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Sozialdemokrat"
Mittwoch, 13. November 1935. Nr. 264
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Präser Erstaufführung des Schweizer Winter­sportfilmes(Kulturfilm)E m p o r z u r S o n n e" am Samstag, dem 23. November,^3 Uhr nachmit­tags, in derUrania  ", Klimenffka. Die Spieler in dem Fibn find Mitglieder der Schweizer  Natur­freunde" und desSatuS". Motiv des Filme?: Der Weg aus der Stadt zum schönsten Sport in die Berge. Der Sonntag in Sonne und Bergesluft. Prachtvolle HochgebirgSbilder. Veranstalter der Prager   Vorführung: DieNaturfreunde". Karten an derUrania  "-Kassa. Recht zahlreicher Besuch erwünscht. Kinderkarten. Die H. tschechische chirurgische Klinik(Prof. Dr. Divis) und die II. ghnäkologischeKli- n i k(Prof. Dr. Ostriil) im Prager   Sanatorium in Podol geben bekannt, dah sie mit Rücksicht auf die Ueberfüllung des Allgemeinen Krankenhauses un­bemittelte Kranke unter denselben Bedin­gungen aufnehmen, wie das Allgemeine Kranken­haus in Prag  (VerpflegSgebühr der dritten Klasse 24.50 XL täglich). Ordination für unbemittelte Kranke an Wochentagen auf der chirurgischen Klinik von S bis 10 Uhr vormittags, auf der gynäkologi­schen Klinik von 14 biS 16 Uhr nachmittags. Eine Nacht im Magazin. Gestern wurde der 3Sjährige arbeits- und wohnungslose Bäcker Jaro­slav Spurny verhaftet. Er hatte mit noch einem Komplicen in der Nacht auf den 3. November einen Einbruch ins Magazin der Konsumgenossenschaft Poster  " verübt, indem er von der Hybernergasse aus in den Lichthof eingedrungen und von hier auS übers Gitter geklettert war, worauf er im Maga­zin Stoffe, Lebensmittel und Mkoholien im Werte von 5000 XL beiseite geschafft und mit letzteren ein Gelage veranstaltet hatte. Hierüber schliefen beide ein und erwachten erst bei Tagesgrauen, so dah sie das Magazin nicht verlassen konnten, ohne gesehen zu werden. Sie blieben daher tagsüber eingeschlossen und entkamen erst um 6 Uhr nachmittags. Nach dem Komplicen Spurnys wird geforscht. Auto in Flammen. Gestern morgens fuhr der Chauffeur Wenzel Kuna aus Dimokur bei Podiebrad mit seinem Auto C 40.917 durch die Husstrahe in Zijkov, als in der Nähe des Viaduktes aus unbe­kannter Ursache der Motor explodierte, so dah das Auto binnen kurzem in Flammen stand. Hiebei wurde es völlig zerstört. Verletzt wurde niemand. Herabstürzende Milchkanne verletzt ei« Kind. Der Fuhrmann Anton RuZikka fuhr gestern gegen 11 Uhr vormittags durch die Belcredistraße in Holle  - schowitz, als eine der Milchkannen, die er ausgeladen hatte, herabfiel und das fünfjährige Töchterchen der Hausbesorgerin Franziska Cisak, das eben die Fahr­bahn überqueren wollte, auf den Kopf traf. Das Kind stürzte zusammen und wurde, da es stark blu­tete. von der Rettungsgesellschaft ins Krankenhaus auf der Bulovka gebracht, wo jedoch nur Ritzwunden am Kopfe festgestellt wurden.
