ders jctzt, nach dieser Sitzung, die den schweigenden Tadel,den er schon in den glücklichen Zeiten für seinen Schwagergehabt hatte, bestätigte. Die Aussage von Luise Donnazha:tc das Drama auf eine Höhe getrieben, die Schwindel der-Arsachte. In seine Ecke gedrückt, dachte Marnex an seineKrau, die ihm wieder vorwerfen würde,„sich in diese Sacheaemischt zu haben". Hätte er nur den letzten Schlag voraus-Jehen können, er wäre sicher ihrem Rat gefolgt. Und wiekann er diese neue Wendung des Skandals seiner Tochteruseinandersetzen, einem so wohlerzogenen, ordentlichenMädchen, die man mit ihren fünfzehn Iahren vor jedem ver-derblichen Einfluß hütete? Wenn ihre Cousine und ihreLettern nur zu ihr kamen, wurden sie schon blaß. Sie sprachmit zusammengekniffenen Lippen mit ihnen und hegte keineherzlichen Gefühle für sie. Er hatte dieselben Empfindungen.Nur verstand er besser zu heucheln. Aus Scheu vor demUrteil der Welt fürchtete er, die unheilvollen Verwandten zuderlasseu. Er hatte jene Angst vor ihnen, die ein feigerMensch bei der Annäherung eines ansteckenden Kranken ver-spürt. Tie unzufriedenen Blicke, mit denen er sie auch jetztnoch maß, da sie einer großherzigen Zärtlichkeit bedurfthätten, verrieten seine wahren Gefühle. Er erfüllte, wieer es selbst so treffend nannte,„nur seine Pflich:".Als der Zug am Pont de Grenelle hielt, fragte sie HerrMarnex mit erzwungener Freundlichkeit:„Wollt Ihr nicht bei uns Abendbrot essen?"Man hörte ihm au, wie er sich jede Silbe aus der Kehlerang. Sie schlugen die Einladung ab. Herr Marnex tat,als ob er sich nicht abweisen lassen wollte.„Ich glaube, Eure Tante erwartet Euch."Diesem noch mühsamer gequälten Satze folgte einer jenerSeufzer, die man nach einer verzweifelten Anstrengung her-vorstößt.„Tanke sehr, wir möchten lieber nach Hause."Roland fügte entschuldigend hinzu:„Ren�e ist vollkommen erschöpft."Herr Marnex senkte den Kopf und meinte mit einemSeufzer:„Das läßt sich begreifen."Die drei jungen Leute gingen schnell über die Brücke,welche von Arbeitern, die jetzt von ihrem Tagewerk heim-kehrten, wimmelte. Eiligen Schrittes durchschritten die Kin-der die Rue de Boulainvilliers und waren in einigen Augen-blicken vor ihrem Haus. Ihr Vater hatte es nach seinen: Ge-schmack von Tony Gabiet, dem beliebten Architekten, erbauenlassen. Ter Stil war ein Gemisch gotisch-florentinischerKunst. Spitzbogige Türen und Fenster, Balkons ausSchmiedeeisen, und über dem Haustor unter einer, Strozzinachgebildeten Laterne, stand Lermantes Devise: DaborTincit. Früher klang helles Geschirrklappern aus dem Erd-geschoß. Unter dem Schutzdach sah man Leute, die kamenoder gingen, Wagen und Autos hielten vor der Freitreppeund belebten die vereinsamte Straße. Jetzt glich das Hausmit seinen geschlossenen Fenstern, seiner Schweigsamkeit undseiner Verlassenheit einem alten Palast, in dessen vernach-läisigtcn Räumen die ruinierten Nachkommen ein traurigesAsyl gesunden haben. Manchesmal standen Leute, die durchdie Riie de Boulainvilliers gingen, still und zeigten auf dasHaus von Lermantes. Dann setzten sie ihren Weg fort, in-dem sie über seine augenblickliche Wohnung Witze machten.lFortsetzung folgt.xGroße ßerliner KunftaiiöftcUung.Die Säle, in denen man die Malgeschichte der letzten 25 Jahrezeigen wollte, sind das eigentlich Interessante, was es diesmal