-
994
-RO
Kind, das seinem Verhängnis ahnungslos entgegenging. Ich erschienen. Meine Mutter empfing mich mit überströmender mußte ganz genau, was ich tat. Und tat es doch, von einem Bärtlichkeit. Sie hatte sich nach mir gesehnt, hatte sich ge wilden Trotz gestachelt, von einer unsichtbaren Hand vorwärts ängstigt um mich. gestoßen
Als der rote Lichtschein der Station, auf der Vincenti mich erwartete, in mein Coupéfenster fiel, schüttelte ein Schauer mich von Kopf bis zu Fuß; ich hatte die klare Empfindung, daß ein Unabwendbares da draußen stand und den Riegel von der Tür stieß. Ich fühlte einen Eishauch über meine Schläfen gehen. Das Feuer in mir war plößlich erloschen; eine falte, grausame, lüsterne Neugier froch mir durch die Adern. Das war nicht mehr ich, die Wilma: dies blasse, willenstrogige Weib, das durch die eisbereiften Fenster in die Winternacht starrte, das war eine völlig Fremde, die lachend in ein sicheres Verderben ging. Ich stand dicht neben ihr und beobachtete jeden Bug ihres gespannten Gesichtes, jedes Zucken ihrer fiebernden Seele mit einer dämonischen, eiskalten Wißbegierde.
Und diese Begierde blieb. Sie war in mir, als ich an feiner Seite im knirschenden Schnee durch die prachtvolle Vollmondnacht dem weltverlorenen Städtchen zuwanderte, das wir zum Orte unserer Begegnung erwählt. Kalt wie das Mondlicht flirrte sie in mir, als in dem verschwiegenen Hotelzimmer der Mann, all' seiner priesterlichen Würde vergessend, den brutalen Arm um die zitternde Beute schlang, sie war in mir und wirkte derart lähmend und überwältigend auf meinen gefunden Willen ein, daß jede Widerstandskraft erlosch, wie die Glut in mir erloschen war. Ich studierte den Menschen in ihm und in mir mit einer unheimlichen Gespanntheit. Ich studierte, während mein Ohr seine kosenden Worte trank, während ich in einem plöglichen Gefühl des Widerwillens seine Hand von meinem Herzen stieß. Ich studierte mich selbst.
-
Kaum aber, daß er mich verfassen hatte, so sprang ich empor in rasender Hast, warf mit kraftvoller Hand den Riegel vor die Tür und stand nun mit nackten Füßen mitten in dem großen, fahlen, falten Zimmer und lachte lachte lachte, bis mir die Tränen über die Wangen liefen, bis ein seltsames Schluchzen aus meinem Herzen brach, das, über die höhnisch verzerrten Lippen huschend, mit meinem Gelächter zu einem grellen, gebrochenen, unerhörten Laut verschmolz.
Das war der schwerste Teil meiner Beichte, das Geständnis, daß ich mich nicht aus Liebe hingegeben habe, sondern unter einem seltsamen Bann, in einer Art von Suggestion. Von jenem Moment an wußte ich, daß ich ihn nie geliebt, daß ich an all' feine Heiligtümer nicht eine Stunde lang geglaubt, und dennoch, Du: heuchelte ich ihm auch fernerhin Liebe, fniete vor seinen Göttern und hielt ihm die Treue.
Warum nur?
Das war ein tiefes, schreckhaftes Rätsel für mich in jenen dunklen Tagen. Heut, in Deinem Lichte, liegt auch über diesen Tiefen Klarheit.
Die Liebe liebte ich, die ich nicht kannte. Ich glaubte mich gefallen", und die grausamen Morallehren der Gesellschaft, in der ich erzogen war, spukten in meinem überreizten Gehirn. Dem Manne, dem ich einmal angehört, dem mußte ich treu sein, wenn ich nicht ein verlorenes oder verdorbenes Geschöpf werden wollte. Ich war auf einen Schlag in eine furchtbare Abhängigkeit geraten. Und so versuchte ich's denn mit all' den angeborenen Künsten des Weibes, mir die Liebe meines Herrn zu erhalten. Auch mein ganzer Glauben" war, abgesehen von vereinzelten dunklen Augenblicken, in denen die Verzweiflung mich packte, nur ein Stokettieren mit dem Manne. Dabei fühlte ich seine Brutalität, fühlte, daß ich die Macht über ihn verloren hatte, ganz und gar.
Und nun forderte er von mir. Forderte, daß ich fromme Lieder dichten" sollte. Er begann mit meinem Talent für seine Kirche zu rechnen.
So ward ich sein Geschöpf. Er sagte mir das schonungslos, während er mich mit Liebfosungen überhäufte.
Und ich wehrte ihm nicht mehr. Ich war ihm verfallen. So ohne alle Kraft war ich, daß selbst meine Tränen versiegten.
Und als ich ihm die Hand zum Abschiede gereicht, als sich die bretterne Scheidewand zwischen uns geschlossen hatte, ging cin tiefes Aufatmen durch meinen Körper. Ein Gefühl des Freiseins durchschauerte mich.
Mit einer Lüge ging ich von ihm; und lange Jahre hindurch sollte mein Leben eine einzige, qualvolle Lüge sein.
