Kr. 226.- 1916. Untsrhaltungsblatt öes vorwärts Dienstag, 36. Zeptemder. Wochenmarkt in Sofia  . Von Dr. Alex. L i p s ch 2 tz. Es ist eine ganze Menge zu sehen am Freitag auf dem Wochen- markt in Sofia  . Allerdings, es gilt auch hier, die Augen stets offen halten, um nicht wie das so häufig geschieht an Dingen vor­überzugehen, die scheinbar.unscheinbar' find. Es geht jetzt zwar stiller her auf dem Markt am Freitag als sonst. Aber jür meine Neugier gab es da doch eine ganze Menge. Aus all de» Dörfern rings« um kommt das Landvolk zusammen, um diverse Erzeug- niffe dem verehrlichen städtischen Käufer zu bieten. Und man kommt mit dem ganzen Bewuhtsein seiner ländlichen Eigenart: in der Lokaltracht. DieTracht' Hai sich beini Landvolk in Bul­ garien   erfreulicherweise noch gut erhallen. Jede Gegend hat ihre eigene Tracht, die so charakteristisch ist, daß man sie nur ein paar Mal gesehen zu haben braucht, um dann schon sichere Diagnosen zu stellen über die Herkunft der Leute, die fie tragen. Eine gute Sammlung der Trachten in den einzelnen Gegenden des Landes findet man im Ethnographischen Museum in Sofia  . Auf dem Wochen- markt in Sofia   sind nun nicht alle Teile des Landes vertreten. Hier überwiegt das bescheidene Kleid aus dem Bezirke von Sofia  : das dicke schwarze Kleid, das Mieder und Rock zugleich ist und aus dem die blendend weißen Hemdsärmel von den Schultern an frei herausragen. Aber bunter und goldner Behang am Kleide hellt die Stimmung aui. Und dann die roten Blumen im Haare. die die rotbäckige Jugend des Dorfes zieren. In vielen Zövschen ist das Haar kunstvoll geflochten: dreißig dünne Zöpfe pro Kops find es sicher im Durchschnitt, vielleicht gar mehr. Große golden-glänzende Münzen beschweren das Haar. Nächst der Sofioterin ist auf dem Wochenmarkt die Frau von Küstendil   vertreten. Ein Kleid aus buntem Gewebe, in dem Not überwiegt. Die Aermel des Kleides reichen etwa bis zu den Ellbogen berunter und eng wird der Oberarm vom Bermel   umschlossen. Es ist außerordentlicher Geschmack in dem Kleide von Küstendil  . die bume Fröhlichkeit der Farben gedämpft durch ihren schattigen Ton. Viel anders ist das Kleid der Mazedonierin. So eine richtige Bäuerin von Mazedonien   kommt nun natürlich heute nicht auf den Wochenmarkt nach Sofia  . Aber wer wird nickt Gebrauch machen von dem Privileg, eine Mazedonierin zu sein! Und die Maze- donierin. die in Sofia   ansässig ist, kommt in Nationaltracht auf den Wochenmarkt. um ihre Einkäufe zu machen. Die Mazedonierin ist höher und kräftiger von Gestalt, als die Bulgarin sonst. Und dos Rot der Backen ist stärker ausgesprochen. Auch im Kleide ist viel purpurnes Rot, das frisch vom Weiß sich abhebt. Wie große rote Flecken auf Weiß. Ein leichter weißer Ueberwmf, der tief in den Rücken hinabreicht, auf dem Kopf. Auch die Männer sind in der Tracht. Blendend weiß ist das Kleid des Sofioter Bauern. Dunkelbraun, wenn es mehr nach dem Osten geht.... Aber man macht den weiten Weg vom Dorf nach Sofia   doch nicht zu dem Zweck, um sein Kleid oder den kunstvoll geflochtenen Zopf zu zeigen. Man will verkaufen. Man bringt weißen Käse, rote Paprika, gelbgrünen Kürbis, grüne Gurken und grauweißen Knoblauch auf den Markt. Man hält die Waren auf einem roh gezimmerten Holzstand feil. Doch mancher trägt seinen ganzen Warenvorrat am eigenen Leib: da ist ein Mann, von Enten um« hangen. An den Beinen hat er sie ringsherum an seinem Kleide aufgehängt. Ein unheimlicher Spektakel ist der