JCttftäl und Mssrn Die triste Lage des Prager   Deutschen   Theaters Abonnement und Tageseinnahmen gesunken Der Deutsche   Theater-Verein in Prag   ersucht uns um Veröffentlichung folgenden Kommuniquees: Der AUsschuh des Deutschen TheatervereinS hat am Montag, dem 11. d. M., eine Sitzung ab­gehalten und sich eingehend mit der ftnanziellen Lage des Theaters befaßt. Direktor Dr. Eger, der an der Sitzung teilnahm, berichtete, dah das Abonnement die Ziffern des Vorjahrs erfreu­licherweise trotz der Wirtschaftskrise beinahe erreicht hat.' Die Tageseinnahmen sind gegen das Vorjahr, zum Teil durch Abwanderung auf billigere Plätze, in den ersten zwei Spielmonaten nur um zirka sieben Prozent zurückgeblieben, ein Ergebnis, das in Anbetracht der Situation als nicht unbefrie­digend bezeichnet werden kann. Nichtsdestoweniger kann das Deuffche Theater bei dem Ausgabe-Etat, zu dem eS mit Rücksicht auf die künstlerischen und sozialen Anforderungen gezwungen ist, unter keinen Umständen sein Auslangen
finden. Die Subventionen des Theaters, die von vornherein im Verhältnis zu anderen Büh­nen gleichen Ranges gering waren, sind im Vergleich zu früheren Jahren in außerordentlichem Matze ge­kürzt. Der Deutsche   Theaterverein hat in. den letz­ten zehn Jähren immer in die Bresche springen müs­sen uiü> auf diese Weise sein mobiles Vermögen aufgebraucht. Infolgedessen fühlt sich der Deuffche Theaterverein verpflichtet, im Interesse der Erhal­tung des Theaters diejenigen Schritte zu unterneh­men, die erforderlich find, um die Aufmerffamkeit aller maßgebenden Stellen auf die Bedeutung, aber auch auf die Lage der größten deuffchen Bühne der Republik   zu lenken. Die finanziellen Mahnahmen des Theatervereins sichern die Weiterfüh« rüng in ver laufenden Spielzeit. Die Frag« der Umwandlung unserer deuffchen Bühne in ein Staatstheater, die von einem Prager   Blatte aufgeworfen wurde, steht nicht zur Diskussion."
^Kameraden" Eine Komödie ist dieses Strindberg-Drama eigentlich nur in dem Sinne, in dem Dante auch den Gang durch das Inferno alsComoedia" bezeichnen konnte. Denn selbst die grohe Illusion, mit der das Stück tchlietzt, daß der enttäuschte Mann nun die wahre Geliebte finden würde eine subjektive Illusion, denn das Publikum muh annehmen, daß es wieder eine Qual sein wird ist ja nicht komisch, höchstens tragikomisch. Und daß alles gut aus­geht, daß niemand sich erschietzt oder vergiftet, ist doch Zufall, Laune deS Dramatikers, dem es so besser in die Technik patzt, der aber in der zum Reißen gespannten Atmosphäre dauernd eine Katastrophe be­reit hat. Strindberg liebt die Knalleffekte nicht, seine Helden leiden unter dem Weiterleben. Und zwischen demTotentanz" und denKameraden" mitzt man den Grad der Tragik nur in Nuancen. Da wie dort heitzt es: weitergehen. Furchtbarstes Ende eines Dramas, zu wissen, daß alles von vorn beginnt, Lüge, Mitzverständnis, Angst, Scham; vor allem Scham, die auf Strindbergs Gestalten als schwerster Fluch lastet, nicht im gewöhnlichen und körperlichen Sinn, sondern als brenndendes Bewutzt- sein, der eigenen moralischen Forderung nicht ge­wachsen zu sein, vor dem selbstaufgestellten sittlichen Postulat zu versagen. Aber das gill natürlich nur für die Männer, denen der Richter auch hier die Dornenkrone der Märtyrer und den Lorbeer der stillen Grötze reicht, während er die Frauen mit der Geitzel seiner Hatz­liebe peiffcht. Ein ungerechtes, einseitiges Stück, wie alle Strindberg-Dramen. Aber doch ein geistreiches Stück, das ffefe