***,"0<7. SepteiuSer 10313Romantik oderPlanwirtschaft?Die gestrige Plenarsitzung des Philosophen-dngresseS(deren Vorsitz Außenminister Dc. Bene- übernehmen wollte, woran ihn seine Abreisenach Genf aber hinderte) brachte den Höhepunktder viertägigen, vielsprachigen und oft leidenschaftlichen Diskussion über die Krise der Demokratie. Die beiden Hauptredner zu diesem Themawaren der italienische Fascist B o d r e r e und derAmerikaner M o n t a g u e, der früher Sozialistwar und heute ein Anhänger der Politik Roosevelts ist.Mit dem Unterscheidungsvermögen, das manauch dem Feinde— und gerade dem Feinde gegenüber nicht verlieren soll, mutz man feststellen, daßdie philosophischen Verteidiger des italienischenFasciSmuS eine bei weitem festere Haltung aufweisen als die philosophischen Handlanger der Hit-lerei auf diesem Kongreß. Die italienischen Fasci-sten haben eine wohlüberlegte Kritik des Liberalismus ausgebildet; und statt wie die Hitlerpro-pagandisten mit bohlen: Pathos und scheinrevolutionären Phrasen ihr schlechtes Gcwiffen zu verdecken, stellen sie sich auf den Boden romantischerUeberlieferung und entwerfen ein konsequenteskonservatives Geschichtsbild, daS sie allen revolutionären Lehren entgegenstellen.Die Kritik, die der in Padua lehrende Philosoph Emilio Bodrero— in freier französischer Rede— an den„großen Worten der französischen Revolution" übte, sein Hinweis darauf,daß die französische Revolution nicht eine Sachedes französischen Volkes war, sondern ein„Werkder Bourgeoisie, die das Volk für ihre Zwecke benützte" und deren Resultat schließlich jener CüdeNapoleon war, der daS„unmoralische Privateigentum" sanktionierte, verdiente auch vom Gegner gehört zu werden. Aber Bodrero richtete sein»Kritik gegen den„Demo-Liberalismus" vomStandort der Romantik aus. Er verwirft denMarxismus als„fatalistisch", die Demokratie als„halsstarrigen Optimismus in Bezug auf diemenschliche Vollkommenheit", und er preist denkorporativen Staat als die Lösung des Kampfeszwischen den Masten, die eine„Moralisierung desEigentums", und den Anti-Demokraten, die eine„Moralisierung der Politik" wünschen.Die beiden schwächsten Punkte dieser romantisch-reaktionären Philosophie wurden in der svouzwanzig Rednern bestrittenen) Diskussion vonden Franzosen Victor Basch und Joseph Barth ö l e m y aufgewiesen. Basch betonte, daß dieDemokratie über die menschliche Vollkommenheitviel nüchterner denke als die, die an einen Führer glauben— und Barthölemy fragte, wo denneigentlich der.„korporative Staat" sei, im FasciSmuS etlva, in dem er. nur ein Aushängeschild fürdiktatorische Willkür ist? Der aus Deutschlandemigrierte sozialdemokratische Philosoph SiegfriedM a r ck(der jetzt in Paris lebt) erkannte zwardie Kritik BodreroS am Liberalismus an, aber erzeigte, daß sie zu ganz anderen Folgerungen führen müßte: zur Aufhebung des Liberalismus durchden Sozialismus; nicht zum fascistischen Totschlagder Menschenrechte, sondern zu ihrer Rettung ineiner neuen Gesellschaft, die menschliche Freiheitmit sozialer Gerechtigkeit vereint.Der New Dorker Profeffor W. P. Mon-t a g u e hatte in scinem Vortrag„Die Demokratieam Scheidewege" grundsätzlich dieselbe Forderungvertreten. Und er versuchte— wie die meisten seiner Landsleute aller philosophischen Spekulationabhold— praktische Vorschläge zur Rettung derDemokratie und zur Bewährung des Sozialismuszu machen. Für ihn handelt es sich nicht um einromantisches Weltbild, sondern um die Notwendigkeit der Planwirtschaft, die sich aus der Krise deszersplitternden Parlamentarismus, des in derTheorie steckengeblrebenen Liberalismus und deschaotisch gewordenen Kapitalismus ergibt. Einvom Parlament gewählter und mit festumgrenz-ten Vollmachten betrauter