Ar. 113. 22. Jahrgang.l. Wnp Its Jorioirts" KM» InlMInttDienstag, 16. Mai 1905.Das Strafgefängnis Plötzenseevor Gericht.(Eigener Bericht des„Vorwärts'.)Im kleinen Schwurgerichtssaal des KriminalgerichtSgedäudeSbegannen heute vor der 4. Strafkammer des Landgerichts I die imMarz d. I. schon einmal vertagten Verhandlungen in dem Straf-prozesj Kalis ti und Genossen, bei welchem es sich um Erörterungvon Einrichtungen und Vorkommnissen in der Strafanstalt Plötzenseehandelt.Angeklagt sind die Redakteure des„Vorwärts' Julius Kaliskiund Paul Wilhelm Berthold Büttner, der Redakteur der„Zeitam Montag' Karl S ch n e i d t und der Journalist Karl AugustFritz A h r e n s.Den Vorsitz führt Landgerichtsdirektor Dr. O p p e r m a n n,die Anklage vertreten Erster Staatsanwalt S ch ö n i a n und Staats-anwalt Rasch. Die Verteidigung führen die RechtsanwälteDr. Karl Liebknecht. Dr. Hernemann, Dr. Halpertund Dr. L ö w e n st e i n. Die als Nebenkläger zugelasienen Geh.Medizinalrat Dr. B a e r und Medizinalrat Dr. Pfleger werdendurch Justizrat Wronker und Rechtsanwalt Ludw. ChodzieSnervertreten.ES find 81 Zeugen geladen. AIS Sachverständige find zurStelle: Geh. Obernied, zinalrat, vortragender Rat Prof. Dr. Kirch»n e r, die Geh. Medizinalräte Dr. Leppmann und P a s s o w,Prof. Dr. Proskauer, Medizinalrat Dr. Richter, SanitätsratDr. R o s i n s k i, Dr. med. Hausburg. Nervenarzt Dr. P l a c z e k,Nervenarzt Dr. v. Munter, Gewerbeassessor Meyer, Assistenz-arzt Dr. Lange.Es handelt sich um mehrere in der«Zeit a. M.' und im.Vorwärts' veröffentlichte Artikel, in welchen die hygienischen Zu-stände der Zellen und Arbeitsräume in Plötzensee, der Arrestzellen,ferner die Verpflegung, das Trinkwasser und die Tätigkeit der beidenAnstaltsärzte, Geh. Medizinalrats Dr. Baer und Medizinalrat Dr.Pfleger einer abfälligen Kritik unterzogen wurde. Aus diesemAnlast haben die Direktion. Beamte und Aerzte des StrafgefängnissesPlötzensee, bezw. die vorgesetzte Behörde Strafantrag wegen Be-leidigung aus§§ 188 und 186 St.-G.-B. gestellt.Protest der Verteidiger gegen die Zuständigkeit der viertenStrafkammer.vor Eintritt in die Verhandlung ergreist das Wort:Verteidiger Dr. Liebknecht:Ich sehe mich veranlatzt, wie bei der vorigen Verhandlung soauch diesmal gegen die Zuständigkeit dieser Kammer Protest ein-zulegen und zu beantragen, die Sache an die zuständige Kammer zuverweisen.Vorsitzender:Wir können diese Sache ja auf sich beruhen lassen. Ist sienicht durch den nach eingehender Verhandlung voriges Mal ge-sastten Beschlust erledigt? Für die Revision kommt da? Bedenkender Verteidiger ja in Betracht, auch ohne dah es hier erörtert wird.Rechtsauwalt Dr. Liebknecht:Die Verteidigung steht auf dem Standpunkt, bah fiir die Mög-lichkeit, diesen Punkt bei der Revision hervorzuheben, der Umstandmastgebend ist. dast er auch in der Verhandlung erwähnt wird.Deshalb müssen wir darauf bestehen, wenn ich mich auch möglichstkurz fassen würde. Die ersten zur Anklage stehenden Artikel standenin der„Zeit am Montag', und demgemäst wurde die Sachezuerst unter dem Rubrum Schneidt und Genossen geführt. Nachder mehrfach erwähnten Reichsgerichts- Entscheidung hat dieStaatsanwaltschaft