Anterhaltungsblait des Vonvarts Nr. 142. Donnerstag, den 26. Juli. 1907 (Nachdruck verboten.) 181 Die JNIuttcr. RyMan von Maxim Gorki  . Deutsch von Adolf Heß. Jegor Jwanowitsch trat ins Zimmer und sagte von dort aus: Heute morgen, liebe Frau Wlassow  , ist Ihr Bekannter Nikolai aus dem Gefängnis zurückgekehrt." War denn der dort?" fragte die Mutter. Drei Monate und elf Tage... hat da den Kleinrussen gesehen, er läßt Sie grüßen und Pawel, der ebenfalls grüßen läßt, bittet Sie, sich nicht zu beunruhigen, sagt, daß das Ge- fängnis auf seinem Wege den Menschen stets als Erholungs- stätte dient das sei von unserer besorgten Obrigkeit einmal so eingerichtet... Jetzt will ich aber zur Sache kommen. Wissen Sie, wieviel Leute hier gestern verhaftet sind?" Nein! Sind denn außer Pawel noch welche.. rief die Mutter. Er ist der 49.1" unterbrach Jegor Jwanowitsch sie ruhig, und wir müssen erwarten, daß die Behörde noch etwa ein Dutzend festnimmt! Den Herrn da auch... Ja, mich auch!" sagte Samoilow finster. Frau Wlassow   fühlte, wie ihr Atem leichter wurde. Dann ist er wenigstens nicht allein!" blitzte ihr durch den Kopf. Nachdem sie sich angekleidet, trat sie ins Zimmer und meinte mit zuversichtlichem Lächeln: Da werden sie ihn sicher nicht lange festhalten, wenn so viele verhastet sind!..." Das stimmt!" sagte Jegor Jwanowitsch.Aber, wenn wir ihnen jetzt die Suppe versalzen, sind sie vollständig bla- miert... Die Sache ist die, liebe Frau: werden wir jetzt aufhören, unsere Traktätchen in die Fabrik zu schaffen, so klammern sich die Herren Gendarmen an diese traurige Er- schcinung und verwerten sie gegen Pawel und seine Freunde, die man bereits ins Loch geworfen hat..." Wieso denn? Warum?" rief die Mutter unruhig. Sehr einfach!" sagte Jegor Jwanowitsch milde.Bis- weilen haben auch Gendarmen einen richtigen Gedanken. Be- denken Sie einmal: solange Pawel da war, erschienen die Büchlein und Blätter, sobald er nicht mehr da war, gab es beides nicht mehr! Das heißt doch, er hat die Dinger ver- breitet, nicht wahr? Nun, da werden sie dann einfach alle vornehmen. Die Gendarmen lieben es, den Menschen so auszubeutcln, daß kaum noch ein Dunst und eine traurige Er- innerung von ihm übrig bleibt..." Ich verstehe, verstehe!" sagte die Mutter betrübt.Ach Gott  , was sollen wir jetzt machen?" Aus der Küche ertönte Samoilows Stimme: Sie haben fast alle erwischt, der Teufel soll sie holen!... Jetzt müssen wir das Geschäft wie früher fortsetzen, nicht allein der Sache wegen.,, sondern auch um die Kameraden zu retten." Aber wir haben niemand, der die Arbeit besorgt!" setzte Jegor hinzu.Schriften haben wir in ganz vorzüglicher Qualität... Hab' sie selbst verfaßt... aber wie werden wir sie in die Fabrik bringen das ist uns noch nebelhaft." Am Fabriktor wird jetzt jeder untersucht," sagte Sa- nwilow. Die Mutter fühlte, daß sie etwas von ihr wünschten und erwarteten, und fragte schnell: Nun, was ist denn?" Samoilow trat in die Tür und sagte: Pelage Nilowna, Sie sind doch mit der Händlerin Kor- ssunowa bekannt.. Jawohl, was soll denn?" Sprechen Sie doch mit ihr, ob sie die Dinger nicht ein- schmuggeln will?" Die Mutter wehrte mit beiden Händen ab: O nein! Das Weib ist geschwätzig..» Nein! Wenn sie erfahren, daß die Sache durch mich.., aus diesem Hause... Nein, nein!" Und von einer plötzlichen Eingebung überrascht, sagte sie freudig und leise: Gebt mir die Sachen, gebt sie mir! Ich richte es schon ein... finde schon einen Weg! Ich bitte Marja, daß sie mich als Gehülfin nimmt. Muß doch auch leben und arbeiten! Ich werdeDas Essen hinbringen... Ich richte es