Nr. 60.- 1916. Unterhaltungsblatt öes Vonvarts Aollllabknd. irMikz. Die Sonnenflecken. Von Felix Erber. Wer gegenwärtig Gelegenheit hat, durch ein natürlich aus­reichend abgeblendetes astronomisches Fernrohr'einen Blick auf den mählich wieder höher steigenden Sonnenball zu werfen, der wird inmitten seiner strahlenden Oberfläche dunkle, verwaschene, ungenau begrenzte und ganz unregelmäßig gestaltete Flecken wahrnehmen, und zwar Flecken in größeren Gruppen, ohne die sich das Tages- jjestirn augenblicklich nie zeigt. Denn die Sonne befindet sich jetzt un Maximum ihrer Fleckentätigkeit, die sich in dem fortwährenden Auftauchen ausgedehnter Sonnenfleckengruppen kennzeichnet. Aristoteles  , der größte Naturforscher des Altertums, lehrte, daß die Sonne das Urbild der Reinheit und Fleckenlosigkeit sei. Das hat man ihm bis zum Jahre 1611 auch geglaubt! aber in dem ge« nannten Jahre richtete der sternkundige ostkriesische Pfarrerssohn David Fabriciu- und Galilei  , beide unabhängig von einander, ihre primitiven Fernrohre nach dem Tagesgestirn und fanden zu ihrem nicht geringen Erstaunen, daß die Lehre des Aristoteles nicht richtig sei. Sie entdeckten nämlich Flecken auf der glänzenden Scheibe unserer Sonne, und wir finden es in der Anschauung jener Zeit durchaus gerechtfertigt, wenn man diese Flecken zunächst für kleine Planeten in der Nähe unserer Sonne hielt. Immer sah man diese seltsamen Gebilde auf der Oberfläche unseres Tagesgestirns im Osten auftauchen, langsam über die helle Scheibe ziehen und dann am westlichen Rande der Lichthülle(der Photosphäre) verschwinden. Das dauerte stets zwölf bis vierzehn Tage, und genau nach Ablauf der gleichen Zeit kehrten sie im Osten des Sonnenrandes wieder. Sie waren keine selbständigen Erscheinungen; das halte man sehr bald erkannt, und man leitete davon auch früh schon die Rotationsgeschwindigkeit der Sonne sdie Geschwindigkeit der Drehung der Sonne um ihre eigene Achse) zu sünsundzwanzig Tagen ab. Diese Flecken änderten stetig ihre Gestalt und ihre Größe. Das fiel allen Beobachtern aus, und die meisten dieser Gebilde verschwanden schon nach wenigen Tagen. Einige aber hielten doch wochenlang auf der Oberfläche des Zentralgestirns an. Der große Flecken des Jahres 1840/41 ist dafür ein Beispiel und Beleg; denn er trübte achtzehn Monate lang das sonst klare Antlitz des.Sonnengottes". Aller Wahrscheinlichkeit nach hängt diese Veränderung der Fleckentätigkeit mit sehr heftigen Slrömunngen in jenen Schichten der Sonnenaimosphäre zusammen, in denen sich die Flecken gerade aushallen. Indes, das sind nur die Vermutungen, und die genaue Kenntnis aller physikalischen Er­scheinungen auf der Oberfläche unseres Tagesgestirns wird uns wohl für lange noch wenn nicht für immer versagt bleiben. Aus­fallend ist es ja, daß die Flecken am häufigsten in der Nähe des EonnenäquatorS, und zwar meist in Gruppen dort auftreten, hier schneller rotieren, als in den höheren heliographischen Breiten und nicht über den vierzigsten Grad hinausgehen. Man hat für dieses Auftreten der Sonnenflecken in bestimmten heliographischen Breiten eine wisienschaftliche Erklärung zu geben versucht. Sie stammt vom Astronomen Faye und besagt, daß der Unterschied der Rotationsbewegung in den verschiedenen Breiten der Sonne durch die verschiedene Tiefe hervorgerufen wird, aus der diese Flecken hervorgestiegen seien. Demnach müfien die oberen Schichten der Photosphäre am Aequator   der Sonne schneller und mit zunehmender Breite