einander gespannt, über das holperige Pflaster gerasselt. Eins, zwei, drei, vier Geschirre! Der Inspektor, ein hagerer, baumlanger Mensch mit schmalem Gesicht, rennt geschäftig hierher und dorthin, antreibend und an- ordnend. Der Administrator flucht irgendwo und kommt im nächsten Augenblick um die Ecke. Morr'n," schnarrt er uns an, trifft mit dem Vorschnitter einige Aenderungen und ruft dem Vogt, der in der Nähe mit dem Inspektor spricht, zu:.Lignek, sehen Sie doch mal nach, was die Kerls im Stalle so lange machen. Haun Sie se man raus; sonst wird's Mittag, ehe die koinmen. Und der Vogt läuft, so schnell er kann, ins Gut. Indessen setzt sich unser Trupp' wieder in Bewegung, langsam, als gingen wir spazieren, schlendern wir dahin. Ich wundere mich darüber, daß niemand von den Antreibern das rügt. Aber schon am nächsten Morgen ist es mir klar geworden. Die lange Arbeitszeit ist nicht dazu angetan, daß der Mensch intensiv arbeiten kann. Und wer vor- mittag sich ausgibt, der ist am Nachmittage fertig, und es dauert eine Ewigkeit, ehe es Feierabend wird. Deshalb nehmen sich die Leute auch Zeit. Eine natürliche Folge der langen Arbeitszeit. Langsam schreiten wir aus und gelangen allmählich ins Freie. Ein schmaler Pfad führt zwischen zwei Feldern dahin. Links ein noch blühender Kartoffelacker, rechts ein Zuckerrübenfeld. Selten spricht jemand ein Wort. Nur das Geräusch unserer Tritte stört die Morgenstille. Der Himmel tvölbt sich stahlgrau über uns; es wird ein heißer Tag werden. Und hoch über den tauglänzenden Feldern steigen die Lerchen und jubeln aus voller Brust. Unwillkürlich summe ich:O Morgenluft, o Waldesduft, o goldener Sonnen- strahl I" Was für ein Unterschied, denke ich, zwischen dem Leben hierund der Stadt. Wie wenige Menschen sehen dort morgens die Sonne aufgehen! Sie jagen in diesem Häusermeere hin und her, aus einem Halls ins andere und haben keine Ahnung von all der Pracht und Schönheit hier draußen in der freien Natur. Wenn nur die Lebensbedingungen für die Arbeiter nicht gar so traurig wären; wie herrlich müßte das Leben doch hier draußen sein! Eine geregelte Arbeitszeit, einen auskömmlichen Lohn und eine menschenwürdige Behandlung und Wohnung mit einem Schlage wäre die Land- flucht beseitigt! Aber freilich, da müßten unsere Junker eben nicht unsere Junker sein. Oder: die Landarbeiter müßten sich bis zum letzten Mann ihrer Gewerkschaft anschließen. Jetzt ist sie leider noch nicht stark genug und steckt noch in den Anfängen.--- (Fortsetzung folgt.]] Kleines feiälleton* Naturkunde. Ein Mensch ohne Großhirn. In dem neuen, dieser Tage erscheinenden Hefte der von JuliuS Springer in Berlin   ver- legten WochenschriftDie Naturwissenschaften', finden sich hochinter- esfante Mitteilungen von Edinger und Fischer über einen in der medizinischen Erfahrung einzig dastehenden Fall. Es handelt sich nämlich um ei» Kind von 33/4 Jahren, bei dem sich bei der Sektion das völlige Fehlen des Großhirns, ja des ganzen als.Neuhirn' be- zeichneten Teiles des Zentralnervensystems ergab. Allen Wirbel- tiereit ist das UrHirn gemeinsam, das bei den Fischen allein vor- Händen und imstande ist, alle Funktionen zu erfüllen, die das Tier zur Selbsterhaltung braucht; bei den Amphibien, Reptilien, Vögeln und Säugetieren entwickeln sich immer stärker die Bildungen des Neuhirns. In der physiologischen Literatur spielt seit langem der berühmte Hund eine große Rolle, dem Goltz daS ganze Großhirn entfernt hatte und der in diesem Zustande noch drei Jahre lebte. An ihm konnten die