Prolest der lungen- kräftigen Entenvögel. Und auch die Ferkel stehen ihnen darin durch- aus nicht nach. Aber der größte Teil der Leute, die verkaufen, hockt auf dem Boden. Man hat sein ganzes Warenlager auf einem Tücke aus- gebreitet. Man muß sich sehr bücken, wenn man feilscht. Aber es ist schon der Mühe wert. Da ha? eine alte Bäuerin einen ganzen Kräuierladen ausgebreitet: Heilkräuter. Sie hat sie gesammelt, sie ist sachkundig darin. Und weiß dem fragenden Städter, der der Natur und der Sitte entfremdet ist, genau zu sagen, gegen welche Gebrechen, die ach so zahlreich find, das eine oder das andere der Kräuter helfen soll. Das stillt das Blut und das hier wirkt gegen Erkältung. Es werden hier sicher viele Kräuter sein, die auch die wiffenschaftliche Heilkunde kennt. Oder richtiger: die auch in die wiffenschaftliche Heilkunde in aller Herren Länder Eingang gefunden haben, nachdem sie Bestand der Volks- medizin gewesen. Aber prächtig ist die kleine Apotheke, der ein junges Mädel vorsteht. Heilkräftige Samen hält fie feil. Da stehen die etwa vierzig oder fünfzig winzig kleinen Leinwandsäckchen mit allerlei Samen, wie die großen Säcke mit Reis, mit Mehl oder mit Erbsen im Kolonialwarenladen. Wahrhaftig, ein Puppenspiel! Ueber eine Wage verfügt die kleine Apothekerin nicht. Aber auch so was wie ein alter kleiner Pfeifenkopf tut schon seinen guten Dienst als Maß. Und doch, es ist kein kindlich Spiel: ich habe auch einen kräftigen alten Bauer als.Apotheker' fungieren sehen. Noch ein anderer Artikel ist da. der die Aufmerksamkeit aus sich lenkt. Ein grünes Pulver, das nach Grünkäse riecht, wie man ihn in manchen Gegenden von Deutschland   kennt. Es ist der»Ssmin- duck', den man ouss Brot streut, damit dieses bester schmecke. Die Zahl der Gewürze, die in Bulgarien   und ebenso im übrigen Orient gebraucht werden, ist viel größer als bei uns. Man weiß sich hier die verschiedenartigsten Mischungen von Gewürzen herzustellen, die man einfach mit Brot ißt. Wohl die komplizierteste Gewürzmischung ist das sogenannteBunte Salz', das aus Kochsalz und drei bis vier verschiedenen pflanzlichen Pulvern bereitet wird. Und die Sache muß mit Liebe und Sorg- falt bereiter werden, wenn sie munden soll. Unsere Frau, die den grünen Ssminduch verkauft, hält auch gepulverten gerösteten Mais feil. Und für ihren eigenen Bedarf hat sie Kochialz, mit Paprika gemischt, mitgenommen. In einem ganz eigentümlichen Gefäß, das sich erweist als eine trockene Kürbisschale mit einem Loch. Der fleischige Teil der Frucht wird herausgeschält und das Gefäß ist fertig. Für etwa fünfzig Heller habe ich der erstaunten Frau gleich ihren Kürbis abgekauft. Diese Kürbisgefäße sind übrigens in Bulgarien   sehr verbreitet, und in der Bauernstube, die im Ethno« graphischen Museum in Sofia   aufgestellt ist, sieht man eine große Anzahl von verschiedenen Gefäßen stehen, die Kürbisschalen find... Es ist ein heißer Tag. und eine Erfrischung tut not. Dafür ist gesorgt. Albanier mit rotem Fez oder mit ihrer eigentümlichen weißen Kopfbedeckung aus dickem Filz, die wie eine Halbkugel auf dem Kopfe fitzt, stehen herum und spenden das Naß. Die Boso, ein prächtiges Zeug, von dem ick so manchen Liter durch die trockene Kehle habe rinnen lasten. Die Bosa ist ein bräunliches, trübeS und saures Getränk und wird aus gegorener Hirse bereitet. Sie schmeckt vorzüglich und ist in Bulgarien   ganz außerordentlich verbreitet. Die Bosa. deren Heimat Albanien   ist, spielt hier in