Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 85.

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Freitag, den 4. Mai.

( Nachdruck verboten.)

Einer Mutter Sohn.

Roman von Clara Viebig  .

Es kam wie Schlieben gehofft hatte; das heißt, zu malen fing fie nicht an, aber sie unternahm mit ihm Touren in die Ardennen und die Eifel  , zu Fuß und zu Wagen, und hatte Freude daran. Das Venn hatte es ihr angetan. Sie stand in ihrem lichten Kleide wie ein kleiner heller Punkt in dem ungeheuren Ernst der Landschaft, schirmte die Augen mit der Hand gegen die hier so unbehinderte, durch keinen Baum, keinen Berg gehemmte Sonnenaussicht und sog in tiefen Atemzügen die herbe, gläserne, noch von feinem Rauch mensch licher Wohnungen, faum von Menschenodem versehrte Luft ein. Um sie blühte das Venn wie ein gleichfarbener Teppich, tief, ruhig, dem Auge ein wohltuendes Labsal; nur selten redte sich dazwischen blauer Enzian und die leicht schaukelnde weiße Flocke des Wollgrases.

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Dwie schön!" Das sagte sie mit tiefster Empfindung. Die Melancholie der Landschaft schmeichelte ihrer Stimmung. Da war fein bunter Ton, der sie störte, tein Durcheinander von Farben. Selbst die Sonne, die hier schöner untergeht als anderswo so tief errötend, daß der ganze Himmel mit errötet, daß der schlängelnde Vennbach, von Moospolstern ein­gefäumt, jede Lache, jede wassergefüllte Torfgrube rotgolden widerstrahlt und das traurige Venn einen Mantel trägt voll leuchtender Herrlichkeit selbst diese Sonne brachte feinen grell- heiteren Schein. Groß, würdevoll, eine ernste Siegerin nach ernstem Kampfe, zeigte sie ihr gewaltiges Riesenrund. Mit großen tränenden Augen fah Käte in diese wunder­bare Sonne, bis das letzte Strählchen, das letzte rofige Aeder­chen im Wolfengrau versiegt war: so ging die sterbender Himmel war tot, aber am Morgen stand sie doch wieder da, eine ewig- unvergängliche, nie besiegte Hoffnung! Sollte, durfte da das Menschenherz nicht auch wieder schlagen, neu belebt, immer in Hoffnung?!

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Nebel huschten übers Moor, verschleierte, unbeschreib­, ungewisse Erscheinungen; ein Raunen ging von dem ind, ein Lispeln durch Kraut und Wollgras es war Räte, als habe das Benn ihr etwas zu sagen. Was sagte es?! Ah, das war nicht umsonst, daß sie hier gehalten wurde, sich festgehalten fühlte wie mit starker und doch gütiger Hand!

Sie ging, gleichsam suchend, mit rascherem, elastischerem Schritt.

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Schlieben war glücklich über das Gefallen, das seine Frau an der Gegend fand. Er konnte dieser Landschaft freilich keinen besonderen Geschmack abgewinnen war es nicht reichlich öde, monoton und unfruchtbar hier? Aber ge­wiß, Stimmung, sehr viel Stimmung hatte die eigentümliche Szenerie nun, und wenn sie sich darin behagte, war die ihm doch lieber als ein Paradies!

Sie fuhren oft hinauf bis zur Baraque Michel, jenem einsamen Wirtshaus auf der Grenze von Belgien   und Preußen, in dem die Grenzjäger ihren Wachholderschnaps trinken, wenn sie auf etwaige Schmuggler fahnden, und wo die Torfarbeiter ihre nebelfeuchten Kittel und durchnäßten Stiefel am stets brennenden Herdfeuer trocknen.

So viele Kreuze im Venn, so viele Verunglückte. Mit heimlichem Grausen hörte Käte die Erzählungen der Leute - das Venn, konnte das so furchtbar sein?! und sie fragte sie immer wieder von neuem aus. War's möglich, jener Mann aus hoffraig, der nach Torfftreu gefahren, war hier versunken, mit Karren und Pferd, so dicht am Weg, und man hatte nie, nie wieder etwas von ihm zu Gesicht bekommen?! Und dort das Kreuz, so verwittert und schwarz, wie kam das Mitten ins Moor?! Warum hatte sich nur der Handwerksbursche, der auf der Poststraße von Malmedy  nach Eupen   wandern wollte, so weit ab verlaufen? War es denn Nacht gewesen oder ein Schneetreiben, daß er nicht hatte sehen können, oder Kälte, grimmige Kälte, bei der ein Müder erfriert? Nichts von alledem; nur Nebel, plöglicher Nebel, der so verwirrt, daß man nicht mehr geradeaus weiß, noch rückwärts, weder links noch rechts, jegliche Richtung verliert, von der Straße abkommt und im Kreise umher­