allmählich langsamer rotieren. DaS ist nun tatsächlich der Fall, und gerade in jenen Schichten am Aequator  der Sonne finden wir auch die meisten dieser Gebilde. Uoung ein amerikanischer Astronom hat die Hypothese von Faye auf spektroskopischem Wege nachgeprüft; sie ergänzen und bestätigen können. AIS   Wilhelm Herschel  , der vorher Stadtmusikant in Hannover  und dann einer der größten beobachtenden Astronomen aller Zeiten war, seine riesigen Fernrohre nach den Flecke» auf unserem Zentral- gestirn richtete, traten diese in ein ganz neues Stadium der Forschung ein. Man erkannte in diesen riesigen Teleskopen, daß ein jeder Flecken auf der Sonne aus einem tiefen Kernschatten der Umbra bestand, der von einem fadenartigen Halbschatten der Penumbra umgeben war. Heute wissen wir, daß die im Verein mit den Sonnenfackeln auftretenden größeren Sonnen- flecken sehr wahrscheinlich durch die Niederschläge und durch das Zusammenfließen benachbarter Melalldämpfe ent- stehen. Um die Flecken herum bilden sich neue Metallprotube- ranzen imetallische Sonnenflammen), die die emporgeschleuderten und dann abgekühlten Massen ihrerseits wieder dem Zentrum der einzelnen Flecken zuführen. Andere metallische Protuberanzen aber bilden neue, kleinere Flecken in der Nachbarschaft also die Gruppen wenn sie in einem größeren Abstände von dem Hauptflecken sich be- finden. Der Kern dieser Flecken ist aber durchaus nicht kühl und dunkel, wie man leicht glauben könnte, sondern das Gegenteil ist der Fall. Die Flecken erreichen oft eine ungeheure Ausdehnung, bis zu Hunderttausenden von Kilometern im Durchmesser, so daß in manches dieser Gebilde eine große Anzahl von Erdkugeln versenkt werden könnte. Hierbei drängt sich uns unwillkürlich die Frage auf, welchen Einfluß diese Flecken auf unsere Erde haben mögen. Wissen wir doch, daß alles Leben von der Sonne und von ihrer Tätigkeit ab- hängt, mitbin auch jede Veränderung auf ihr die alle zu ihr ge- hörenden Körper in Mitleidenschaft ziehen muß. Seit etwa sechzig Jahren ist es bekannt, daß die Sonnenflecken an eine Periode ge- bunden sind. Innerhalb eines Zeitraumes von durchschnittlich elf und einem halben Jahre wächst die Häufigkeit der Flecken von einem Minimum zu einem Maximum an. Allmählich verringert sich diese Periode aber wieder, bis abermals«in Minimum der Häufigkeit erreicht wird. Zwei bis drei Jahre lang sind die Flecken größer und zahlreicher. Sie nehmen ab bis zu dem etwa sechs bis sieben Jahre nach dem Maximum eintretenden Minimum. Nach abermals vier bis fünf Jahren sind sie dann zum Maximum zurückgekehrt. Die Intervalle der Sonnenfleckenperiode sind nicht gleich, und man bat gefunden, daß die Zunahme vom Minimum zum Maximum rascher erfolgt als umgekehrt die Abnahme. Auf- fällig frei von Flecken war unser Tagesgestirn in den Jahren 1843, 1867 und auch im Jahre 1S1I, während wir ein Maximum von Flecken zuletzt in den Jahren 1893 und 1904/1905 hatten. Gerade in dem zuletzt genannten Jahre zeigten die Vorgänge auf der Sonnen- oberfläche recht gut ihre Beziehung zu Erscheinungen auf der Erde. So konnten wir im Jahre 1904, zur Zeit des Sonnenflecken- Maximums, in den Zeitungen lesen, daß die internationalen Kabel- leitungen streckenweise versagten. Nordlichter und magnetische Störungen, die nach den Untersuchungen von Wolf, LaomiS und Wolfer zugleich mit den Flecken am häufigsten auftreten, zeigten sich und empfindliche Menschen klagten über Kopfschmerzen und körperliches, aus Nervenstörungen