Gerte 2
Sonntag, 4. November 1934
Nr. 259
Mörder vom Hakenkreuz Was sagt der Herr Gesandte Koch dazu?
Europa , das von Hitlerdeutschland mit allen| Schrecken eines Vernichtungskrieges bedroht wird. In der vordersten europäischen Front stehen heute Frankreich und die Tschechoslowakei . Sie sollen wissen, daß wir uns freiwillig, aus tiefster Uebrrzeugung und im Namen einer größeren, heute zum Schweigen verurteilten Zahl, zu ihnen und ihren Idealen bekennen. Sie müssen aber auch verstehen, daß es für sie ein Gewinn ist, den sie nicht unterschätzen dürfen, wenn wir, die letzten Sprecher des europäischen Deutschland , des antinazistischen deutschen Volkes, in ihre Front treten, nicht, weil wir das müßten, nicht mit Verklausulierungen und Ausreden, nicht zum Schein wie Henlein , nicht mit hinterhältigen Gedanken, sondern als überzeugte Sozialisten, als freiwillige Parteigänger der Demokratie, als gute Deutsche, die in diesem Staat ihre Heimat und den Hort ihrer Recht« sehen und verteidigen wollen, als Europäer, die sich ihrer Sendung bewußt sind. Daß man uns hört, daß man uns so versteht — das ist nicht nur für uns, das ist auch für Europa eine Schicksalsfrage!
Vor den Vanziger Wahlen Danzig. (A. P.) Der Wahlkampf ist bereits im vollen Gange. Sensationell ist, daß die als Partei seinerzeit aufgelösten Deutschnationalen wieder auf dem Plan erscheinen und sich mit dem Zentrum zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammenschließen, die eine gemeinsame christlich- nationale Wahlliste aufstellt. Der Wahlaufruf richtet sich offen und deutlich gegen den nationalsozialistischen Anspruch auf Alleinherrschaft und Totalität. Ebenso deutlich wird von dem hartbedrängten Staatswesen gesprochen und zur Wahl einer echten christlichen und deutschen Vertretung aufgefordert. Man sieht, daß die Opposition beabsichtigt, die Unzufrieden- heit über die Finanzpolitik der Regierung, über die Kirchenpolitik, die sich auch in Danzig auswirkte und auch über die Freundschaft mit Polen auszunutzen. Außerdem entfaltet die S o z i a l- demokratie eine lebhafte Agitation. Man darf auf das Ergebnis gespannt sein, denn hier haben wir noch vor der Saarabstimmung eine Kraftprobe zu gewärtigen, die unter Umständen ein Stimmungsbarometer sein kann.
Kirchenkonflikt und Aufrüstung Der deutsche Kirchenkonflikt muß, schreibt der„A-P", auch unter dem Gesichtspunkt der deutschen A u f r ü st u n g betrachtet werden. Schon Prof. Banse erklärte in seinem Buch „Wehrwissenschast", vom- wehrpsychologischen Standpunkt verchiene'ndr MfKktthe Unterstützung vonseften der Regierung'und Heeresleitung;die die nationale Haltung in Volk und Heer stärke. Der sterbende Krieger sterbe leichter, wenn er wisse, daß sein Blut für einen nationalen Gott verströme. So ist auch von feiten der„Deutschen Christen "' wiederholt erklärt worden, die Kirche sei friiher zu sehr eine Kirche des Friedens gewesen. Das Wort Frieden bedeute für die Kirche nicht den Gegensatz zum Krieg.„Frieden auf Erden" heiße nicht etwa„Nie wieder Krieg". Der Pazifismus sei unchristlich. Bischof Heckel erklärte sogar vor ausländischen Pressevertretern, die Not der Kirche rühre zum großen Teil vom Versailler Vertrag her, der den protestantischen Gemeinden mehr als 2000 Kirchen entrissen habe.
