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Parallelität der gestrafften Waden schneidet mit pikantem Wih pas, ja der Erde befindet. Trotz seiner füstennahen Lage gehört grell durch das schwüle Geflimmer der dunftigen Varietéatmo- auch Girgenti noch in das Gebiet, in dem tief unter der Erbrinde sphäre. In dem, auf eine seiner Spigen gestellten, spreizigen im harten Fels das kristallinische Gut gewonnen wird. Die Frage Bogen dieser gottlosen Beine, in dem Faltenfall der fliegenden des schweizerischen Besitzers des reizend auf halbem Wege zwischen Röcke, in den Silhouetten der Musikanten, in der Schnüffelnafe der Stadt am Bergesrücken und der meeresnahen Tempelreihe ge­des einen Zuschauers, in dieser komplizierten Lebensart des Bildes legenen Grand Hotel des Temples" traf uns also nicht unvor­stecken teimhaft die Tugenden und Laster der jüngsten Revolteure: bereitet, und wir waren sogleich entschlossen, dankbar das freund­die Ueberwindung der Natur durch ein geometrisch- rhythmisches liche Anerbieten anzunehmen und die Empfehlungskarte zu be­Thema, aber auch der Trieb zum Ornament und Plakat. Und nußen, die uns den Zutritt in eine Schwefelgrube verschaffen sollte. noch eins: Verstand, vielzuviel Intellekt ist in diesem Seurat; auch Es war 7 Uhr früh, und noch kämpfte die Morgenröte eines ein Laster unserer falt rechnenden Sturmgesellen. Was aber be-| anbrechenden Tages mit dem graubleichen Dämmerschleier einer deutet für die Kunst der Intelleft, wenn die Sinnlichkeit hervor- weichenden Nacht, als wir den Wagen bestiegen. Empfindlich fühl bricht. Neben Seurat hängt hier Renoir  , Renoir   in allen war's; von Bergeshöhen und vom Meere zugleich wehte es frostig. Phasen seiner reichen Entwickelung: Fleisch als Duft des Lebens. Fröstelnd schlugen wir die Kragen der dicken Mäntel empor und Selbst der Greis, dem es nicht mehr gelingt, die Formen beiein- hüllten uns in die Wagendecke. Die zwei starken Pferde zogen an, anderzuhalten, macht uns noch die Blutwärme spüren. und der sprungfederlose Wagen rüttelte uns unserm Ziele entgegen. Die blütenweißen Mandelbäume wurden immer seltener, die mit Goldfrüchten schwer beladenen Orangen- und Mandarinenbäume fehlten ganz. Linker Hand reihten sich bald näher, bald ferner Hügel und Berglein aneinander mit traurig fahlen, oft steinigen Hängen, an die nur ganz vereinzelt wie regellos geschichtete, stürzende Steinhaufen menschliche Behausungen herangebaut waren, während rechts das weite Meer nach kurzen Unterbrechungen immer wieder in Sicht fam. Die Tempel Girgentis lagen schon weit hinter uns, und es ging bergab. Dann schwand das Meer völlig unsern Blicken, die schlechte Fahrstraße führte aufwärts. Da waren wir nach etwa einstündiger Fahrt gegen Often beim Flüßchen Naro  , am Westab­hang der Serra Longa angelangt, etwa 10 Kilometer von Girgenti  entfernt und 123 Meter über dem Meere. Der Weg wäre auch für den ortskundigen Fußgänger nicht zu verfehlen gewesen; als Wegweiser dient eine kleine, schmalspurige Bahnlinie, die nach Porto Empedocle  , der Hafenstadt Girgentis, die gelben Lasten schafft und auf der vor uns einher langsam eine Lokomotive viele leere Frachtwagen zurückschleppte in das Schwefelbergwerk, die Zol­fara Ciavolotta. Jetzt bog die Lokomotive links talwärts ab, während uns der Wagen rechts höher bergan führte. Und zwischen Dem Spurweg und der Fahrstraße über einen fleinen steilen Ab­hang wie eine Feste graues Mauerwerk, dahinter gleich Türmen Defen und Schlote. Dorthin zog es uns Laien nicht so schr; wir wollten ja hinab ins Bergwerk, unter die Erde.

