Nr. 161 Samstag, 13. Juli 1935 Seite 3 tfudctendeutscfier Zeitepie^cf Um den deutschen   Sender DieLidove noviny" schreiben: Bereits seit einigen Jahren taucht in der tschechischen Oefsentlichkeit die Frage eines deut­ schen   Senders auf. Zum ersten Male trat sie in der Zeit auf, als die Welt täglich mit Kundgebun­gen der nationalsozialistischen Führer des Dritten Reiches   überschwemmt wurde. Es verging fast keine Stunde, in der nicht irgend jemand vom Obersten Stab bösartige, aufhetzende und drohende Worte gesprochen hätte, die sich durch die Gassen und Gäßchen unserer Grenzstädte und-Gemeinden ver­breiteten und in den Cafes, Gasthäusern und Ge­schäften hetzten. Es blieb nichts anderes übrig, als eine öffentliche Reproduktion dieser Reden zu ver­bieten. Aber es war dies nur eine schwache Ver­teidigung, da nach dem Verbot Besuche gemacht, die Empfänger abgeschwächt wurden und die Ge- »ellschaft weiterhin verzückt die Sendungen aus Deutschland   hörte. Es waren tatsächlich geheime Versammlungen» wenn der Radiobesitzcr beim Apparat säst, bereit, bei einem eventuellen Klopfen an die Tür oder ans Fenster sofort Prag   oder Warschau   einzustellen. Und man sah, dast das Ver­bot eine gegenteilige Wirkung hatte. Wie wir wissen, schmecken verbotene Früchte besser.Sie haben's verboten? Aber, aber da müssen wir uns es doch anhören..." Und es hörten auch die Feinde des Hitlerismus, auch die T s ch e ch e n zu, die nur Blasmusik-gewöhnt sind. Damals, unge­fähr vor fünf, sechs Jahren, Ivar die günstigste Zeit, aus Verteidigungsgründen einen deutschen  Sender zu errichten. Heute sind diese Gründe nicht mehr vorhanden. Die Deutschen   hören nichts mehr Neues aus dem Dritten Reich. Alleerzieherischen" Themata sind bereits erschöpft. Es ist aber ein anderer, viel wichtigerer Grund für die Errichtung eines deutschen   Senders vorhanden, und das ist die D e m o k r a t i e. Die­ser Grund ist so alt, wie die Prager   Sendestation. Den drei Millionen Deutschen   unseres Staates konnte niemals eine Stunde Sendung genügen, auch nicht als sie um einige kürzere Relationen er­weitert wurde. Sie sind schließlich doch ein Fünftel der Bewohner dieses Staates. Es ist deshalb natürlich, dast sie Zuflucht zu Sendungen in ihrer Deutschen   kann nur durch Henlein geholfen werden" Graf Waldstein   hatte vor den Parlaments- tvahlen den Henlein   in seinem WaDschlötzchen Straßdorf   glänzend bewirtet. Zur Beglei­tung nach Dauba   wurde der ganze Waldsteinschc Autopark zur Verfügung gestellt. Die Heger muß­ten Henlein   bewachen und die Bäumelsetzcrinnen zur Begrüßung HenleinsHeil" schreien. Wie­viel« Tausende von Kronen mag dieser Klimbim gekostet haben?' Andererseits erwirkte das Waldstein- Warten berg sche Pensionsinsti- Dreyfus gestorben Paris  . Am Freitag starb Artillerieoberst Alfred Dreyfus   im Alter von 76 Jahren. Alfred Drehfus war als Artillerie-Kapitän dem französischen   Generalstab zugeteilt und wurde im Jahre 1894 des Diebstahls geheimer französischer Militärdokumente zugunsten Deutschlands   be­schuldigt. Am 22. Dezember 1894 wurde er zur De­gradierung und lebenslänglichen Deportierung ver­urteilt. Seine Berufung wurde verworfen, TreyfuS wurde auf die