Hauptstadt vom schwedischen Machtgebiet zu entfernen. Rußlandsoll in Indien England verdrängen. Aber das alte russische Ziel:Konstantinopel wird dem Zaren nicht einmal in lockender Fernegezeigt.Napoleon ist sich bewußt, daß Rußland niemals der Verbündeteseines Systems sein wird. Vielleicht gelingt es ihm, den vom tau-sendjährigen Reich unruhig träumenden Zaren als Person einenAugenblick für eine Weltmission zu gewinnen, aber der russischeKaiser ist ein Gewirr unberechenbar kribbelnder Launen, und dierussische Gesellschaft haßt in Napoleon zäh und wild den Jakobiner,den keine Kaiserkrönung zu weihen vermag. In Petersburg undMoskau sind und bleiben die Zentralen der europäischen Verschwö-rungen der Höfe und des Adels gegen den Cäsar der Revolution.Die russischen Großgrundbesitzer werden wie die preußischen Stan-des- und Klasscngcnossen durch die Sperrung der Getreideausfuhrnach England geschädigt, der Kolonialhandel liegt danieder, die kolo-nialen Bearfsartikel der adligen Konsumenten sind unerschwinglichteuer. Napoleon täuscht sich nicht über diese Stimmungen.Aber seine russische Politik ist überhaupt wesensverschicden vonder politischen Behandlung der anderen Länder. Ueberall, wo Na-poleon Staaten eroberte oder seinem Einfluß beugte, fühlte er sichals der Mann, der moderndem Verfall den letzten Stoß versetzte undnun aus den Trümmern neues Leben zaubern wollte— dasschaffende Prinzip der Revolution! So war es in Deutschland,Italien, Spanien, Holland, der Schweiz. An Rußlands Erneue-rung hat er niemals gedacht, niemals etwas in dieser Richtung un-ternommen. Ihm war das russische Reich unheimlich und mit leisemSchauer sprach er Wohl von diesem Volk, das jährlich um eine halbeMillion Seelen zunehme und Europa zu überschwemmen drohe.So war der Bund mit Rußland für Napoleon nur ein gegenden Verbündeten selbst versuchtes Bändigungsmittel. Sein tragt-sches Verhängnis liegt nicht in einer russischen Illusion, sondernan dem Scheitern seiner europäischen Kulturpolitik.Napoleon stellte alle geschichtlich überlieferten Einrichtungenund die mit ihnen verwurzelten Massengefühle in den Dienst seinerKritik: Die Monarchie, den Adel, die Armee, die Kirche samt allennationalen, ehrfürchtigen, kriegerischen und religiösen Gefühlen.Das war seine Abkehr von dem revolutionären Bruch mitder Vergangenheit!Aber er suchte die alten Gefühlsmächte der Völker für inner-lich erneuerte Institutionen zu nutzen. In der Monarchiewurde diese dynastische Familienpolitik, der gefährliche und dummeAberglaube der Legitimität beseitigt; der Fürst war nur noch Trä-ger der Staatssouveränität. Der Adel wurde wieder eingeführt,aber ein Adel des Verdienstes und nicht der Geburt, ein aller fcu-dalen Erbrechte beraubter Adel. Die Armee war nicht mehr dieVersorgungsanstalt für Junkersöhnc, die«ine lumpenproletarischezusammengestohlene und zusammengekaufte Soldateska mißHandel-ten und zum Mord abrichteten; sie war auch nicht mehr Werkzeugdynastischer Willkür, sondern sie war das Volksheer der Revolutions-kriege geblieben, das ein Mittel großer Politik war. Die Kircheendlich sollte zu ihrer Reinheit zurückgezwungen werden: die Orga-nisation der religiös Bedürftigen und sittlich zu Bildenden. So sehrNapoleon die Religion achtete und die religiöse Erziehung förderte,die weltlichen Machtgelüste des Klerus beugte er rücksichtslos unterdas Staatsgebot. Als der Kirchenstaat sich weigerte, seine HäfenEngland zu sperren, beseitigte er das Reich des Papstes, verleibtees Frankreich ein(Mai 