Gisestälte tropft dagegen aus dem Titanic  - Film des Mar Beckmann( Saal IX). Dieser selbstquälerische Ikarus wollte wieder einmal zum Monumentalen; er vergaß, daß seine Kraft nur ausreicht, einen Lithographenstein zu füllen. Aehnlich töricht irrte sich Rösler; durch Rembrandt   oder sonst irgendeinen Gott der Phantasie verleitet, dichterte er einen Totentanz: ein Gerippe greift unter dem Tisch hervor nach einem wippenden( im Fleisch des Weibes nicht übel gemalten) Liebespaar. Nicht wahr, lieber Rösler, einmal und nicht wieder. Was sonst in diejem Saal hängt, Corinth  , Berneis, Breyer, verdient feinen Tadel, bedarf aber auch teiner Hervorhebung. Nur Hettner, der sehr zu seinem Vorteil die grelle Buntheit drangab, und Croß, ein lichtgelber Feuer­werfer, seien noch genannt. Alles in allem: diese Ausstellung der Sezession erinnert den Kunstfreund an mannigfache Zusammenhänge der Gegenwart mit den Alten"; sie läßt ihn zugleich in etliche, sich eben erschließende Laufgräben der Entwickelung hineinblicken. Es zeigen sich Hoff­nungn. So haben wir ein Recht, auf die Erfüller zu warten. Robert Breuer.

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In einem fizilifchen Schwefel­bergwerk.

Von Fr. W. v. Dereren.

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Wir alle wissen es aus eigenster Erfahrung, daß jeder Super­Tativ, in dem wir etwas nennen oder schildern, nicht einem objef­tiben, nüchternen Denken und Beurteilen entspringt, sondern einem subjektiven Gefühle, bald einem starken persönlichen Eindruck, bald einer lieben Erinnerung, bald einer in Wesensgleichheit wurzeln den Vorliebe oder ähnlichem. Solch einem subjektiven Empfinden mag auch der Superlativ entstammen, den laut Baedeker der The­baner Dichter Pindar  , dessen Andenken selbst ein Alexander von Mazedonien   hoch in Ehren hielt, als schmückendes Beiwort der Stadt Großgriechenlands verlieh, deren Stelle, allerdings zum fleinen Teil, das heutige Girgenti einnimmt. Die schönste Stadt der Sterb­lichen nannte er Afragas. Gewiß, die Stadt mag herrlich schön gewesen sein; die Tempelreste, die uns von ihr erhalten blieben, sind weltberühmt und sprechen saxa loquuntur beredt von Schön­heit und Großzügigkeit, geben auch als Trümmer noch nach Jahr tausenden ein Bild von der entschwundenen Pracht, die wohl die ganze reiche Stadt an der Südküste Siziliens   ausgezeichnet haben mag. Gewiß, auch die Lage, auch das Landschaftsbild bietet an Schönheit viel, und ich war entzückt, als ich bei strahlendem Sonnen­glanze, im Blütenschnee der noch blätterlosen Mandelbäume, durch blumenbuntes Wiesenland an einem echt sizilischen Wintertag zu den Stätten wanderte, an denen den Göttern Griechenlands   in herrlichen, edel ragenden Tempeln geopfert wurde. Und doch Kalabrien   und noch mehr Sizilien find so reich an Naturschönheiten, find an großartigen Landschaftsbildern, an Orten, an denen Kunst­freude und schaffensfroher Menschengeist wunderbare Bauten er­richtet, Schäße angesammelt hatten, so überreich, daß ich Pindars superlatives Urteil nicht für objektiv zu halten vermag. Wie viele herrliche Bauten und Kunstschäße mag beispielsweise das auch land­schaftlich so schön gelegene, damals so mächtige Syrakus geborgen haben, das heute, wenn man von der düstern Schönheit der Lato­mien absieht, allerdings dem Reisenden weit weniger Bilder einstiger Größe bietet als Girgenti!

Groß und mächtig ist der Eindruck, den man von den Tempel­reften des alten Akragas, des römischen Agrigentum, empfängt. Aber ich nahm von Girgenti   einen noch tiefern, wohl unauslösch­lichen Eindruck mit, als ich in dessen Nähe ein Stück heutigen Lebens kennen lernte, ein Stück Leben, das mir schlimmer und grausiger scheint als das qualvollste Sterben.