Teufelsinsel gebracht, wo er nicht aufhörte, seine Unschuld zu beteuern und um Wie­deraufnahme des Prozesses zu ersuchen. Senator Scheurer-Kestner  , dem der damalige Chef des mili­tärischen Berichterstatterdienstes, Oberstleutnant Picquart  , anitgeteilt hatte, daß der wirkliche Ver­räter Major Walsin-Estevhazy sei, schritt zu seinen Gunsten ein. Auf Initiativ« Scheurer-Kestners wurde eine große Aktion zwecks Revision des Dreh- fus-Prozesses in die Wege geleitet. In der Aktion zugunsten der Revision des' Dteyfusprozesses griff der berühmte Schriftsteller Emile Zola   ein, der in einem Manifest »J'accuse  " behauptete, das Militärgericht habe Esterhazy   auf Befehl freigesprochen. Zola   wurde vor das Schwurgericht gestellt und zu einem Jahr Gefängnis solvie zu einer Geldbuße von 3000 Francs verurteilt. Dieses Urteil wurde' am 2. April 1898 aufgehoben. Der wichtige Zeuge der Anklage im DreyfuS-Prozeß, Oberstleutnant H e n r y, gestand später, das Dokument selbst g e f ä IJ d) t zu haben, das Kriegsminister Cavaignac   in der Deputiertenkammer als ckuthen- tisches Dokument über die Schuld Dreyfus  ' ver­lesen hatte. Oberstleutnant Henry wurde ver­haftet und verübte in der Haft Selbstmord. Die Regierung Brisson ordnete die Revision des Pro­zesses an. Dreyfus   wurde in Rennes   vor ein Kriegsgericht gestellt, von dem er am 9. September 1899 neuerdings mit 5 gegen 2 Stimmen schuldig erkannt wurde, doch wurden ihm mildernde Um­stände zuerkannt. Dreyfus   erhielt zehn Jahre Kerker, der Präsident der Republik Emile Loubct begnadigte ihn jedoch zehn Tage nach dem Urteil. Aber erst im Juli 1906 wurde Alfred Dreyfus  nach einem neuen Prozeß völlig rehabilitiert- Muttersprache nehmen, um so mehr, als mit Aus­nahme von Mährisch-Ostrau   die deutschen   Gegen­den der Republik   von unseren Sendern so weit ent­fernt sind, dast die Einwohner die billigen Kristall­empfänger nicht benützen können. Wenn wir uns dazu entschließen, unseren Deutschen   endlich einen Sendcr zu erbauen, dann wird seine erste und Hauptaufgabe darin liegen, sie zu lehren, daß sie ihn auch hören. Wir wissen, dast das künstlerische Niveau der reichsdeutfchen Sendungen in der letzten Zeit fast auf Null gesunken ist. Den überwiegenden Teil der gesamten Sendungen füllen Märsche aus, die vom preußischen Berlin   dirigiert werden. Die Kon­zerte ausgenommen die Schallplattenkonzerte, oeren es sehr wenig gibt t pflegen sehr schwach zu sein. Die Vorträge und Kundgebungen sind da­gegen, wenn schon nicht stark, so doch kräftig. Hie­bei must man sich dessen bewustt werden, dast den Sudetendeutschen eigentlich das Preustentum mit seinen Märschen und seinem Marsch-Eins-Sol- datenspiel nicht ganz liegt. Unsere Deutschen   glei­chen viel eher den gutmütigen Deutschen   Oester­ reichs   oder Bayerns  , vielleicht auch Sachsens  , denen die Theorie der Hakenkreuzbewegung viel­fach erst mit Gewalt aufgezwungen werden mußte. Ein genügend sprechender Beweis für diese Ver­anlagung unserer Deutschen   ist die Tatsache, daß die aufgelöste nationalsozialistische Partei ver­hältnismäßig wenig Angehörige hatte, und die be­standen hauptsächlich aus unerfahrener Jugend, die sich an der anfänglichen