Aus Braunau schreibt man unS: Der Bezirksvertrauensmann unserer Partei in Braunau , Genosse R a m b a u s k e, erhielt dieser Tage nachstehenden Brief, aus dem wir nur jene Stellen weglassen, die auf den Schreiber, der dem Adressaten persönlich gut bekannt ist, gewisse Schlüsse zulassen. Sonst haben wir an dem erschütternden Dokument hunnendeutscher Rechtspflege weder etwas geändert, noch etwas hinzugefügt. Es soll durch seine Schlichtheit und durch die darin wiedergegebenen Tatsachen, die genau überprüft wurden und sich als richtig erwiesen haben, die Scheußlichkeiten des jetzigen deutschen Systems charakterisieren. Der Brief lautet wörtlich: Geschätzter Genosse Rambauskel schreibe ich Dir diesen Brief! Der Zweck ist, daß Du in Form einer offenen Anfrage in Eurer Presse an das Justizministerium Kerl, bzw. an die deutsche Gesandtschaft in Prag vor der Oefientlichkeit, die uns Arbeitern hier, wie Du weißt verschlossen ist, aufzeigst, wie sich die behördlichen Instanzen, die auf ihr Schild„Freiheit, Recht und Ehre" geschrieben haben, gegenüber den Mördern des, am 1. Juli d. I. ermordeten EwaldKöppel und den Vater von drei Kindern Genossen Reh aus Landeshut verhalten bzw. wie diese Mordtaten gesühnt werden sollen. Dieser Bericht ist wahrheitsgetreu, nichts hin- zugefügt oder übertrieben. Ich wünsche auch nicht, daß etwas aufgebauscht wird, da diese Vorfälle schon so nichts an Schrecklichkeit fehlen lassen. Zuerst zum Fall Ewald Köppel: Köppel war Mitglied und Funktionär der KPD und wurde als solcher in das Konzentrationslager gebracht. Er wurde dort 13 Monate zum„Volksgenossen" erzogen. Als er die Freiheit erhielt, mußte er eiden, über die Lagerverhältnisse zu schweigen. Er hat diesen Eid gehalten; nur Andeutungen ließ er dann und wann fallen. Am 1. Juli d. I. wurde Köppel auf der Straße vor dem Braunen Haus in Landeshut von SS -Männern verhaftet, in ein Auto verladen und in das. Landeshuter Gefängnis, Zelle Nr. 18 gebracht? Dieser Raum war vorher vollständig vom Mobilar geräumt worden; gar nichts befand sich in diesem Raum. Zirka zwei Stunden nach seiner Einlieferung gaben 8 SS -Leute dem Gefangenenwärter den Befehl, den Flur zu verlassen. Den Kalfafter haben sie nicht gesehen und so wurde er Zeuge eines entsetzlichen Dramas, das an brutaler Roheit toohl seinesgleichen sucht. Auf der Treppe entsicherte der 23jährige SS-Mann 1 Hartmann auoDittersbach bei Liebaü sem Mivehr,' tkftt m die Zellentür, öffnete sie und schrie in den Räum: „Was ist hier los?" Köppel antwortete:.Hier ist nichts!" Weiter kam er nicht, denn in diesem Moment schoß der SS-Mann Hartmann. Das Geschoß drang Köppel zum Unterkiefer hinein und trat am Hinterkopf heraus. Köppel fiel lautlos auf das Gesicht, er war tot. Montag begab sich Frau Köppel in das Gefängnis, um ihren Mann zu sprechen und ihm andere Kleidung zu bringen. Der Inspektor sagte ihr: „Sie können ihren Mann nicht sprechen, der sitzt in Einzelhaft. Gehen sie ins Braune Haus und I
holen sie sich dort beim Sturmführer Skerabis einen Erlaubnisschein!" Sturmführer Skerabis sagte der Frau auf ihre Bitte:„Was, sie^ind die Köppels? Sie können ihren Mann nicht mehr sprechen, den habe ich gestern erschießen lassen!" Vier Tage war die Leiche von der Polizei beschlagnahmt. Dann dursten sie die Angehörigen innerhalb drei Stunden beerdigen lassen. Gereinigt durfte die Leiche nicht werden, zum Grabe geleiten dursten sie nur die Mutter, Frau Köppel und zwei Angehörige. Das war der erste Teil des Dramas. Als Frau Grete Köppel nun Mordanzeige erstattete sperrte man die Mörder wohl sieben Tage ein, setzte sie dann aber wieder auf freien Fuß, je d e r bekam den Ehrendolch und Hartmann wurde zumGrenzbeamten befördert und tut bei Li^»en Grenzdienst. Die Kriminalbeamten, die diesen Fall bearbeiteten, wurden verhaftet und fitzen heute noch. Ein SS- Mann hat sich öffentlich geäußert, daß Köppel schon Monate vorher zum Erschießen bestimmt war. Drei Monate sind vorbei und noch immer schwebt kein Verfahren gegen die Mörder. Kein Rechtsanwalt vertritt Frau Köppel, die Staatsanwaltschaft fürchtet sich wohl ebenfalls. Run der Fall Reh. Derselbe wurde von SS - Leuten verhaftet, von den SS -Männern Oskar