1809) und setzte den heiligen Vater nebstseinen Bannstrahl in Sabona fest, von wo er im Sommer 1812 nachFontainebleau in strenge Haft verbracht wurde.Das war die revolutionäre Erneuerung der geschichtlichüberlieferten Institutionen! Das war der Versuch, das geschichtlichGewordene revolutionär umzugliedern, an dem Napoleon schließlichscheiterte, über den er stürzte.Di« ungezählten Interessenten der alten Verwesung verschwö-ren sich nicht nur selbst gegen den gekrönten Umstürzler, es gelangthnen auch, die unmündigen Untertanen durch das Geschrei vonThron und Altar. Vaterland und Freiheit für die Wiederherstellungder Feudalzeit aufzureizen. Die Völker, die die Peitsche der eigenenFürsten Jahrhunderte hindurch ertragen und geküßt hatten, re-bellierten jetzt gegen den ihnen aufgedrungenen Fortschritt. Dergestürzte Adel und der gebändigte Klerus trugen die unklare Es-regung und ziellose Empörung in die Massen. Sie hetzten— mitenglischem Gold— zum Kriege und zwangen immer wieder Na-poleon zur blutigen Abwehr.Pfaffenwerk war der Aufstand der Spanier und der Tiroler,und nichts anderes waren, der Absicht und dem Erfolg ihrer Trei-ber nach, auch die..Befreiungskriege" von 1813/15, in denen alleFreiheit verblutete, und nach denen die feudal-dynastischen..Pa-trioten". zur Macht zurückgekehrt, ein Menschenaltcr hindurch ihreopfermütigen Befreier über alles Maß grausam und gemein quältenund marterten.Die russische Politik Napoleons aber tvar nicht darauf ge-richtet, das Reich des Zaren in den europäischen Bund der vereinig-ten Staaten aufzunehmen, sondern vielmehr, wie schon angedeutet,Rußland, durch Abschiebung nach Asien, in Europa unschädlich zumachen.Verantwortl. Redakteur: Albert Wachs. Berlin.— Druck u.Verlag:Kleines feuiUeton*Literarisches.AuS Volksbüchereien. Unermüdlich sind einsichtige Ver«.leger dabei, dem Volke die besten Werke der Weltliteratur bis inunsere Tage hinein für ein billiges Entgelt zugänglich zu machenReclamS Universal-Bibliothek geht allen voran. Sieist zurzeit bereits auf 5440 Bändchen angewachsen. Als ihre letztenNeuerscheinungen verzeichnen wir außer den„Verbrecher"-Novellender Schwedin Anna Wahlenberg(übersetzt von Elsbeth Schering)hauptsächlich drei Werke aus dem Nachlaß von Leo Tolstoi. ESsind:„Das Licht leuchtet in der Finsternis" und„Der lebende Leich-nam", die beiden erst nach des Dichters Tode in Deutschland auf-geführten Dramen, sowie„Chadshi Mural", einen ausgezeichnetenRoman aus den Kämpfen im Kaukasus, der ja auch in der Unter-halwngsbeilage des„Vorwärts" zumAbdruckgekommen ist. Insbesonderesoll aber auf die„Erläuterungen zu Meisterwerken der Tonkunst" vonMax C h o p hingewiesen sein. Sie gelten Richard Wagners sämtlichenTondramen, auch in zwei Leinenbänden(3 M.) erhältlich; fernerBizet(„Carmen"), Richard Strauß(„Salome" und„Rosenkavalier'),Offenbach(„Hoffmanns Erzählungen"). Bach(„Matthäus-Pasfion"),Händel(„Messias"), Hahdn(„Schöpfung"), d'Albert(„Tiefland"),Beethoven(„Symphonien" in 3 Bändchen a 20 Pf. oder in einemBande geb. 1 M. und„Fidelis"). Als 24. Band ist nun Mozarts„Don Juan", geschichtlich, szenisch und musikalisch analysiert, hinzu-getreten.