Bulgarien   die Rolle des BiereS. Aber nicht die verhängnisvolle Rolle des Bieres: Denn die Bosa enthält, wie der hervorragende Kenner der bulgarischen Nabrungs- und Genußmittel, Dr. Zlataroff gezeigt hat, vier bis fünf mal so wenig Alkohol als das Bier und ist dabei ein voll- kommener Ersatz des letzteren. Ein großes Glas Bosa kostet etwa zehn Heller, ein kleines fünf Heller. In Friedenszeiten war die Boia   aber viel billiger. Im Kampfe gegen den Alkohol wird man in Westeuropa   von der Bosa gut Gebrauch machen können. kleines Feuilleton. Kotzebue im LejDngtheatee. Es ist kein Druckfehler. Kotzebne ist wirklich wieder erstanden und noch dazu im Lessingtheatcr. Unsere Bühnen werden immer mehr Anstalten für Kulwr- und Theatergeschichte. Und bei diesen Ausschachtungen ist man auch wieder auf Kotzebue   gestoßen. Er ist zu Lebzeilen(1781 1819) einer der fruchtbarsten deutschen Thealerlieferanten gewesen, man hat ihn zum deutschen Moliöre, Goldoni und ich glaube auch: Aristophanes   ernannt. Im Ausland war er bis Heine ihn ablöste der populärste deutsche Schrift- steller und 59 Jahre hat er unsere dem UnterhaltungsbedllrfniS dienenden Bühnen beherrscht. Goethe, der ihn in seinem wahren Werte erkannte(als talentvoller Macher), konnte ihn als Theater- leiter doch nicht misten. Ja. Kotzebue scheint unsterblich: solange die Menschen sich in Schillers moralischer Anstalt oberflächlich amüsieren und sich kitzeln lasten wollen, wird seine Art nicht aussterben. Trotz verschiedener Rettungsversuche ist der Kotzebue erledigt, er ist nicht bloß von Sand ermordet, sondern auch in jeder ernst« haften Literaturgeschichte totgeschlagen worden. Aber es kann seinen Reiz haben, ihn einmal wieder lebendig zu sehen und mit den vielen kleineren KotzebueS zu vergleichen, die statt seiner heute die Kunst zu gefallen mit Erfolg probieren. Es scheint bei solcher Nachprüfung, daß im ganzen das Publikum KotzebueS mindestens so hohe, wenn auch natürlich andere Ansprüche wie das beutige stellte. Offen gestanden:Die beiden Klingsberg', dies'einst viel ge- spielte Stück, scheint mir unterhaltsamer und mindestens so gut ge- macht wie der Durchschnitt seiner heuttgen Nachfolger. Es ist nicht bester und nichtiger wie diese, es bietet dem Schauspieler vor« treffliche Gelegenheiten, dem Zuschauer Anläste genug über seine Späße und Einfälle zu lachen. Es ist pikant, wie man es immer noch liebt, und außerdem was heute fürveraltetes Spiel' gilt im Endziel voll gemachter Tugend. Vater und Sohn, beide erpichte Mädchenjäger, Abbilder einer frivolen Aristokratie von dazu­mal, werden mit den üblichen Mitteln der alten Komödie bei ihren Abenteuern kontrastiert und die Möglichkeiten der Umkebning ziem- ltch erschöpft. Es ist nicht ohne Interesse, zu sehen, welche Späße, Verwicklungen, Intrigen, und andererseits, welche Moralpflästercken Kotzebue   aufbietet. Das Repertoir ist lange in der Hausmannskost unseres Theaters das gleiche geblieben. Die Aufführung, die Barnotvsky ganz im Stile der Bühne von ehemals eingerichtet hatte, gewährte, von dem historischen Interesse abgesehen, allerlei parodistische Vergnüglichkeiten und daneben natürlich die Lust an den starken schauspielerischen Mitteln, die aufgeboten waren. Bassermann spielte den allen Klingsberg. Der alte Haase stattete die Rolle mit preziöserer Feinmalerei aus, aber Bastermann faßte fie auf modern schauspielerische Art und war ergötzlich in höchstem Maße. Kurt Goetz   gab den jungen Leichtfuß