inMoabit zu sehen gibt. Obgleich von vornherein festzustellen ist,daß diese geschichtliche Vorführung keine vollkommene sein kann,weil nämlich die Berliner Sezession abseits blieb, so läßt doch eineWanderung durch diese Räume des Erinnerns mancherlei Schick-sale und Zusammenhänge Ivach werden. Man hat nach Städtendisponiert; über den Nutzen solcher Austeilung läßt sich streiten.Die Eisenbahn hilft immer mehr dazu, der Kunst ein europäischesNiveau zu schaffen; da bleiben denn für das Unterscheiden vonBerlin und München wenig Merkmale übrig. Immerhin, es läßtsich schon eine lokale Gruppierung der Künstler diskutieren: Menzelhätte in München kaum wachsen können und Lenbach wäre in Berlinunmöglich gewesen; ob aber die fleischlichen Dekorationen der„Scholle", der Putz und Püttncr, nicht auch in Berlin hätten gc-malt werden können, wer mag das entscheiden.Wir beginne» mit München. Ein Porträt von Leibi wirdmit Recht an den Ansang der Entwickejung gesetzt; indessen, esbleibt das Bild in diesem Saale einsam. Es hat nämlich Leibieine entscheidende Wirkung weniger auf seine Stadtgenossen, alsauf Trübner, den Karlsruher, und Liebermann, den Berliner, geübteIm Saal der Münchener kann man eigentlich nur den Landschafter!Toni Stadler, dem geistigen Kreis Leibis zuzählen; doch selbstbei diesem Maler möchte man überlegen, ob er nicht intimer mitSchönleber sabermals in Karlsruhe) verwandt ist. Der hievgezeigte Leibi ist übrigens ungewöhnlich trocken, und fast möchte!man sagen, schwach. iEin zweiter Leibi sNr. bl3] ist offenbar einsFälschung.) Ganz münchnerisch ist der D e f r e g g e r, so rechtRomantik des Ateliers und Unbekümmertheit des Künstlers, dersich in seine Ideen einspinnt und im übrigen die Welt laufenläßt, wie sie mag. Er macht halt Tiroler, weil's so lustig ist, di«langen Bärte und die großen Hüte, die Joppen und die Stutzenabzumalen. Das ist auch die Meinung des Adam Adolf Ober-länder; nur, daß der immer noch irgendeinen Humor hinzutunmuß. Aus den„Fliegenden Blättern" kennen wir die lächelndeGutmütigkeit dieses weltverstehenden Großpapas. Er pflegt auchmit Einsiedlern, mit Mönchen und Ahnftauen vertraulichen Um-gang. Renö R e i n e ck e und Peter Philippi gehören gleich-falls dem Kreis der behaglich schnurrenden Chronisten an. Phi-jippi hat sich mit der Heftigkeit des Johannistriebes in die laut-losen Gassen verborgener Städtlein, in die Blumenbretter runz-liger Großmütter und in die Tabaksbeutel schmauchender Papasverliebt; Reinecke beobachtet die lebendige Gegenwart auf derStraße, in den Kaffeehäusern, in den Salons, er sieht mit fpötft-schem Lächeln, aber niemals boshaft, die höheren Töchter, dienichtsnutzigen Damen, die Blödheit der Kavaliere. Vielleicht könnteman auch Adolf Hengeler, der dickbäuchige Engel, der Aeckerbestellen oder Rosentöpfe gießen läßt, zu dieser Gruppe der humori-gen Münchner rechnen. Eine völlig andere Natur ist der TiermalerZügel, der Ueberwinder des Menschenmalers Lenbach. Len-dach, das war die künstliche Beleuchtung, die effektvolle Zer-legung in überhitztes Licht und dramatisiertes Dunkel; einehysterische Bühnenregie war die Kraft dieses malenden RichardWagners. Sojche Kunst der Kulissen und des Scheinwerfers seineFrauenstirn leuchtet geheimnisvoll, das Weiß der Augen schrilltaus brauner Dämmerung) mußte ein Ende