Ausbreitung dieser Bewegung in Deutschland   begeisterte. Uebrigens gelang es Konrad Henlein  , unsere Deutschen   erst mit Verwendung vieler und vieler anderer Fak­toren zusammenzufassen. Der bisherige deutsche  Rundfunk ist unpopulär. Soviel wir wissen und dies wurde an unzähligen Fällen konstatiert wird er von unseren Deutschen  , bis auf wenige Ausnahmen, nicht gehört. Wenn bei uns einmal tatsächlich ein deutscher  Sender errichtet werden wird, dann hat er ein sehr weites Betätigungsfeld, sowohl in künstlerischer, wissenschaftlicher als auch in staatspolitisch-erzie­herischer Hinsicht. Es ist noch nicht alles verloren. tut in H i r s ch b e r g, lt. E. 796/352 des Bezirksgerichtes in Dauba   die Versteige­rung des Hauses Nr. 447 inHirsch- berg wegen sage und schreibe 426.55 Kronen. Dieses HauS gehört der beschäftigungslosen Arbeiterin A. M., welche kümmerlich ihre Familie ernährt und in ihrer Ehrlichkeit jeden Heller an. Schulden pünktlich bezahlt, sobald sie dazu in der Lage ist. Es ist empörend und verdient in die Welt hinausgerufen zu werden, daß gräflich Wald- steinsche Institute wegen einigen Kronen arme Familien um ihr Hab und Gut bringen. Es ist ein Märchen der Wirklichkeit, von dem hier erzählt wird, real wie die vierdrei­viertel Millionen Pfund, die Sir Arthur Vau- chope, High Commissionor von Palästina, im Laufe der letzten drei Jahre vom Budget er­sparen konnte, handgreiflich wie die dreizehn Prozent Verzinsung, die die palästinensischen Orangenpflanzer noch vor einem Jahr verdient haben, fest und sicher wie das palästinensische Pfund, welcheK^mit 115 Prozent durch goldsiche­re Papiere gedeckt ist. Es handelt sich freilich nur um ein kleines Stück Erde  , auf dem sich das Märchen realisiert, heute noch kaum in den Ausmaßen Belgiens  . Aber es ist dennoch in einer Zeit der Millionen­arbeitslosigkeit bemerkenswert, von einem Lande ohne Arbeitslosigkeit, von einem Lande schrei­endsten Arbeitcrmangels zu erfahren. Alle Staa­ten der Erde haben ihre Tore gegen Einwande­rung vermauert. Palästina hat sie weit geöffnet. Es ist das einzige Einwanderungsland der Welt. In den letzten dreieinviertel Jahren sind in die­ses Land 155.000 Juden und schätzungsweise fünfzehn bis zwanzigtausend Araber eingewan­dert. Seine Bevölkerung dürfte sich seit Ende 1931 vermutlich um 18 Prozent vermehrt haben. Aber das Land saugt diesen zehntauscndköpfigen Menschenstrom gierig auf. Im Jahre 1933 wan­derten vierzigtausend, 1934 Mehr als fünfzig­tausend, allein in den ersten vier Monaten die­ses Jahres schon an zwanzigtausend Juden nach Palästina ein, von den syrischen   Berghöhen, vom transjordanischen Gebirge, aus Aegypten   über die arabische Wüste ziehen Fellachen und Bedu­inen scharenweise in dieses Wunderland der Pro­sperität. Es gibt keine Arbeitslosen in Palästina, Arbeitermangel l das ist die Klage, die man hört. Haifa  . Eine geräumiger Hafen, der zweit­größte des Mittelmeeres, fünfmal, in den Aus­maßen des Hafens von Beyrut  . Die britische  Verwaltung hat ihn in den letzten Jahren, dank den reichlichen Überschüssen des Budgets einer So sieht dieVolksgemeinschaft" aus. Not­wendig wäre ein Gesetz, das eine solche Enteig­nung armer Menschen