-
250
nicht! Berta hatte recht, Artur war noch lange nicht der schlimmste. Wenn er doch nur erst wieder eine Stelle hätte, dann war alles gut!
Den ganzen Tag fonnte sie nichts andres denken: Hätte er nur eine Stelle! Sie war wie besessen von diesem Wunsch. Ihre Seele war nicht bei der Arbeit. Die Geheimrätin, bei der sie den Salon reinmachte, hatte gar nicht unrecht, wenn sie heute über die Buzfrau klagte. Hatte die doch in ihrer Zerstreutheit eine Vase vom Kamin gehoben, gerade da, wo sie gefittet war, und so das Stück natürlich wieder abgebrochen. Es war ein trauriger Tag für Mine.
Für Berta war er auch nicht heiter gewesen. Stundenlang hatte sie in dem dunstigen Lokal des Mietsbureaus in der Jägerstraße gestanden. Sie hatte dieses auf gesucht, trotz des weiten Weges, weil es billig, jederzeit dort Nachfrage und Angebot war, und weil es sie, in einer Art von Sehnsucht, mit einem instinktmäßigen Trieb, immer wieder nach dem Herzen der Stadt, in die Nähe der FriedrichStraße zog, wo das Blut der Großstadt lebhafter pulst, die Schaufenster glänzender loden, die elektrischen Lampen der Restaurants bis spät in die Nacht dem bunten Gewimmel auf den Trottoirs leuchten.
-
tur begründet haben oder nicht. Soviel darf aber doch gesagt werden: die Anfänge des Realismus, sowie der von allem Stelzen gang befreiten modernen Schriftsprache find von beiden herbeigeführt worden. Desgleichen seht bei ihnen die allerdings mit dem Mantel des Byronschen Pessimismus drapierte Kritik an den bestehenden Mißständen und herrschenden Gesellschaftsklassen ein. Aus der Opposition gegen diese wie gegen die fremdländische Bildung ist aber die nationale russische Literatur hervorgegangen, und Nikolaus Gogol ist ihr eigentlicher Urheber. Seine Schriften sind es gewesen, die dort das soziale Element und die soziale Kritik einführten, die sich auf eine Analyse der Berhältnisse innerhalb Nußlands selbst stüßten. Gogol ist aber nicht bloß anzusehen als das Haupt der Ueberführungsliteratur" oder der natürlichen Schule", das heißt der Literatur, die die Mängel der Gesellschaft in allen ihren Echichten aufdedt, sondern er ist auch der Vater der Prosadichtung, sowohl des Romans wie des Dramas.
ihn
Peters
Nikolai Wasiljewitsch Gogol- Janowsky dies sein vollständiger Name- war kein Großrusse. Er wurde in einer ukrainischen Edelmannsfamilie zu Sorotschinzh im Gouvernement Boltawa geboren. Sein Vater hatte bereits einiges literarisches Talent gezeigt und ein paar Komödien in seiner VolksSprache geschrieben, starb aber früh. Der Knabe erhielt feine Gymnasialbildung in Njeshin, einer fleinen Provinzialstadt. Allein, der Glaube, zu etwas Großem geboren zu sein, schon mit neunzehn Jahren der stillen Heimat entfliehen. In ihrem koketteinfachen Anzug stand Berta, recht sicht- burg war sein Ziel. Dort wollte er zunächst Schauspieler hersen; bar, gleich vorn am Eingang des Mietsbureaus. Man hatte denn er gebet, wie wir hernach erfahren werden, über ein nicht ihr, als einen Rodvogel, diesen Platz angewiesen. Sie war gewöhnliches Vortragstalent. Doch der Direktor des Kaiserlichen verschämt und biß sich auf die Lippen- war sie nicht eigent- Theaters wollte ihn nicht aufnehmen. So mußte er sich nach einer lich heruntergekommen, daß sie hier stand? Mit welcher Ver- anderen Betätigung umsehen. Er fand sie vorerst als Hauslehrer. in Pawlowsk . Es war hier seine feineswegs beneidenswerte Aufachtung hatte sie früher auf die Mädchen geblickt, die von gabe, einem idiotischen Knaben Bilder zu zeigen, sie zu erklären hier aus einen Dienst suchten; das war gar nicht guter Zon. und den ganzen Tag mit ihm zu plaudern, um so die spärlichen Aber bald hob sie die gesenkten Lider; sie merkte, daß Geisteskräfte des Kranten, wenn auch nur um ein Weniges, zu fie gefiel. Nicht eine Dame ging vorüber, die sie nicht ansah. entwickeln. Sie wurde gemustert und musterte wieder. Die Aufseherin rief sie immer wieder heran, um sie vorzustellen. Sie suchen ein perfektes Hausmädchen sehn Se mal, meine Dame, was?! Janz wie für Ihnen gemacht! Schick, sauber, jewandt, en hochherrschaftliches Mädel! Na, Fräulein, sprechen Se doch mal mit die Dame! Achtzig Zaler nich drunter? Ach was, Sie werden sich schon einig werden!"
( Fortfebung folgt.]
-
Während dieser Zeit war es auch, daß Gogol mit verschiedenen gefeierten Schriftstellern, die in jenem Hause verkehrten, bekannt wurde: so mit Karamfin, Puschkin und Schukowsky. Lekterer wieder war mit Professor Pletnew, dem derzeitigen Rektor der mittelung erhielt Gogol dort eine Profeffur für. Geschichte. Er St. Petersburger Universität sehr befreundet, und durch ihre Verhat aber nur ein Jahr lang diese Stellung bekleidet, denn der Dichter fühlte weder zum Beamten noch zum Historiker irgendwelche Neigung. Ueberhaupt hatte ihn das schale Leben in Peters burg sehr enttäuscht:-die Stadt erschien ihm ohne jeglichen Charafter, von unheimlicher Stille, die Einwohner, als wären sie alle in Amt und Würden, ohne Geist dazu und ohne Intereffe für etwas anderes außer dem Dienst" So jung an Jahren er auch seine fleinrussische Heimat berlassen hatte jetzt gehrte an ihm förmlich die Sehnsucht nach ihr. Und wie er seine häufige Melancholie, ja Hypochondrie und seelische Depression auch infolge
-
[( Geboren am 19.[ 31.] März 1809; gestorben am 21. Februar förperlichen Unbehagens durch Erfinnen komischer Typen in mög
[ 5. März] 1852.)
