Nr. 130
Dienstag, 4. Juni 1935
15. Jahrgang
Brnfenfe 70 Helfer (•Inxhli.Slieh 5 Haller Fort»)
IENTRALORGAN DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH. Redaktion und Verwaltung frag xii„fochova a. Telefon non. HERAUSGEBERi SIEGFRIED TAUB. CHEFREDAKTEURi WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEURi DR. EMIL STRAUSS, PRAG .
Russenkredit perfekt Garantierte Anleihe von 250 Millionen auf 5 Jahre
Prag . Tie in letzter Zeit zwischen der Gesandtschaft und der Handelsvertretung der Sowjet-Union in Prag und dem Konsortium der tschechoslowakischen Banken unter- Teilnahme des Finanzministeriums und des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten betreffend die Obligationsanleihe für die Sowjet-Union geführten Verhandlungen wurden am Montag abgeschlossen. Bon dem Handelsvertreter der Sowjet- Union F. F. Kilevitz und von dem Konsortium der tschechoslowakischen Banken unter Führung des Oberdirektors Dr. Preiß wurde ein Kreditvertrag unterzeichnet, demzufolge die Sowjet union eine bprozcntige. von der Regierung der Tschechoslowakischen Republik garantierte Obligationsanleihe in der Höhe von 250 Millionen KL für die Dauer von fünf Jahren emittiert. Diese Anleihe wird zur Bezahlung der Bestellungen verwendet werden, welche die Sowjethandelsvrrtre- tung an tschechoslowakische Lieferanten vergeben wird.
Der Abschluß dieses Kreditvertrages gemeinsam mit dem kürzlich unterzeichneten Handelsvertrag bedeutet eine weitere Festigung der Wirtschaftsverbindungen zwischen der Sowjetunion und der Tschechoslowakei und wird einen weiteren Schritt in der Friedenspolitik bilden, die die Regierungen der beiden Lander mit dem größten Bemühen verfolgen und die fich durch den Ab-, schluß einer ganzen Reihe von Pakten, insbesondere drS Paktes betreffend gegenseitige Hilfeleistung, kuudgrgebm hat.
Schwere Zwischenfälle an der Grenze von Abenlnlen und Eriträa
Rom. Die italienische Regierung hat rin Kommmligut ausgegeben» in dem es heißt: Im Gebiete von Dansalien, an der eriträisch-abrffi- nischen Grenze, unternahmen am 31. Mai be
Kabinett gebildet
Heute Eidesleistung Prag . Montag nachmittag wurde amtlich gemeldet:„Der Präsident der Republik hat die Liste der Mitglieder der neuen Regierung gemäß dem Verschlage des Vorsitzenden der Regierung Malhpetr genehmigt und wird am Dienstag nachmittag von den Mitgliedern der neuen Regierung den vorgeschriebenen Eid entgegennehmen." Die offizielle Ministerliste soll erst am Dienstag veröffentlicht werden. Rach privaten Znformattonen der„Prager Presse" wird sie folgendermaßen lauten: Ministerpräsident: Malhpetr Aeußeres: Dr. Benes Finanzen: Dr. T r a p l Nationalverteidigung: F. M a ch n i r Inneres: Dr. Cernh Eisenbahnen: R. B e ch h n 8 Landwirtschaft: Dr. Hodja Schulen: Prof. Dr. Sk r 8 m ä k Handel: I. V. Najman Arbeiten: Zug. Dostälek Justiz: Dr. D 8 r e r Post: Dr. Franke Gesundheit: Dr. C z e ch Unifizierung: Msgr. Dr. S r ä m e k Fürsorge: Ing. N e c a s Minister ohne Portefeuille: Prof. Dr. Spina.
Lampersberser gerettet! Prag.(Amtlich.) Der Konflikt, der zwischen der TschechostowaKei und Deutschland wegen des bekannten Zwischenfalles in Eisenstein entstanden ist, wurde nach längeren Verhandlungen liquidiert. Der damals verhaftete deutsche Emigrant Zosef Lampersberger wurde Montag den tschechoflowakische« Behörde» übergeben.
waffnete Abessinier einen Angriff auf einheimische Gendarmen, wobei 30 Einheimische erschlagen wurden. Am gleichen Tage war italienisches Militär in der Stadt Mustahila in Italienisch-Somaliland gezwungen, einen Angriff von bewaffneten Abessiniern abzuschlagen, die versuchten die italienische Grenzlinie z« überschreiten. Dabei wurde eine Anzahl Angreifer getötet. Auch die anderen Kolonialmächte rühren sich Addis Abeba . Wie verlautet, ist die fran zösische Garnison von Dschibuti in letzter Woche erheblich verstärkt worden. Nach einer amerikanischen Meldung soll die englische Negierung beabsichtigen, 20.000 indische Schützen nach Berbera zu verschicken.
