Nr. 293. Samstag, 15. Dezember 1934
„Sozialdemokrat"
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Die gewerkschaftliche Einheit in Frankreich In bezug auf die am 9. Oktober in Frank reich eingeleiteten Einheitsverhandlungen zwischen der freigewerkschastlichen(CGT) und der kommunistischen Landeszentrale(CGTU) ist zu melden, daß seitens der CGTU am 16. November bei der CGT ein neues Schreiben einging, in dem vorgeschlagen wird,„sofort bei der Wiederaufnahme der Verhandlungen die Möglichkeit des gemeinsamen Auftretens der Exekutiven der CGT und der CGTU bis zum nationalen Fu- sionskongreß ins Auge zu fassen". Die CGT hat darauf in einem einstimmig vorn Verwaltungsrat angenommenen Schreiben geantwortet, daß dieser Vorschlag„unannehmbar sei, da er zu
-en von der CGT gemachten Vorschlägen(auf die die CGTU immer noch nicht geantwortet hat, R.) in absolutem Gegensatz stehe". Die letztgenannten Vorschläge sehen— heute wie gestern— die Wiederherstellung, der Einheit von unten nach oben vor, d. h. den organischen Zusammenschlüß en den regulären Gewerkschaften. Dies um so mehr, als, wie es in dem Schreiben der CGT heißt,„bei dieser Methode den Mitgliedern beider Landeszentralen in bezug auf ihre Rechte und die Abhaltung des Kongresses, der die Verwaltungsorgane ernennen und die wahre Zusammenarbeit aller herbeiführen soll, alle wünschenswerten Garantien gegeben find." Im übrigen ist die CGT auch heute noch bereit, die Einzelheiten ihrer Vorschläge zu diskutieren:„Auch heute noch hängt.die schnelle Verwirklichung der Einheit Volk einem Beschluß der CGTU ab. Sie hat auf die immer noch offenstehende Frage zu antworten!"
Bluttges Ende einer zerrütteten Ehe Lackierergehilfe und Profefforstochter— Die zwei Ehen eines verzärtetten Bürgerkindes— Tödlicher Liebeshaß
Prag . Die Serie der Mordprozesse, die in der gegenwärtigen Schwurgerichtsperiode zur Verhand- üing stehen, fand Freitag ihre Fortsetzung. Angeklagt war der 28jährige Lackierergehilfe Stanislav Minovskh aus Bub en e"L des G at t e n m o r- d e s. Den Vorsitz der Verhandlung führte OGR. M a r e c e k, die Anklage vertrat Staatsanwalt Dr. Kabrl«. Die Bluttat,.welche den Anlaß zu dieser Verhandlung gäb, bedeutet den tragischen Abschluß einer zerrütteten Ehe. Der Angeklagte verheiratete sich am 28. Juli 1832 mit der Medizinstudentin Alice D o h n a l, der Tochter eines Mittelschulprofeffors. Die Ehe war von Anfang an unglücklich, woran wohl beide Ehegatten gleicherweise Schuld trugen. Alice Dohnal war ein« Schönheit, gleichzeitig das verzärtelte und verzogene einzige Kind ihrer Eltern. Sie war bereits einmal verheiratet gewesen, aber diese ihre erste Eh« scheiterte bereits nach drei Monaten. Pi« hatte«inen Beamten geheiratet, dem ihre Eltern mit einer stattlichen Mitgift ein Geschäft einrichteten. Der Schwiegersohn kümmerte sich aber überhaupt nicht um das Geschäft, sondern brachte die Mitgift in kürzester Zeit durch, woraus es zur Ehetrennung kam. Von dem weiteren Privatleben der unglücklichen Frau ist wenig bekannt, da sie sich auch ihren Eltern gegenüber nicht näher über ihre Angelegenheiten zu äußern pflegt«. Sicher ist, daß sie mit dem Angeklagten in intim« Beziehungen trat, von ihm schwanger wurde und sich schließlich mit ihm verheiratete. Der Angeklagte behauptet, sie habe bereits mehrere Abtreibungen hinter sich gehabt und er habe sie hauptsächlich deshalb geheiratet, um einer neuerlichen Abtreibung vorzu- beugen. Der angeklagte Miüovskh hatte seinerzeit kurz vor Eingehung der Ehe mit der Alice Dohnal eben erst einen Baterschastsprozeß hinter sich, der mit seiner Verurteilung zur Alimentenzahlung endete und nahm es auch weiterhin mit der ehelichen Treue keineswegs genau. Zu seiner Frau war er außerordentlich grob, wie die Ohrfeige am Hochzeitstag beweist, di« er seiner Frau versetzte, weil sie sich ein« Zigarette angezündet hatte. Das Ehelehen gestaltete. sich weiterhin je länger desto unerträglicher. Der Ehegatte gab seiner Frau kein Wirtschaftsgeld behandelte sie brutal, trieb sich in Nachtlokalen herum und vernachlässigte sie mehr und mehr. Schließlich kam es am 21. März d. I. zur«inverständlichen Scheidung der volllommen zerrütteten Ehe, obwohl inzwischen ein Junge zur Welt gekommen war, der den Namen R e n e erhielt und der gerade an dem Tag, an welchem sein Vater wegen Ermordung der Mutter gerichtet wird, sein zweites Lebensjahr vollendet. Rach durchgeführter Scheidung zeigte sich aber wieder di« merkwürdige, aber in solchen Fällen nicht seltene Erscheinung, daß der Gatte, der während deS Zusammenlebens seiner Fra « das Lebe« schwer gemacht hatte» sie nicht entbehren konnte, alS er vom ihr getrennt war. Man spricht in solchen Fällen von.^Liebeshaß". r Er besuchte sie immer häufiger und versuchte sie zur Rückkehr zu bewegen, wobei er nicht mit Drohungen sparte. Am Abend des 23. April d. I.(dem Vorabend deS Mordtages) kam eS wieder zu ihr in die Wohnung ihrer Mutter in Karolinenchal, bei der sie seit ihrer Scheidung wohnte. Auch an diesem Abend versuchte er seine frühere Frau durch Bitten und Drohungen zu bewegen, zu ihm zurückzukehren, wobei er sich u. a. äußerte:„Ich bringe dich um— du wirst sehen. Spiele nicht mit mirl