das Recht, eine Sache gegen mehrere Angeklagteaus in der Sache liegenden Zweckmähigkeitsgründen zu rubrizieren.Solche Gründe liegen nach unserer Ansicht mcht vor. EL gibt nichteinen Menschen in der ganzen Welt, der glaubt, die Umrubrizierungsei vorgenommen, weil der„Vorwärts" ein älteres oder ein täglicherscheinendes Organ ist. gegenüber der wöchentlich erschemenden„Zeit am Montag'. Wir wissen, dast das Motiv der Staatsanwalt«schaft war, die Sache vor eine ihr genehme Kammer zu bringen.ES fragt sich nur, ob die von ihr angeführten Gründe im Sinneder ReichSgerichts-Entscheidung liegen. Wir sind der Ansicht, dastda» nicht der Fall ist und dast durch diese gewaltsame und un-sachgemäste Umrubrizierung die Angeflagten ihrem gesetzmäßigenRichter entzogen sind.Rechtsanwalt Löwenstriuschließt sich den Ausführungen Liebknechts an.Rechtsanwalt Halpert:Ich habe meinen Rechtsstandpunlt über diese Frage wzwischenin der„Deutschen Juristenzeitung' dargelegt und brauche ihn des-halb hier nicht zu wiederholen. Ich will aber noch auf einige Punkteaufmerksam machen, die das vorige Mal nicht erwähnt sind. ImEi« preutzifcher Junker als Schulmeifter«Es hat wirklich einmal einen preußischen Junker gegeben, dernicht die übliche bornierte Ostelbieransicht über d,e Volksschule hatte,die bis auf den heutigen Tag ein rüstiges Vorwärtsschreiten derpreußischen Volksschule hindert. Es ist freilich schon etwas langeher, daß dieser weiße Rabe gelebt hat; die brandenburgischen Volks-schullehrer veranstalten am heutigen 16. Mai, dem 100. TodestageEberhard von Rochows, eine kleine Wallfahrt nach Reckahn.wo dieser Mann in den siebziger Jahren deS 18. Jahrhunderts ineinem für seine Klasse seltenen Idealismus ernsthafte pädagogischeReformversuche angestellt hat.„Als in den Jahren 1771 und 1772 sehr nasse Sommer ein»fielen, viel Heu und Getreide verdarb, Teuerung entstand, auchtödliche Krankheiten unter Menschen und Vieh wüteten, da tatich', so schreibt Rochow in seinem Büchlein„Geschichte meinerSchulen', nach meiner Obrigkeitspflicht mein möglichstes, den Land-leuten auf alle Weise mit Rat und Tat beizustehen.... Aber böseBorurteile, Verwöhnung und Aberglauben, nebst gänzlicher Unwissen-heit an Lesen und Schreiben machten alle meine guten Absichtenfruchtlos. Sie empfingen zwar die Mittel, die ich bezahlte, nahmensie aber nicht ein.... Dagegen brauchten sie heimlich die ver-kehrtesten Mttcl, liefen zu Oucicf, albern, Wunderdoktoren, sogenanntenAugen Frauen, Schäfern und Abdeckern, bezahlten dort reichlich undstarben häufig dahin. In tiefer Demut möchte ich an diesem kund-baren Beispiel den Regenten und Landesvätern derVölker den hohen und unschätzbaren Wert der Auf»klärung durch bessere Schulen hier nochmals an Herzlegen.'In Nachdenken versunken zeichnete Rochow einen in em Netzverstrickten Löwen und die Maus, die die Fäden zernagt, und dannkam ihm der Gedanke:„Wie wenn Du diese Maus würdest?' Undnun enthüllte sich ihm die ganze Kette von Ursachen und Wirkungen,warum der Landmann so sei als er ist: e r w ä ch st a u f a l S e r nTier unter Tieren. Sein Unterricht kann nichts Gutes wirken.Der größte Mechanismus herrscht in seinen