unmöglich macht. Ha, Herr Hllgenrelner, man versteht...1 DieDeutsche Presse", die abwechselnd als Henlein- und als Schuschniggorgan.lwenn es un­bedingt sein muß, sogar gelegentlich als demokra­tisches Organ) erscheint, veröffentlicht am 11. Juli unter dem TitelV e r st e h t man Oesterr eich überal l?" eine höchst auf­schlußreiche Notiz. Das Blatt des Herrn Hil­genreiner beschwert sich dort bitter darüber, daß der Wiener   Habsbürgerrummel im Ausland ein so unfreundliches Echo gefunden habe und schließt diese gekränkte Betrachtung mit den Worten: Es ist nicht unsere Sache, als Anwalt der österreichischen Bundesregierung oder der Habsbur­ ger   aufzutreten, aber, wer Sinn für Recht und Gerechtigkeit, für das ewig Sittliche, für den Im­perativ des Gewissens hat, wird Oesterreich   ver­stehen, wird in dem Entschluß der Bundesregierung, den Habsburgern das widerrechtlich entrissene Eigentum und die geraubte Heimat wieder zu geben, keine dunklen Absichten wittern, sondern eine gute, befreiende Tat sehen. Nur keine Sorge, meine Herren! Man ver­steht nicht nur Oesterreich, sondern auch die aus­ländischen Handlangerder ö st erreich i- schen Reaktion sehr gut. Man versteht vor allem und macht sich seine Gedanken darüber, dast ein tschechoslowakisches Blatt, das in unserer Republik erscheint, in der die Habsburger  ebenfalls enteignet wurden, vonwider­rechtlich entrissenem Eigentum", vongeraubter Heimat" spricht und offenbar zu dem Schluß kommt, dast es unserer Republik anSinn für lierte, wo regte sich ihrSinn für das ewig Sitt­liche" fehlt. Wo aber war derImperativ des Ge­wissens" derDeutschen Presse" als man mit Kanonen die Häuser österreichischer Arbeiter demo­lierte, wo regte sich ihrSinn für das ewigSitt­liche" als man unter Bruch von Recht und Gesetz das Eigentum der österreichischen Arbeiter stahl und raubte, als man in Oesterreich   Arbeitern, denen man nichts vorzuwerfen hatte als aufrechte Gesinnung, erbarmungslos den letzten Bettel der Arbeitslosenunterstützung nahm und sie so dem Hunger preisgab? Wann hat der Imperativ des Gewissens dieDeutsche Presse" getrieben sich der Mensöben anzunehmen, die von den Wiener   Kano­nenchristen aus dem Lande verjagt und soder Heimat beraubt" wurden? Moralische Entrüstung darüber, dast ein Volk sich von der blutigen Herr- sckiast der Habsburger   frei gemacht hat, christliches Mitgefühl für diearme" Habsburgerfamilie, die in Stenokerzeel einen prunkvollen Hof führt-G-imd Beifall zur Ermordung und Beraubung der öster­reichischen Arbeiter. Man versteht, Herr Hilgen­reiner o ja, man versteht 1.. blühenden Wirtschaft erbaut, aber kaum war der erste Plan fertig, wurde ein zweiter, ein grö­ßerer, in Angriff genommen es fehlt leider nur an hinreichenden Arbeitern, um das Werk im gewünschten Tempo weiterzubringen. Ein Dutzend Hektar Bodens wurde dort dem Meere entrissen: Raum für einen großartigen Kai. Dort sollen Marine- und Lagerhäuser entstehen. Manches ist schon erbaut, Baugerüste deuten kommende Gebäude an. Aus der Ferne vom Rande der Stadt schimmern die vielen silber­grauen Riesentajiks der Mesopotamischen Oel- leitung. Pon Mosul fließt das Petroleum zum Meer. Raffinerien sollen hier entstehen an Arbeitern