Kruft, und dieses fremde, das in seinem gepflegten, samt-weichen Körperchen all ihre Mühen und Sorgen, all. ihreLebenssäfte trug, gefiel ihr besser..-.„Ist es denn schließlich nicht gleichgültig, wer das Kindauf die Welt bringt," dachte sie manchmal. Die Hauptsacheist ja das lebendige Leben, das dem Kinde zufließt, und dasihre war ja samt ihren Sorgen und Aengsten, ja samt demKummer um ihr eigenes Kind, dem sie nicht helfen konnte,ganz und gar dem fremden Knaben zugeflossen.Wenn aber die Macht der Unfreiheit sie ihrem Kindeentfremdete, so riß sich dieses auch immer mehr von ihrlos und wollte nichts mehr von ihr wissen, wenn sie es beiseinen seltenen Besuchen herzen und küssen wollte. Das trugaber wiederum dazu bei, ihre Gefühle herabzustimmen. Beider ersten verdächtigen Bewegung ihrerseits klammerte sichdas Kind zur größten Freude Esthers wie ein geängstigtesTierchen fest an diese und schrie und weinte, bis die Mutteres in Ruhe ließ. In diesen Augenblicken vergaß Jta voll-kommen, daß sie ihr Blut für das Kind vergossen habe undnahm unwillkürlich das fremde Kind, das sich an sie schmiegteund das sie instinktiv als ihr eigenes betrachtete. Diese Um-kehrung des Muttergefühls war aber nicht ohne Folgen fürihr gesamtes Seelenleben geblieben. In den ersten Wochenkämpfte sie noch dagegen an, haßte sich selbst und suchte mitGewalt ihr Herz zu Mitleid und Liebe zum unglücklicheneigenen Kind zu zwingen. Aber die Stimme des Lebens warmächtiger als die cher Natur, und wie das in den Ozeanhinaussegelnde Schiff langsam den Blicken entschwindet unddas dem Herzen teure Wesen in die Fremde führt, wenn auchdas Auge sich noch so anstrengt, um die Bewegung des winken-dn Tuches zu unterscheiden— so verschwand allmählich ausJtas Herzen die Liebe zu ihrem Kind, trotzdem sie weinte undlitt, um sie zu erhalten. Wie früher erwartete sie mit Un-geduld den Tag seines Kommens, legte alles bereit, was sieEsther mitzugeben hatte. Aber das Wiedersehen war nichtdas alte, es war wie ein Wiedersehen im Gefängnis, in einerunnatürlichen künstlichen Umgebung, wo man nicht weiß,was man fragen, wovon man reden soll und sehnsüchtig dasEnde dieser Folter erwartet. Manchmal geschah es, daß sieüber die alten Träume und Hoffnungen nachdachte. Da er-wachte die alte Liebe zu neuem Leben, das Gewissen riß alteWunden auf, und es schien ihr, ein Tag mit ihrem Knabenhätte genügt, die alten Gefühle für ihn in voller Kraft auf-erstehen zu lassen. Aber sie wußte, daß ihr niemand dieseneinzigen Tag gewähren würde, wenn sie auch noch so inständigdarum flehen würde, und außer sich vor Verzweiflung fiel sieohne jegliche Ueberlegung über Esther her, als oh diese dieSchuld an ihrem Unglück trüge. �-�Fortsetzung folgt.)]Volksetymologie.ii.Wenden wir uns nun der literarischen Volksetymologiezu, also den äußerst zahlreichen Umbildungen, die auch in der Lite-ratnr Kurswert haben. Auf allen Sprachgebieten trifft man dieseEindringlinge an. So zeigen viele Lokalbegriffe veränderteForm, zum großen Teil auch veränderte Bedeutung. Kommt mannicht unwillkürlich auf den Gedanken, daß der Rennsteig imThüringer Wald irgendwie mit rennen zusammenhängt?Und doch haben die beiden