Schulen.' Roch amselben Tage entwarf er fein Schulbuch und leitete die notwendigenSchritte zur Reform der zu seinen Gütern gehörigen Schulen em.Damals gab es im fricderizianischen Preußen einen Minister,der mit wirklich liberalen Gesinnungen erfüllt war, obwohl er denheute sehr anrüchigen Namen v. Zedlitz trug. Dieser Mann spendeteden Rochowschen Bestrebunaeu das begeistertste Lob:„Ew. Hochw.müssen von mir keinen bestimmten Dank erwarten, er würde miteiner Sache in keinem Verhältnis stehen, deren Werk ganzekünftig« Generatioueu preise« müssen'. Im weitere» J«»Band 26 der Reichsgerichts-Entscheidungen ist ausgeführt, dast auchein Richter des zuständigen Gerichts nicht der gesetzmäßige Richterist, wenn er einer anderen Kammer entnommen ist. Das giltdoppelt und dreifach, wenn die ganze Kaminer eine andere als diegesetzmäßige ist. Weiter weise ich auf§ 471 der Strafprozeß-Ordnung hin, wo ausdrücklich bestimmt ist, daß gegen abwesendeWehrpflichtige ein gemeinschaftliches Verfahren zulässig ist. E contrario folgt also daraus, daß es in allen anderen Fällen als un-statthaft erachtet werden mutz.Staatsanwalt Schönian:Ich beantrage, den Antrag der Verteidiger abzulehnen. Ichhabe nicht die geringste Veranlassung, nochmals auf die Aus-sührnngen der Verteidigung einzugehen. Ich stelle mich lediglich aufden Boden des mehrfach erwähnten Reichsgerichts-Erkenntnifses, wo-nach die Staatsanivaltschaft die Befugnis hat, wenn mehrere An-geschuldigte vorhanden sind, über den Name» der Sache frei zu verfügen. Von welchen Erwägungen die Staatsanwaltschaft ausgegangenist, ist vollständig ihre Sache. Ich bin nicht verpflichtet, dieselbenanzuführen. Ich will nur noch bemerken, daß die Straflammerzweifellos für Kaliski zuständig ist. Außerdem ist jeder preußischeRichter, er mag einer Kammer angehören, welcher er will, sich seinerPflicht voll bewußt und jeder Angeklagte ein;' fängt vor jeder Kammerohne Unterschied uneingeschränkt das ihm gebührende Recht.Rechtsanwalt Dr. Liebknecht:Nach diesen letzten Ausführungen des Staatsanwaltes kann ichnicht begreifen, warum die Staatsanwaltschaft dieses Zuttauen nichtauch zu den Richtern der siebenten und neunten Strafkammer hat,weshalb sie sich vielmehr die grotze Mühe für die Umrubriziernnggegeben hat. Wenn der Staatsanwalt sagt, die vierte Strafkammerist zweifellos fiir Kaliski zuständig, so entnehme ich daraus, daß ihmin bezug auf die Zuständigkeit für die anderen Angeklagten doch wohlZweifel entstanden sind. DaS Reichsgericht spricht von pflichtgemäßeErmessenund in derSache liegenden Gründen, nicht vonfteiem Ermessender Staatsanwaltschaft. Die ganze Geschichte der Umrubriziernngdes Prozesses zeigt auch nicht eine Spur davon, daß damit derjenigeZweck verfolgt wird, den der ReichSjusttzsekretär im Reichstage hervor-gehoben hat, nämlich der Zweck der Aufilärung.Der Gerichtshof zieht sich zur Beratung zurück, die nur ganzkurz ist. Der Vorsitzende verkündet, daß der Gerichtshof den Antragablehne. Nach dem Erkenntnis im 28. Bande des Reichsgerichts seidie Möglichkeit der Umstellung de§ Namens seitens der Staats-anwaltschaft gegeben und in ihr pflichtgemäßes Ermessen gestellt.Die Behauptung, daß