Uni 9 Uhr abends verließ er die Wohnung der Frau, kehrte aber mitten in der Rächt zurück, erzwang sich durch Strinwürfe gegen die Fruster und Drohungen Eintritt und blieb bis gegen 3 Uhr früh, zu welcher Zeit er sich wieder entfernte, nachdem er die ganze Zett s«iner gewesenen Frau zugesetzt hatte. Am nächsten Vormittag des 27. April wartete er, mit einem Revolver in der Tasche, den er übrigens seit einem Moyat ständig bei sich trug, vordem Hause seiner Frau und stellte sie, als sie vom Einkauf zu- rückkehrte. Sie gingen miteinander die Treppen hinauf. Auf dem ersten Sttegenabsatz hatten sie eine kurze Unterredung, in deren Verlauf der Angeklagte plötzlich de» Revolver zog und seine Frau durch«inen gezielten Schuß in dir linke Brust«iederstrrcktr. Die Getroffene, die etwa noch Zeit gehabt hatte, den Angstschrei„Maminko... l(„Mütterchen") auszustoßen, war augenblicklich tot. Die Obduktion ergab einen absolut und sofort tödlichen Lungen- und Herzdurchschuß. Darauf verletzte sich der Angeklagte selbst durch einen ungefährlichen Schuß in die Schulter. Minovfly hat zuerst bei der polizeilichen Vernehmung zugegeben, sich durch drei Wochen mit' Mordplänen getragen zu haben, weshalb er sich auch den Revolver von einem Bekannten aussieh. Bei der gerichtlichen Einvernahme stellte der Angeklagte sein« Tat dagegen als reines Affektverbrechen hin, wobei er sich auf einen sonderbaren Pakt mit seiner geschiedene« Fra « berief, mit der er angeblich nach der, Scheidung ausgemacht hat, daß sie noch durch einen Monat miteinander ins Hotel gehenwür- d e n. Am kritischen Tage habe er seine Frau an diese Vereinbarung erinnert,,sie habe ihn aber höhnisch ab- gewjesen. Darauf sei er in hohe Erregung geraten und habe, ohne recht zu wissen, was er tue, den tödlichen Schuß abgefeuert. Di« Verhandlung, zu der 17 Zeugen geladen waren, dauerte bis gegen 9 Uhr abends. Die Geschworenen bejahtendieHaupt- s ch uldfrage mit neu» Stimmen, worauf der Gerichtshof nach gemeinsamer Beratung mit den Geschworenen den Angeklagten zu zwanzig Jahren schwere« und verschärften Kerkers verurteilte. rb.
Mitteilungen an» dem Publikum. Wen« das Quecksilber sinkt...., wenn's immer kälter und kälter wird, dann stellen sich auch Schnupfen, Grippe, Rheumatismus und all diese Erscheinungen der rauhen Jahreszeit ein.— Fort mit ihnen. Sin gestählter Körper kann ihnen leicht widerstehen und regelmäßige Einreibungen mit dem Franzbranntwein Alpa stählen den Körper wie nur etwas. Fragen Sie Ihren Arzt!■ 100
Die Böhmische Sparkasse in Prag , gegenüber dem Nationaltheater, welche seit Jahrzehnten durch ihre hervorragenden Wphltätigkettsaktionen bestens bekannt ist, schenkt auch Heuer jedem im Jahre 1934 in Groß-Prag oder im Gerichtsbezirk ihrer Filialen geborenem Kinde, ein auf den Namen des Kindes lautendes Sparkaffabüchel, mit einer Stammeinlage von Kö 25.---. Wir bitten alle Leser, die in den Geschäftsstellen der Böhmischen Sparkasse diesbezüglich ausgehängten Kundmachungen zu beachte».[ Ebenso verweisen wir auf das heutige Inserat. 276ö
Prager Zeitung Eröffnung der automatischen Rebeuzentrale tu Libo«. Mittwoch, den 19. Dezember 1934, wird die manuelle Telephonnebenzentrale in Liboc(Postamt Prag 54) in eine automatische Zentrale umgewandelt werden. Bon diesem Tag« an sind daher di« Teilnehmer dieser Zentrale und diejenigen Teilnehmer des Prager Telephonnetzes, bei deren Nummern in dem TelephonverzeichNiffe für das Jahr 1934 sich di« Bemerkung„Po automatisaei v u Liboc..." befindet, mit den"neuen bei dieser Bemerkung angeführten oder in dem Teilnehmerverzeichnisse deS Ortsnetzes Prag auf Seite 593 publizierten Nummern zu rufen. Die Klarsche Blindenanstalt veranstaltet eine Weihnachtsbescherung für ihre Zögling« im Festsaal der Anstalt in Prag III., Na Klarovi 181, am Mittwoch, den 19. d. M., um 18 Uhr. Me Freund« der Minden und Gönner der Anstalt sind eingeladen. Wer sich mit der Absicht trägt, an der Feier teilzunehmen, bisher jedoch keine Einladung erhalten hat, möge freundlichst beim Portter der Anstalt ein« Gratiskarte beheben. Ei» Zither-Konzert veranstaltet der l. Zither- klub in Holesovice im Restaurant„u Bitku". Simaö- kova, gegenüber der deutschen Schule, am SamStag, den 15. Dezember. Freunde des Zitherspielens sind eingeladen.
