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werk. Der Wagen stößt und rüttelt, und es heißt die Beine mög lichst weit auseinanderspreizen, damit man nicht fällt, und den Oberkörper nach vorn neigen. Links und rechts eilen die Weibenbäume an uns vorbei mit ihren verschnittenen Kronen und feltfamen Stämmen. Unwillkürlich muß ich an verkrüppelte Menschen denken beim Anblick dieser Bäume, wo es auch sei.
Kleines Feuilleton.
Aus dem Leben.
Ein Blatt aus dem Leben des Dichters Detlev bon Lilien
eron wird in der Frankfurter Zeitung " veröffentlicht. Wenn Liliencron einmal von seiner Tätigkeit als Kirchspielvogt von Doch lustig läßt Karl die Peitsche knallen, und die drei Pferde telling husen in Schleswig- Holstein sprach, so nannte er in greifen mächtig aus. Bald sind wir am Vorwerk vorbei und biegen bitter- scherzhafter Weise diese Beit seine zweite Verbannung. Die links ein, nach dem Schlag II. Bald find wir auch auf dem Felde. beiden Jahre auf der Hallig Bellwrom waren die„ erste VerFroh springe ich vom Wagen. Das Fahren war nicht gerade ein bannung". Genuß, und ich bin froh, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.
So, nun man los!" sagt Karl, nachdem er den Wagen zurechtgerückt hat. Garbe um Garbe fliegt im Bogen auf den Wagen. Noch ist die letzte Garbe der Mandel nicht recht hinauf, treibt Start schon mit einem lauten Hüh die Pferde vom Wagen oben an. Noch ist der Wagen leicht und sie haben leichtes ziehen. Wir fahren zum nächsten Haufen und wieder weiter. Mit jeder auf geladenen Mandel wird die Fuhre höher und höher und die Arbeit für mich anstrengender. Die Räder laſſen immer tiefere Spuren in dem weichen Feldboden zurück und knarren immer mehr. Doch wir sind nicht die einzigen. Gins , zwei, drei, fünf, acht Gespanne zählt Karl von seinem erhöhten Standort, von dem er eine größere Fläche des Feldes überschauen kann. Nun sind wir wieder nahe an der Straße. Es ist auch Zeit; denn die Pferde haben zu fragen, daß sie die Ladung fortbewegen auf dem weichen Feldboden. Nun noch ein paar Meter bis zur letzten Mandel. Ich muß das Sattelpferd beim Kopfe nehmen und ihm zureden: ,, Na so ist's schön brrr!" Komm, Hans, fomm! Hoh la hopp
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Ein dichter Schwarm Fliegen und Bremsen umsummt die Pferde und peinigt sie, trop der Fliegendecken, die die armen Pferde vor den Insekten schützen sollen. Denn trok dieser Decken und Nebe fehen sich Bremsen und Fliegen den Tieren überall hin: auf die Brust, die Weichen, den Bauch, die Beine, kurz es gibt kein Fleckchen, wo dieses Geschmeiß sich nicht niederließe.
Und die Pferde wehren sich, so gut es geht. Mit den Schweifen und den Beinen schlagen sie nach ihnen aus und suchen sich ihrer zu erwehren. Schütteln die Köpfe und Mähnen, reiben sich an der Deichsel doch immer wieder kommen die Insekten und quälen
fie aufs neue.
Da heißt es vorsichtig sein, wenn man in der Nähe der Pferde zu tun hat. Der Schlag, mit dem die Tiere die Bremsen verjagen wollen, kann leicht den Mann treffen und gesunde Glieder kosten. Denn bei dem Umsichschlagen treten die Pferde häufig über die fchlaff hängenden Stränge, und ehe man weiterfahren kann, müssen biese wieder in Ordnung gebracht werden. Und wie vielen ist der kurze Augenblick des Umsträngens schon verhängnisvoll geworden und hat ihn für die weitere Lebenszeit zum Krüppel gemacht.