Kiddentrop In london Fühlungnahme in der Flottenfrage London . Die deutsche Delegation mit von Ribbentrop an der Spitze ist Sonntag abends in London zu den Halboffiziellen deutsch -englischen Marineberatungen, die Dienstag beginnen sollen, eingetroffen. * Paris . Die politische Oeffentlichkeit Frank reichs und die Presse widmen den englisch -deut schen Flottenverhandlungen ihre Aufmerksamkeit und verhehlen in der Mehrzahl nicht ihre offene Enttäuschung über das Vorgehen der britischen Regierung. In Paris ist man der Ansicht, dass dieses gesonderte Vorgehen hauptsächlich auf Druck der britischen Admiralität nach der Erklärung Hitlers erfolgt ist, demzufolge sich Deutschland mit einer Flottenstärke begnügen will, die 35 Prozent der britischen Seestärke entspricht. Die britische Admiralität will genaue Kenntnis darüber erhalten, welches Schiffstypcn und Kaliber Deutschland zu bauen gedenkt.
Donnerstag, den 16. Mai, mittags 12 Uhr 30 verliess der 31jährige Emigrant Richard Proft sein Wohnkollektiv' in einem Vorort Prags , um einige kleine Besorgungen zu machen. Seinen Wohnungsgenossen sagte er, er wolle spätestens in einer Stunde zum Mittagessen zurück sein. Tatsächlich hatte er nur die zerrissenen Schuhe an, die er zu Hause zu tragen pflegte, und emen Rock übergeworfen, so dass er für einen weiteren Gang gar nicht ausgerüstet war. Seit dieser Feit blieb Prost verschwunden. Am 27. Mai traf bei seinen Wohnungsgenossen ein Brief von der Mntter des Verschwundenen ein, die in Sachsen wohnt. In diesem Brief bittet sie um die Uebersendung der Kleidungsstücke ihres Sohnes und gibt als Begründung an» er habe sich am 18. Mai in Reusalza der deutschen Polizei „gestellt"! Die Echtheit des Briefes konnte nicht überprüft werden, aber die Tatsache, dass er an einen Bekannten ihres Sohnes geschrieben war, dessen Namen die Mutter bisher nachweislich nicht gekannt haben konnte, und der Umstand, dass er an eine neue Wohnungsadresse gerichtet war,die erst seit dem 16.Mai, dem Tag des Verschwindens ihres Sohnes also, Gültigkeit hätte, beweisen jedenfalls, dass Proft sich in den Händen der Gestapo befindet, denn sonst hätten diese Fakten nicht bekannt werden können. Es ist anzunehmen, dass die Mutter unter dem Druck der Gestapo den Brief schreiben musste, damit diese von dem Verdacht einer Entführung entlastet werde. Aber es kann kein Zweifel darüber herrschen, dass Proft niemals freiwillig nach Deutschland zurückgekehrt wäre. Als Mitglied der Sozialistischen Arbeiterpartei Ende 1933.- verhaftet, lernte er alle Schrecken des berüchtigten Konzentrationslagers Hohen st ein kennen. Er lebte nach seiner Entlassung weiter in Sachsen , bis Ende 1934 dort neue Massenverhaftungcn erfolgten, wobei auch. Familienmitglieder Profts wegen angeblicher illegaler Betätigung verhaftet wurden. Er selbst konnte flüchten und lebte seit Jänner 193S m der
Tschechoslowakei als Emigrant. Er wusste, dass ihm bei seiner Rückkehr nach Deutschland ein Verfahren wegen Vorbereitung zum Hochverrat drohte. Proft ist ein ruhiger, besonnener Mensch, der an keinerlei Depressionen litt. Seine Lebensbedingungen in Prag waren nicht schlechter als die der anderen Emigranten. Am Tage scjnes Verschwindens sollte er von der Flüchtlingsfürsorge seine wöchentliche Unterstützung abholen. Kurz vor seinem Verschwinden leitete er verschiedene Massnahmen ein, um sich in seinem Asyl besser einrichten zu können. Als Prost das Kollektiv verließ, haste er höchstens einen Betrag von 28 HL bei sich. Damit konnte er nicht bis zur Grenze gelangen. Andererseits muß er dort bald angekommrn sein, denn sonst hätte er sich nicht bereits am 18. Mai in den Händen der Polizei von Reusalza befinden können. Aus all diesen Gründen ergibt sich die Gewissheit, dass er sich ebenso„freiwillig" nach Deutschland begeben hat, wie die deutsche Regierung anfangs die Stirn gehabt hatte, es auch hei Berthold Jacob zu behaupten. Rätselhaft bleibt vorerst nur, wie diese Entführung aus Prag bewerkstelligt werden konnte. Es ist zu hoffen, dass die seit längerer Zeit geführten Untersuchungen der Sicherheitsbehörden bald Licht in dieses Dunkel bringen. An den Fölsen der Torturen gestorben... Der Pariser „Populaire" meldet aus Essen : Der ehemalige sozialdemokratische Abgeordnete des Preussischen Landtags , Jakobs, ist- den Folgen der furchtbaren Torturen unterlegen, denen er im Konzentrationslager Pa penburg ausgesetzt war.— Jakobs war der Sekretär der Union derBergarbei- t e r Deutschlands ; der Vorsitzende dieser Gewerkschaft, H u s e m a n n, ist bekanntlich vor kurzem ermordet worden...
