Nr. 207.- 1916.Unterhaltungsblatt des vorwärtsSonntag, 3. Septeulber.Der„gro�e Schröders(Zu Friedrich Ludwig Schröders IM. Todestag am 3. September.)Das Sprichwort, daß die Nachweit den Mimen keine Kränzeflicht, wurde durch nichts so glänzend widerlegt wie durch dennoch heute lebendigen Ruhm, der dein Andenken des grohen beut-schen Schauspielers Friedrich Ludwig Schröder gilt. Um SchrödersWerk sowohl aus dem Gebiete der darstellerischen Kunst wie hin-sichtlich der Förderung des deutschen Dramas im 18. Jahrhundertin seiner Gesamtheit zu würdigen, mutz auch sein an Abenteuernund Wandlungen so reiches Leben betrachtet werden. Er war einFahrender vom Tage seiner Geburt an, trotzdem sein Vater undseine Mutter gut bürgerlichen gewerbetreibenden Kreisen Berlinsentstammten. Doch als Friedrich Ludwig am 3. November 1744 genauum Mitternacht das Licht der Welt erblickte, war der Vater, ur-sprünglich Organist an der Georgenkirche zu Berlin, bereits längstim Gefolge einer nichts weniger als geordneten Lebensweise ver-schollen, und die Mutter hatte bereits vor 6 Jahren eine Theater-direktion übernommen, die kurz vor Friedrich Ludwigs Geburlfinanziell zusammenbrach. Doch schon drei Jahre später entschlotzsich die Mutter Schröders, ihr Glück in Genreinschaft mit ihremehemaligen Kollegen Ackermann wieder auf den Brettern zu ver-suchen. So begann Schröder als Dreijähriger seine erste Theater-reise. Von zartester Jugend an die Bühnenluft gewöhnt, entwickelteder heitzblütige Knabe sich frühzeitig zu einem Aufsehen erregendenBühnentemperament. Er trat nach Vollendung seines drittenLebensjahres zum ersten Male in Petersburg auf, und zwar ineinem von seiner Mutter gedichteten Vorspiel in der Rolle derUnschuld. Wie Eduard Devrient in seiner Geschichte der deutschenSchauspielkunst erzählte, machten die wenigen Worte, die das Kindzu sagen hatte, einen so starken Eindruck, datz die Kaiserin Elisa-bcth den Kleinen in ihre Loge führen lietz, um ihn mit Zuckerwcrkzu belohnen.Die Bühne wurde bald sein ureigenes Reich, er erging sich inden wildesten Deklamationen, er erfand Ballette und verübte diehalsbrecherischsten Equilibristenstreiche, die er selbst nach einemlebensgefährlichen Absturz aus den obersten Regionen des Bühnen-Maschinenraumes mit der ihm eigenen Verwegenheit fortsetzte.Schröders erste Rolle im Stegreifspiel war der Diener in der„Haupt- und Staatsaktion Don Juan", nach welcher Leistung derberühmte Tbeaterunternehmcr Bernardon Kurz in Hamburg demjungen Künstler mit den Worten um den Hals fiel:„MordioSakkerment! Der Herr ist Akteur. Dagegen sind die anderenLausbuben!" Den eigentlichen bedeutungsvollen Weg aber be-schritt Schröder nach dem Tode seines Stiefvaters Ackermann, alsseine Mutter ihm die künstlerische Leitung ihres Theaters in Ham-bürg übertrug. Noch niemals hat sich in der ganzen Theaterge-schichte die Wichtigkeit einer künstlerischen Leitung, einer bestimm-ten Schule glänzender bewährt als durch Schröders Direktion derAckermannschcn Gesellschaft. Er war der Führer und Vollenderder für die ganze Entwickclung der deutschen Schauspielkunst sowichtigen Hamburger Schule, und die Ergebnisse seines jahrelangenWirkens machten die 7c>er Jahre erst eigentlich zu der grotzenEpoche in der Theatergeschichte. Denn Schröder wurde in einementscheidenden Wendepunkt der geistigen EntWickelung Deutschlandsauf seinen verantwortungsvollen Posten gestellt.In den Herbsttagen des Jahres 1771, als der 27jährige Schröderin Hamburg die