es den„Schein' habe, als ob dieses Pflicht-gemäße Ermessen nicht vorliege, könne den Gerichtshof nicht be-schäfttgen. Tatsachen zum Beweise dafür, daß die Staats-anwaltschaft nicht nach pflichtgemäßem Ermessen vorgegangen sei.seien nicht vorgebracht worden. Auch Z 471 treffe nicht zu. da essich hier nicht um Wehrpflichtige handle. Die sachliche, örtliche undgefchästsplanmäßige Zuständigkeit dieser Strafkammer liege vor.Rechtsanwalt Dr. Liebknecht:,Dann beantrage er ausdrücklich, den OberstaatsanwaltDr. Jsenbiel und dessen damaligen Dezernenten, jetzigen Land-gerichtsrat Ellen dt zu laden, um sie darüber zu vernehmen, daßirgendwelche sachlichen Mottve für die Umrubrizierung nicht vor-Händen waren, sondern nur der Grund vorwaltete, die Sache vordiese Strafkammer zu bringen, weil diese dafür bekannt ist, in poli-ttschen Prozessen besonders scharf vorzugehen.Erster StaatSanwatt Schönian:Die Gründe, welche der Staatsanwaltschaft zu der Um-rubrizierung Veranlassung gegeben, seien innere Vorgänge derStaatsanwaltschaft und betreffen deren pflichtgemäßes Ermessen. Sieseien nicht Gegenstand dieser Verhandlung. Das feien Interna derBehörde, an welchen weder die Verteidigung noch das Gerichtrütteln könne.Der Gerichtshof lehnt den Antrag des Verteidigers ab, daeine Prüfung der Frage, von welchen Gesichtspunkten die Staats-anwaltschaft bei ihrem Vorgehen geleitet worden, dem Gerichtshofenicht zustehe.***Hierauf werden die Angeflagten vernommen. Die AngeflagtenK a l i s k i und Schneidt sind wegen PreßvergehenS vorbestraft.sl h r e n s ist vielfach wegen Verbrechens vorbestraft, darunter wegenUrkundenfälschung zu 1 Jahr S Monaten Zuchthaus, wegen Betruges,Untreue, Bankerott zu 1 Jahr Gefängnis, wegen Diebstahls zu8 Jahren Gefängnis.»Der Angeklagte Kali Ski wird nur für.einen Artikel des„Vorwärts" in Sir. 87 unter der Ueberschrift„Alle Schrecken desMittelalters" verantwortlich gemacht. Die in dem Artikel angeführtenTatsachen sind dem Artikel der„Zeit a. M." entnommen. Der An-geklagte bestreitet die Absicht der Beleidigung. Die Darstellung seiaktenmäßig, wie auch von der Staatsanwaltschaft anerkannt werdeDer Artikel stelle Gebrechen und Schwächen des heutigen Straf-halt seines Briefes an Rochow bekennt sich v. Zedlitz noch zur Notwendigkeit anständiger Lehrerbesoldung und zu der folgenden fürjene Zeit besonders achtungswerten pädagogischen Erkenntnis:„Daaller Unterricht, wie Ew. Hochwürden so richtig bemerken, dahingehen muß. daß die Bauerntinder zu Treibung ihres künftigen Gewerbes aufgeklärter gemacht und der Verstand nach ihrem Verhältnisbearbeitet tverde, so fällt es in die Augen, daß ein dergleichenUnterricht weit mühsamer werden mutz, als wenn derSchulmeister die Jungen eine Seite aus Luthers KatechiSmo aus-wendig lernen läßt."Rochows„unerschütterlicher Grundsatz' war, daß„nur daSVerstehen des Gelehrten die Sache nützlich macht". Dementsprechendrichtete er sein Schulbuch„Der Kinoerfreund' und den übrigenUnterricht ein. Er wollte dadurch die Kinder in den Stand setzen.