Wahrheiten enthält und ob dieser Wahrheiten also ein erschütterndes Stück. Vieles daran ist von einer unheimlichen Aktualität. Wenn Abel, das Halbweib, da» gleichgeschlechtliche Zwitter­wesen, did FrauenrechtS-ÄeweguNg zynisch glossiert und von der Dummheit spricht, mit der man große Bewegungen aufziehen kann, steht man mitten in der Problemaffk unserer Tage. Das Publikum war was in der Kleinen Bühne selten vorkommt wirklich gepackt und ging vom ersten Akt an dankbar und leidend mit. Das war nicht zuletzt der von G e l l n e r glücklich in­szenierter, umsichtig geleiteten Aufführung zu dan­ken, die in Dolores Moncasi ihren natür­lichen Mittelpunkt fand. Vielleicht war die Ko­mödie in der Darstellung dieser begabten und eigen­willigen Künstlerin an manchen Stellen zu stark hervorgekehrt, war sprachlich und mimisch manches übertrieben. Aber in den enffcheidenden Szenen war sie hinreißend und noch in der Verworfenheit, die ihr der Dichter auferlegt, so urweiblich, ganz Na­turgeschöpf zwischen Kind und Tier, unmoralisch, tückisch, aber liebenswert, daß man Wedekind   zu sehen vermeinte und eine Weile den Erdgeist er­kannte. Das ist gut so, denn Strindbergs Tragik, die er gerade in diesem Stück verleugnen möchte und nur in der Nebenhandlung des Ehepaars Oostermark eingesteht, ist ja. daß er von dem gehaßten Weib nicht loskommt, daß sie ihm nicht so furchtbar ist, als sie ihm begehrenswert erscheint. Herr Götz war besser in den stark komisch be­tonten Szenen und als weicher Tor, die männliche Härte des dritten und vierten Aktes liegen ihm nicht. Scharf und erbarmungslos gezeichnet die
Abel der Warnholtz, eine glänzende Karikatur das Literaturschlieferl, das Walter Taub   als ebenso verderbt wie ahnungslos dumm gestaltete. Das Ehepaar Oestermark Herr Richter und Frau LotteStein ergreifend in der Wieder­sehensszene, einem gespenstischen, makabren Nacht­stück. Lotte Stein   im Rausch an Fklicien Rops' Absinth-Trinkerin" erinnernd, Friedrich Richter  in einer Sttindberg-Maske, das bleibt wohl eines der Bühnenbilder, die sich unvergehlich einprägen. Den auch vom Dichter sympathischer bedachten Teil der agierenden Frauen, die er weniger scharf an­packt, weil er sie nur en Passant auftteten läßt, spiel­ten Evi Panzner, Lux Rodenberg, Lisl Macheiner. Ein bifferl forciert war der Leut­nant Stark des Herrn Trabauer,' gut das Dienstmädchen der Charlotte Küter  . E. F.
I. Philharmonisches Konzert schon Montag, den 25. November. Ausgabe des Abonnements täglich. Sonntag, halb 8 Uhr, neninszeniortMartha" (C2). Titelrolle: Book, LyonelBaum, Nancy Kindermann, PlumkettGutmann, Mickleford Hey. Regie: Mordo, Dirigent: Rieger. Spielplan deS Neuen Deutschen   Theaters. Mittwoch halb 8: Ritterliche Affäre,:BI, Gastspiel Felix Bressart   und daS Ensemble des Deuffchen Volkstheaters. Donnerstag, halb 8: Maria Stuart  , C2. Freitag, halb 8: P elleas und Melisande, Dl. SamStag, halb 8: Venus in Seide, Uraufführung, A2. Spielplan der Kleinen Bühne. Mittwoch. 8: Der König mit dem Regenschirm, Bankbeamte II und freier Verkauf. Donnerstag, 8: Gastspiel Dela Lipinskaja, Freitag. 8: Im Lon­ doner   Nebel, Theatergemeinde des Kulturver­bandes und freier Verkauf. Samstag, 8: Ka m e r a d e n.
Deutsche sozialdemokratische Fraaeaorganisatio« Donnerst a g, den 14. d. M., spricht um 8 Uhr abends imMonopol" in rinem Diskussionsabend Genossin Maria Deutsch über das Thema: »Fürsorge oder Wohltüttgkett" Um daS Erscheinen aller Mitglieder ersucht daS Bezirksfrauenkomitee.