Der alte Rösner fällt mir ein, den wir vor neun Jahren, an einem Tage wie heute, mit zerschmettertem Gesicht vom Felde Heimtrugen. Eines feiner sonst so frommen Tiere hatte ihn mit bem Hufe ins Geficht getroffen, als es nach den Bremsen schlug. Damals arbeitete ich auf einem Rittergute in Thüringen .
Das Mindeste, was einem bei dieser Obhut widerfährt, ist, baß man einen Schlag mit dem Schweife ins Gesicht erhält. Und so ein Schlag brennt und beißt tüchtig, denn die Schweifhaare find hart und strähnig und die Schläge der gequälten Pferde nicht sanft. Und trotzdem kann man den Tieren nicht böse sein im Ernst; höchstens entringt sich einem ein Fluch, und dann ist man froh, wieder einmal mit heilen Gliedern davongekommen zu sein. Und schließlich kennt man auch den Schmerz der Pferde; denn diese Bremsen lassen auch die Menschen nicht in Ruhe. Auf dem Gesicht, Em Naden, auf den Armen lassen sie sich nieder und ihre Stiche schmerzen niederträchtig.
So, nun war die Fuhre voll. Nun noch den Heubaum drauf und das Seil darüber geworfen und fest angezogen. Karl kommt Herunter, und wir ziehen mit vereinten Kräften. Nun ist's fest genug und er tann nichts mehr verlieren.
Er nimmt Peitsche und Bügel in die Hände. Hopp, Sühjo!" Bwölf Pferdehufe wühlen im Acerboden; die Tiere legen sich in die Sielen, daß die Stränge sich wie Saiten spannen; ein leises Knarren in den Speichen und Achsen der Räder und schwankend tommt der Wagen in Bewegung. In wenigen Augenblicken ist er auf der Straße. Schwankend und knarrend rollt er dem Vor
werk zu.
Doch da kommt noch ein leeves Gespann vom Vorwerk her, und bon weitem winkt mir der Kutscher mit der Peitsche. Ich besteige feinen Wagen und im Trab geht es über das Feld, um auf der entgegengesetzten Seite wieder anzufangen und nach der Straße zu fahrend aufzuladen.
Und wieder fliegen die Garben im Bogen auf den Wagen. Oben werden sie vom Kutscher zurechtgelegt. Selten fällt ein Wort. Allmählich werden die Radspuren wieder tiefer, die Speichen und Achsen knarren und ächzen, erst leise, dann immer lauter, und je näher wir wieder der Straße kommen, desto voller und höher wird die Fuhre. Dann wird geschnürt.
( Fortfegung folgt.)
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An seinem Geburtstage im Jahre 189. war es, als wir in Ottensen bei Altruh über einen Markt schlenderten und ein dort sich drehendes Karussell in Liliencron Erinnerungen weckte. Er erzählte mir: In diesen grauenhaften, unbeschreiblich grauenhaften Tagen damals in Kellinghusen in der Verbannung, bin ich als alter Kerl einmal karussell gefahren, was sagen Sie dazu, was? Jawohl! Ich war schon halbtot von den täglichen öden Dienstgesprächen mit dem Gendarm, dem Polizeidiener, dem Gerichtsvollzieher usw. Denken Sie sich doch bitte nur hinein, was das heißt, Tag für Tag über gestohlene Torfkörbe und randalierende Deliranten und verstopfte Kloaken, eingefangene Bettler usw. usw. ellenlange Verhöre und Berichte zu machen. Und waren meine Amtsstunden vorüber, dann gingen dieselben Ochsengespräche von borne an, die man gestern als letztes gehört hatte. Ochsen, Mist, Ochsen, Futter, Ochsen, Düngung Verehrtester, ich war oft am Davonlaufen, Sie können mir's glauben. Ja, also, da war denn auch wieder mal ein verfluchter Tag aufgegangen über Gute und Böse, der mir das Maß des Unerträglichen zum Ueberlaufen brachte. Geldsorgen find, je größer die Stadt ist, in der wir sie erdulden, um so erträglicher. Nun bitte ermessen Sie also meine Qualen 1886 in Nellinghusen, dieſem Nest, wenn mir, dem Allgebietenden, dort noch siebzehn Pfennige in der Tasche klimperten als einzigster Besitz.
