich und kaltblütig kannten. Und keiner, der ihn kannte, wäre auf die Idee gekommen, daß der Grund seiner schlechten Laune in der Tatsache lag, daß Miranda Baron geworden war. Jawohl, dieser Budiker, dieser demütige, armselige kleine Kerl; dieser Einwanderer, der seine hölzernenTomancos" nie beiseitegelegt hatte, der nie anders als ohne Kragen herum­lief; diese» Vieh, daS schlechtere» Essen   fraß als ein Hund, um jeden Kupfer zu sparen, den er verdiente oder erpreßte; dieses Wesen, das vor Geiz znsantmengeschrumpft war und aller menschlichen Vorzüge und Gefühle beraubt schien; die» Geschöpf, daS nie etwas anderes ge­liebt noch einen anderen Gedanken gehabt hatte als Geld Joao Roma» war jetzt neidisch auf seinen Nachbarn Miranda. Und dieser Neid war stärker al» der von EstellaS Gatten, als er damals voll Bitterkeit auf deS Budikers Glück schielte. Er hatte, seit der Kaufmann daö Nebenhaus bewohnte, Mirandas Entwicklung verfolgt, hatte manchmal initangesehen, wie er voller Wichtig­keit dastand und sich mit kriechenden Schmeich­lern umgab; wie er bei seinen Festen bedeutende Politiker empfing; wie er in einer Gesellschaft
von Damen aus den exklusivsten Kreisen der Stadt glänzte; er hatte beobachtet, daß er sich in höchst gefährliche Spekulationen wagte und ge­wann; er hatte den Namen seines Nachbarn auf vielen wichtigen Listen gelesen: als Direktor be­deutender Aktiengesellschaften, als Subskribent großer Summen für öffentliche Unternehmun­gen, oder als spiritus rcctor bei wohltätigen Stiftung,?» oder Nationalfesten; er hatte mitan- gesehen, wie die Presie ihn als einen Mann mit weitem Horizont und große»! Finanztalent rühmte an diesen Wohlstand uno all diese» Älück hatte er mitangesehen und war nie eifer­süchtig oder neidisch gewesen. Aber, so seltsam es klingen mag, als er fetzt imJornal do Com- inerciv" las, daß sein Nachbar Baron   geworden war, Baron de Freixal, fühlte er kalte Schauer über seinen Rücken kriechen, daß sein Herz zu EiS erstarrte. Den ganzen Sonntag konnte er an nicht» anderes denken. Miranda war Baron  ; sein Nachbar war in den Adelsstand erhoben worden. Damit hatte er nie gerechnet. Geld konnte ver­dient, Eigentum erworben werden, aber Mi­randa war jetzt Baron de Freixal. Und hier In seinem Laden traten ihm diese bitteren Gedan­ken überall entgegen. Ein Klumpen gelber But­ter wurde zum goldenen Jnsignum eines wert­vollen Ordens; er erwartete beinahe, daß das Käsemeller jemand auf die Schulter klopfte und sagte:Erhebe dich, Herr Ritter." Als er in dieser Nacht an Bertolezas Seite ins Bett sank, wollte der Schlaf nicht kommen. Jeder Gegenstand in diesem engen schmutzigen Zimmer mit der verqualmten Decke und den Spinnweben in den Winkeln nahm die Gestalt eine» Staatskleides an; die Ritzen, durch welche der Mondschein sickerte, bildeten diamantene Kreuze. Und in Joao Rontaos hartem Schädel fing ein Labyrinth neuer Bilder an sich zu for­men. Er sah sich inmitten von Pracht und
Luxus, in einer Umgebung, der er sich mit seiner beschränkten Erfahrung nur halb anpassen konnte. Er fühlte Seide, Samt und Spitzes er sah die nackten Arme und die Hälse schöner Frauen mit langen Perlenschnüren geschmückt, er hörte ihr leise» Gelachter, wenn sie schaumen­den, goldenen Wein au» zarten funkelnden Glä­sern schlürften. Inmitten eine» Meere  » dieser entzückenden Geschöpfe, die an den Armen fabel­haft gekleideter Manner sich im Tanze drehten, wahrend sehnsüchtige Musik die Lust erfüllte, sah er sich selbst nicht als Zuschauer, sondern als einer von ihnen, ein glücklicher Sterblicher, der in eleganter Equipage mit heraldischem Wappen auf dem Wagenschlag und einem livrierten Kutscher, der ein Paar prächtige Pferde lenkte, zu diesem Schauplatz festlichen Luxus' gekommen war. Mit tiefen Bücklingen hatte man ihn empfangen und in ein Zimmer geführt, wo zahlreiche Tische mit glitzernden goldenen'und silbernen Geraten standen, mit köstlichen Früchten bedeckt, und hier, inmitten dcS Lichts, der Musik und der Blumen, stand er, ein Gla» in der Hand, und die versammelte Finanz und Macht neigte sich vor, um seinen Worten zu lauschen. ES war ein wunderschöner Traum. Der einzig disharmonische Ton darin war ab und zu daS Schnarchen Bertolezas, die ihre Bettdek« ken weaaeschleudert und ihren dicken, schwarzen, stämntigen Körper, der Schweiß, Zwiebeln und ranzigen Speck ausdünstete, bloßgelegt hatte. Weil Joao Romao solchen Luxus niemals gekannt hatte, entzückte ihn seine Vision um so mehr. Er fuhr fort, sich in diese wundervolle Welt hineinzuversetzen und sich diese reizenden Herren und Danten vorzustellen, die von Musik, Kunst, Literatur, Malerei und Politik plauder­ten.. Ein herrliche» Leben öffnete sich vor seinen entzückten Auge», ein beglückende» und erfüllte» Dasein. (Fortsetzung folgt.)