Wirtschaftsdiktatormüsse die Planung durchführen. Montague schlägteinen„dualistischen" dem 1832 viel diskutiertenLederer-Plan verwandten Plan vor: innerhalbder kapitalistischen Wirtschaft sollen ArbeitSkom-muncn geschaffen werden, in denen Arbeitslose(nach freiwilligem Entschluß) in geschloffenerKooperative produzieren und konsumieren sollen.Ein Vorschlag, dessen Durchführbarkeit in der Debatte von dem tschechischen Dozenten Dr. Wcllekund dessen demokratischer Charakter von demChicagoer Professor T. B. Smith bestritten wurde.Nachklänge der Ciriarei-Affäre. Dieser Tagewurde vom Schulministerium ein B.eschluß desProfessorenkollegiums der philosophischenFakultät der Prager tschechischen Universität bestätigt, wornach dem ordentlichen Profeffor derTheologie an dieser Universität Dr. AdalbertSanda die venia docendi für semitische Philologie erteilt wird. Damit findet eine Affäre ihrenAbschluß, die auf den seinerzeitigen Konflikt despäpstlichen Nuntius Ciriacci mit dem greisen Erz-bischof Kordaö zurückgeht. Sanda hatte sich erkühnt, gegen den allmächtigen Ciriacci in Wortund Schrift aufzutreten und nachzuweisen, daßder Rücktritt Dr. KordaäS erzwungen und dahernicht rechtsverbindlich sei. Daraufhin wurdeSanda von den kirchlichen Behörden von seinemLehramt suspendiert. Rechtlich blieb er natürlichder vom Staat bestellte Hochschulprofessor. Ausdiesem Dilemma half man sich zunächst durchBeurlaubung Sandas. Nunmehr wird durchseinen Uebergang von der theologischen zur philo-schtzischen Fakultät der Fall anscheinend endgültigbereinigt.zehn Todesopfer« StreiksSdiwcrc Zusammenstöße mit Polizei uns MaflonalgardeNew Bork, 6. September. Die Zahl derStreikenden ist weiter im Wachsen begriffe«. Gestern verließen weitete 80.000 Textilarbeiter dieFabriken, so daß heute rund 450.000 Arbeiter imStreik stehen. Heute wurde der Streik auf dieBaumwollkleider-Jndustric ausgedehnt» was einensofortigen neuen Zuwachs von 50.000 Streikenden bedeutet.I» dem reaktionären Süden greifen auf Geheiß der Unternehmer neben der Polizei vielfachauch Abteilungen der Nationalgarde ,,zum Schutzder Fabriken" ein. Es ist daher bereit- in einerReihe von Orten zuschwerenZusammen-st ö ß e n gekommen, die biß jetzt zehnTodeS-o p f e r forderten.Die reaktionären Kreise suchen gegen dieStreikenden mit der Behauptung Stimmung zumachen, daß sich unter ihnen extremistische Elemente, insbesondere Kommunisten, befänden.Die schwersten Znsammeirstöße ereignetensich in H o n e a p a t h in Süd-Carolina, woStreikbrecher vor dem Zugrisf der Streikendendurch Polizei geschützt wurden. ES kam zu einemheftigen Kampf, der sechs Tote und 41 Verwundete forderte; 64 Personen wurden verhaftet.Auch in Greenville wurde ein Streikenderwährend eine- Angriffe- auf die Fabrik-wacheniedergeschoffen. Weiter» ist in Atlanta(Georgiasein bei den gestrige« Zusammenstößen verwundeterArbeiter seine« Verletzungen erlegen.InTrion(Georgia) sind bei Zusammenstöße» vor den dortigen Spinnereien gegen zwanzig Personen durch Schüsse verletzt worden. EntStreikender ist den Verletzungen bereit- erlege«,bei zwei weiteren besteht noch Lebensgefahr. Auchein Polizist wurde schwer verletzt. Au- der StadtA u g u st a(Georgia) werde» drei Schwerverletzte gemeldet; einer von ihnen ringt mit demTode.In Warten im Staate Rhode J-landSversuchten die Streikenden, eine Fabrik zu stürmen, deren Belegschaft die Arbeit noch nicht nie»dergelegt hatte. Obwohl die Polizei die Anlagenmit dem Gummiknüppel und mit Tränengas verteidigte, behauptetendie Sreikendend a- Feld. Die FabrikSleitung mußte den Betrieb, der 800 Man» beschäftigte, stillegen. Außer-dem gelang e- den Streikenden einen der ihren,der von der Polizei sestgenommen worden war,gewaltsam wieder zu