nehmen, als die Wirk-lichkeit der Sonne, die Gesundheit ihres atmenden Lichtes und ihrenatürliche, lebensvolle Wärme wieder entdeckt wurden. Für Mün-che» ist Zügel einer dieser Entdecker gewesen; auf dem Fell derKühe und auf dem Grün der Weiden zeigte er oen unerschöpf»lichen Reichtum der wahrhaftigen Sonne und erledigte damit dieBühnenbeleuchtung des Ateliers. Es war nur selbstverständlich,daß solch entscheidende Wandlung ihre Jünger fand; die Putzund P ü t t n e r. auch Angelas Jank wandten die freimütigeArt Zügels, das Licht zu sehen, an den Menschen und überwandendamit endgültig das drapierte, heldenhaft posierende, mit dämo«nischem Braun übergossene Bildnis. Die Farbe wurde neu ge-boren. Zugleich, notwendig bedingt, lernten die Hände eine neueTechnik, den sprühenden, die Gegenstände umspielenden Sonnen-lichter» verwandt: den breiten modellierenden Strich. Das Mäd-chenporträt von Leo Putz und die beiden Soldaten von WalterP ü t t n e r, die hier hängen, zeigen die sommerhafte Gesundheitdieser, von den Banden des Ateliers befreiten und der Naturjubelnd in die Arme stürzenden Malerei. Zu diesen Lichtbringerngehörte auch Fritz Uhde; auch er genoß das Rieseln der heißenSonne durch regsame Blätter. Aber es war doch noch etwas an-deres in diesem Maler wirksam, etwas, was wie eine Fortsetzung,wie eine Ersiillung, der Deftegger und Oberländer gcwertet wer-den kann. Die Anekdote wurde zum schicksalsvollen Erlebnis er-höht. Während die breitpinsligen, farbenftöhlichen Putz und Pütt-»er die Tendenz zum Dekorativen, zum lauten Schmuck der Wand,kaum zurückhalten können, versenkt sich Uhde mit schweigsamemEmpfinden in die Seele stiller Menschen, er findet das Leid unddie weinende Sehnsucht. Das Bild, das wir hier sehen, die amZaun der Landstraße lehnende, müde gewordene Frau, die in-mitten verschneiten Landes wartet, ob der quer feldein schreitendeMann Herberge findet, diese neu empfundene Weihnachtsgeschichte,ist charakteristisch für die männliche Art der Liebe diefes Malers.Hingegen: die Hysterie einer weibischen Verliebtheit wird durchFranz Stuck aufdringlich serviert. Man findet diesen ben-galisch beleuchteten Athleten, der Pompeji mit Conrad Kiesel ver-mischt, nicht in den Münchener Sälen der historischen Abteilung,er bekam weiter vorn eine umfangreiche, viel zuumfangreiche Kollektivausstellung. Er muß aber imZusammenhang mit den übrigen Münchenern ange-schaut und besprochen werde». Dieser Stuck ist reich anPhantasie: es ist dies aber die Phantasie des Panoptikums und derSchreckenskammern. Er sieht die Sünde als brünstiges Weibvon einer dämonischen Schlange umringelt; er sieht die Sphinx,den Leib des fragenden Jünglings zerfleischen. Es bleiben aberalle diese Halluzinationen kreischenden BluteS toter Stoff, weilStuck iman betrachte die verführerischen Bilder in der Nähe undim einzelnen) überhaupt und tatsächlich nicht malen kann.Mehrere große Säle wurden für Berlin und andere StädtePreußens eingerichtet. In diesen Sälen spürt man das Fern-bleiben der Sezession recht empfindlich. Es ist ein M e n z e I zusehen, eine Prozession in Gastein, ein typisches Bitd sammelnderBeobachtung; es ist aber kein Liebermann da. Es bleibt also dieentscheidende Linie der berlinisckien Kunst verborgen, die vom altenEhodowiecki über Krüger und Steffeck zu Menzel und dann zu