Bittner, Kudera und Rebel vor die Stadt in einen Wald geschafft und dort solange geschlagen, bis ihn die drei Mörder als tot liegen ließen. Am nächsten Tag um 9 Uhr früh hat ihn ein Lehrer mü den Kindern lebend gefunden, in das Krankenhaus schaffen lassen, wo Reh zwei Stunden später an den grausigen Verletzungen zugrunde ging. Auch hier wird alles totgeschwiegen. Beide, Köppel und Reh, liegen am Kommunalftiedhof in Landeshut . Grab Nr. 57 ist Köppel, Nr. 58, ist Reh. Das ist eine Schilderung, welche mich das Leben kostet, wenn Du meinen Namen nennst. Drüben sind Spitzel, man ist hier über vieles informiert, was bei Euch vorgeht. Nichts ist ein Leben hier wert. Du kennst mich auch. Ich fürchte mich nicht vor dem Sterben, denn ich werd« wahrscheinlich ebenfalls früher oder später erledigt. Aber erst will ich noch arbeiten. Ich bin Köppels als Freund schuldig, was ich hier schrieb. Besten Gruß Soweit 5fr Brief-der an Deutlichkeit wahr«' lich nichts zu wünschen übrig läßt. Was sagt der preußische Ministerpräsident Kerl zu seinen famosen Landeshuter Justizorganen, die die Mörder belohnen und die andern, die sie verhaften wollten, auf Nummer Sicher setzten? Was sagen schließlich die hierländischen Nazi zu einer solchen wunderbaren Rechtspraxis? R e h ist tschechoslowaki- scher Staatsbürger gewesen! Nach unserem Dafürhalten wäre es auch Sache der tschechoflowaki- schen Konsulatsbehörden in Breslau hier Nachforschungen anzustellen und auch offiziell mit der Sprache herauszurücken.
Balkan-Entente glaubt an den Frieden Ankara . Der Rat der Balkan-Entente hat Freitag abends nach Beendigung seiner Beratungen einen offiziellen Bericht veröffentlicht, worin er u. a. feststellt: Beim Studium der allgemeinen Politik gelangte dar Rat der Balkan-Entente zu dem Schluß, daß der Friede am Balkan nicht bedroht werden wird. Sollte dieser Friede aber bedroht werden, würde die Balkan-Entente durch gemeinsame Aktion mit den übrigen friedliebenden Faktoren ihren Einfluß auf die Beherrschung der Lage nicht verlieren. Der Rai nahm die dauernde Entwicklung der Beziehungen zwischen den Balkanstaaten, die Mitglieder der Entente sind, und denjenigen, die nicht Mitglieder der Entente sind(Bulgarien !), zur Kenntnis. Es wurde beschlossen, bei der Lösung der dic Ballanstaaten interessierenden Fragen so vorzugehen, daß alle zufriedengestellt werden. Der Rat hat zwei Statute ausgearbeitet: ein organisatorisches und ein wirtschaftliches, und hat weiters den Austausch von Informationen gesichert. Der Rat ernannte weiters die eine Kommission, deren Aufgabe es sein wird, einige gesetzliche Bestimmungen in Einklang zu bringen und zu unifizieren. Die nächste Konferenz soll in Bukarest im Mai 1935 stattfinden. Ein Mitschuldiger von Marseiile im Saargebiet? Paris ,(Havas.) Die Behörden im Saargebiet verhafteten einen Ungarn namens Erwin Eosch er(?),.dem es aber kurz darauf gelang, aus der Haft zu entfliehen. Es wurde festgestellt, daß er einen falschen Reisepaß hat, daß er sich seit fünf Wochen in Frankreich aufhielt und daß er am 9. Oktober, dem Tage des Attentates auf König Alexander, in Marseille war.
Vie ungarischen Terroristenlager wurden nicht aufgelöst Paris . Der Sonderkorrespondent des.Paris Soir" setzt seine Berichterstattung über den Aufenthalt der kroatischen Terroristen an der unga- risch-jugoflawischen Grenze fort. Im heutigen Artikel behauptet er, daß die kroatischen Emigranten, welche Mitglieder der Organisation „Ustascha " find, sich noch immer in vier verlassenen Gehöften, und zwar Surda Puszta, Bazi Puszta, Anna Puszta und Busa Buszta sowie im Schlosse Lagsnac verbergen. Aus Oeutschland ausgebürgert 28 Emigranten, darunter Leonhard Frank und Otto Strasser Berlin . Weitere 28 deutsche Emigranten wurden der deutschen Staatsangehörigkeit für verlustig erklärt. Unter den Ausgebürgerten sind Leonhard Frank , der sich jetzt in Prag aufhält, Helmut Herzfeld '(John Hearthfield), Wie land Herzfelde , Inhaber des Prager Malik- Berlages, Klaus Mann , der Sohn Thomas Manns , Balder Olden , Erwin Piscator , .der berüchtigte Regisseur", und der in Prag lebende Dr. Otto Strass e r, der Bruder des am 30. Juni ermordeten Gregor Strasser .