Leitung der Ackermannschen Truppe übernahm, legteLessing in Wolfenbüttel die letzte Hand an die Vollendung von„Emilia Galotti". Zu jener Zeit auch veröffentlichte der jungeGoethe die Skizze der„Geschichte Gottfriedens von Berlichingen dra-matisiert", und in jenen Tagen arbeitete auch Herder an seinem be-rühmten Aufsatz über Shakespeare. Die wertvollsten literarischen An-regungen empfing Schröder von dem großen Uebersetzer JohannJoachim Bode, dem Freunde Herders und Lessings, der nur wenigeSchritte von Schröders Wohnung entfernt in seinem Hause am Holz-dämm ständiges Quartier aufgeschlagen hatte. Schröder ging alsTheaterleiter von dem Grundsatz aus, datz die erste Aufgabe desTheaters die Wiedergabe der Stücke durch größtmögliche Betonungder Gesamtwirkung sei, die ein harmonisches Ganzes bilden müsse.Er bewies als erster, datz der Mittelpunkt des organischen Lebens derBühnenkunst in einer überragenden und schöpferischen Leitung ruht.Die Bedeutung Schröders für die Literatur liegt darin, datz er diegroßen Werke der 7l1er Jahre durch bedingungslose Förderung demPublikum vermittelte, und nur durch seinen rastlosen Eifer und vornichts zurückschreckenden Mut wurde damals Shakespeare für die.deutsche Bühne gewonnen. Auch als Uebersetzer entwickelte er einerege Tätigkeit, indem er mehr als 25 Stücks zum Teil aus dem Eng-lischen übersetzte, zum Teil bearbeitete und seinen neuen Bühnen-anschauungen gemäß einrichtete.Als Schauspieler war er all seinen Zeitgenossen überlegen, undKlopstock charakterisierte seine Darstellungsweise am besten, indem erschrieb:„Schröder spielte keine Rolle gut, er war immer der Mannselbst." Ausgestattet mit einem Aeutzeren, das für tragische Wirkungeneigentlich nichts weniger als günstig war— er war klein und hatteein nüchternes Komikergssicht—, brachte der Schauspieler Schröderdoch die größten tragischen Wirkungen hervor. Am meisten tvurdevon den Kritikern seiner Zeit der„männliche, resolute, federndeRhpthmus" gerühmt, den er der unkünstlerischen tränenseligenBühnenstimmung entgegengesetzt hat. Seine unübertrefflichsten Lei-stungen vollbrachte er als Shakespeare-Darsteller, und besonders seinLear wirkte erschütternd wie kaum eine Schauspiclerleistung vor ihm.Er war in der Rolle des barhäuptig umherirrenden königlichen Greisesvon so eindringlichem Naturalismus, datz einmal eine Stimme ausdem Parterre rief:„Ach! So laßt ihn doch niedersitzen!"...Schröderstarb als Dreiundsiebzigjähriger am 3. September 1816 in Rellingenbei Hamburg, der Beiname„der Große" lebt aber noch heute und wirdweiterleben zur Ehre des Vaters der deutschen Schauspielkunst undErweckers des tatkräftigen Bühnenlebens in seiner ganzen kulturellenBedeutung._kleines Feuilleton.wie Rußland die Rumänen befreite.Rumänien hat sich dem„Völkerbefreier" Rußland in die Armegeworfen, um mit seiner Hilfe die siebenbürgischen Rumänen zubefreien. Augenscheinlich haben die Rumänen dabei ganz ver-gessen. was es heißt, von Rußland befreit zu werden, obwohl siedas Schicksal ihrer rumänischen Brüder in Bessarabien immer vorAugen haben. Es ist das Schicksal aller Fremdvölker im russischenReiche, geknechtet zu werden. Die Liga der Fremdvölker Rußlandsgibt nun im neutralen Auslande ein von zwölf Angehörigen derrussischen Fremdvölker geschriebenes Buch hierüber heraus, dessendeutsche Ausgabe unter dem Titel„Kennen Sie Rußland" soebenbei Puttkamer und Mühlbrecht in Berlin erscheint. Als besonderszeitgemäß sei der Abschnitt nacherzählt, in