zurückzuführendes Unbehagen. Sogar dieses machte man von dem Fleckenmaximum des Jahres 1904/1905 abhängig, ähnlich wie einst Wilhelm Herschel   die Korn- preise und ein Witzbold das.Sterben der alten Jungfern" von den Sonnenflecken abhängig machten. Neuerdings hat Angström auch eine« Einfluß der Sonnen« flecken auf die Ozonbildung unserer Lust nachgewiesen, einen Ein« fluß, der dadurch entsteht, daß die ultraviolette Strahlung des Sonnenlichts, die zum Teil von der Atmosphäre verschluckt wird, den Sauerstoff in Ozon verwandelt. Hängt nun mit der elf- jährigen Periode und dem Austreten der Sonnenfleckcn talsächlich eine stärkere Strahlung unseres Zentralgestirns zusammen, dann muß das Bolometer sStrahlungsmesser) eine Schwankung des Ozon- geholtes unserer Luft je nach der Sonnenfleckentätigkeit anzeigen, was in der Tat der Fall ist. Jedenfalls findet die Astrophysik in der Untersuchung der Sonnenflecken, ihrer Ursachen und Wirkungen gewiß noch auf lange hinaus ein reiches Tätigkeitsfeld, und es ist wohl zu hoffen, daß auch das gegenwärtige Fleckenmaximum unsere Kenntnisie dieser in vieler Hinsicht noch so rätselhaften astrophhsi- kalischen Erscheinung erweitern wird. kleines Feuilleton. Kunstwerke für Panzerschiffe. Bereits vor dem Kriege drängte sich in Italien   Manchem der Gedanke auf, daß man in Sachen der Kunstbegeisterung wie im Sammeln von Kunstwerken des Guten reichlich zu viel getan, und daß die Jahrhunderte andauernde Sammelwut das Land in ein Museum, wenn nicht gar in einen Kunstfriedhof verwandelt habe. Und man klagte, daß man in einem Ueberfluß ersticke, der alle anderen Bestrebungen in den Hintergrund habe treten lassen. Dem Futuristen Marinetti   war es vorbehalten, herauszufinden, daß dieser Ueberfluß indeffen den Vorteil habe, ein gewaltiges finanzielles Erbe darzustellen, das man gerade heule gur gebrauchen könne. Und da Herr Marinetti   bekanntermaßen nicht zu den Leuten gehört, die auf halbem Wege stehen zu bleiben Pflegen, so setzte er sich hin und schrieb für die.Avvenimenti* einen Artikel, in dem er klipp und klar den Borschlag macht, einen Teil dieses gewaltigen ErbcS allmählich abzustoßen, d. h. mit anderen Worten: die in dm Museen angehäuften unersetzlichen Kunstschätze, wenn auch mit bestimmten Ein- schränkungen, freihändig zu verkaufen. Mit dem Erlös, den man gut und gern auf mehrere Millionen schätzen dürfe, könnte dann Italien   in aller Ruhe den Krieg finanzieren, ohne sich über die Be- sckaffung der Gelder Kopfzerbrechen zu machen. Man könnte dann alles, was man für den Krieg braucht, in ungeheuren Mengen schaffen, ohne die öffentlichen oder privaten Finanzen in Anspruch zu nehmen; ja, man wäre ganz im Gegenteil dann in der Lage, da! Volk von den großen Steuerlasten, die es bedrücken, zu befreien. Der Vorschlag Marinettis findet in der italienischen Presse merkwürdigerweise Beifall. Man bedauert nur, daß er aus dem Munde gerade eines Futuristen kommt, der wegen seiner Absonder- lichkeiten nicht ernst genommen wird. Aber der.Secolo" gibt sich alle Mühe, dieses Odium zu beseitigen, indem er darauf hinweist, daß Marinetti   ja hier ohne Rücksicht auf den futuristischen Stand- Punkt einzig und allein als Finanzmann beurteilt und gcwertet werden'darf..Ich wünschte", heißt es in dem Artikel,.daß jeder Leser und jeder Italiener sich ohne jede rednerische Be- schönigung einmal die nüchterne Gewissensfrage vorlegen würde:.Wenn ein Wohltäter Italien   heute vor die Wahl stellen würde, ob er ihm