Ausfallserscheinungen genau studiert werden, die der Verlust des NeuhirnS zur Folge hat, und eS ergab sich dabei, daß auch ohne diesen Apparat der Hund eine ganze Reihe selbständiger Leistungen vollbringen konnte. Er lief ruhelos umher, konnte auch klettern, Wachen und Schlaf wechselten ab, beim Füttern wurde der Napf leer gefressen, sobald die Schnauze des Tieres, das ja nicht mehr sehen, riechen und schmecken konnte, mit ihm in Berührung gebracht wurde. Wie sich aber ein Mensch ohne Großhirn verhalten würde, darüber lagen bisher keine Erfahrungen vor bis auf den in Rede stehenden Fall. Hier hat ein Kind fast vier Jahre lang gelebt, eS liegen hin- reichende Beobachtungen(der Mutter) während dieser Zeit vor, und die Untersuchung ergab ein völliges Fehlen dcS NeuhirnS, wogegen tws Urhirn in allen seinen Teilen normal entwickelt ist und etwa dem eines zweijährigen Kindes entspricht. Es ist nun erstaunlich, wie viel weniger dieser Mensch ohne Großhirn zu leisten vermochte, als der erwähnte Goltzsche Hund. Das Kind hat in dauerndem Schlafe gelegen, die Arme waren kontrahiert, und fast bewegungslos lag das Wesen 33/4 Jahre da. Nie wurden die Hände zum Greifen oder Halten benutzt. Vom zweiten Jahre an hat das Kind immer- während geschrien, durch Andrücken, besonders des Kopfes, konnte das Geschrei sofort gestillt werden. Es war nicht möglich, irgend« eine seelische Reaktion zu finden, zu dem Kinde in Beziehung zu treten oder gar es etwas zu lehren.__ 'Verantw. Redakteur: Alfred Wielepp, Neukölln. Druck u. Verlag: Dieser Fall zeigt sehr deutlich, wie die Leistungen de? Groß- Hirns in der Wirbeltierreihe an Bedeutung gewinnen, wie die höheren Tiere, und ganz besonders der Mensch, immer mehr von dem Neu- Hirn abhängig werden, ja daß der Mensch dessen Leistungen gar nicht mehr entbehren kann. Das Kind ohne Großhirn.war weniger leistungsfähig als ein Fisch oder als ein Frosch ohne Großhirn'. Technisches. Der hundertste Geburtstag der Lokomotive. Genau hundert Jahre sind es jetzt her, wie die amerikanische.Rail« way and Locomotive Engeneering' berichtet, daß die erste Loko- motive, die berühmte.P u f f i n g Billy' ihren ersten regelmäßigen Dienst auf einem Schienenstrang begonnen hat. Es ist ganz vergessen worden, daran zu erinnern. Wie konnte das geschehen! Hat die Elektrizität die Dampfkraft bereits derart in den Hintergrund des Interesses gedrängt? Gewiß denkt heute nie- mand daran, die Erfindung de? Ochsenkarrens oder des Einspänners zu feiern, aher daß innerhalb eines Jahrhunderts ein solcher Wechsel vor sich gehen konnte, ist für unsere Zeit charakteristisch. DiePusfing Billy" war gewiß nicht die erste Lokomotive, die gebaut worden ist; aber sie war die erste, auf wissenschaftlicher Berechnung beruhende Dampfmaschine, die wirkliche und regelmäßige Arbeit leisten konnte. Ihre Herrlichkeit dauerte zwar nur ungefähr dreizehn Jahre; dann mußte sie ihren Ruhm an jüngere Erfindungen abtreten. Sie ist heute noch im South Kensington Museum   in London   aufbewahrt. Die. Puffing Billy' resultiert aus mehreren interessanten Versuchen, die in Frankreich  , England und Amerika   vorausgegangen waren. Wer der eigentliche Erfinder der Lokomotive ist, läßt sich heute nicht feststellen. Sie gehört nicht einer einzelnen Person und einem einzelnen Land an. Dutzende von Erfindern, über alle Länder zerstreut, haben daran gearbeitet. Die Idee, ob man Fuhrwerke mit Dampfkraft fort- bewegen könne, wurde von den französischen   Philosophen gegen Ende des 18. Jahrhunderts mit Vorliebe besprochen. DaS einzige Ergebnis dieser philosophischen Spekulation war, daß im Jahre 1770 ein Offizier der französischen   Armee, Cugnot  , einen Dampfwagen für militärische Zwecke baute. Die Maschine benützte hochgcpreßten Dampf und besaß zwei Zylinder und einen kleinen Kessel. Sie legte mit großer Mühe drei Meilen in der Stunde zurück. Das war das erste Automobil: es ist heute noch in einem Pariser Museum auf- bewahrt. Die Versuche gingen in dieser Richtung weiter. 