dem geschildert wird,wie Rußland die Rumänen Bessarabiens befreite. Bessarabien,das reiche Land im Südwestzipfel Rußlands, hat heutigen Tagsunter seinen Bewohnern etwa zwei Drittel Rumänen. Seit dem15. Jahrhundert waren die Rumänen dort vorherrschend, und alssie unter türkische Herrschaft gerieten, wurden sie weder in natio-naler noch in kultureller Hinsicht von den neuen Herren verge-waltigt. Rußland machte sich trotzdem daran, das christliche Volkvom„Joche der Türken" zu befreien, und nach schweren Kämpfenerreichte es im Frieden von Bukarest im Jahre 1812 sein Ziel.Damals gewann es Bessarabien und der Berliner Kongreß wiesihm im Jahre 1878 auch den Rest zu. Die Wirkung der Befreiungzeigte sich bald: schon nach sechs Jahren wurde die Landesregierungin einen Hohen Rat umgewandelt, der aus Edelleuten bestand,die vom russischen Senate bestätigt wurden; die Distriktsbeamtenmußten vom russischen Gouverneur bestätigt werden, bald daraufwurde auch der Hohe Rat beseitigt, 1834 wurde der Gebrauch derLandessprache in den Kanzleien und Gerichten aufgehoben und1837 begann der erste Vorstoß gegen die Kirche. 1853 wurde dieLandessprache aus den Lyzeen entfernt, unmittelbar darauf wurdedie Einfuhr rumänischer Literatur verboten, und so war dasEigenleben der Rumänen im befreiten Bessarabien schon in hohemMaße erstickt. Die liberalen Reformen der folgenden Jahrzehntedienten gleichfalls zur Unterdrückung bessarabischer Eigenart.Im Jahre 1871 setzte Rußland seinem„Befreiungswerke" dieKrone auf, indem der Bischof von Kischinew in dem geistlichenSeminare zu Kischinew, aus dem die ganze Priesterschaft desLandes hervorgeht, den Unterricht in der rumänischen Sprache auf-hob. Die Zöglings wurden zum Nui>''�'vrechen verpflichtet, selbstder rumänische Kirchengesang, ja auch das Glockengeläut wurdeverdrängt, und im Jahre 1875 wurden bereits in den Klösternrussische Schulen begründet! Mit dem 1878 hinzukommenden Ge-biete verfuhr Rußland genau so, und das Endergebnis war, daßBessarabien eine echt russische Provinz geworden war; nur dieIntellektuellen der städtischen Bevölkerung suchen sich in kleinenResten gegen das Russentum zu wehren, und bei der rumänischenLandbevölkerung ist das Ziel nicht erreicht worden. Dafür stehendie Rumänen auf dem Lande allerdings auch auf der tiefstenKulturstufe. Die Bildungsstatistiken Bessarabiens geben an, daß diemeisten Schreib- und Lesekundigen unter den deutschen Einwohnernzu finden sind, nämlich über 8V Proz., während am Ende derReihe die Rumänen stehen, von denen nur 17 Proz. der Männerund 4 Proz. der Frauen schreiben und lesen können!— Im Jahre1912 beging Rußland die Hundertjahrsfeier der BesitzergreifungBessarabiens. An jenem Tage erschienen im NachbarkönigreicheRumänien die Zeitungen mit einem Trauerrande, und in denStraßen Bukarests wehten schwarze Fahnen....Künstlertheater:„perlen'' von Lothar Schmiüt.Ein Motiv, dem der rasche Wirrwarr eines Pariser Schwankesallerhand übermütige Situationen abgewinnen könnte, ist hier unteretwas weniger skrupelloser Vergewaltigung des Möglichen, aber auchmit erheblich spärlicherer Erfindungskraft zu einem„Lustspiel" aus-gewalzt. Von einer Charakteristik aber, die über abgegriffeneSchwankthpen hinaus ins Individuelle vordringen würde und einemfeiner pointierten Dialog läßt sich nichts spüren. Es fehlt jede ArtStimmung: Wie die der ausgelassenen lauten Heiterkeit, die eine tolleHetzjagd des Verblüffens auslöst, so die nachdenklich innerer Ver-gnügtheit, welche