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Er kennt nun die ganze Stadt und die Gemeinden ringsum,. kennt viele Menschen und manche Familien durch mehrere Generationen und in allen Verzweigungen und der geisttge und moralische Zustand dieses Komplexes von Landleuten und Kleinbürgern bedrückt ihn schwer; schtverer allerdings noch das Niveau der söge-, nannten Jntelligenzkreise, der Juristen und Aerzte und vor allen anderen dieser Journalisten. Was dem Soziologen schon längst vertraut war: die innige Wechselbeziehung zwischen den politi- schen und weiteren sozialen Verhältnissen, das erlebt er hier in seiner ganzen konkreten» niederdrückenden und furchtbaren Wirklichkeit. Verlauf und Ergebnisse seiner Arbeit legt er in mehreren Abhandlungen nieder, die im „Eas" und in der Wiener „Zeit", in„Ras Doba" und im„Berliner Tageblatt" erscheinen. Vorerst bekommen die Polnaer Gerichtsärzte Bescheid. Ihre Antwort bestätigte dem Krittker das Bild, das er sich als Laie von ihrer Sachkenntnis gemacht hatte. Exakt weist er ihnen nun nach, daß ihre Tatbestandsbeschreibungen und ? agen, die übrigens jetzt anders lauten als in Obduktionsprotokoll, ungenau, widersprüchlich und unhaltbar sind. Gegen den jungtschechischen Abgeordneten, der im Parlament den Richter Baudysch und Dr. Bulova denunziert hat, nimmt er die Beleidigten in Schutz. Die Handlungsweise des Untersuchungsrichters war pflichtgemäß und korrekt. Die weitere gerichtliche Untersuchung des fraglichen Schnittes an dem Hemd ergab unzweifelhaft, daß er in der Tat mtt einer Schere.vorgenommen worden ist. Und weil das I
gegen die Theorien der Herren und für seine, des Verfassers, Annahme spricht, daß der Mord sich nicht im Walde ereignet hat, greifen sie zu so ordinären Bernaderungen. Punkt für Punkt widerlegt und in die Enge getrieben, versuchen es die Polnaer Aerzte nochmals mit einer Erwiderung. Die Polemik, zu welcher sie einem gewandten Journalisten das Material liefern, verschlechtert nur ihre Positton. „Ein Beispiel anatomischer Philologie" nennt Masaryk die Abfertigung, in der er ihre Terminologie analysiert. Er entschuldigt sich bei den Lesern, daß er sie mit solchen Details unterhalte— ,,allein der Ritualaberglaube läßt sich nicht mit allgemeinen kulturgeschichtlichen Erörterungen aus der Welt schaffen, er muß derart an einem konkreten Fall in seiner Nichtigkeit erwiesen werden. Das sieht doch schon jeder: eine richtige Obduktton und sachgemäße Beschreibung der Leiche hätte den Aberglauben gar nicht aufkommen lassen!" Und er weist den beeideten Sachverständigen„eine geradezu unglaubliche Unwissenheit und anatomische Schlamperei" nach, stellt ihre unerlaubten und bewußten Unwahrheiten fest, kennzeichnet die kleinlichen Ausreden, mit denen sie sich aus der Klemme heraushelfen wollen, und zieht das Fazit ihrer „philologischen, national-radikal-christlich-katholischen Anatomie": Irrtümer und Fälschungen. Und was hat es mit der angeblichen totalen Ausblutung auf sich?. Einundeinhalbes Kilogramm Blut hat man bei der Leiche vorgefunden— eine Autorität der gerichtlichen Medizin schätzt die Menge des gesamten Blutausflusses nicht viel höher. Die Ritualmörder, die nach Dr. Baxa das Blut kunstgerecht aufgefangen haben, mußten also mit der leeren Schüssel nach Hause gehen... Oder waren es vielleicht Anfänger, Ritualmordlehrbuben?... Uebrigens geht aus der einschlägigen Literatur und aus praktischen Erfahrungen an Tieren hervor, daß die Verblutung, zumal unter der Wirkung der vorangegangenen Strangulation und der Betäubung, keineswegs so rasch, so kräftig und so vollständig erfolgen konnte, wie