befreien.Der Vorsitzende de- von Roosevelt ernannten Schlichtung-au-schusse- hat bekanntgegeben,daß der An-schuß am Freitag in Washington seineTätigkeit beginnen werde.vor Herrenreiter am Ziel!Papens Urlaub verlängertDer Urlaub, den Herr von Papen sogleichnach Erteilung seine» Wiener Agrömrnt- angetreten hat, ist um sechs Wochen verlängert worden.Wiener Pressemeldungen zufolge wird, der Gesandte Hitler- nach Ablauf dc» Urlaub» nicht mehran seinen Posten zurückkehrcn, sondern der Politik fernbleiben. Derzeit hält sich Pap« im Westende» Reiche» auf, wo er Besitzungen hat und woer in halboffizieller Mission auf die Saar-Katholiken einwirken soll. Papen, der ja nicht nurJunker, sondern durch seine Frau auch Aktionärindustrieller Großunternehmen ist, hat auch private Kapitalsinteressen im Saargebiet.Die politische Laufbahn de» Herrenreiter»,die Laufbahn eine- der übelste» Intriganten, dieje Weltgeschichte gemacht haben, dürfte damit vorüber sein. Er war der Mann Hindenburg» undkonnte»« Lebzeiten de»..Generalfeldmarschall»nicht erledigt werden. Man begnügte sich am30. Juni, feine Sekretäre und Mitarbeiter abzn»knallen. Rach dem Tode Hindenburg» ließ manPapen, offensichllich, um ihn zu versöhnen, da»gefälschte Testament nach Hitler- Sommerptz bringen. Rach Wien soll Papen mit großen Soxgengegangen"sein, da er Goering- Mörder dauerndhinter sich fürchtete. Wenn der Mann, der Hitlerin den Sattel gehoben hat, jetzt in die Versenkungverschwindet, so ist da- ein verdiente- Ende seinerTaten. Leider haben durch seine MitschuldTausende ehrliche Menschen ein viel schlimmere-Ende gefunden.Pank vom FührerRach der Auflösung der österreichischenLegion, der Absetzung und Verhaftung der meist«österreichischen Agitatoren de» Dritte« Reiche- in jMünchen soll nun auch, wie Meldung« au»Deutschland besag«, der Leiter de» Juli-Putsche»,Dr. Wächter, in da» KonzentrationslagerDachau eingeliefert werd«, weil er angeblich zufrüh lo»geschlagen hat. Die zahlreich« über dieMitarbeit deutscher Stell« an dem Wiener Putschbekanntgewordenen Fakt« lassen aber mit Sicherheit«»nehmen, daß Berlin selbst den Termin de»Lo-schlagen- sehr genau kannte und daß ma>» bi»in die unmittelbare Umgebung de» Führer» überalle» informiert war, wa» an der Dona« geplantwurde.GDer zum Kanzler der Putschregierung auS-ersehene Dr. R i n t e l e n ist soweit gesundet, daßer mehrcremale verhört werden konnte. Auch derverhaftete Wiener Polizeidirektor Steinhäu-s e l und zwei weitere verhaftete Polizeioffizierewerden systematisch verhört. ES ist jedoch nochnicht sicher, ob ihr Prozeß mit jenem gegen Rin-telei» verbunden werden wird.Der in der Vorwoche verhaftete InnsbruckerPolizeidirektor Dr. Frankelin und Oberpoli«zeikommiffär Kapferer werden wegen nationalsozialistischer Betätigung vor daS Militärgericht gestellt, ebenso der protestantischePfarrer von Innsbruck Mahler.Begnadigung eines Polizistenzn lebenslänglichem KerkerDer Wiener Militärgericht-Hof hat Donnerstag nachmittags den 28jährigen Sicherheitswachebeamten Max Holzel wegen Hochverrates zumTode verurteilt. Hölzel war an dem Ueberfall aufdas Bundeskanzleramt beteiligt; er hatte den Zugang durch das zum Vallhausplatz führende Burgtor im Auftrage der Aufständischen abgesperrt undden diensttuenden Polizisten entwaffnet. Hölzelwar im wesentlichen geständig. Er gab auch zu,daß er nationalsozialistisch organisiert war unddaS System Dollfuß bekämpfen tvollte; nur dieEntwaffnung deS Polizisten bestritt er.Während bisher alle gegen Polizisten undeinen aktiven Wehrmann ausgesprochenen Todesurteile auch vollstreckt wurden, wurde Hölzel vomBundespräsidenten zu lebenslänglichem Kerkerbegnadigt; nach einer offiziellen Meldung war fürdie Begnadigung entscheidend, daß