*
*
Durch tiefen Schnee kam ich vom Bahnhof heim. Eine seltsame Schwere lag in meinen Gliedern, so dumpf, so drückend, daß meine Stapfen im Schnee mir absonderlich groß und tief
,, Eine körperliche Angst hab' ich ausgestanden, Wilma. Wenn ich Dich nicht so gut aufgehoben gewußt hätte, wäre ich Dir nachgefahren!"
-
Troß ihrer Krankheit, ihrer Schwäche, trotz der Härte des Winters!! Du gutes, ahnungsreiches Mutterherz! Und ich belog sie wiederum, indem ich ihr von den in Bärnstein genossenen Vergnügungen erzählte, während ich in Wirklichkeit nur einen Tag lang auf der Rückfahrt bei meinen Verwandten verweilt hatte.
Acht Tage hab' ich dann warten müssen, bis Vincentis erster Brief tam. Und der war voll von Vorwürfen darüber, daß ich bei unserem Abschiede nicht einmal geweint hatte. Ein quälendes Mißtrauen blickte, unter den zärtlichen Worten verborgen, mir höhnisch ins Gesicht.
Dies Mißtrauen empörte mich, obwohl es berechtigt war. Nicht, daß ich einen Augenblick in der Trene zu ihm gewanft hätte: ich hätte mir eher das Herz aus der Brust schneiden lassen, ehe ich ihn, auch in Gedanken nur, betrogen oder ver lassen hätte. Aber er mußte den Mangel an Wärme von meiner Seite empfunden haben. Das tam mir freilich damals nicht in den Sinn; und so fuhr ich fort, ihm verlogene, ver liebte, überspannte Briefe zu schreiben.
Und nach einigen Monaten war ich im Taumel meiner Gefühle genau auf demselben Punkt angelangt, auf dem ich vor unserer Zusammenkunft gestanden. Jaj bildete mir wieder ein, daß ich ihn liebte und glühend begehrte.
Heute weiß ich, daß es ein Anderer war, nach dem Körper und Seele schrieen. Ein Anderer, der die große Freiheit der Liebe lehrt und weiß, daß all' ihre Geschenke königliche Gnaden sind. 20
Im brennenden Sommermond trafen wir uns zum andern Male. Ich traf eine Stunde nach der verabredeten Zeit in dem von ihm bestimmten Hause ein. Auf seiner Stirn lag eine tiefe Falte.
Warum ließest Du mich warten?" Herb und hart klang sein Wort,
Von heißem Schreck durchschauert, schlang ich die Arme um ihn. Zum ersten Male freiwillig, zum ersten Male ich, und nicht das kalte, fragenhafte Wesen, das so oft außerhalb mir gestanden und mich neugierig beobachtet hatte.
( Fortfeßung folgt.)
( Nachdrud verboten.)
Eine Pfaffenrevolte.
Die politische Form der auffommenden bürgerlichen Gesellschaft war der Absolutismus . Sein vorbildliches Gepräge empfing er in dem Spanien Philipps II. Dieser trat den beginnenden Gewerbefleiß seines Landes durch die Ausrottung der Mauristen ebenso in den Boden, wie er die neuentdeckte transatlantische Welt, einen 60 Breitengrade umspannenden Kolonialbesig, den herrschenden ueberbleibseln aus der Feudalzeit, den Junkern und Pfaffen, zur strupellosen Auswucherung überließ. Als Werkzeuge zu diesem Ziel biente ein streng monopolisierter Handel, ein auf der Sklavenarbeit ruhender Plantagenbetrieb, ein raffiniertes Steuer- und das Schröpfsystem der Bettelorden , Zehntentvefeit, sowie
mit der Bigotterie der Höllenfurcht die hülflofe die Rückständigkeit gerade der Aermſten terrorisierten. Der spanischen wesentlich verwandt und seit der Vertreibung der Hugenotten böllig auf sie zugeschnitten war die Handelspolitik Frankreichs im 17. und seine Kolonialpolitit im 18. Jahrhundert.
Zu derselben Zeit, da der kapitalistische Absolutismus in Spanien fein Totenreich errichtete, dessen unfagbare Schmach und Schande die Nation der Calderon und Cervantes vier Jahrhunderte hindurch bis in die jüngste Gegenwart tragen sollte, blühte die niederländische Industrie, begünstigt durch den frühen Handel mit Brabant und Flandern und die Beziehungen zur Hansa und zu England bereits mächtig und unaufhaltsam empor. An ihr rannte sich der spanische Despot zum Glück und zum Segen der ganzen Welt den starren Schädel ein. Die Niederländer waren nicht allein darauf bedacht, foloniale Erzugnisse in das Land einzuführen, sie suchten nicht gleich den spanischen Junkern und Pfaffen mit dem Ueberseehandel und der Ausbeutung fremder Silberminen den inländischen Gewerbfleiß niederzuhalten: fie verarbeiteten die Kolonialprodukte zum guten Teil und schufen an der Hand des transatlantischen Verkehrs eine Reihe der einflußreichsten Manufakturen. Mit den Holländern kommt die Weltpolitik des bürgerlichen Handelskapitals auf. Sie lassen sein erstes umfassendes Geldinstitut in der Bank von Amsterdam erstehen, sie erobern die Märkte kulturell höher stehender Völkerschaften und richten sich am Kap der guten Hoffnung und in Batavia ein; die ostindische Handelskompagnie wird vorbildlich für die nachmaligen englischen Gesellschaften gleichen Schlages.