Wenn man auf einer der Bahnlinien, die von Catania   und Siracusa   an der Ostküste, von Termini Imerese   an der Nordküste ausgehen, ins Innere der Insel fährt, so fallen einem fast auf jeder Station die wohlgeformten gelben Klötze   auf, die etwa die Form starker Scheite haben und oft in großen Mengen versandbereit aufgestapelt liegen oder einen oder mehrere der offenen Güter­wagen füllen. Hat man sie auch noch nie zuvor gesehen, so erkennt man doch gleich die Materie, aus der sie bestehen, erkennt sie zu­mindest an der Farbe. Und man weiß ja auch oder liest es im Reisehandbuch, daß man sich auf dem schwefelreichsten Boden Euro­

Der Wagen hielt. Der Kutscher pfiff und rief und wies uns, die wir inzwischen ausgestiegen waren, ein noch einige Meter höher gelegenes Haus, zu dem kein Fahrweg mehr führte. Und dort tauchte, durch Zuruf und Pfiff herbeigeführt, ein Mann mit einem Hunde auf und schritt uns entgegen wie wir ihm. Als wir einander erreicht hatten, standen wir vor einem baumlangen Kerl in Stiefeln, dessen Antlib roh und hart und für die Rasse wenig charakteristisch war. Er stellte sich als der padrone vor, war also nicht der Befizer( proprietario), sondern Verwalter oder Ober­aufseher. Jch reichte ihm die Empfehlungskarte, und er nidte. Ob wir das Bergwert, die miniera, besichtigen wollten, fragte er. und als ich bejahte, bemerkte er mit einem Blick auf meine Reise­gefährtin: Aber sie arbeiten nadt. Wenn das Madame nicht be­leidigt?" Und da die Frage verneint wurde, nidte er abermals und schritt uns voran.

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Bald standen wir vor der niedern, ins Felsgestein gehauenen Pforte, die hinabführte in die Unterwelt, in um es gleich aut sagen: ein Inferno, das Dantes Phantasie kaum graufiger erträu­men könnte. Und schon umringten uns, dem Höllenfreise ent­stiegen oder im Begriffe, wieder in ihn abwärts zu steigen, die Gestalten einer Anzahl der in ihn Verstoßenen. Männer, Jüng linge, Kinder, Leute von vierzig bis zu acht Jahren, umdrängten uns, drangen auf uns ein mit schreienden Stimmen und heischen­den Gebärden. Braune Gesichter voll harter Bartstoppeln, gelbe Antlige mit sproffendem Flaum, zarte, fahlweiße Kindergesichter sahen wir rings um uns, blickten in finstere, in tierisch stumpfe, in wildflackernde Augenpaare, fühlten uns von heißem Atem gestreift, bou bettelnden Händen an den Aermeln gezupft, an Brust oder Ricken gestoßen und vernahmen gleich einem Dämonenchor alte und junge, heisere und schrille, hohe und tiefe Stimmen drängend laut von Leid und Hunge sagen, gierig einen Soldo oder zwei fordern. Auf den Häuptern trugen all die Verdammten schildlose, eng anliegende Leinenkappen; die nackten Oberleiber, vielfach schweißgebadet, zeigten in ihrer Fleischarmut die Rippen, weite Beinkleider oder kurze Höschen, manchmal auch nur Schurze deckten teilweise die Unterleiber. Schon stand die Sonne am Himmel mit wärmendem Strahl: aber wir fühlten sie nicht. Wir glaubten uns im Reiche nächtlicher Schatten, und uns fror beim Anblicke des Elends, der sich uns bot. Meine Reisegefährtin empfand Angst vor den gierigen Blicken, die an ihr hingen, vor den Fingern, die sie berührten, und drängte sich wie hilfefuchend an mich, der ich selbst einen Augenblick lang Schauer durch meinen Körper gehen fühlte. Ich schrie die Schar der Aermsten an und ersuchte den Padrone, uns doch den Weg zu bahnen. Aber sein guter Wille fruchtete nicht sogleich, feine Mahnungen wie seine Drohungen versagten vorerst, und es währte geraume Zeit und bedurfte einiger erbarmungslosen Fauftschläge, che der Kreis um uns sich etwas lichtete, und zumal die Kinder und Jünglinge von uns ließen. Auf die Aufforderung des Padrone legten wir dann unsere Mäntel ab, die, nachdem wir gefragt worden, ob sie keine Wertsachen enthielten, einem Unter­auffeher zur Verwahrung übergeben wurden.

( Schluß folgt.).