noch einen Raffael oder einen Dreadnought, eine Sammlung noch unbekannter Cellinischer Zeichnungen oder ein Flugzeuggeschwader als Geschenk stiften solle, wofür würde er sich entscheiden? Ich glaube, daß kein italienischer Bürger, mit Ausnahme vielleicht der Leute, die auf den Posten eines Kustos lauern, einen Augenblick schwanken würde, sich für den Dreadnought oder die Flugzeuge zu entscheiden. Und ich bin auch ganz sicher, daß die Seelen Michelangelos   und RaffaelS, Glottes und Berninis   freudigen Herzens zustimmen würden und glücklich wären, daß sie aus dem Schatten ihrer Gräber gerufen werden, um für Munitionsfabriken und Schiffswerften in Dienst gestellt zu werden." Dies ist also die Kulturgesinnung jener lateinischen Rhetoriker, die die»deutsche Barbarei" ausrotten wollen! Knochenverpfianzungea. Bei der Behandlung der Kriegsverletzten des VereinslazaretteS in Hermannswerder hat der Chefarzt dieses Krankenhauses Prof. W o l f f bemerkenswerte Heilerfolge erzielt. Er hat in einem Bor  - trage darüber berichtet. Prof. Wolff vertritt den Standpunkt der .AutoPlastik" d. h. die Entnahme des Knochemnaterials zur Ver« Pflanzung vom behandelten Kranken anstatt von artfremden oder artgleichen Individuen. Bei Kopfschüssen wurden Knochenplatten, die dem Schienbein entnommen wurden, überpflanzt. In einem besonderen Falle, in dem durch Schuß« Verletzung ein großer Teil deS Schienbeins zerstört und nach der Wundheilung eine völlige Gebrauchsunfähigkeit eingetreten war, ersetzte Professor Wolff das fehlende Stück Schienbein durch Ueberpflanzung eines 20 Zentimcnter langen Stückes aus dem Wadenbein des gesunden Beines mit dem Ersolge völliger Gebrauchs- fähigkeit des verletzten Beines. Die Entnahme des für die Funktion ohnehin viel weniger wichtigen Wadenbeines halte keinerlei Nachteil, da sich dasselbe aus der zurückgelassenen Knochenhaut wieder neu- bildet. Einem Patienten wurde der durch Erkrankung völlig zer- störte 5. Mittelhandstiochen durch einen aus seinein Fuß entnomineucu entsprechenden Mittelfußknochen ersetzt, der in zwei Wochen eingeheilt war. Anstelle des Miltelfußknochens wurde eine aus dem Schien- bei» gewonnene entsprechend große Knochenleiste überpflanzt. Auf dem Chirurgenkongretz in Berlin   koniite derselbe Operateur einen Fall vorstellen, in dem er einen Fingerknochen durch einen Zehenknochen und diesen wieder durch einen Rippenknorpel ersetzte. Dem Mädchen wurde die Gebrauchsfähigkeit des Fingers voll er- halten. Besonders augenfällig waren die Erfolge des Chirurgen in den»Nasenplastiken". Ein Soldat hatte die ganze Nase samt ihrem Knorpel- und Knochengerüst durch Schußvcr- letzung verloren. Mit seiner neuen, wohlgeformten Nase konnte er sich dem Aerztekreis vorstellen. Seine neue Nase entstammt dem eigenen Körpergewebe. Prof. Wolff löste aus dem Schienbein einen kräftigen, passenden Knochenspan als Stütze der neuzubildenden Nase und pflanzte ihn unter die Narben- masse ein, die an Stelle der Nase verblieben war. Aus der Wange entnahm er einen gestielten Hautlappen als Weichteilbedeckung für die neue Nase. Der den Lappen nährende Hautstiel wurde nach zehn Tagen durchtrennt, da der aufgepflanzte Lappen mit seiner Umgebung fest verwachsen und in seiner Ernährung gesichert war.