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Einen Beweis dafür, wie recht wir hatten, der offiziellen ErtragZveranschlagung zu mißtrauen, liefern die soeben bekannt ge- gebenen Zollerträge des Etatsjahres 1903. In dem Etat für 1903 waren die Erträge aus den Zöllen nur niit zirka 336 Millionen Mark veranschlagt, die wirkliche Jsteinnahme beträgt aber über 621 Millionen Mark, so daß sich für daS Etatsjahr 1903 allein bei den Zolleinnahmen ein Ueber schuh   von 85 Millionen Mark ergibt. Allerdings hat Freiherr v. Stengel schon etwa zwei Wochen später, in seiner Rede vom 6. Dezember 1903, in ge- wisscr Hinsicht eine Korrektur an dem Artikel derNordd. Allgem. Zeitung" vorgenommen, indem er auf Grund der bis dahin bekannten Mehrerträge aus den Zöllen eine Erhöhung der Gesamtzollcrträge für das Etatsjahr 1903 um 22 Millionen Mark in Aussicht stellte; doch selbst, wenn man diese nachträgliche Selbstbcrichtigung in Ansatz bringt, ergibt sich noch immer das für den Reichssäckel vorteilhafte Resultat, daß die Zollerträge 63 Millionen Mark mehr eingebracht haben, als noch vier Monate vor Schluß des Etatsjahres Freiherr v. Stengel ahnte gerade kein Beweis seiner besonderen Sach- Verständigkeit. Dieser beträchtliche Ueberschnß aus den Zolleinnahmen geht indes zum Teil wieder dadurch verloren, daß die Einnahmen aus den Verbrauchssteuern hinter der Veranschlagung zurückgeblieben sind. Die Zuckersteuer war im Etat mit 130 Millionen Mark angesetzt, die Jsteinnahme stellt sich nur auf 113 Millionen, bleibt also um 17 Millionen hinter dem Voranschlag zurück, und ferner hat die Braimtweinverbrauchsabgabe mit Einschluß des Zuschlages nur un- gefähr 9t>/z Millionen Mark gebracht, so daß sich auch bei dieser ein Fehlbetrag von neun Millionen ergibt. Dafür weisen aber verschiedene andere Verbrauchssteuern, zum Beispiel die Tabak-, Maischbottich-, Salz-, Schaumwein- und Brausteuer. Ueberschüsse auf. Rechnet man die Reichseinnahmen aus den Zöllen und Verbrauchssteuern für das Jahr 1903 zusammen, ergibt sich ein Gesamtbetrag von 913 Millionen Mark, gegen 884 Millionen im Etatsanschlag. Es bleibt also immerhin noch ein Ueberschuß von 61 Millionen Mark. Außerdem stellen sich die Erträge auS den Reichsstempelsteuern um ungefähr 12 Millionen, aus dem Reichspost- und Telegraphen- betrieb um 10 Millionen und aus dem Rcichseisenbahnbetrieb um 4 Millionen Mark höher, als veranschlagt war. Gewiß ein Resultat, mit dem das Reichsschatzamt recht zufrieden sein kann, zumal der Ausfall bei der Zucker- und der Branntwein- Verbrauchsabgabe sich aus besonderen zeitlichen Verhältnissen erklärt. Der Minderertrag der Zuckersteuer ist lediglich eine Folge der letzten ungünstigen deutschen   Rübenernte und der sich daranschließenden Spekulation, die eine beträchtliche Steigerung der Zuckerpreise und damit zugleich des Zuckerkonsums zur Folge hatte. Und ebenso resultiert das Zurückbleibe» der Branntwein-Verbrauchsabgaben nur aus der ungünstigen Kartoffelernte des letzten Jahres. Nicht jedes Jahr aber braucht mit derartigen ungünstigen Ernten und dement- sprechenden Konsumrückgängen gerechnet zu werden. Für die Beratung der neuen Steuerpläne im Plenum des Reichs- tageS ist der Nachweis über die