Wörter nicht das mindeste miteinander zu tun. Ursprünglich hieß die Straße»Sinlich„Rainsteig", d. h. Grenz weg. Jeder Berliner kennt die Rehberge,wo seit Menschengedenken niemand ein Reh gesehen hat; Ursprung-lich sollen diese Hügel„R e b b e r g e" geheißen haben, weil aufihnen Weinreben gepflanzt wurden. In Holstein führteine Gegend die Bezeichnung:„ S a n d b e r g", die nichtsanderes ist als eine Umbildung aus„S a n c t Johannisberg".Sehr bekannt ist der M ä u s e t u r m bei Bingen, der nach der Volks-sage deshalb seinen Namen tragen soll, iveil dort der geizige undhartherzige Bischof Hatto bei lebendigem Leibe von Mäusen auf-gefressen lvorden ist; in Wirklichkeit ist es aber eiir M a u t t u r m,d. h. ein Turm zur Erhebung von Maut(— S ch i f fs z o II).Schmargendorf bei Berlin hieß früher: St. Marien-dorf, Stangendorf bei Chemnitz: St. Annendorf,Thurm bei Zwickau: St. Urban, Schindmaas bei Glauchau:S]t. Thomas, Scheidewigsdorf in Schlesien: St. Hedewigs-dorf usw. Wer würde die alten Heiligen in diesen seltsamen Ver-tleidungen erkennen? Wer käme auf den Gedanken, daßDreckenach im Koblenzer Bezirk, H u n d s st a l l im Nassauischenund Käsmark in dem ungarischen Komitat Zips früher die weitvornehmeren Bezeichnungen„Drachenach",„Hunolds-stall' und„Kaisersmarkt' getragen haben? Kötzers-r i ch t unweit Sulzbach ist bis zur Unkenntlichkeit umgestaltet ausJacobsreut.Auch zahlreiche S t r]a ß e n n a'm e ir sind von den, nie ruhendenSprachgeiste des Volkes umgeformt worden. So heißt die L u d e r-oder L o t t e r g a s s e in Nürnberg eigentlich Lodergasse nachden Lodern oder Tuchbereitern. Die Haßstraße in Kiel und dieH a r t st r a ß e in Magdeburg trugen ursprünglich die Bezeichnung„ H e r t st r a t e", d. i. H i r s ch st r a ß e. In Königsberg gab esehemals eine B u ll a t e n st r a ß e, so genannt, weil hier dasKloster der Bullatenbrüder stand; heute ist daraus eine„ B u l l e n st r a ß e" geworden. Die Zahnsgasse in Dresdenist aus einer Sanitätsgasse hervorgegangen.Noch weit zahlreicher sind die Personennamen, deren sichdie Volksetymologie bemächtigt hat. Auch hier sind die armen altenHeiligen sehr unsanft behandelt worden. Der Papst Corneliusmuß es sich gefallen lassen, heute als K e e s und Nelke fort-zuleben, Ambrosius als Brosche und Brösel, Nikolaussogar als Nickel, Klotz, Laus und L o o s I Der NameStachel stammt von Eustachius; C h r i st i a n ist verdreht inKresse. Karst und Kasten.Häufig sind unverständliche Familiennamen auch hervorgegangenaus ehemaligen Jmperativnamen. d. h. aus Namen, dieeinen Befehl enthalten. So bezeichnen die NamensformenR e i n, s ch ü s s e I, R a u n, s ch ü s s e l und ähnliche einen— starkenEsser; besagen sie doch:„Räume(d. h. leeres die Schüssell'Preußendanz bedeutet:„Preise den Tanzl", Lehren»krauß und Lernbecher:„Leere den Krugl",„Leereden B e ch e r I"Zusammengesetzte Familiennamen sind gleichfalls oftgänzlich entstellt. Beispielsweise bedeutet der Name Ball»s ch in i e d e r nichts anderes als B a l l s ch m e i ß e r. Auch vieleStandesnamen sind umgemodelt: Dorfstecher aus Torf-stecher, Duncker und D ü n k e r aus Tüncher. Leid»g e b e r bezeichnet