(z) Notize». Einer, der keine Kriegsgewinne wünscht. Prof. Lassar-Cohn in Königsberg   hat eine Erfindung zur Verbilli- gang der Kcaflfutterhefe gemacht. In der Veröffentlichung dieses Verfahrens entwickelt er folgenden wahrhaft patriotischen Grundsatz: .Ich habe meine Erfindung nicht zum Patent angemeldet, sondern stelle sie jedem frei zur Verfügung. Denn ich meine, daß cS in dieser Zeit, wo zahllose Mitbürger ihr Leben für das Reich einsetzen, einem Bürger, der wegen Alters zu Hause geblieben ist, nicht an- steht, aus einem Gedanken auf einem Gebiete geldlichen Vorteil ziehen zu wollen, mit dem die Ernährung des Volkes zu eng ver- knüpft ist." eo] Der Sang öer Satije. Ein Roman aus dem modernen Aegypten. Von Willi Seidel  . Der junge Mann ließ sich auf einem Taburett nieder. Nachdem er etwa eine Viertelstunde gewartet hatte, öffnete sich lautlos eine weißlackierte Flügeltür. Sie blieb offen stehen; ein Geschöpf trat in ihren Rahmen und sandte den Blick herüber, ohne sich zu rühren und ohne zunächst die von Brillantringen überladene Hand von der Klinke herab- zunehmen. Endlich kam das Geschöpf näher und beschied mit der- selben Hand in einer gleichgültigen runden Bewegung den jungen Mann, der sich erhoben hatte, auf einen der zerbrech- lichen Stühle. Man setzte sich, und da ein kurzes Schweigen folgte, hatte er vollkommen Muße, sich vorzubereiten, und kam dabei zu dem Ergebnis, daß er etwas Achnliches bis jetzt noch selten erblickt habe. Diese Dame trug ein nach der Gepflogenheit vornehmer Harim recht geräumig geschnittenes Kleid aus schwarzem Atlasstoff, das auf einen üppigeren Körper berechnet schien und nach allen Seiten hin in schwere Falten ausfloß. Unter dem verhüllenden Kopftuch, dessen Quasten die Schultern schier belasteten und dessen zu einem Dreieck gefaßtes Ende den Rücken herabwallte, lebte, gleichsam versteckt in einer Umrandung von dünner Seide, ein kleines Gesicht. In seiner feinen Wachsfarbe rührten sich ungeheuer große schivarze Augen, unnatürlich erweitert, erschreckt, abwehrend, ruhe- und ratlos. Die Lider, unfaßbar zart wie die äußersten Blätter gelblicher Rosen, erschien sein und krankhaft durchblutet und trugen blauschwarze Wimpernsäume, deren nachgefärbte Treff- punkte die vollkommene Mandelform des arabischen Auges erzeugten. Die Frau hielt ihr Gesicht geduckt, so, als erwarte sie eine Demütigung. Der Nacken war gekrümmt, und die Flügel der zierlich modellierten 3!ase bebten unablässig wie die eines Nagetieres. Um so erstaunlicher war die Stimme. Sie war zu weich, um in eine kreischende Färbung überzuschlagen, aber auch wieder zu scharf, um gütig zu wirken. Es war eine Stimme, hinter der eine breite Erfahrung von Leid stand, sie war von der Seelcnlosigkeit eines durchaehütenen Sopran-E, das man ohne jede Absicht, eS warm erschwcllen zu lassen, nur zur Probe auf seine Reinheit answeicht.-- Sie eröffnete nun, in reinstem Französisch, die Unter Haltung. »Sie sind Hassan-Muharram? oder vielmehr, Sie nennen sich so Der junge Mann bestätigte. Ich bin entzückt", sagte sie mit leerem Ausdruck und sah ihn an. Auf einmal ging eine kleine Arbeit, ein kleines Ringen nach Konzentration durch ihre Gestalt; sie zog sich gleichsam etwas zurück und schmiegte sich tiefer in den Stuhl. Bei dieser Bewegung entblößte der Hals sich ein wenig: ein Kettenschmuck von fabelhaftem Wert ward vorübergehend sichtbar. Sie werden etwas erstaunt gewesen sein, Hassan- Muharram, daß ich Sie anonym hierherbeschied... Sie bc- fanden sich vorgestern bei einer Dame, die mir befreundet ist! Sie erzählten ihr allerlei!" Schweigen. Sie waren lange dort... Sie kannten einander! Sie hatten das Bedürfnis sich auszusprechen und teilten ihr auch ein wenig