Nnterhalwngsblatt des Horivärts Nr. 139. Sonnabend, den 20 Juli. 1907 lNachdruck verboten.) 151 Die JMuttcn Roman von Maxim Gor!i. Deutsch von Adolf Heß. Hinter der Fabrik zog sich ein großer mit Tannen und Mrken bewachsener Sumpf hin, der sie sast mit einem Ring von Fäulnis umgab. Im Sommer stiegen dichte, gelbe Dünste daraus auf. und über der Vorstadt schwärmten Wolken von Mücken, die überall Fieber verbreiteten. Der Sumpf gehörte der Fabrik, und der neue Direktor, der Nutzen daraus ziehen wollte, gedachte den Sumpf trocken zu legen und gleichzeitig Torf zu gewinnen. Er zeigte den Arbeitern, daß diese Maß- regel den Ort gesünder machen und die Lebensbedingungen für alle verbessern würde und traf die Anordnung, zur Trockenlegung des Sumpfes jedem eine Kopeke auf den Rubel vom Verdienst abzuziehen. Die Arbeiter wurden erregt. Besonders beleidigte sie, daß die Angestellten zu dieser neuen Steuer nicht beitrugen. Pawel war an dem Sonnabend krank, wo die betreffende Erklärung des Fabrikdirektors angeschlagen wurde: er ar- beitete nicht und wußte nichts davon. Am nächsten Tage kam nach dem Mittagessen ein ehrbarer Greis, der Gießer Ssisow, ferner der große böse Schlosser Machotin zu ihm und erzählten von der Verordnung des Direktors. Wir älteren Leute haben uns versammelt," sagte Ssisow gesetzt,wir haben den Fall besprochen, und nun haben uns die Kollegen zu Dir geschickt, um Dich zu fragen da Du gut unterrichtet bist ob es ein Gesetz gibt, wonach der Di- rektor mit unserem Geld einen Mückenkrieg führen darf?" Ueberleg' es Dirl" sagte Machotin, mit den schmalen Augen blitzend.Vor vier Jahren haben die Gauner für ein Bad gesammelt. 3800 Rubel sind zusammen gekommen... wo sind sie? Ein Bad haben wir nicht bekommen!" Pawel erklärte diese Abgabe für ungerecht und wies den offenbaren Nutzen nach, den die Fabrik daraus zöge: die beiden Arbeiter gingen stirnrunzelnd fort. Als die Mutter sie hinaus geleitet hatte, meinte sie lächelnd: Siehst Du, Pawel, jetzt kommen schon alte Leute zu Dir, um Deinen Verstand zu borgen." Pawel setzte sich bekümmert an den Tisch, ohne zu ant- Worten, und begann zu schreiben. Ein paar Minuten später sagte er zu ihr: Ich bitte Dich: fahr doch sofort in die Stadt und gib diesen Brief ab..." .Ist das gefährlich?" fragte sie. Ja. Da wird eine Zeitung für uns gedruckt... Die Geschichte mit dem Suinpfgroschen muß unbedingt in die Zeitung..." Schön schön!" erwiderte sie. sich schnell ankleidend. Ich gehe sofort..." Es war der erste Auftrag, den ihr Sohn ihr erteilte. Sie freute sich darüber, daß er ihr offen gesagt, worum es sich handelte, und daß sie ihm jetzt direkt nützlich sein konnte. Das verstehe ich. Pawel!" sagte sie.Das ist ja der reine Raub!... Wie heißt der Mann, Jegor Jwanowitsch?" Sie kehrte spät abends müde aber zufrieden zurück. ..Hab' Sascha gesehen!" sagte sie zu ihrem Sohn.Sic läßt Dich grüßen. Dieser Jegor Jwanowitsch ist aber ein «Spaßvogel! Komisch redet der!" Ich freue mich, daß sie Dir alle gefallen!" sagte Pawel leise. Schlichte Leute, Pawel! Gut, wenn die Menschen einfach sind... Und alle verehren Dich. Montag ging Pawel wieder nicht zur Arbeit, er hatte Kopfschmerzen. Mittags kani Fedja Masin angelaufen, er war erregt und glücklich und teilte keuchend vor Müdig- keit mit: Komm! Die ganze Fabrik ist in Aufruhr. Man schickt nach Mr... Ssisow und Machotin sagen, Du könntest am allerbesten reden... Was da nicht alles vorgeht!" Pawel begann sich schweigend anzukleiden. Die Frauen laufen zusammen und kreischen." Ich gehe auch mit," erklärte die Mutter.Du bist krank. Was mag dort nur los sein? Ich gehe hin!" Geh!" sagte Pawel kurz. Auf der Straße gingen die drel schnell und