der menschliche Torheiten mit Geist und mit Gemütverspottenden Komödie höherer Ordnung eignet. Schon nach demAnsätze hat man die Gewißheit, datz auch die Lösung des Exempelsnichts werde bringen können.Ein Bankdirektor— einer jener blind in das Lärvchen seinerFrau vernarrten Possenhelden— hat sich, soweit das möglich, derDankbarkeit und Treue£er Angebeteten dadurch versichern wollen, daßer ihr nach der Heirat eine vorzüglich imitierte Perlenkette stiftete unddabei schwindelt, sie koste über 63 333 M. Im Laufe der Jahre webtsich ein ganzer Mythus um die Sache. Da wird der Schmuck ge-stöhlen, und der splendide Gatte gerät bei dem Gedanken, seinKriminalinspektor-Schwager könne ausnahmsweise diesmal den Ein-brecher erwischen, in tödliche Verlegenheit. Dann kommt es zu derGerichtsverhandlung, in der der wahre Wext der Perlen konstatiertwird und das Fundament des schönen Eheglücks in Trümmer geht.Auf das kümmerliche Vexierspiel, ob der Dieb, der schon seinerCourage wegen sympathischet als diese Herrschaften erscheint,.ge-fangen oder nicht gefangen wird, reduziert sich die ganze Handlung.Die beiden Hauptrollen wurden von Else Bass ermann undHans Junkermann mit routinierter Verve gespielt. Das Publi-kum war wie gewöhnlich äußerst beifallsfreudig. ckt.Cm leuchtfähiger Schmetterling.Ein neuer Fall von Leuchtfähigkeit bei Insekten wurde, wiedie„Nahirwissenschaftliche Wochenschrift" berichtet, durch denForscher I. Jsak entdeckt. Es handelt sich um den SchmetterlingArrtia caja, bekannt unter dem Namen brauner Bär. DieserSchmetterling sitzt in der Ruhe derart, daß die Längsachse desKopfabschnittes in einer Ebene mit der Längsachse der Brust, be-züglicherweise des Bauchabschnittes, liegt. Die zwei ersten Brust-ringe sind von einem Kragen aus braunen Haaren überdeckt, derdem Körper flach anliegt. Bei der leisesten Berührung nimmt derin solcher Ruhe befindliche Schmetterling eine Kampfstellung ein,indem er den Kopf gegen die Bauchseite drückt. Hierdurch wirdder Kragen gehoben, und die vorher verdeckten Leuchtorgane desSchmetterlings werden sichtbar. Diese in der Zweizahl Vorhände-nen Leuchtorgane sind als helle Flecken kenntlich, von roten,rosettenartig angeordneten Haaren umstellt. Sie bilden die Oejf-nungen von Drüsen, welche nach genügend starker mechanischerReizung— z. B. nach einem Stoß auf den Kopf des Schmetter-lings— je einen Tropfen Sekret ausscheiden, das ein grünlichesLicht ausstrahlt. Bei kräftigen Exemplaren dauert das Leuchten bis13 Sekunden, hierauf wird das Sekret wieder eingezogen, und auchdie farbige Lichterscheinung hört auf. Die Erscheinung der Leucht-fähigkeit ist sowohl beim Männchen wie beim Weibchen anzu-treffen. Dieser Fall von Leuchtfähigkeit unterscheidet sich von denFällen anderer leuchtender Insekten, bei denen das Licht vom Tierinstinktiv reguliert werden kann, dadurch, daß es sich hier um einSchutzmittel handelt, weil nur durch einen äußeren Reiz dieLeuchterscheinung hervorgerufen wird.Notizen.— Der Berliner Volkschor bringt am Sonntag, den13. September, abends SVi Uhr, unter Leitung des Kgl. Musik-direktors Max Eschke in der alten Garnisonkirche Haydns Oratorium„Die Jahreszeiten" zur Aufführung, unter Mitwirkung desPhilharmonischen Orchesters.— Die neue Theaterspielzeit hat am Freitag leb-Haft eingesetzt.„Der selige Balduin" beglückt jetzt imLustspielhaus bereits da? dritte Theater und wird die 153. Auf-führung, die es gleichzeitig beging, wohl noch um viele ver-mehren, ehe sich seine besonders durch Henry Bender und JohannaEwald verkörperte Lustbarkeit und seine Ausstattungsreize er-schöpft haben.