von Ihrer Abkunft mit... Aus alledem schloß ich, daß Sie ohne Zweifel mein Sohn sind." Sie sprach dies mit der gleichen leblos hohen Stimme. In ihre Augen trat dabei lediglich der Ausdruck einer schatten- haften Neugier; sie lächelte weder, noch deutete sie durch die geringste Bewegung an, daß ihre Eröffnung von irgendwie tieferem Belang sei. Als sie die Wirkung wahrnahm, die ihre Worte auf ihn machten, verstärkte sich diese Miene kalter Neugier, als habe sie irgendein gleichgültiges Experiment ge- wagt und sei längst in der Lage, die Folgen zu tragen. Er war zurückgesunken und hatte die Hand auf die Augen gelegt. Die Erfüllung war da... und in ihm reckte sich ein Knabe auf, braun und hochfahrend, der in irgendein trübes Dunkel hinein, in ein erbärmliches Dunkel, mit einem alten, tierischen Fellachen Abrechnung hielt, der mit schriller Stimme einen Dithyrambus auf ein unbekanntes Leben sang, zu dem ihn durch viele Verwandlungen hindurch sein Blut unwider­stehlich treiben mußte... Und nun, nun stand er am Tor dieses Lebens; denn das Herz lebte, von dessen Blut er der- einst gezehrt! Diese Frau da... seine Mutter! Er sah sie noch nicht an, denn das Bewußtsein, daß sie vor ihm saß, umschattete ihn wie ein plötzlicher Schwindel. Eine Minute blieb er regungslos sitzen, wie gelähmt von der unerwarteten Eröffnung. Ja, nun war es so. wie er bereits vorhin geahnt, auf den: Weg hierher... und sein Blut lief schneller um! als sei etwas in seine Adern geschleudert, wie ein plötzlicher seligerAn- trieb, eine natürliche Befeuerung, die ein inneres Hemimris, das er bis jetzt mit sich herumgetragen, herrlich zersprengte und ihn erwärmte... in seinem vorher noch leeren und glatten Gesicht zuckte es auf, das Gefühl überwältigte ihn. Und außer sich vor Freude erhob er sich, und seine Hand tastete hinüber, der ihren entgegen, die regungslos wie ein totes Ding auf dem Schöße lag. Doch als er sein Gesicht dem ihren näherte, um es auf beide Wangen zu küssen, hielt er inne und sank zögernd und fassungslos zurück... Sic sah ihn noch imnier starr an mit ihren mandelförmigen großen Augen. Aber in diesen Augen war ein Funken er- wacht, ein kleiner böser Schimmer, und das Gesicht verzog sich jetzt wild und hysterisch, so daß aus der zersprengten Puder- schicht mit einem Schlag tausend tief eingeätzte Fältchcn her- vortraten, Fältchen, die jeden weichen Zug zerstörten... und was blieb übrig? Eine kleine, von Leid und zuckendem Arg- wohn verheerte Fratze! Sie sprach jetzt tveiter, und ihre Stimme war kalt und höflich:Verzeihen Sic, Hassan-Muharram, ich wollte mit der Mitteilung, daß Sie mein Sohn sind, keine Szene herbei- führen, wenn sie auch rührend und vielleicht von Ihrer Seite aus verständlich wäre. Ich will mich lediglich mit Ihnen be- kannt machen. Ich hörte dies und jenes über Sie... waren Sic nicht noch bis vor kurzem der Kompagnon Succetti-Paschas?" Sic zog hier die Augenbrauen sehr hoch, und etwas wie ein frivoles Lächeln entstellte flüchtig ihren Mund... Hassan nickte. Seine Lippen waren blutleer. Ah, das ist richtig. Sie sollen mit großem Geschick spekuliert haben, wenn auch die Unternehmungen sich nicht alle als ganz sauber erwiesen... Sie haben sich als brillanter Geschäftsmann bewährt... Man redet einiges über Sie, über Ihre Gewohnheiten, über Ihren Verkehr... Sic er- regten bereits inein Interesse, bevor ich den Zusammenhang zivischen uns entdeckte. Man bedarf Ihrer, und daS macht Sie immun. Sie sind sehr klug.. (Forts, folgte