Neichseinnahmen für das Etats- jähr 1903 gerade zur rechten Zeit gekommen, denn er beweist auf daS deutlichste, wie vage und tendenziös die Berechnungen bezw. die Schätzungen sind, auf welche hin die Regierung neue Steuern in der Höhe von 220 bis 230 Millionen Mark fordert. Sie hat augenscheinlich den bei manchen Händlern üblichen Kniff angewandt, beträchtlich aufzuschlagen, in der Voraussicht, daß der Reichstag   doch die volle geforderte Summe nicht bewilligen werde. Dcutrchce Rckb. Die abgchancuc Hand und die verlogene Scharfmacherprefle. Die rührselige Geschichte von der abgehauenen Hand, die von der Sozialdemokratie zur Aufhetzung der Arbeiter in allen Blättern verbreitet worden ist, entpuppt sich als dreister Schwindel." So schrieb gestern noch frech und gottesfürchtig dieKonservative Korrespondenz", die der kleinen konservativen Amtsblatt- presse die geistige Nahrung liefert. Es kommt ihr dabei weniger auf Schnelligkeit und Richtigkeit an. als auf Hetze gegen die Sozialdemokratie. So schwindelt sie denn gemüts- ruhig den von uns schon am Dienstag gekennzeichneten Schwindel derSchlesischen Morgenzeitung" und derPost" nach, daß dem Bierfüller Biewald die Hand nicht a b gehauen, sondern z e r hauen sei, und das nicht im Hausflur, sondern als er dem Pferde eines berittenen Schutzmanns in die Zügel gefallen sei. Im Hospital sei die Hand dann schließlich abgenommen worden. Und obgleich wir schon am Dienstag festgestellt haben, daß die BreslauerVolks- wacht" niemals gemeldet habe, die Hand sei ihr in die Redaktion gebracht worden, schreibt dieKonservative Korrespondenz" un- bekümmert und läßt es unbekümmert durch die gesamte Amtspresse weiter verbreiten: ..... Die Behauptung derVolkSwacht", dieabgehauene Hand" sei von Arbeitern aufgehoben und in die Redaktion des Blattes gebracht worden, ist also eine Lüge, die um so frecher ist, als das sozialdemokratische Blatt deren Aufdeckung jeden Augen- blick gewärtig sein mutzte..." Indes, dieKons. Korrespondenz" nimmt wohl von sozialdemo- kratischen Zeugnissen und Feststellungen prinzipiell nur dann Notiz, wenn sie sie zur Hetze gegen die Sozialdemokratie glaubt verwenden zu können. Wir wollen dem edlen Blatte nicht zumuten, diesen braven Grundsatz zu verletzen. Aber den Vorwurf der Leichtfertigkeit können wir ihm doch nicht ersparen. Denn schon om Mittwoch hat dieBreslauer Zeitung" ein freisinniges Blatt, da« bei dem Blutbad keineswegs gegen die Polizei Stellung genommen hat folgendes Schreiben veröffentlicht, das ihm von dem mit der Vertretung der Interessen des Verletzten betrauten Justizrat Mamroth zugegangen ist. Es heißt darin: Biewald stand an der Tür des Hauses, in dem er wohnte, da sah er eine Anzahl Schutzleute, in der offenbaren Absicht, die Straße abzupatrouillieren, einHerkommen. Infolgedessen zog er, wie sämtliche übrigen an der Haustüre befindlichen Personen. sich in das Innere des HauseS zurück, und einer der HauS- bewohner zog die Haustür von innen zu. Unmittelbar darauf wurde sie zedoch durch einige Schutzleute von außen auf- g e st o ß e n und die Schutzleute stürmten mit gezogenen Säbeln in das Haus hinein. Die meisten der in dem Hausflur befindlichen Personen flüchteten erschreckt nach hinten, dem Hof- räum