6. Atus-Kreis rüstet weiter! Sonntag, den 10. November, fanden die BtzikkivortUtnerstunden im 4. und 5. Bezirk des 6. Kreisel statt. Beide UebungSstunden hatten einen unerwartet starkenBesuchzu ver­zeichnen. Im 5. Bezirk leiteten die Bezirksturn­warte Stark, KrauS und Hüttl, im 4. Be­zirk waren beide BundeSturnwarte, Grasse  (Aussig  ) und Mykura(Falkenau), alS Leiter er­schienen. In Pilsen   versammelten sich 45 Turnwarte und Turnwartinnen auS 19 Vereinen der Gruppen Staab, Nürschan  , Kosolup und Tachau  . Für die südböh mischen Gruppen B.-Krumau und Winterberg   findet eine eigene Bezirksvorturner­sstunde statt. Erfreulich war, daß von den 25 zu­ständigen Turnvereinen trotz den kolossalen Enffer- nungen nur sechs gefehlt haben. In acht Stunden wurde sämtliches Uebungsmaterial für das Bundes­turnfest verarbeitet. Alle Techniker waren mit gro­ßer Begeisterung bei der Sache und haben sich an­erkennend über die Massenubungen ausgesprochen. Die Turnwarte des 4. Bezirkes haben den Beschluß gefaßt, einen achttägige'« TurnkurS für den Bezirk anzufordern. Die Kosten sollen durch die Vereine aufgebracht werden; die Leitung wer­den die Genossen Mykura und Nachtmann über­nehmen. Die Bezirksvorturnerstunde deS 5. Bezirkes in Falkenau wurde bereits Samstag nachmittags für die Kinderturnwarte eröffnet, eS waren 21 Turnvereine mit 57 Teilnehmern vertreten; es waren also alle 19 Vereine, die Kinderabteilungen
999 Denkt an die Winterhilfsaktion der Präser Arbelterfiirsorse!
gemeldet haben, vertreten und drei Vereine, die solche errichten wollen. Sonntag früh um 7 Uhr stellten sich 61 Männer- und Frauenturnwarte apS 19 Vereinen den Leitern. Auch im 5. Bezirk habe« die Bundesturnfestübungen allgemein Anklang ge­funden. Gefehlt haben vier Turnvereine, und ztoak je zwei der Neusattler und der Falkenauer Gruppe^ Nachmittags versammelten sich im BergarbeiterheiÄ die Techniker zu einer Sitzung; es wurde der Arbeitsplan und das Bundesturnfest beraten. Die Neuwahlen ergaben die Wiederwahl des Ge­nossen Stark(Chodau) als technischen Leiter. Ueberraschungen im westböhmischen Arbeiterfutzball AtuS Rapid Karlsbad übernimmt die Führung Kreismeister Maierhöfen hoch geschlagen
Die erste Mannschaft des Rapid Karls­ bad   gelangt zum«fftenmal an die Tabellenspitze; im Vorjahre stand die Mannschaft am Schluffe der Tabelle und hatte um den Verbleib in der ersten Klaffe zu kämpfen. Der Sieg um die Spitzenfüh­rung wurde gegen die spielstarke Mannschaft deS FFK Falkenau einwandfrei errungen. Der Kreismeister Maierhöfen  , welcher in der Vor­woche in Führung gekommen war, mutzte in Neudel eine hohe Niederlage einstecken. Der Neudeker ASK rücktchurch diesen Erfolg in das Mittelfeld auf. Altrohlau   spielte auf eigenem Platz gegen Graslitz   unentschieden; Altrohlau   ist dem­nach noch immer die einzige Mannschaft, welch« noch kein Spiel verloren hat. Die Rot« Elf Chodau mutzte von Schankau mit einem Unentschieden heimfahren. Nach den bisherigen Erfolgen der Schankauer kann dies als ein guteS Zeichen für Chodau bezeichnet werden. Unter­reichenau konnte endlich wieder ein Spiel ge­winnen; obwohl sehr knapp verloren, für D r a h o« Witz sind es zwei wertvolle verlorene Punkte. Franzensbad   war spielfrei. Fischer« ebenfalls, jedoch durch dieAbsageder Eiben­berger Sportbrüder. Letztere haben bereits dos vorletzte Spiel mit Schankau abgesagt; die Punkt« dieser beiden Spiele dürsten für Eibenberg der« loren sein.