schweigsam vorwärts. Die Mutter atmete infolge des schnellen Gehens und der Erregung schwer: sie fühlte, daß etwas Wichtiges bevorstand... Am Fabriktor standen eine Menge Frauen, die schricn und schimpften. Als die drei in den Hof schlüpften. gerieten sie sofort in eine dichte, schwarze, aufgeregte, summende Menge. Die Mutter sah, daß alle Köpfe nach einer Seite, nach der Schmiede hingewandt waren, wo auf einem Haufen alten Eisens, von den roten Ziegelsteinen sich deutlich abhebend, gestikulierend Ssisow, Machotin, Wjallow und noch fünf einflußreiche Arbeiter standen. Wlassow   kommt!" rief jemand. Wlassow  ? Schaff' ihn mal hierher..." Pawel wurde gepackt, vorwärts geschoben, und die Mutter blieb allein. Still!" hieß es auf einmal an verschiedenen Stellen. Und in der Nähe ertönte Rybins gleichmäßige Stimme: Nicht wegen der einen Kopeke müssen wir standhaft bleiben, sondern wegen der Gerechtigkeit! Uns ist nicht die Kopeke wertvoll sie ist nicht runder als die anderen, aber sie ist schwerer es klebt mehr Schweiß und Blut daran als an den Rubeln des Direktors, jawohl! Und wir schätzen nicht die Kopeke sondern unser Blut und die Wahrheit, jawohl!" Seine Worte fielen kräftig in den Haufen und bewirkten leidenschaftliche Ausrufe. Das stimmt! Jawohl, Rybin!" Still, Teufel!" Hast recht, Gießer!" Wlassow   ist da!" Den lauten Maschincnlärm, das schwere Stöhnen des Dampfes und das Rauschen der Treibriemen übertönend, flössen die Stimmen in brausendem Wirbel zusammen. Von allen Seiten kamen Leute gelaufen, die sich gestikulierend unterhielten und sich gegenseitig mit leidenschaftlichen, beißenden Worten aufregten. Die heimliche Erregung, die stets in der Brust dieser müden Menschen schlummerte, er« wachte, suchte einen Ausweg, brach über die Lippen, flog triumphierend durch die Lust, breitete ihre dunklen«Schwingen immer weiter aus, packte die Menschen immer fester, riß sie mit sich, stieß sie gegen einander, verwandelte sie in feurige, bösartige Wesen. Neber der Menge schaukelte eine Wolke von Ruß und Staub, die schweißbedeckten Gesichter brannten, und die Haut an den Wangen weinte schwarze Tränen. In den dunklen Gesichtern funkelten die Augen, glänzten die Zähne. Dort, wo Ssisow und Machotin standen, erschien Pawel, und jetzt erklang sein Ruf: Genossen!" Die Mutter sah, daß sein Gesicht blaß wurde, und die Lippen zitterten: sie bewegte sich unwillkürlich vorwärts und stieß die Menge beiseite. Aergerlich rief man ihr zu> Alte, wo krauchst Du hin?" Man stieß sie. Aber das hinderte das Weib nicht, die Menschen mit Schultern und Ellbogen beiseite zu drängen: sie schob sich langsam näher an den Sohn heran, nur von dem Wunsch getrieben, neben ihm zu stehen. Indem Pawel das Wort aus seinem Innern heraus- schleuderte, in das er einen tiefen, wichtigen Sinn legte, fühlte er, daß ein scharfer Freudenkrampf über den bevor- stehenden Streit ihn, die Kehle zuschnürte: ihn ergriff der unbezwingliche Wunsch, sich seinem Glauben hinzugeben, den Menschen sein Herz hinzuwerfen, das vom Feuer des Wahr- heitstraumes entzündet war. Genossen!" wiederholte er und schöpfte aus diesem Worte Kraft und Begeisterung.Wir sind die Leute, die Kirchen und Fabriken bauen, die Ketten und Geld herstellen... Wir sind die lebendige Kraft, die alle von der Wiege bis zum Grabe ernährt und erheitert." Aha!" rief Rybin., Wir sind stets und überall die ersten bei der Arbeit, und stehen im Leben auf dem letzten Platz. Wer kümmert sich um uns? Wer tut uns Gutes? Wer hält uns für Menschen? Niemand!" Niemand!" hallte wie ein Echo eine Sstmme zurück. lSawel hatte sich jetzt in der Gewalt. Er begann fester u w ruhiger zu reden, die Menge bewegte sich lanasam an �WDM