1906

rennt wie ein sinnlos verängstigtes armes Tier. Und alle die Nebel, die im Venn steigen, wenn's Tageslicht auslischt, find das die Seelen der Unbestatteten, die, in zerfallenen Gewändern allnächtlich ruhelos ihren durch keinen Segens­spruch, durch kein Weihwasser geweihten Grüften entstiegen?! Das war ein Märchen. Aber war's nicht überhaupt hier wie im Märchen? So ganz anders als irgendwo sonst in der Welt, eigentlich häßlich und doch nicht häßlich, eigentlich nicht schön und doch so über alle Maßen schön?! Und sie selbst, war sie hier nicht eine ganz andere, ging sie nicht er­wartungsvoll, selig- verträumt, wie eine, die etwas Wunder­barres erleben soll?!-

Es war in der sechsten Woche ihres Aufenthalts in Spaa. Die Nächte waren schon winterkalt, die Tage aber noch sonnig. Es war immerhin eine weite Fahrt hinauf zur Baraque, auch für die kräftigen Ardennengäule, aber Mann und Frau waren heute doch wieder oben. Hieß es nun bald scheiden?! es Ach ja mit Wehmut mußte sich's Käte eingestehen war sehr herbstlich, das Heidekraut verblüht, die Lüfte rauh; das in der Nacht schon gefroren gewefene Gras raschelte unter ihren Füßen. Man konnte winterliche Kleidung ge­brauchen.

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,, Su, wie falt," sagte fröstelnd Schlieben und schlug sich den Kragen des Ueberziehers in die Höhe. Er wollte seiner Frau ein Tuch um den Hals schlingen, aber sie wehrte fich dagegen: Nein, nein!" Eiligen Schrittes lief fie vor ihm Sieh nur!" her durchs raschelnde Kraut.

Es war ein weiter Ausblick, der sich ihnen bot, hier auf der höchsten Erhebung des Venns, die ein wackeliges Holz­türmchen ziert. Die ganze große heidebewachsene Hochfläche lag vor ihnen, darauf ab und zu ein dunkelragendes Tannen­trüppchen, das nur auf der dem Sturm abgekehrten Seite breitende Aeste zeigte. Aengstlich geduckte Schonungen, kaum höher als das Kraut und nur durch die andere Farbe er­fenntlich. Und hier und hier, und da und dort ein grauer Findlingsblock und ein zur Seite gewehtes Kreuz. Und eine Stille darüber im herbstlich bleichen Mittagslicht, als sei hier Gottesacker.

Als sie auf das Türmchen geklettert waren, sahen sie noch mehr. Sie sahen von der Hochfläche zu Tal: rundum eine blaue Weite, blau vom Dunkel der Wälder und vom Duft des Herbstes, und im schönen Blau langgestreckte Dörfer, die weißen Häuser halb verborgen hinter hohen Schutzhecken. Und hier, nach Belgien   hinab, mit seinem grauen Dunst wie eine Wolfe in der flaren, fristallhellen Herbstluft lagernd, das große Verviers, überragt von Kirchtürmen und Fabrik­schornsteinen.

Räte seufzte auf und schauderte unwillkürlich zusammen: ach, so nahe schon die Alltäglichkeit? Rückte ihrer wunder­baren Märchenwelt das graue Leben schon näher und näher?! Schlieben hüstelte; er fand es reichlich fühl hier oben. Sie ftiegen vom Türmchen herunter, aber als er sie zur Baraque zurückführen wollte, widerstrebte sie: Nein, noch nicht, noch nicht! Es läutet ja erft Mittag!"

Von der Kapelle Fischbach her, jenem schieferbekleideten, uralten Kirchlein, in deffen Turm man früher die große rote Laterne hißte, um dem im wilden Meer der Nebel schwimmen­den Wanderer den rettenden Port zu weisen, und unab lässig die Glocke rührte, um versagte das Auge durchs Ohr den Frrenden zu retten, läutete es. Hell und durch­dringend rief das Glöckchen in die Einsamkeit der einzige Laut der großen Stille.

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,, Wie rührend ist dieser Klang!" Räte stand mit ge­falteten Händen und sah schimmernden Auges in die große Weite hinaus. Welch ein Zauber wohnte in diesem Venn?! Er umspann die Seele, wie das zähe Gestrüpp der Heide und die kriechenden Ranken des Schlangenmooses den Fuß um­stridten. Wenn sie daran dachte, daß sie nun bald von hier scheiden mußte, fortgehen aus dieser ungeheuren Stille, die ein Geheimnis zu bergen schien, ein Wunderbares hegte im tiefen Schoß frampfte ihr Herz sich zusammen in plößlicher Angst: wie würde es nun mit ihr werden, was mit ihr geschehen?! Ihre suchende Seele stand wie ein Kind ver langend auf der Schwelle des Märchenlandes- sollte ihr denn feine Gabe werden?!

Was war das?!" Mit einem halblauten Ruf des Er­