Die Ergebnisse der Spiel,
e vom Sonntagt
Atus Schankau gegen Rote
Elf Chodau 3:3,
, AtuS
Unterreichenau gegen Atus
Drahowitz 4:3,
AS«
Alttohlau gegen ASB Graslitz
3:3, A
SK Neudek
gegen ADV Maierhöfen 5:
1, Atus Karlsbad gegen
FFK Falkenau 2:1, Atus Aich gegen Atus Granesa«
7:2. Atus Sodau gegen ASB
Maierhöfen 1b 5:0,
AtuL Weheditz gegen SV SittmerSgrün 4:0.. Ä
Der Stand der Tabelle
AtuS Karlsbad,.. 8
6
1
1
13
16:10
ADV Altrohlau... 8
4
4
0
12
26:14
ADV Maierhöfen.. 8
6
0
2
12
24:1«
ADV Graslitz... 7
5
1
1
11
45:15
FFK Falkenau.«, 9
5
0
4
10
29:20
Rote Elf Chodau«» 8
4
2
2
10
18:1«
AtuS Schankau.,» 7
4
1
2
9
24:1«
AtuS Drahowitz.,» 9
3
1
5
7
19:20
ASK Neudek.... 8
3
1
4
7
17:20
Atus Fischern... 8
8
1
4
7
15:2«
Atus Unterreichenau. 9
2
0
7
4
15x80
Atus Franzensbad  .. 8
1
0
7
2
10:31
Sportbr. Eibenberg.. 6
0
0
6
0
9:13
Uns der Tarte« DaS Bezirks-Frauenkomitee versammelt sich a« Donnerstag, dem 14. November, eine Stunde vor dem Frauen-Abend(um 19 Uhr) im Hotck Monopol" zu einer Sitzung. Heute Gruppenabende: Wein­berge(hall> 8 Uhr, Rarodni)i Der abessinische Krieg und die Ar­beiterbewegung. Zentrum (8 Uhr, Liga): Sozialpolitik. Holleschowih(8 Uhr, Ka- menicka): Planwirtschaft.
Prager   Konzertsaal Wenn man die zunehmende Zahl der. öffent­lichen Konzertveranstaltungen in den Prager   Kon­zertsälen als Matzstab nimmt, dann könnte man zum Glauben verleitet werden, daß die Krise im Prager  Musikleben überwunden ist. Aber der verhältnis- mäßig schwache Besuch der meisten Konzerte.   nur die Sensations- und Starkonzerte finden auch heute ihr Publikum, ist ein Beweis dafür, datz die Not der Konzertkünstler fortdauert. Die interessanteste Erscheinung im Prager   Konzertleben der/ lebten Wochen ist das Eindringen sowjetrussi­scher Musikkultur in unsere Konzerffäle. Während wir noch bis vor wenigen Monaten wenig oder nichts von der Musikkultur des heutigen Ruß­ land   wußten, werden wir seit Beginn der diesjäh­rigen Konzerffaison hinlänglich mit ihr bekannt ge­macht. Werke der jüngsten sowjettussischen Tonseber gehören Heuer zur Konzertmode, neue sowjetruffische reproduktive Tonkünstler zur Attraktion der Konzert­säle. In Prag   hat sich eine eigene Gesellschaft zur Herstellung von engeren Beziehungen zur sowjet­russischen Kultur und Wirtschaft gebildet, der man auch die Anregung zu besonderen sowjetruffische« Propagandakonzerten dantte- Eines dieser Konzerte, ein Abend russischer Kammermusik, fand vergangene Woche im Rahmen einerWoche der Sowjetkultur" statt. Aber eS zeigte sich, wie schon seinerzeit beim Internationalen Prager   Musikfest,
datz die jungen sowjettussischen Ton­seber weder Musikrevoluffonäre noch Anhänger deS musikalischen Fortschrittes, sondern eher konservativ in ihrem Schaffen eingestellt sind. Unter den aufge« führten Werken für Cello, Klavier, Gesang, Streich­quartett und grötzere Kammermusikensembles von Schostakowitsch  , Molk ich, Weprik, Wassilenko. Schtscherbatschow etc. war kam» eines, das die moderneren Züge jener Musikrichtung gehabt hätte, die man bei uns als moderne zeitgenöffische Tonkunst bezeichnet. Für die Ausführung dieses Konzertes war eine ganze Schar hervorragender Künsffer gewonnen worden: das Prager   Quartett, das Prager   Bläser- quin t e t t, die Pianistin Friederike S ch w a r z. die Pianisten Dr. Holzknecht, Jiräk und Kredba, die Sängerinnen Kräsovä und Budikovä-Jeremiasovä. Da gaben uns die reproduktiven sowjetrus­sisch e n T o n k ü n st l« r. die wir in der vorigen Woche hören konnten, schon ein ganz anderes Bild sowjetrussischer Gegenwarts-Musikkultur. Der Geiger Nathanael M i l st e i n vor allem, dessen hohe Kunst in Prag   in den letzten Jahren wiederholt zu bewundern Gelegenheit war. und der Cellist Gregor Piatigorskv. der seinen Weg zum erstenmal nach Prag   fand. M i l st e i n gab sein diesmaliges Konzert als Sonatenabend, also pro- grammlich ganz auf das innere Miterleben und sub­tilste Fühlen deS Künstlers eingestellt. Er spielte als Hauptwerke eine Solo-Sonate von Joh. Seb. Bach,