„das ihnen Lorgetragene in ihrem Leben anzuwenden, welches dennlvohl der einzige wahre Weg ist, die Absicht aller Pädagogie, nämlichbessere und fürs tättge Leben brauchbare Menschen zu bilden, zu er-reichen." Dieser naive, urlvüchsige Utilitarisnms steht himmelweitüber den erlogenen«Pädagogie" des heutigen Junkertums, wonach dieKinder durch religiöse Verkleisterung der Gehirne nur für das bessere„Jenseits" zurechtgemacht werden sollen. Recht attuell in Anbetrachtder gegenwartigen Schulkämpfe in Preußen ist auch das offene Urteil,das Rochow über Bibelsprüche und Gesangbuchverse fällt:„ZumTeil waren sie, wie manche vorgeschlagenen Verse für Lehrer undSchüler zur Zeit unerklärbar. Auch fand sich manches in Liturgie.Gesangbuchern usw.. welches arg mit der Schuflehre kontrastierte."Mit rührender und gar nicht junkerlicher Bescheidenheit klagtRochow trotz deS lauten Lobes, das ihm von den zahlreichen in-und ausländischen Besuchern seiner Schulen gespendet wurde, bitterdarüber, daß er wegen der Mangelhaftigkeit der Lehrer nur einMinimum seiner pädagogischen Pläne habe verwirklichen können.Seine Schulkinder hätten schließlich nur richtiges Denken gelernt.Und hieran schließt er eine Anmerkung, die ein so ttefes Verständnisfür wahrhafte Volksbildung, ja sogar für die Einheitsschule verrät,daß sie zu ebenso hoher Achtung für den alten preußischen Land-junker Rochow, wie zu tiefer Verachtung für daS gespreizte, hoch-fahrende Junkertum unserer Tage auffordert. Rochow stellt dieFrage:„Sollen alle Menschen, ohne Unterschieddes Standes, verständig werden oder nicht?"Und er antwortet darauf:„Ueber diese Frage, die doch so leicht zu entscheiden ist. scheinendie Regenten der Völker nicht aufs Reine konuncn zu wollen. Wirdsie bejaht, so folgt daraus:1. daß die Schule eigentlich Staatssach« ist:2. daß. damit einzelne verwahrlosete Menschen(wieRavaillac. Thomas Münzer. Jalob Böhme. Knipperdolling. Element,Vollzuges, dar und das letztere bei jeder sich bietenden Gelegenheitzu bekämpfen, halte er für seine Pflicht. Er befinde sich dabei inguter Gesellschaft der StraftechtS- und SttafvollzugS-Lehrer. AlleArtikel richten sich lediglich gegen das herrschende Strafvollzugs-System.Dem Angefl. Büttner fallen sechs Artikel zur Last. Auch erbestreitet die Absicht der Beleidigung. Der Zweck der Artikel seinur gewesen, Schäden des heutigen Strafvollzuges zu geißeln.Beispielsweise halte er in Uebereinstimmung mtt verschiedenenStrafrechtslehrern die Form der häufigen Anwendung vonDisziplinarstrafen nicht für angebracht. Nach seiner Ansicht könnennur wiederHolle öffentliche Rügen eine Besserung in den Verhältnissenherbeiführen. DaS Material zu den Artikeln sei der Redaktion zu-gestellt worden— von wem, darüber verweigere er, sich auSzu-lasten. Von den Vorstrafen des AhrenS sei ihm nichts bekanntgewesen. Er habe nicht beabsichtigt, die Nebenlläger zu beleidigen.Auch Angefl. Schneidt bestreitet auf das bestimmteste, dieAbsicht der Beleidigung gehabt zu haben. Er habe die Arttkel ver»öffentlicht sowohl im allgemeinen, als auch im eigenen Interesse.Er sei radikaler Publizist, sei wegen Preßvergeben vielfach vor-besttast und könne jeden Augenblick wieder in die Lage kommen, inSGefängnis wandern zu müssen. Er habe also ein lebhaftes Interessedaran, daß der Strafvollzug ein möglichst milder, anständiger undhumaner werde und Greuel, wie sie in den Artikeln geschildertwerden, abgestellt werden.