einer gewissen Pietät als in der Absicht, sie zv verstecken. In neun schwerwiegenden Argumenten faßt der Autor seinen Beweis zusammen. Die neue Untersuchung wird hier einsetzen, neue Zeugen beschaffen und zum Reden bringen müssen— bei dem antisemitischen Terror in Polna und Wjesnitschka allerdings keine leichte Aufgabe. „Zur psychologischen Motivatton" eröffnet Masaryk , ausgehend von seiner stringenten Widerlegung der Ritualmordhypothese, aufschlußreich« Gesichtspunkte. Die erste sich aufdrängende Erklä- rung, der Lustmord, widerspricht der Annahme mehrerer Täter. Unzuverlässig, wie das Obduk- ttonsprotokoll ist, wäre die Möglichkeit eines Sitt- lichkeitsverbrechens trotz dem anders lautendes Gutachten gegeben. Darauf weist auch der Mord an Marie Klima aus Oberwjesnitz hin, der von antisemitischer Seite schon mehrfach als Ritualmord bezeichnet und mtt Hilsner und seinen geheimen Sektenbrüdern in Zusammenhang gebracht wurde. Wenn wber in kurzer Zeit an einem Ort« zwei Morde und mehrere Sittlichkeitsattentate geschehen, paßt der Rituabnord nicht in dieses Bild. Aus der„artigen Galerie" der mtt der Tat in Verbindung gebrachten Personen greift der Auwr zuerst Leopold Hilsner heraus. Ist dieser Taugenichts ein Verbrecher? Vorerst ist solche Existenz symptomatik-^ für die ungesunden sozialen und sittlichen Zustände. Entschieden verwahrt sich der Verfasser gegen die„gemeine Finte der anti- semitischen Presse", ihm Interesse oder gar Sympathie für Hilsner anzudichten. In ihrer Un- redlichkett verwertet sie dergeftall die allgemeine berechtigte Antipathie gegen Hilsner; und in ihrer Unbildung stellt sie ihn als typischen Juden, die Hruzas aber als typische Christen hin. Dieser konstruierte Gegensatz, dazu die Sympathie mit dem Unglück einer alten Mutter und jene Hbchstim- mung der erregten Gemüter erhöhen die HruzaS zu Jdealmenschen, wie ja auch die klerikale Agi-
Aerzte und Ankläger dies annahmen. Alle von den Mördern mit dem Leichnam vorgenommenen Ma- nipulationen mutzten außerdem das erwünschte sofortige Ausfließen des Blutes verhindern— was wiederum der Rttualtheorie widerspricht. Es erhebt sich vielmehr die Frage, ob nicht vielleicht eine Ritualmordsimulierung vorliege. Selbst der dümmste Verbrecher wird die Spur seiner Untat verwischen, nicht aber die Leiche mit dem verräterischen Schnttt geradezu zur Schau stellen. Er würde den Schnitt unkenntlich machen, den Leichnam vergraben oder wenigstens verstümmeln, sicherlich aber die Kennzeichen der für sein ganzes Volk so gefährlichen Tat verbergen. Daher„sind Leichen mit dem Ritualmordmerkmal immer verdächtig und sprechen immer für die Niedertracht eines nichtjüdischen Individuums". In einer Abhandlung über»Ort und Zeit des Polnaer Verbrechens" will Masaryk den schlüssigen Beweis erbringen, daß die Tat nicht zur angenommenen Zeit und nicht an dem Fundort geschehen ist. Am Donnerstag, den 30. März, hat es so stark und anhaltend geregnet, daß die Leiche, wäre sie wirllich seit dem Mittwoch im Walde gelegen, ein ganz anderes Aussehen erhalten hätte. Vermutlich ist sie erst in der Nacht auf den Freitag— es war Vollmond an den Fundort gebracht worden. Dazu stimmt es auch, daß man am Frettag Spuren frischen Blutes auf dem Wege bemerkt hat. Und wer würde einen vorsätzlichen Mord an einem Platz verüben, der von Vorübergehenden und von den Leuten auf den Feldern so leicht zu entdecken war? Hätte das kräfttge Mädchen nicht geschrien, nicht versucht, sich zu wehren, zu entkommen und dadurch die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, hätten die Mörder, die angeblich so umsichttg vergingen, nicht wenigstens däinit rechnen müssen? Weder die Leiche noch der Erdboden zeigten Merkmale des Ueberfalls oder einer Gegenwehr. Wer diese Fundstelle gewählt hat, wollte den Verdacht auf