— Als eine ebenso stilvoll-originelle, als billige Gabemüssen die Werkchen aus der Jnsel-Bücherei(Jnsel-BerlagLeipzig) bezeichnet werden. Die Einbände find im zweifarbigenBiedermeierstil gehalten. Papier und Druck von feinster Korrektheit,das Format handlich. Band: 50 Pf. Klassisches und Ultra-modernes läuft nebenher. Wir verzeichnen: Plato: Die Ver-teidigung des Sokrates; Cervantes: Geschichte deS Zigeuner«mädchens Preziosa; Flaubert: Die Sage von St. Julian; Jacobsen:Mogens; Verhaeren: Hymnen an da? Leben; Rilke: Die Weise vonLiebe und Tod usw. e. k.Technisches.Feuerwerk und Illumination in früherer Zeit.Die Chinesen mögen das Feuerwerk wohl am frühesten gekannthaben, zumal sie auch heute noch große Liebhaber von Feuerwerksind. Jedenfalls wird in keinem Lande der Erde so viel an Raketen,Feuerfröschen und dergleichen verpufft, wie im Reich der Mitte.In Europa scheint das Kunstfeuerwerk zuerst gegen Ende des15. Jahrhunderts Einführung gefunden und sich von Spanienaus über die übrigen Länder verbreitet zu haben. Nimmtman das Wort in seinem ursprünglichen Inhalt, so könnteman freilich schon die uralten Johannisfeuer zu den Feuerwerkenrechnen. Von einem Kunstfeuerwerk kann füglich erst die Rede seinbei der Anwendung von Schießpulver und Raketen, und der lleher-gang vom Holzstoß und Fackelzug zu solchen künstlerischen Ver-anstaltungen vollzog sich eben erst mit dem Ansang der Neuzeit.Die schon mit diesem Namen bezeichneten Feuerwerke, die gelegent-lich der Reichstage zu Konstauz 1506 und zu Augsburg 1519 ab-gebrannt wurden, bestanden nur in Gefäßen, die mit Sägespänen an-gefüllt waren. Siegfried Sieber. der in den Deutschen Geschichtsblätterneine fesselnde Untersuchung über die Entwickelungsgeschichte desFeuerwerks und der Illumination veröffentlicht hat. weist nach, wiesich schon damals das Verlangen ausprägte, durch größere Feuer«werke die Belagerung und Erstürmung von Festungen und Städtennachzuahmen und daß dadurch selbstverständlich das Schießpulverfür diese Veranstaltungen notwendig wurde. Daraus entwickelte sichdie noch heute beliebte Form der Feuerwerksschlösser, deren einesin besonders großartigem Aufbau bei Gelegenheit der KaiserwahlFerdinands I. in Frankfurt o. M. zur Erhöhung der Festfreude diente.Ein großartiges Feuerwerksschloß wird auch auS dem Jahre 1590bei einer Hochzeit im Hause der Fugger in Augsburg erwähnt. Eineandere Art von Feuerwerken kam gleichfalls gegen Ende des 16. Jahr-Hunderts in Mode, die auf Nachahmungen von Turnieren abzielten.Die Soldaten benutzten dabei statt der Waffen Raketen undSchwärmer, die auf Spieße gesteckt waren. Oft wurde diese Vor«führung mit einem Feuerwerksschloß verbunden, indem dann dieAngreiser, die oft zu Pferde waren, mit Feuerwerkskörpern aus-gerüstet wurden, so daß es nach einer Schilderung aus damaliger Zeitaussah, als ob ein ganzes Heer von feurigen Männern und Rossenin Bewegung war. Der Rat der Stadt Frankfurt gab später beider Krönung des Kaisers Matthias eine große Summe für einFeuerwerksschloß mitten im Main, wobei mehr als 8000 Raketen,Schlager. Feuer- und Wasserkugeln verpufft sein sollen. DaSgewaltigste aber soll ein Fcuerwerksschloß in Nürnberg gewesen sein,das dort 1650 der kaiserliche Generalissimus Octavio Piccolominiin einem mächtigen Kuppelbau mit vier Ecktürmen herstellenließ. Vor dem Tor des Schlosses war eine große Figurausgestellt, uin die Zwietracht zu verkörpern, unter ihr einMars in vollem Lauf und um das ganze Schloß herum spanischeReiter, die mit Rakete» und Feuerwerkskörpern gefüllt maren. DasGanze wurde gekrönt durch eine Bildsäule des Friedens, die alleinübrig bleiben sollte, nachdem olles andere in Feuer und Rauch auf-gegangen war. Im 18. Jahrhundert wurde dann die Herstellungund Veranstaltung von Feuerwerk schon zu einem besonderen Zunft-Wesen berufen._vorwärtSBuchdruckcrei u.VerlagSanjtalt Paul SinpertCo., Berlin