— Präs.: Meinen Sie, daß Sie alsRedakteur das Recht haben, sich gegen die Gesetze zu vergehen, sodaß Sie alle Augenblicke in die Lage kommen könnten, insGefängnis zu ivandern?— A n g e k l.: Ich habe als Redakteurdas Recht und die Pflicht, die Wahrheit zu sagen. Wenn ichdabei mit dem Gesetz in Konflikt komme, so würde ich dasbedauern, das liegt dann aber nicht an mir, sondern ander UnVollkommenheit der Gesetze.— Präs.: Ueber daS,was Wahrheit ist, kann man doch sehr verschiedener Meinung sein,und nach Ihren Anschauungen müßten dann für jeden einzelnenMenschen besondere Gesetze gegeben werden.— An g ekl.: Für michist Wahrheit, wa» ich für Wahrheit halte. Der Angeklagte erklärtweiter, daß er bestrebt gewesen sei, alles Ehrenkränkende aus denArtikeln herauszulassen. Die ganze Tendenz der letzteren gehe dahin,Mängel und Uebelstände im Strafvollzüge nachzuweisen und zu be-tonen, daß, wenn Verfehlungen seitens der Aerzte vorgekommen.diese auf deren große Ueberlastung bei schlechter Bezahlung zurück-zuführen seien. Die Kritik deS Strafvollzuges liege doch jetzt geradein der Luft. Er habe das Material zu dieser Frage schon seit Jahrenstudiert und da ihm nun im Anschluß an die Affäre des PrinzenArenberg beweiskräftiges Material durch Ahrens unterbrettetworden war, so habe er es für seine Pflicht gehalten.diese hochwichtige Frage öffentlich zu behandeln. Der Artikel„Notschrei aus Plöyenfee" fei ihm von anderer Seite geliefertworden, doch verweigere er darüber eine weitere Aussage. Ueberdie Mängel des Strafvollzuges seien ihm Hunderte von Zuschriftenzugegangen, die immer dieselben Gravamina enthielten, welche mitden Mitteilungen des AhreuS übereinstimmten. Da letztere Ab»schristen aus den Personalallen darstellten, so habe er keinen Zweifelan der Richtigkeit gehabt. Ahrens habe ihm allerdings gesagt, daßer mit 8 Jahren Gefängnis vorbestraft sei; da er also den Straf-Vollzug am eigenen Leibe durchgekostet habe, so habe er um sowemger an der Richttgkeit der Tatsachen gezweifelt. Er würde mttder Veröffentlichung aufgehört haben, wenn nach dem erstenArtikel von der zuständigen Seite irgend etwas Erheblichesdagegen eingewendet worden wäre.— Präs.: WußtenSie. daß Ahrens wegen eines größeren Bilderdiebstahlsmit fünf Jahren Gefängnis bestraft worden war und ihm auch diebürgerlichen Ehrenrechte abgesprochen waren, als Sie mit ihm inVerbindung traten?— Angekl. Schneidt: Nein er erzählte mires erst später. Daß er auch mit Zuchthaus bestrast war, wußte ichnicht. Ich habe auch sonst über die Persönlichkeit des A. keinerleiInformationen eingezogen, da es sich für mich doch nur darumhandelte, daß die Auszüge aus den Gefangenenbüchern den Stempelder Autenttzität an sich trugen.