Von Ernst Kreowski.
Die russische Dichtung der letzten neunzig Jahre fennen, heißt den Schauplatz ermessen, auf dem sich die geistige und soziale Entwidelung innerhalb der weiten Volksgrenzen des Zarenreiches abgespielt hat. Was bis dahin zutage getreten war, bewegte fich in völliger Abhängigkeit von der westeuropäischen Kultur einerseits, in den erstarrten Banden eines altruisophilen Pseudoklassizismus andererseits. Erst mußten, statt der seitherigen Plänteleien um die Sprache, kritische" Kämpfe um die Schönliteratur entbrennen, um darzutun, daß es noch teine spezifisch russische Literatur gäbe. Diese Tatsache nicht bloß erkannt, sondern auch in bald schroffer, bald verblümter Weise verkündigt zu haben, ist das Verdienst vor allem jener Kritifer, die durch die deutsche und englische Romantik befähigt waren, eine Umwertung der bisherigen literarischen Werte anzubahnen.
"
Man mag die Frage offen lassen: ob Puschkin und Lermontoff in ihren reifsten Werken wenigstens die nationale russische Litera*) Die bedeutenderen Werke Gogols find in der Reclamschen Universal- Bibliothek erschienen, einige auch in Meyers Volksbüchern. Auch unter den Büchern des deutschen Hauses" befindet sich ein Gogol gewidmeter Band, der einige seiner besten Er zählungen enthält. An einer deutschen Gesamtausgabe, die auch als Uebersetzung allen Anforderungen entspricht, fehlte es bisher. Der Münchener Verlag von Georg Wüller, dem wir bereits den ganzen Dostojewsky verdanken, hat jetzt eine solche unternommen. Die Herausgabe leitet Otto Buet, der vorzügliche Uebersetzer der mehrbändigen Memoiren Alexander Herzens. Es werden sämtliche Schriften und Dichtungen Gogols in 8 je mindestens 500 Drudseiten starken Bänden vereinigt sein, wovon bereits die ersten zwei Bände vorliegen. Sie umfassen bes Dichters Hauptwert: die " Toten Seelen", nebst einigen Novellen. Hier wird zum ersten Male der grandiose Roman in durchweg getreuer und vollständiger deutscher Verdeutschung geboten. Auch alle Varianten und Nach träge, die für das Verständnis der Grundidee und der künstlerischen Absichten des Dichters von Bedeutung sind, wurden mit aufgenommen. Wir werden somit endlich eine Gogols würdige deutsche Ausgabe haben.
lichst komischen Situationen zu bannen suchte, so erhob er sich über die Verdrießlichkeiten des tristen Petersburger Lebens, dessen Klima schon ihm schädlich war, durch die Gedankenflucht nach der südlichen Heimat mit ihrem freieren poetischen Menschentum, nach dem heiligen Kiew , nach der bunten und wonnigen Steppe.
Aus dieser Sehnsucht entstanden seine Kleinrussischen Era zählungen, die er in zwei Sammlungen: Abende auf dem Meierhofe bei Dilanka" und„ Mirgorod" erscheinen ließ. Obwohl die kleinrussische Sprache weit melodischer ist, schrieb er sie doch in der Sparche Schefowskys, Buschkins und Lermon toffs. Gogols Doppelnatur: einerseits eine bis zur krausen Phantastik unseres E. A. Hoffmann sich versteigende Romantit, andererseits eine realistische Treue der Schilderung, die bis dahin fremd war, offenbart sich hier. Und dann der Humor! Es ist das gutmütige Lachen eines jungen Mannes, der sich selbst der Lebens fülle freut und selbst über seine Helden lacht, wenn sie in fomische Situationen geraten find. Jeder dieser Helden: der Dorffänger, der reiche Bauer, die Matrone, der Torfschmied usw. ist dent wirklichen Leben entnommen und mit staunenswerter Naturwahra heit und dennoch poetisch geschildert. Alle abergläubischen Sitten und Bräuche im dörfischen Leben an einem Weihnachtsabend oder in einer Mittsommernacht, wo die Geister des Unheils und die Kobolde bis zum ersten Hahnenschrei ihr Wesen treiben, werden dem Leser vorgeführt, und zwar mit dem ganzen Wih, der dem Utrainrussen eigen ist. Nicht alle Stiggen handeln von Bauern; einige auch von den oberen Klassen der Bewohnerschaft in den Kleinstädten, wie z. B. die unbezahlbar föstliche Humoreske von zwei Nachbaren, die wegen einer alten Flinte, eigentlich aber deswegen in Feindschaft geraten sind, weil einer den anderen einen Gänserich" geheißen. Taras Bulba ", die Behandlung einer der interessantesten Perioden der Kleinrussischen Geschichte aus dem fünfzehnten Jahrhundert, gilt wohl als Perle von allen, wenn auch nicht hinsichtlich der mißlungenen Zeichnung einiger Personen und mancher allzu romantischer Einschläge, so aber gerade hinsichtlich der wundervollen Beschreibung des Lebens und Kriegsführens in der freien Kosatenrepublik jenseits der Stromschnellen".
"