flott und mit leiser Ironie. Viele Register konnte Jlka G r ü n i n g ziehen, die sowohl die zungengewandte Zimmervermieterin im echtesten Wiener  Dialekt, wie die überlegene Gräfin in graziösester Feinheit durch- führte. Grotesk tugendboldig war Theodor L o o s als Leutnant, anmuttg Lina Lossen   und Dagry S e r V a e s. r. Der Kampf gegen öie PilZgefahr. Da unter den gegenwärtigen Umständen nnserer KriegSernährung mit gutem Recht immer wieder auf die Bedeutung der Pilze bin- gewiesen wird, die z. B. in ziemlich weitgehendem Maße als Ersatz für Fleisch zu dienen vermögen, muß auch der Mangel beachtet werden, an dem das Pilzernlen nach wie vor krankt. Gerade bin- sichtlich der Ptlze sind die botanischen Kenntniste weiterer Volks­kreise nicht allzu stark, und so geschieht eS, daß entweder giftige Pilze mitgeerntet oder aber wertvolle Pilze nicht gepflückt werden, aus Angst, daß sie Gifte enthalten können. Darum schlägt der Vaterländische Frauenverein in GoSlar   ein wirksames Aufllärungs- mittel auf diesem Gebiete vor, das durch eine Anregung derUm- schau' noch wirksam ergänzt wird. Seit einiger Zeit sind nämlich in Goslar   auf Betreiben des genannten Vereins in einem Schaufenster der Hauptstraße naturgetreu aus Gips hergestellte und übermalte Pilzmodelle ausgestellt, die durch entsprechende Begleittafeln als giftig oder eßbar kenntlich gemacht sind. Die.Umschau' regt nun an, auf allen Bahnhöfen der für die Pilzsuche am meisten in Betracht kommenden Wald- ausflugsorte sowie im Walde selbst bei Waldwirtschaften und Forst- Häusern Modelle auszustellen, um einerseits vor giftigen Pilzen zu warnen und andererseits den Sammeleifer anzuspornen. Eine fabrikmäßige Herstellung solcher Modelle würde nur geringe Kosten erfordern, die jedenfalls zu den hierdurch erzielten Vorteilen in keinem Verhältnis ständen. Außerdem könnte man sich einmal ernstlich mit der Frage befasten, alle Pilze in deutschen Wäldern systematisch auszurotten und an ihrer Stelle den rationellen Anbau wertvoller Pilze zu betreiben, wodurch allmählich eine völlige Ent- gistung unserer Wälder herbeigeführt werde» könnte. Nottze«. Theaterchronik. Am Freitag kommt in den Kammer- spielen der erfolgreichste Komödiendichter der amerikanischen   Bühne Mitchell mit seinem LustspielJonathans Töchter' zum ersten- mal in Deutschland   zu Worte.   In der Volksbühne geht demnächst GorkiS  Nachtasyl  ' neueinstudiert in Szene. Kun st abend. Der dritte Sturm-Kunfiabend findet am Mittwoch, den 27. Sept. Potsdamer Str. 134» statt und ist August Stramm   gewidmet. Die H um b old t« A ka d emi e Freie Hochschule veröffentlicht für das nächste Lehrvierteljahr Oltober-Dezember ISIS ihr Verzeichnis von etwa 250 Vortragsreihen aus allen Gebieten. Besonderes Augenmerk ist diesmal auf die Pflege der angewandten Naturwissenschaften und auf die fremden Sprachen gelegt. Be- sondere Vorlesungen und Führungen sind für die Arbeiter von Groß- Berlin angezeigt. Vorträge. In der Urania   gelangt am Dienstag zum ersten Male der Vortrag von dem Forschungsreisenden Rudolf Zabel  Die Bagdadbahn', zur Darstellung. Otto Greiner   ist im 46. Lebensjahre gestorben.