schon ein!" Die Hände gegen die Brust gepreßt, versicherte sie, daß sie alles gut ausführen würde und rief triumphierend: Sie sollen sehen: Pawel Wlassow ist nicht mehr da, aber seine Hand reicht sogar aus�dem Gefängnis heraus,,, Das werden sie schon sehen!" Alle drei wurden lebhaft. Jegor rieb sich kräftig die Hände, lächelte und sagte: Das ist famos, liebe Alte. Wenn Sie wüßten, wie fein das ist! Einfach entzückend!" Ich setze mich ins Gefängnis, wie in einen Lehnstuhl, wenn die Sache glückt!" meinte Samoilow ganz vergnügt. Frau Wlassow  , Sie sind eine Schönheit!" kreischte Jegor. Die Mutter lächelte. Es war klar: wenn jetzt die Flug» blätter in der Fabrik erschienen, mußte die Behörde einsehen, daß ihr Sohn sie nicht verbreitete. Im Gefühl, die Aufgabe verrichten zu können, zitterte sie vor Freude. Wenn Sie Pawel aufsuchen," sagte Jegor,sagen Sie ihm, er hätte eine brave Mutter..." Ich sehe ihn früher!" meinte Samoilow lächelnd. Dann sagen Sie ihm nur: ich führte alles aus, Wa5 notwendig wäre! Er soll das wissen!..." Wenn man ihn aber nicht einsperrt?" fragte Jegor auf Samoilow deutend. Nun, dann ist die Sache faul!" Beide lachten. Und als die Mutter ihr Versehen begriff, begann sie selbst leise und verwirrt, dabei etwas verschmitzt zu lächeln. Jeder ist sich selbst der Nächste!" sagte sie den Blick senkend. Natürlich!" rief Jegor.Was Pawel anlangt, so machen Sie sich keine Sorge und seien Sie nicht traurig. Der kehrt noch besser aus dem Gefängnis zurück, als er vorher war. Da ruht man sich aus und lernt dazu etwas, in der Freiheit hat unsereins keine Zeit dazu... Ich habe dreimal gesessen, und habe jedesmal, wenn auch kein großes Vergnügen, so doch erklecklichen Nutzen für Leib und Seele davon gehabt." Sie atmen aber schwer!" sagte Frau Wlassow   mit einem freundlichen Blick in sein schlichtes Gesicht. Das hat seinen besonderen Grund," erwiderte er, den Finger in die Höhe hebend.Also die Sache ist beschlossen! Wir bringen Ihnen morgen das notwendige Handwerks- zeug... und dann dreht sich das Rad, das hier die ewige Finsternis zerstören soll, weiter. Es lebe das freie Wort, Alte! Und es lebe das Mutterherz I Und nun auf Wiedersehen!" Auf Wiedersehen," sagte Samoilow und drückte ihr kräftig die Hand.Ich kann meiner Mutter mit solchen Sachen nicht kominen..." Werden schon alle begreifen!" sagte Frau Wlassow  , die ihm etwas Angenehmes erweisen wollte.Alle!" Als die Männer fort lvaren, schloß sie die Tür, sank mitten im Zimmer auf die Knie und begann zu beten, während draußen der Regen rauschte. Sie betete ohne Worte, nur mit einem großen Gedanken an die Leute, die Pawel in ihr Leben eingeführt. Es war, als zögen sie zwischen ihr und dem Heiligenbilde, auf das sie blickte, vorüber, alle ganz einfach und schlicht und einander ganz nahe und einsam im Leben. Früh am nächsten Morgen ging sie zu Marja Kor» ssunowa. Die Krämerfrau, wie immer, schmierig und geschwätzig, begegnete ihr freundlich und mitfühlend. Hast Kummer?" fragte sie, mit ihrer festen Hand die Mutter auf die Schulter schlagend.Gräm Dich nicht drum! Haben ihn gepackt, weggeführt, was ist weiter dabei? Ist jetzt weiter kein Unglück! Früher wurden die Leute wegen Diebstahl ins Gefängnis geworfen, jetzt fängt man an, sie wegen der Wahrheit einzusperren. Vielleicht hat Pawel etwas zu viel gesagt, aber er ist doch für alle eingetreten und alle verstehen ihn. Da mach Dir keine Sorge! Nicht alle sagen, aber alle wissen, was gut ist... Ich habe schon zu Dir gewollt, habe aber niemals Zeit. Muß immer kochen und handeln und sterbe doch schließlich bettelarm. Die Liebhaber