die A-moll-Sonate von Schumann und Beethovens Es-dur-Sonate. alle mit unerhörter Schönheit des Ausdruckes, mit unnachahmlichem Adel des Vor- txages, mit ebenso unnachahmlicher Klarheit des Stiles und mit beglückender Ueberlegenheit der Tech­nik. In der zweiten Abteilung seines Konzertvro- grammes zeigte sich Milstein   auch als der im rein technischen Sinne blendende Geiger, durch diese pro- grammliche Gegenüberstellung also beispielhaft be­tonend. daß dem wahren Künstler auch die virtuo­sesten technischen Fähigkeiten nur Mittel zum Zwecke Höherer Kunstübang sind. An Leopold M i t t» mann hatte der Konzertgeber einen immer zuver­lässigen und anpassungsfähigen Beglester am Flügel. Auch der Cellist Piatigorsky   hatte die erste Hälfte seines KonzertprogrammeS der Kammermusik gewidmet Drei Sonaten hatte er biefür gewählt: eine ganz im Händel-Sffl gehaltene Sonate eines unbe­kannten Komponisten aus dem 18. Jahrhundert, Beethovens wundervolle A-dur-Sonaie opus 69 und eine ebenfalls der Händel  -Zeit angehörende altfran- zösische Sonate von Francoeur  . Piatigorsky   eroberte sich das Prager   Publikum im Sturm. Er ist in der Tat ein Künsüer allergrößten Formates, blendend in der Selbstverständlichkeit semer vollendeten Technik, von adeliger Schönheit und unfehlbarer Reinheit im Ton, beseelt und ausdrucksvoll im Vortrag und von edler Leidenschaftlichkeit imSffl seinesSpieleS. Seine künstlerische Besonderheit ist das samtweiche Piano und die außerordentlich« Oekonomie seines Bogen­striches. An dem Wiener   Professor Otto Schul­ hof  
hatte er einen geradezu vorbildlichen Partner Einen ungewöhnlich interessanten Konzert­abend dankte man der holländischen Sängeri« Liesbet Sanders, die gleichfalls zum erstenmal vor die Prager   Konzertöffentlichkeit trat. Ihre Ler- anstaltung als internationalen Volksliederabend B bezeichnen, war nur insoforn richtig, als die Künst­lerin Volkslieder mehrerer Länder(englische, hollän­dische. französische, deuffche und jiddische) vortruir Aber ihrer Vortragskunst nach ist Liesbet Sander? weit mehr als«ine gewöhnliche Volksliedersängerin- Sie ist eine Diseuse im Stile der berühmte« französischen Kvette Guilbert. eine Diseuse. dere« durch Mimik und Gesten meisterhafter Gesangsvor« trag selbst die kleinsten Volkslieder als dramatisch« Szenen efftehen läßt. Die Gesangstimme ist ihr hie­bei nur untergeordnetes Instrument, nur dazu die­nend, den Affest der Sprache zu steigern und ihre« Ausdruck zu verffefen. Dem dramatischen Sinn der gesungenen Chansons entsprach auch Heren vielfach melodramatisch untermalenheKlavierbegleitung. LieS- bet Sanders und ihr vortreffticher Klavierbegleiter deGriend wurden von dem leider nur spärlich er­schienenen Publikum sehr gefeiert. War sonst noch in dieser konzertreichen Woche geboten wurde, vak allem ein heiterer Liederabend des ausge­zeichneten Batzbuffo Rudolf B a n d l« r soll hiet wenigstens genannt werden, konnten wir aus diese« oder jenen Gründen leider nicht wahrnehmen. E. I.  
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