—„D e r Hia s", das von bayerischen Feldgrauendargestellte Kriegsstück, kann die größeren Raumverhältnisse desZirkus Schumann, wohin es übergesiedelt ist, zu vollerer szenischerWirkung ausnutzen.— Im Theater am Nollendorfplatz hat man sicheinen neuen Reißer„Die blauen Jungen s" zugelegt.„InFriedenszeiten würde man solche„Kunst" aus Gründen des gutenGeschmackes ablehnen müssen," bekennt das„Berliner Tageblatt".Aber wegen der Nervenanregung und d>er vielen vom Theater ab-hängigen Existenzen will es einmal Spaß verstehen.— Schwankwirkungen älterer und neuerer Art erprobt das„Trianontheater"in dem Dreiakter„Der Himmel auf Erden" von Julius Horst.— Das deutsche historische Institut in Florenzist unter die Aussicht des Direktors der Uffizien, der bekannten Staats-sammlung, gestellt worden,„damit nichts von den kostbaren Samm-lungen fortgeschafft werden könne".(Fortschaffen könnten daraus aberjetzt doch nur— Italiener!)133 Jans Heimweh.Eine Geschichte aus dem Wärmland von Selma Lagerlöf.Aber wie patzig auch die Ingen antworteten, KlaraGulla traute ihnen doch nur halb. Jugend jemand mußtedoch die Fische von den Angeln nehmen; denn sie hatte richtigeAngelhaken im Waschbach ausgelegt, nicht nur krumm-gebogene Stecknadeln.Um endlich Klarheit in die Sache zu bringen, stand sieeines Morgens noch früher auf als Jan und Katrine undlief eiligst an den Bach. Als sie in dessen Nähe kam, ver-langsamte sie erst ihren Gang, schlich sich dann mit winzigenSchrittchen immer näher und nahm sich dabei sehr in acht,daß sie nicht auf lose Steine trat oder in den Büschenraschelte.Und denkt einmal! Ihr ganzer Körper erstarrte, als siean den Rand des Baches kam und sah, daß sie recht gehabthatte. Da stand ein Fischdieb genau an der Stelle, wo sieam vorhergehenden Morgen ihre Angelhaken misgelegthatte, und leerte diese ab.Aber der Dieb war nicht, wie sie erwartet hatte, einervon den Jungen, sondern ein erwachsener Mann. Er standtief übers Wasser gebeugt und zog eben einen Fisch herauf.Klara Gulla sah den Fisch aufblitzen, als der Dieb ihn vonder Angel nahm.Das kleine Mädchen war erst acht Jahre alt, aber esfürchtete sich niemals, und so lief es jetzt herbei und ergriffden Dieb auf frischer Tat.„Ach so, Ihr seid es also, der mir meine Fische nimmt!"sagte sie.„Es ist nur gut, daß ich einmal dazugekommenbin, damit die Dieberei ein Ende nimmt."Nun hob der Mann den Kopf, und Klara Gulla konntesein Gesicht sehen. Und da war es der alte Netzstricker, der ineiner der Waldhütten wohnte.„Ja, die Fischgerätschaften gehören Dir, das weiß ichwohl," sagte er ganz ruhig, ohne ärgerlich und heftig zuwerden, wie sich die Leute meistens geben, wenn man sie aufeinem Unrecht ertappt.„Aber wie könnt Ihr Euch unterstehen, etwas zunehmen, was nicht Euch gehört?" rief das arme kleineMädchen.Da sah der Mann sie an, und diesen Blick konnte sie ihrLeben lang nicht vergessen. Es war ihr, als sähe sie in zweioffene, leere Abgründe, in deren Tiefe zwei halberloscheneAugen lagen, in denen sich weder Leid noch Freude mehrwiderspiegeln konnten.„Ja, ja," begann er.