(Es scheint, als ob der Tod auch außerhalb der Schlachtfelder reiche Ernte halte.) Wenn Künstler Könner heißt, so ist einer unserer Größten uns in ihm entristen. Denn in allem Handwerklichen   im höchsten Sinne des Wortes war er ein unvergleichlicher Meister. Er kam von unten her: der in Leipzig   Geborene war in München   zum Lithographen ausgebildet worden und fand von dort aus den Weg zur weiteren künstleri- scheu Ausbildung, später lebte Greiner dauernd in Rom  . Seine graphischen Arbeiten stellen ihn den Besten zur Seite; kaum einer hat wie er den Akt mit so viel Leben und Wahrheit dar- gestellt. Unter Klingers Einfluß suchte er aber zu großen monu­mentalen und gedankenerfülllen Darstellungen vorzudringen. Am bemerkenswertesten sind die großen GemäldeOdysteus und die Sirenen',Herkules am Scheidewege' und.Prometheus'. So bemerkenswert die Details sind, war der Künstler hier doch außer seiner Bahn. 82] ?ans Heimweh. Eine Geschichte aus dem Wärmland von Selma Lagerlöf  . I n Erwartung. Ingenieur Boraus auf Borg machte beinahe jeden Morgen einen Spaziergang an den Landungssteg hinunter, um das Dampfschiff ankommen zu sehen, und das war kein Wunder. Er hatte nur einen kurzen Weg durch das schöne Tannen- gehölz zurückzulegen, und es war beinahe immer jemand auf dem Schiff, mit dem er einige Worte austauschen konnte; das brachte eine kleine Abwechselung in die Einförmigkeit des Landlebens. Gerade am Rande des Gehölzes, wo der Weg steil zum Landungssteg hinunterführte, ragten einige große nackte Stein- blöckc aus der Erde hervor, und gar oft ließen sich die Leute, die von weit her kamen und auf das Schiff warteten, auf diesen Steinen nieder. Am Landungssteg von Borg gab es immer viele Wartende, denn man war nie ganz sicher, wann das Schiff ankam. Vor zwölf Uhr kam es allerdings selten; aber man war eben doch nicht vollkommen sicher, ob es nicht doch um elf Uhr an der Lände eintraf. Ganz unmöglich war es allerdings auch nicht, daß es ein Uhr oder gar zwei Uhr wurde, bis es dahergefahren kam; wer also ganz sicher gehen wollte und sich schon um zehn Uhr an dem Steg einfand, der konnte möglicherweise den ganzen Vormittag dort sitzen müssen. Ingenieur Boraus hatte von seinem Fenster in Borg eine prächtige Aussicht über den Löven. Er sah, wann das Dampf- boot hinter der Landzunge vorkam, und ließ sich immer erst zur rechten Zeit am Landungssteg sehen. Et selbst brauchte also niemals auf den Wartesteinen Platz zu nehmen und warf denen, die dort saßen, nur im Vorbeigehen einen raschen Blick zu. Aber eines Sommers konnte er nicht umhin, einen kleinen Mann zu bemerken, der mild und freundlich aussah und jeden Tag dort wartend saß. Stets saß er ruhig da und sah gleichgültig drein, bis das Dampfboot sichtbar wurde. Dann sprang-er auf, und sein Gesicht leuchtete vor Freude. Er eilte das Ufer hinunter und stellte sich ganz vorne am Landungssteg auf, als ob er mit Sicherheit jemand erwarte. Aber es kam niemals jemand. Wenn das Schiff abfuhr, ftaud er wieder fo allein da wie vorher. Dann war die Freude aus seinem Gesicht verschwunden. und wenn er sich auf den Heimweg machte, sah er alt und müde aus. Man mußte beinahe fürchten, er habe nicht mehr die Kraft, das steile Ufer hinaufzusteigen. Ingenieur Boraus kannte den Mann nicht; aber eines schönen Tages, als er ihn wieder dasitzen und auf den See hinausstarren sah, knüpfte er ein Gespräch mit ihm an. Bald hatte er erfahren, daß der Mann eine Tochter er» wartete, die von Hause abwesend war und heute heimkommen sollte. Wißt Ihr denn ganz gewiß, daß sie heute kommt?" stagte der Ingenieur.Fch habe Euch nun zwei Monate lang hier sitzen und warten sehen. Sie muß Euch doch schon öfter ungenauen Bescheid geschickt haben.' Ach nein, das hat fie nicht getan,' erwiderte der Mann sanftmütig.Sie hat uns