fehlt es vorläufig. Ünd dann gerät man in die Fangarme einer Stadt, die vor zehn Jahren erst fünfund- zlvanzigtausend, heute aber schon an die hun­derttausend Einwohner zählt. Und sie wächst rasend weiter. Zwei Drittel der Wohnhäuser der Stadt sind in den letzten vier Jahren ent­standen, modern-europäische,.klarlinige, dem Auge gefällige Architektur, aber überall künden die Baugerüste von tropischen Wachstum, immer höher schwingen die Straßenzeilen auf den Hän­gen des lieblichen Karmels, gleichzeitig drängt die Stadt auf die riesige Ebene von Akko, Fa­briken um Fabriken sind dost entstanden, sind dort im Entstehen und jenseits der Fabrikszone wächst aus Steppenboden schon eine neue Stadt, eine blumige Gartensiedlung für Arbeiter und den Mittelstand. Schon ist der Flughafen abge­steckt, die künftige Zwischenstation zwischen Lon­ don   und Kalkutta  . Aber für die. britische   Welt­machtstellung wird das Haifa   der Zukunft das Singapur   des M i t t e l m e e r e s, wel­ches den Weg nach Indien   sichern soll. Aber das Stadtwunder von Palästina ist nicht Haifa  , sondern Tel-Aviv  , derFrüh­lingshügel" bei Jaffa  . Vor zwanzig Jahren dehnten sich an Jaffas nördlicher Küste menschen­leere Sanddünen und trostlose Steppen, spärli­cher Weideboden für Kamele und Schafe. Einige Belgien  Rußland Aufnahme normaler Beziehangen Moskau  . Die Telegraphen-Agentur der So­ wjetunion   teilt amtlich mit, daß Freitag zwischen dem sowjetrussischen Botschafter in Paris   Potem- kin und dem belgischen Botschafter Baron d'Hestroy ein Briefwechsel stattfand, in dem die Aufnahme der normalen diplomatischen Beziehun­gen zwischen beiden Ländern fifftgestellt wird. Abessinien sucht Fliegeroffiziere Stockholm  . Wie das BlattStockholm   Tid- ninge" mitteilt, hat der Kaiser von Abessinien die schwedische Regierung um die Bewilligung zur Anwerbung von schwedischen Militärfliegern als Instrukteure für die abessinischen Luftstreitkräste ersucht. Dem Blatte zufolge hat die schwedische Regierung dieses Ersuchen in höflicher Weiseabgelehnt, wobei sic darauf hinwies, dast die schwedischen Luftstreitkräste alle ihre Offiziere benötigen. jüdische Familien hatten sich dort angesiedelt. Der Boden war spottbillig. Denn niemand ahnte, daß auf dem Mecressand eine Stadt entstehen könne. 1911 zählte diese Niederlassung erst 515 Seelen. Langsam nur vermehrte sich die Ein­wohnerzahl, zehn Jahre später waren es erst an die fünftausend. Nun setzte aber, eine sprung­hafte, eine echt amerikanische Entwicklung ein: Im nächsten Jahrzehnt wächst die Einwohner­zahl um vierzigtausend, 1933 sind es schon 75.000, ein Jahr später schon 90.000, heute sind es bereits 120.000. Tel-Aviv  , als eigent­liche Stadt nicht älter als zehn Jahre, hat das jahrtausendalte Jerusalem  , hat das uralte Haifa  überflügelt, ist die volksreichste Siedlung Palä­ stinas  . Die kapitalistische Alchymie hat ben gold­blinkenden Wüstensand in gemünztes Gold ver­wandelt. Die Bodenpreise stiegen im letzten Jahrfünf um tausend, um fünfzehnhundert,. ja um zweitausend Prozent und das Ende dieses schönen Wuchers ist nicht abzusehen, denn Tag um Tag ergießt sich neuer Menschenstrom in die Stadt, gierig nach