einen Schenkwirt fl k t— Most), O l b e t e r einenSchuhflicker(der altes Schuhwerk ausbessert).Manche Familiennamen scheinen sich auf irgendwelche persön-lichen Eigenschaften ihres ersten Trägers zu beziehen, während siein Wirklichkeit nur seine Herkunft oder Wohnung angeben.So soll Schlaf oder S ch l a a f keinen schläfrigen Menschen bezeichnen, sondern einen Slaven, Sünderhau f kein sündhaftesIndividuum, sondern den, der aus dem Sudhof, dem südlichgelegenen Hof stammt.Doch nicht nur Familiennamen sind assimiliert worden; anderepersönliche Begriffe haben dasselbe Schicksal gehabt. Vielewerden z. B. versucht sein, Tolpatsch mit toll und patschenin Verbindung zu bringen; in Wirklichkeit liegt ein ungarisches Worttalpas(= breitfüßig) zugrunde. Der Erlkönig hat seinenNamen nicht von den Erlen, sondern von den Elfen, jenenwunderbaren Wesen der Traumwelt; er ist der Elfenkönig.Von umgestalteten Tier- und Pflanzennamen seiengleichfalls einige Beispiele angeführt. Des Maulwurfsund seiner ursprünglichen Bezeichnung ist schon in Nr. 148des UnterhaltungSblattes Erwähnung getan. Auch die NamenMaulesel und Maultier haben nichts mit Maul zutun; zugrunde liegt daS lateinische Wort„mulns". DieHeuschrecke heißt nicht so, weil sie die Menschen durch ihrmassenweises Auftreten in Schrecken versetzt, sondern weil sie durchdas Heu springt(schrecken---- springen). Völlig verdeutschtist„Trampeltier" aus Dromedar(griech.<J r o m ä s gleichlaufend, Läufer).Die Wallnußbäume stehen öfter an Wällen; doch da-von rührt der Name nicht her, sondern Wallnuß bedeutet welscheNuß. Die Pflanze„Fein G r e t ch e n", die im Volksmunde auch„Faule Grete" heißt, trägt in der Wissenschaft die lateinischeBezeichnung n�ouum Graocurn", daher die volkstümliche Be-Zeichnung.Jeder Berliner keimt und schätzt daS„Eisbein" als schmack-Haftes Gericht und unzählige Spreeathener sprechen auch scherzhaftvon Eisbeinen, wenn sie ihre kalten Füße meinen. MitEis hat das Wort indes nichts zu tun. Jedoch auch die üblichegelehrte Zurückführung auf das griechische Wort ischion= Hüftgelenk wird nicht zutreffen; denn die Eisbeine sind bekanntlichnicht an den„Hüsten" zu finden. Auf die richtige Ableitung dürstedie plattdeutsche Form für Eisbein führen: ,H i s s e n b e e n", einWort, dessen erster Teil offenbar soviel wie Hesse oder Haxe,d. h. das Bein gleich über dem Fuß, bedeutet.Sehr verbreitet ist in Berlin ferner der Ausdruck„Pickel-h a u b e" für den Ordnungshüter. Doch nicht mit Pickel oderpicken hängt dieser Spitzname zusammen, wie wohl die meistenannehmen, sondern mit Becken, nach der beckenähulichen Gestaltdes Helmes; im Mittelhochdeutschen lautete die Bezeichnung:„b e ck e n h ll b e".— Der Schlittschuh zeigt deutliche Anlehnungan Schlitten, ist aber eigentlich ein S ch r i t t s ch u h.Daß weiterhin zahlreiche Benennungen von Nahrungs-Mitteln inr Volksmunde umgebildet worden sind, wird niemandenwunder nehmen. Der westfälische Pumpernickel bezeichneteigentlich einen groben, plumpen Kerl(pumpern— dumpf tönen, Nickel— Nikolaus). Am Bockbierist der Ziegenbock, den man oft damit in Zusammenhang bringt,ganz unschuldig. Das beliebte Getränk hieß ursprünglich. E i m-