keinen unrichtigen Bescheid geschickt, gewiß nicht." Aber ums Himmels willen, was meint Ihr denn?' rief der Jngenicr etwas heftig, denn er war ein hitzger Herr. Hier sitzt Ihr und wartet Tag für Tag, ohne daß sie ge- kommen wäre, und da soll sie Euch keinen falschen Bescheid geschickt haben!" Nein," sagte der kleine Mann und blickte mit seinen freundlichen hellen Augen dem Ingenieur ms Gesicht.Das hat sie gar nicht tun können. Sie hat uns überhaupt keinen Bescheid geschickt." Habt Ihr denn keinen Brief von ihr erhalten?' fragte der Ingenieur. Nein, wir haben fest dem ersten Oktober letzten Jahres keinen Brief erhalten.' Aber warum kommt Ihr dann hier herunter?' fragte der Ingenieur verwundert.Hier sitzt Ihr jeden Vormittag und habt Maulaffen feil. Könnt Ihr denn nur so von Eurer Arbeit davonlaufen?" Ach nein, das ist eigentlich nicht recht von mir", gab der Mann zu, lächelte jedoch dabei vor sich hin.Aber die Sache wird schon wieder in Ordnung nun kommen." Aber seid Ihr denn ein solcher Schafskopf, daß Ihr Euch ohne alle und jede Ursache hierhersetzt und wartet?" rief Ingenieur Boräus ganz wütend.Ihr gehört ins Narrenhaus." Der Mann gab keine Antwort. Er hatte die Arme um die Knie geschlungen und saß völlig gelassen da. Das Lächeln I um seine Lippen wurde breiter und breiter, und von Sekunde zu Sekunde sah er siegeLgewisscr aus. Der Ingenieur zuckte die Achseln und ließ ihn sitzen. Aber als er halbwegs drunten war, tat es ihm leid, und er kehrte zurück. Er hatte eine freundliche Miene auf- gesetzt, alle Bitterkeit, die für gewöhnlich auf den strengen Zügen lag, war verschwunden, und er reichte dem Manne'die Hand. Ich möchte Euch nur die Hand drücken,' sagte er.Bis jetzt Hab' ich gemeint, hier im Dorfe sei ich der, der am meisten an Sehnsucht leidet, aber jetzt sehe ich, daß ich in Euch einen gefunden habe, der mir über ist.' Die Kaiserin. Nun war das kleine Mädchen von Skrolycka schon zwölf Monate von Hause abwesend; aber Jan hatte noch mit keinem einzigen Wort verraten, daß er Bescheid wußte von allem Großen, das ihr widerfahren war. Er hatte sich fest vorgenommen, zu schweigen, bis sie selbst zurückkommen würde. Wenn Klara Gulla gar nicht ahnte, daß er schon vorher etwas gewußt hatte, dann würde ihre Freude, die Eltern mit all ihrer Pracht und Herrlichkeit zu überraschen, um so größer sein. Aber hier auf dieser Welt geschieht mehr Unerwartetes als Erwartetes. Und es kam ein Tag, an dem Jan genötigt war, sein Schweigen zu brechen und davon zu reden, wie sich die Sache verhielt. Es war nicht um seiner selbst willen, nein, er hätte seine zerriffenen Kleider gerne noch weiter ge- tragen und die Leute glauben lassen, er sei nichts als ein armer Häusler. Um des kleinen Mädchens selbst willen war er genöttgt, das große Geheimnis zu offenbaren. Eines Tages war er wieder unten am Landungssteg ge- Wesen und hatte auf seine Tochter gewartet. Denn seht, er hatte es sich nicht versagen können, jeden Tag hinunter an die Landungsstelle zu gehen, um seiner Tochter Heimkunft mit anzusehen, und das konnte sie ihm doch auch nicht übelnehmen. Das Dampfboot hatte eben angelegt, und er hatte ge- sehen, daß Klara Gulla wieder nicht darauf war. Er hatte allerdings geglaubt, nun könnte sie doch Wohl mit allem fertig sein und sich auf den Heimweg machen; allein es waren wohl neue Hinderniffe aufgetaucht, wie schon den ganzen Sommer hindurch. Wer so viel zu überwachen hatte, der konnte auch nicht leicht abkommen.(Forts, folgt.)