Wohnstätten, Warenlagern, Werkstätten, Kaufläden, Büroräume, Fabrikan­lagen. Auch in Tel-Aviv   wächst eine gewaltige Stadt heran in Wettbewerb mit Haifa  . Von Haifa   nach Tel-Aviv   führt eine schnur­gerade, flache Küste', von zweihundert Kilometern. Das Meer hat den Sand weit in die Sharon- Ebene geworfen. Regen und die Abflüsse vom Karmel, der sie im Norden, und vom Gebirge Ephraim, das sie von Osten begrenzt, hat diese Ebene versumpft. Uralt sind diese Sümpfe vom Sharon. Die Bibel/erwähnt sie schaudernd. Die Araber saßen auf Heu Höhen her Berge, depn über den Sümpfen brütete die Malaria. So war die Ebene schier menschenleer, Weideplatz fürs Vieh. So l^a r es! So war es noch vor zehn, zwölf Jahren! Heute ist der Sharon fast ein einziger wundervoller Orangengarten, über den nicht mehr der-Pestatem der Malaria, sondern der süße Dust der Orangenblüte lagert. Die ein­gewanderten Juden haben nämlich gefunden, daß kein Boden für die Zytruspflanzungen gün­stiger sei: wo er leicht ist, gedeiht die Orange und die Zitrone auf das glücklichste, und wo er schwer ist, die grüngoldene Grapcfrucht der Boden müsse nur entwässert, das Sumpfwaffer zur Berieselung des Küstensandes abgeleitet werden. Und so geschah es! Heute fährt man stundenlang durch Zytruspflanzungen, die dun­kelgrün belaubten Aeste gebeugt unter der gol­denen Last der Früchte, hervorgezaubert aus Steppe, Sumpf und Sand. Die Schafherden sind Menschen gewichen, und wo vor einem Jahrzehnt noch menschenleere Oede-war, dort leben in Wohlstand Zehntausende in blühenden Siedlun­gen. Und dasselbe im Emek, das ist jene Eebene, die sich westlich von Haifa   bis zum Tiberiassee zieht, im Norden vom galiläischen Gebirge, im Süden vom Karmel eingesäumt. Tausende Hek­tar dieser Ebene waren versumpft, versumpft seit undenklichen Zeiten bis vor 15 Jahren. Heute, fährt der Traktor über den früheren Sumpfboden, der Mähdrescher bringt die reiche Weizenernte ein, Wein, Orangen, der Mandel­baum, die Banane gedeihen dort üppig, tausende Kühe, hochgezüchtet, füllen die großen, ganz modernen Ställe, in jeder der vielen Siedlungen, die dort entstanden, Hühnerfarmen. Bon diesen zwei Ebenen war nur die Rede, weil sie die größten jüdischen Siedlungsgebiete sind. Aber Siedlungen dieser Art sind über das ganze Land verstreut, hundertzwanzigtauscnd Hektar wurden der Kolonisation erschlossen, sieb­zigtausend Menschen aus den russischen und pol­nischen Ghettos, aus den vom Judenhaß ge­schändeten deutschen   Städten der palästinen­sischen Landwirtschaft gewonnen. Allein in den letzten drei Jahren wurden 10.000 Hektar der Orangenknltur erschlossen, der Orangenexport, 930.000 Kisten im Jahre 1921, lieferte nach der letzten Ernte 6,5 Millionen und wird nach Ablauf des nächsten Jahrfünfts 20 Millionen Kisten anzubieten haben. Aber die Orange   allein ist es nicht, aus vielen neuerschlossenen Wirt­schaftsquellen entströmen neue Kräfte und Säfte, die diesem Land, in jahrtaüsendlangen Kämpfen entvölkert, entblutet, verwahrlost und verarmt, zu einer merkwürdigen Blüte gebracht und doch auch schon zu einem Faktor in der Welt gemuckt hat. Palästina- kein orientalisches Märchen Von unserem Spezialkorrespondenten Julius Braunthal  .