Echo aus dem sudetendeutschen Lager Zwischen Henlein und Hlinka Die deutschen Christlichsozialen haben sich nach der Vorsprache ihres Parteiobmanns Hilgenreiner entschlossen, nicht in die Regierungsmehrheit einzutreten. Sie suchen diesen Entschluß als das Resultat nationalpolitischer Erwägungen hinzustellen. Sie wagen zwar selbst nicht zu behaupten, daß sie ihren Eintritt in die Mehrheit von gewissen Forderungen abhängig gemacht hätten, aber sie stellen es so dar, als hätten sie es abgelehnt, ohne einen Auftrag des»Gesamtdeutschtums" in die Regierung ein- zutreteN. In dieser Fassung tischt auch die „Deutsche Presse" vom 2. ds. den Entschluß der Christlichsozialen auf. Sie schreibt: Vor den Wahlen bereits hatte die christlichsoziale Volkspartei im Hinblick auf die bisherige Erfolglosigkeit der deutschen Regierungsbeteili- gung den Grundsatz proklamiert und vertreten, dass ein« weitere Regierungsbeteiligung nicht demWillen einer einzelnen Partei anheimgestellt bleiben dürfe, sondern dass die Frage„Regierungsteilnahme oder nicht" die erste gemein sameAngelegenheit des gesamten Sudetendeutschtums sein müsse. Wenn sich der Bund der Landwirte und die deutschen Sozialdemokraten in kurzsichtiger Verblendung und vor allem aus parteiegoistischen Erwägungen heraus über diesen zweifellos von der Not der Zeit und dem Gedanken wirklicher Volksgemeinschaft geforderten Grundsatz hinweggesetzt haben, werden sie es trotzdem vor dem Volke zu verantworten -haben. Der Gedanke kehtt in dem Artikel mehrfach wieder. Nachdem behauptet worden ist, die Bedeutung und das Prestige der christlichsozialen Partei seien durch ihre Niederlage g e• stiegen(die»Deutsche Presse" meint zwar selbst, diese Behauptung klinge»paradox"), heißt es: Daher die Forderung, daß die Frage einer Regierungsbeteiligung eine gesamtdeutsche Angelegenheit im Staate sei; daher der Wille, in die Regierung nur dann einzutreten, wenn die Gewissheit besteht, dass dieser Schritt erfolgverheissend und von der Mehrheit des sudetendeutschen Volles verstanden wird. Die Idee der Christlichsozialen ist absurd. Sie ist bezeichnenderweise bei ihnen selbst erst aufgetaucht, als sie geschwächt waren und nicht mehr die erste Geige spielten. 1926 fiel es ihnen nicht im Traum ein, ihren Regierungseintritt als ein« gesamtdeutsche Sache anzusehen und die andern deutschen Parteien darüber zu befragen.' Auch 1929 verhandelten sie selbständig und erst, als sie in die neue Mehrheit nicht ausgenommen wurden, klagten sie die beiden deutschen Mehrheitsparteien an, sie hätten eigenmächtig gehandelt. Es ist nun ein ganz unvorstellbarer U n- sinn, daß die deutsche Sozialdemokratie etwa bei Henlein anfragen sollte, Tb sie in die Regierung eintreten darf, während sie doch nicht zuletzt deshalb eintritt, um die deutschen Arbeiter vor dem Fascismus Henleins zu schützen. Im übrigen ist es eine grobe Entstel- lungder Tatsachen zu behaupten, daß die Christlichsozialen deshalb nicht in die Regierung gegangen seien, weil sie keine gesamtdeutsche Vollmacht dazu hatten. Wir wissen, daß die Chri st lich sozialen nichtin die Mehrheit gegangen sind, weil Hlinka nicht wollte. Die Ludaci hatten Bedingungen gestellt. Wären diese angenommen worden und wären die Ludaci in die Regierung gegangen, so wären auch die Chrisüichsozialen eingetreten. Also nicht von Henlein , sondern von Hl inka ließ Hilgen reiner sich f ü hr e n, nicht nationalpolitische, sondern konfessionell-klerikale Gründe waren maßgebend. Wir wissen ebenso bestimmt, daß ein eventueller Regierungseintritt Hlinkas, der für den Herbst als möglich hingestellt wird, den der deutschen Christlichsozialen automatisch nach sich ziehen würde, ohne daß sie erst einen Kongreß des Gesamtdeutschtums um Erlaubnis fragen würden.