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Es war ein Sonntag im Sommer. Allerschönstes Wetter, Sonnenschein von früh bis in den Abend. Im Ort war Markt, und natürlich drehte sich durch den wogenden Schmalzduft von Berliner Pfannkuchen das Karuffell.
Ich wollte einen Spaziergang in den Wald machen, da gibt mir beim Hinaustreten der Postbote eine Depesche. Pozz Wetter, was lese ich!„ Erwarte mich bitte um 4 Uhr an der Bahn.
Deine O."
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Das Teufelsmädel, das aller allerliebste von der Welt saß im Zuge, um zu mir zu kommen! Ich glaube, ich habe einen Sprung in die Luft gemacht, so selig war ich geworden durch diese Botschaft. Da fallen mir meine siebzehn Pfennig Vermögen ein. Hilfe war bald gefunden! Ginen Taler fonnte ich ergattern, so weit reichte mein Kredit und Ansehen noch.
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Jh, Verehrter, das war ein Tag voller Sonnenschein! So grau er für mich aussah am Morgen, um so heiterer war sein Gesicht von dieser Stunde an. Von der Bahn kommend sind wir dann natürlich durch den Markttrubel gebummelt. Herrje, da gab's aber Augen! De Herr Barvoon!" lies elf Meter lange" o" De Herr Voocht! Kief, fiet! Un n' Deern ute Stadt hette bi sich! Niet , tiek!". Ach, Liebster, wenn Sie sie gesehen hätten! Sie war halb Neapolitanerin, halb dithmarsische Buerdeern! Na, und als mir dann die dumme Angafferei der Bauern zu herausfordernd wurde und mein luftiges Mädel, hopsa, in den Sessel des Karussels sprang, da saß ich auch schon neben ihr. Jawohl! Das war eine Stunde, mein Lieber, da ging einmal alles anders herum. Ich glaube, die lieben Umstehenden haben mich für total verrüdt geworden gehalten. Mit offenen Mäulern, die gewaltigen Hände, selbstverständlich, beide tief, tief in den Hofentaschen verbergend, standen sie da und starrten unverwandt auf mich. In der Menge entdeckte ich jetzt den Doktor an der Seite des Pastors. Als wir an ihnen vorbeischaufelten, brülle ich ihnen durch die Glockenflänge, die Pfeifenfignale und all das Getöse der Ausrufe zu:„ Guten Tag, meine Herren, es ist billig und luftig, wollen Sie einsteigen?"
Der Doktor hatte Humor, der lachte herzlich und schien übers haupt weit mehr Interesse zu haben für meine Nachbarin als für mich und das Mitfahren. Aber der Herr„ Pastor" machte ein verdeubelt verquiemtes Gesicht; hat sicherlich viel von Sittenlosigkeit, Respektlosigkeit, Verfall der Moral usw. gemurmelt und sich dann empört und verwirrt seitab gewandt, denn als wir ausstiegen, stand mein Doktor allein da.
Bei Mutter Jewe, die ich schon lange kannte, die jedes Jahr mehrere Male mit ihrer Bude im Ort erschien, haben wir uns dann vom dressierten Kanarienvogel noch das Glüdslos ziehen laffen. Fünfzig Pfennig wurden gewonnen. Ein Glücksgriff für Mutter Jewe; denn natürlich muß ich ihr den Gewinn auszuzahlen erlassen; und die Zuschauer, ermuntert vom soeben gezogenen Großen Los", geben dem emfigen Kanarienvögelchen jest tüchtig
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zu tun.
Da kommt sehr respektvoll
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er war schon etwas angeheitert - der Karussellbesiber zu mir mit: Herr Baroon, darf ich bitten, wollen der Herr Baroon noch mal die Ehre haben, un bei mich mitzufahren? Ein Plat is noch frei!"
Und, Verehrtester, ich fuhr, fuhr zum zehnten Male durch den luftigsten Tag...