— Auf den Vorhalt des Vorsitzenden,daß doch hier gewissermaßen ein Vertrauensbruch des Ahrensvorlag, der doch vielleicht als schwer bestrafter Mensch inverbitterter Stimmung tendenziöse Auszüge gemacht habenkönne, erwidert Angekl. Schneidt, daß ihm dieser Gedankenicht gekommen sei. daß das Mittel, sich solcher Quellezu bedienen, falls es sich um wahre Tatsachen handele, nicht so ver-werflich, sondern sittliche Pflicht sei und übrigens auch von derStaatsanwaltschaft, der Diplomatte und anderen Behörden an-gewendet werde. Er habe auch vor der Veröffentlichung den An-geflagten AhrenS wiederholt darauf hingewiesen, daß ihm schwereStrafen erblühen würden, wenn etwas Unwahres sich ergäbe.Ahrens habe ein Honorar fiir die Artikel nicht gefordert, sondernnur sein rein sachliches Interesse an der Angelegenheit betont, da erden Strafvollzug in so viele» Jahren am eigenen Leibe durch-gekostet habe. Auf die Frage, ob er Ahrens für seine Mitteilungenetwas bezahlt habe, verweigert der Angeklagte die Aussage.Pugatscheff:c.) nicht einst die StaatSgliickseligkeit stören, alleKinder im Staat zur Schule gehalten und darin zu verständigenMenschen gebildet werden müssen;3. als»(ein Kind während seiner Schulzeit Lieh hüten, andereKinder warten, den Pflng treiben, kurz, von den Eltern zuHantirninge» gebraucht werden dürfe» die eS abhalten, deS Schul«Unterrichts zu genießen;4. den» da alle Menschen von Gott Vernunft, als Fähigkeit,verständig werden zu können, erhalten haben, so sollen siesolches Pfund nicht im Schweißtuch vergraben.sie sollen v e r st ä n d i g. d. i. zu allem guten Werkgeschickt werden. Besorgt die Obervormundschaft der Völkerdieses nicht, s» versäumt sie ihre wichtigste Pflicht; dennsie kann bei unverständig gebliebenen Menschen den Endzweckalles Regiments, nämlich Glückseligleit: das— Dir zu gut l(Ep.Römer 13, 4) nicht erreichen."Daß vor beinahe 150 Jahren ein aufgeflärter preußischer Junkerdie liberalsten und fortschrittlichsten pädagogischen Ziele anstrebte, istimmerhin nicht daS Wunderbarste an der Sache. Es war damalsdas pädagogische Zeitalter der Rousseau, Pestalozzi. Basedow, Campeund anderer. Viel wunderbarer ist, daß heute, hundert Jahre nachdem Tode dieses Mannes, das preußische Junkertum drauf und dranist, das preußische VolkSschulwesen auf jenen Stand zurück-zuschrauben, aus dem es Rochow damals mit edlem Eiferund in unermüdlicher Tätigkeit zu befreien bemüht war. Rochowhielt damals zwei Stunden Religionsunterricht wöchentlich für genug,und alles Dogmatische, begriffsleere Worte>vie Erbsünde, Gott-mensch, ewig« Zeugung wollte er beseitigt wissen. Heute soll esgerade umgekehrt werden.Beruhigend ist dabei allerdings die Tatsache, daß eS heutzutageschwerer»st, die Begehrlichkeit der Massen in materieller wie mgeistiger Beziehung zu unterdrücken, als es damals schwer war. diestumpfen Massen zur Unzufriedenheit mit ihrem jämmerlichen Loseaufzupeitschen. Von rührender Komik ist es. wenn Rochow ineinem von ihn« gedichteten Schuldrama einen Knaben in ehrliches,daß die Gutsherr-lückseligkeit der Dorf»zu b e t e n I Die Eltern waren über da« Drama so ge»rührt, daß sie in Tränen zerflossen und Rochow versprachen, ihm inallen Stücken zu Willen zu lebe».Das ländliche Proletariat von heute ist erfreulicherweise im»bescheidener. ES begnügt sich nicht mit deu Gebeten der HerrenJunker, sondern eS verlangt seinen vollen Anteil am Menschenwohlund Glück. Die Sozialdemokratte wird dafür sorgen, daß diesesberechtigte Verlange« immer kräftiger und aussichtsreicher wird.—