Hölzel nichtunmittelbar an den Vorgängen beteiligt war, diezur Ermordung Dollfuß' führten.JedesParteimitglied,jeder freieGewerkschafterträgt im September dasJublläumsabzeichen desATUSBraunauer Arbeitsloservon SA-Grenzwache angeschossenAn der reichsdcutschen Grenze in der Nähevon Braunau, auf tschechoslowakischem Gebiet,wurde der 32jährige beschäftigungslose ArbeiterGustav Just aus Brannan vorgestern von einerSA-Grcnzpatrouillc durch Schüsse lebensgefährlich verletzt. I u st, welcher nur durch einen glück»'lichen Zufall gefunden werden konnte, da unweitvom Orte der Tat arbeitende Menschen durch dieSchüsse aufmerksam gemacht wurden und ihrerUrsache nachgingen, hat einen Lungcnschnß erhalten. Er wurde im Brannaucr Krankenhaus sofort operiert und cS besteht Hoffnung, ihn amLeben zu erhalten. Bisher konnte er nur sovielangeben, daß er von zwei SA-Leuten ohne vorherigen Anruf und ohne Warnung beschossenwurde. Als er fiel, ließen ihn die.Angreifer liegen.Die Gendarmerie untersucht den Vorfall, dereine deutliche Illustration der Verhältnisse imGrenzgebiet ist.Nächtliche Haussuchungim Kaschauer kommunistischen Parteihaus.Kascha«, 6. September. Wie das Tschechoslowakische Prehbüro meldet, nahm die Staatspolizeiim Kaschauer kommunistischen Parteihaus nachtseine plötzliche Suche vor, wobei sie mehrere Personen bei einer geheimen Sitzung überraschte. Dabei wurde auch verfängliches Material beschlagnahmt. Ein Teil der Sitzungsteilnehmer wurde indie Haft der Polizeidirektion genommen. Bei derDurchsuchung der Lokalität lvurdc auch eine inschimpflicher Weise beiseite geworfene Staatsflagge gefunden.Der Verwalter des Hauses wurde deshalb,sofort in Haft genommen. Die Untersuchung wirdfortgesetzt.Hitler nimmt Parade ab.Nürnberg, 6. September. Nach Beendigungdes Appells des Arbeitsdienstes auf der Zeppelinwiese setzten sich die 52.000 Arbeitsdienstmännerzum Marsch in die Stadt in Bewegung. Mehr alszweieinnhalb Stunden lang zog Trupp auf Trupp,Abteilung auf Abteilung, Arbeitsgau nach Ar«beitSgau im Gleichschritt an Hitler vorüber.Flur 3000 von 70.000...Ueber die Vergeblichkeit des Bemühen» derDollfuß- und nun der Schilschnigg-Regierung, dieSozialisten Oesterreichs politisch oder auch nur aufkulturellen Gebieten gleichzuschalten, gibt folgendeWiener Meldung Auskunft: Zwei führende Mitglieder deS Alpenvereins„Bergfreunde"(der ehemalige sozialdemokratische Verein„Naturfreunde") wurden wegen illegalersozial,demokratischer Werbetätigkeitverhaftet. Sie» werden beschuldigt, unter den ehemaligen Mitgliedern des Vereines Propagandadafür gemacht zu haben, dem neugegründetenVerein der„Bergfreunde" nicht beizutreten.Bon den rund 70.000 Mitgliedern der„Naturfreunde" sind bisher nur 3000 dem Vereine„Bergfreunde" bcigetreten.Dm teusencuaiirlee ReichH Ob«rs NMk mmcim fahre hhlt...t MZuspitzung des KonfliktesIn SpanienMadrid, 6. September. Der Bürgermeisterder Stadt San Sebastian Ivurde wegen Beteiligung an der gesetzwidrigen Bewegung in denbaskischen Provinzen seines Amtes enthoben. Aufdiese Entscheidung antworteten alle Stadträt« mitder Drohung einer gemeinsamen Massen»demission. Der Innenminister teilte ihnenaber mit, daß ihre Demission eine gesetzliche Verfolgung nach sich ziehen würde.Staatsbesuch In ParisPari», 6. September. Der Besuch des jugo-slawischen König» Alexander in Pari» wurde fürden 5. Oktober festgesetzt. Der König wird sichfünf bi» sechs Tage in Paris aufhalten.Stalin In die Türkei?In Ankara verlautet, Ritz Stalin am 20.September offiziell die türkische Hauptstadt besuchen wird. Er wird sich in der Türkei ungefährzehn Tage aufhalten. Darauf soll der Präsidentder türkischen Republik Kemal Pascha diesen Besuch durch eine Reise nach Sowjetrußland erwidern.