„Ich weiß, Du bekommst vonDeinen Eltern alles, was Du bedarfst, und deshalb fischst Dunur zum Vergnügen hier, aber bei mir zu Hause, da sind sieam Verhungern."Die Kleine wurde dunkelrot. Sie wußte nicht, wie eszuging, aber nun war sie es, die sich schämte.Der Netzstricker sagte kein Wort mehr. Er hob seineMütze auf, die ihm vom Kopf gefallen war, als er sich überdie Angelhaken gebeugt hatte, und ging seines Weges.Auch Klara Gulla sagte kein Wort. Am Ufer lagen einpaar Fische und zappelten, aber sie las sie nicht auf. Nachdemsie die Fische eine Weile betrachtet hatte, stieß sie mit denFüßen danach, daß sie ins Wasser zurückflogen.Diesen ganzen Tag fühlte sich die Kleine mit sich selbstsehr unzufrieden, ohne daß sie wußte, warum. Sie war esdoch nicht gewesen, die ein Unrecht getan hatte.Klara Gulla konnte den alten Netzstricker nicht auS ihrenGedanken bringen. Die Leute erzählten, er sei früher ein-mal reich gewesen. Sieben Höfe habe er gehabt, von denenjeder für sich allein so viel wert gewesen sei wie der von Erikin Falla. Aber auf merkwürdige Weise sei er um alle ge-kommen und jetzt vollständig verarmt.Am nächsten Morgen ging Klara Gulla doch wieder anden Waschbach und sah nach ihren Angelhaken. Niemandwar dagewesen und hatte sie geleert, und sie fand an jedemeinen Fisch hängen. Sie machte die Fische von den Angelnlos und legte sie in ihren Korb; aber sie ging'damit nichtnach Hause, sondern geradenwegs zu der Hütte des Netz-strickers.Als Klara Gulla mit ihrem Korb daherkam, stand deralte Mann vor der Hütte und hackte Holz. Sie blieb amZauntritt stehen und sah den Alten an, ehe sie hinllbertrat.Er war äußerst armselig und zerlumpt gekleidet; in so einemAnzug hatte Klara Gulla ihren Vater noch nie gesehen.Die Kleine hatte sagen hören, wohlhabende Leute hättendem Alten angeboten, bis zu feinem Tode bei ihnen zuwohnen. Aber statt dessen war er zu seiner Schwiegertochtergezogen, die hier in Askedalarna wohnte, um ihr zu helfen,so gut er konnte. Sie hatte viele kleine Kinder, und ihrMann war schon lange auf und davon gegangen, ohne jewieder von sich hören zu lasten.„Heute sind an allen Angeln Fische gewesen!" rief daskleine Mädchen, als sie auf dem Zauntritt stand.„Ach so," erwiderte der Netzstricker.„Da kannst Du Dichja freuen."„Ich will Euch gern alle Fische bringen, die ich fange,wenn Ihr mich nur allein fischen laßt," sagte die Kleine.Sie sprang vom Zauntritt herunter, kam zu ihm her,leerte ihren Korb neben ihn auf den Boden aus und er-wartete, der Netzstricker werde selig sein und sie tüchfig loben,wie sie es von ihrem Vater gewöhnt war, der sich über allesfreute, was sie tat oder sagte.Allein der Netzstricker nahm auch das ebenso gekästen hinwie alles andere.„Behalt Du nur, was Dir gehört. Wir sind hier so ansHungern gewöhnt, daß wir so ein paar kleine Fische wohlnoch entbehren können."Es war etwas Eigenes mit diesem armen alten Mann.Klara Gulla konnte sich nicht eher zufrieden geben, als bis ersie ein bißchen liebgewonnen hätte.„Ihr dürft die Fische von den Angeln nehmen und neuenKöder anstecken. Ihr dürft alles miteinander nehmen," botsie an.„Nein, ich will Dir Dein Vergnügen nicht rauben," er-widerte der Alte.Aber Klara Gulla rührte sich nicht von der Stelle, siewollte und wollte nicht fortgehen, ehe sie eine Art entdeckthatte, wie sie dem Alten eine Freude machen könnte.Ist's Euch recht, wenn ich morgens herkomme und Euchabhole? Dann können wir die Angeln zusammen nachsehenund nachher die Fische teilen?" fragte sie.Da stellte der Alte das Holzhacken ein. Er richtete seinesonderbaren, erloschenen Augen auf die Kleine, und derSchimmer eines Lächelns flog über sein Gesicht.»Ja, jetzt hast Du das richfige getroffen," sagte er.„Zudiesem Vorschlag will ich nicht nein sagen."(Forts, folgt)