Vorträge Der Raffen-Wahn Im Rahmen der Vortragsreihe unseres Brl- dungsausschuffes sprach Donnerstag Genosse Dr. Emil F r a n z« l über den.Ftassenwah n". In einem zweistündigen Referat, das dialektisch und inhaltlich vorbildlich war, zeigte er die soziale« Hiu- tergründe jenes Rassismus auf, der auS dem Rassischen einen primitiven Propagandaschlager macht. Darüber hinaus gab der Redner eine durchdachte Definition d«S wissenschaftlichen Begriffs Raffe und bewies deffen Wandelbarkeit. Das Bürgertum der Konjunktur kannte keinen Rassismus, das Bürgertum der Krise hingegen fand, als ideologische» Schutzdamm gegen die revolutionären Thesen deS Klaffenkampfes, die Formel des Raffenkampfes. Man„zivilisierte" die Wilden und Neger und verband mit dem Terror des Kolonial» Imperialismus das Rasse-Schlagwort vom„höherwertigen weißen Herrenmenschen". Gewiß gibt es rassische Eigenschaften verschiedener Gruppen, aber diese rassische Ursubstanz ist wandelbar, der Lehensraum übt einen entscheidenden Einfluß auf rassisch« Eigenschaften aus. In Variierung d«S bekannten Satzes von Otto Bauer , daß der Nationalcharakter die versteinerte Geschichte eines Volkes sei, nannte FraUzel die Raffe die versteinerte Borgeschichte der Menschheit. Raffe ist ein sekundäres Phänomen; primär wurden Lebensraum, zivilisatorisches Milieu und materielle Einflüffe. ES gibt Weiße, die in den Tropen völlig vernegern,«S gibt Neger, die im euro päischen Milieu die Affimilation bis zum Aufgehen im Europäischen zuspitzen. Jede Uebersteigerung des Rassischen führt zur Unlogik, zur Inkonsequenz und zum Lächerlichen. Wenn man im heutigen Deutsch land die„nichtnordische" Physiognomie Beethovens damit„entschuldige", daß er, gerade weil ihm alle nordischen äußeren Merkmale fehlten, eine desto ausgeprägtere nordische Seele gehabt habe, so führt das zu der spaßigen Konsequenz, daß di« Juden, weil sie am weitesten vom äußerlichen Typ deS nordischen Menschen entfernt find, die Gralshüter dir nordischen Seele sein müssen. Der Schlußteil des Vortrages war speziell dem jüdischen Problem gewidmet. Franzel vermied jede Schlagwort-Schablone, in gründlicher Analyse legte er die Wurzeln der jüdischen Frage bloß, von den historischen Voraussetzungen ausgehend, ohne die dieses Thema niemals kll»r gesehen werden kann. AuS dem jüdischen Eingott-Ritual entwickelte sich jene Isolierung des Judentums, die die Keimzelle aller Konflikte und Reibungen durch die Jahrtausende war. Sogenannte spezifisch„jüdische Eigenschaften", durch die Bedingungen der Urheimat und später deS Ghetto entwickät, waren keine rassische« Merkmale, sondern entsprangen nur der Unfähigkeit der Juden, sich zu assimilieren. Das Ghetto bildete wie bei allen Minderheitsvölkern, gute und schlecht« jüdische Eigenschaften heraus. Gewiß sei, daß eist großer Tell des jüdischen Volkes prädestiniert dazu ist, Träger einer kapitalistisch-händlerischen Moral zu sei», sicher ist aber auch, daß viel« Juden leidenschaftliche Verfechter des sozialistischen Getechtigkeits« gedankenS waren und sind. Di« Lösung des jüdischen Problems, die eine Frage des soziologischen UmbanS ist, wird nur in einer sozialistischen Gesellschaft möglich sein. Pierre.
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