1784 baute William Murdoc  , ein Angestellter von Voulton und Watt, ebenfalls einen Dampswagen, mit dem er über die Straßen fahren konnte. Die Vergrößerung der Geschwindigkeit geht namentlich auf den amerikanischen   Erfinder Ollivier Evans zurück. Er baute 1804 einen.Fahrkasten" von zwei Tonnen Gewicht, mit dem er durch die Straßen von Philadelphia fuhr. Bisher waren die Dampfmaschinen auf den gewöhnlichen Fahr« wegen gefahren. Erst Richard Trevithick   verfiel tm Jahre 1803 auf den Gedanken, eigene Straßen für die Dampfwagen zu bauen, und diese auf besonderen Schienen laufen zu lassen. Er baute sich eine Maschine, die mehrere Wagen nach sich ziehen konnte; aber sie war viel zu kompliziert, um regelmäßige Arbeit leisten zu können und wurde nach wenigen Versuchen wieder aufgegeben. In den folgenden zehn Jahren wurden nun überall gewaltige Anstrengungen zur Vervollkommnung und zur praktischen Aus- beutung dieser Idee gemacht. Es galt zunächst die wissenschaftlichen Formeln für die Verhältnisse von Kraft und Gewicht herauszufinden. Trevithicks Maschine selbst z. B. war für ihre Dampfkraft zu schwer; die Räder drehten sich um sich selbst und so war schließlich das ganze Problem illusorisch. ES traten verschiedene Erfindungen hervor, die dieses Gleiten der Räder verhindern sollten. Den größten Erfolg hatten die beiden Engländer William H e d l e y und Timothy Hack Worth, die in bescheidenen Stellungen in dem Kohlenbergwerk von Christoffer Blackett in Wylam in Nordengland   waren. Hedley stellte auf Grund zahlreicher Ex- perimente die Zugkraft und ihr Verhältnis zum Gewicht und zur Schnelligkeit fest. Er entivarf eine Lokomotive, die von Hackworth in einer einfachen Schmiede gebaut wurde. Diese Maschine wurde 1812 in Bewegung gesetzt; sie zog auch in der Tat einige Kohlen- wagen, aber sie enthüllte mehrere Kesselfehler. Hedley setzte sich also neuerdings ans Werk, und so entstand denn 1813 die.Puffing Billy". Der Typus dieser Maschine war mit kleinen Veränderungen bis 1820 in Gebrauch, wo die Direktoren der Liverpool-Manchester- Eisenbahn-Gcsellschaft einen Preis von 10 000 M. anssetzten für eine Lokomotive, die gewissen Anforderungen genügte. Die.Rocket' von Robert Stephenson   gewann den Preis. Sie führte einen neuen Lokomotivthpus ein, dessen hauptsächlichste Neuerung ein mchrröhrigcr Kessel war; auch der Zylinder und die Triebräder hatten bedeutende Aenderungen erfahren. DaS Aeußere der Maschine war vereinfacht, stützte sich aber noch immer auf die Anordnungen von Hedley. Merkwürdigerweise wird Georg S t e p h e n s om, der Chef- ingenieur der Stockton und Darlington-Eisenbahn, immer wieder als der Vater der Lokomotive gepriesen, obwohl er auch nicht die kleinste Kleinigkeit erfunden hat, die für die Dampfmaschine von bleibendem Wert gewesen ist. Die.Rocket' wurde von seinem Sohn Robert er- fanden; die wichtigste Neuerung aber, der mehrröhrige Kessel, geht auf B o o t h, den Sekretär der Liverpool   und Manchcster-Eisenbahn- Gesellschaft zurück.____ Vorwärts Buchdruckeret u-Berlagsanstalt Paul Singer ScCo..Berltn S W.