zu. Biewald lief nach der anderen Seite des Hausflurs. Bevor Biewald jedoch die Treppe erreicht hatte, erhielt er von einem der Schutzleute von hinten einen Säbelhieb über die Schulter und unmittelbar darauf einen zweiten über den Hinterkopf, so daß ihm das Blut herunterlief. Er hob bittend die Hände und rief dem Schutzmann zu, er solle doch von ihm ablassen, er sei ja ganz unbeteiligt, er sei Arbeiter bei Mende und wolle nur in seine Wohnung hinauf. Der Schutzman machte trotzdem Miene, weiter auf ihn einzuschlagen. Biewald wollte deshalb die Treppe hinaufflüchten. Kaum hatte er aber die ersten Stufen erstiegen, so erhielt er von dem Schutzmann von rückwärts einen Säbelhieb, der die linke Hand, mit welcher er das Treppengeländer erfassen wollte, glatt von dem Arm ab- schlug. Die alsbald herbeigerufene Feuerwehr legte dem Ver- wunderen einen ordentlichen Verband an, schaffte ihn nach dem Allerheiligen-Hospital und nahm auch die noch im Hausflur liegende abgeschlagene Hand mit. So Herr Justizrat Mamroth, der natürlich erst nach sorgfältigsten Ermittelungen diese Darstellung veröffentlicht hat, am Mittwoch. Und die«Kons. Korrespondenz" schreibt am Donnerstag und die von ihr gespeiste konservative Provinzialpresse wird am Freitag und Sonnabend ihr nachdrucken: ..... Somit ist dieabgehauene Hand" auch nicht, wie die sozialdemokratischen Lügner schreiben, einfurchtbares Zeugnis von der Gransainkeit der Gewalt", sondern ein warnendes Bei- spiel für Leute, die sich von sozialdemokratischen Hetzern auf die Straße treiben lassen und die die öffentliche Ordnung mit Gewalt durchbrechen wollen." Ob dieKonservative Korrespondenz" soviel Anstandsgefühl haben wird, in ihrer nächsten Nummer zu gestehen, daß ihr giftiger Ausfall auf die sozialdemokratische Presse und ihre Verteidigung der BreSlauer Polizei durch die Veröffentlichung des Justizrats Mamroth ack absurdum geführt ist? Wir sind begierig darauf". Ob diePost" widerrufen wird? Wir sind begierig darauf. Für die grenzenlose Verwahrlosung derfreisinnigen" Vossischen Zeitung" spricht übrigens Bände die Tatsache, daß sie das Schreiben Mamroths aus derBreslauer Zeitung" wiedergibt, aber nicht e i n noch so schwaches, nicht e i n noch so zahmes Wort des Tadels für die Breslauer Schutzleute findet, die in Hausflure eindrangen und dort mit dem Säbel auf friedliche, unbeteiligte Leute einschlugen! Justizrat Mamroth will übrigens für seinen Klienten Schaden- ersatz erstreiten. Er verspricht sich indes nicht viel davon, den Schutzmann oder gar das Polizeipräsidium für die Verkrüppelung eines Unschuldigen haftbar zu machen. Dagegen glaubt er, die Stadtgemeinde auf Grund des Tumultgesetzes vom 11. Mai 1830 zum Schadenersatz verpflichten zu können. Der§ 1 dieses Gesetzes lautet nämlich: Finden bei einer Zusammenkunft oder einem Zusammenlaufe von Menschen durch offene Gewalt oder durch Amvendung der dagegen getroffenen gesetzlichen Maßregelungen Beschädigungen des Eigentums oder Verletzungen von Personen statt, so haftet die Ge- meinde, in deren Bezirk diese Handlungen geschehen find, für den dadurch verursachten Schaden." Demgemäß hat Mamroth einen Schadenersatzanspruch bei dem BreSlauer Magistrat angemeldet. Ein Bescheid ist ihm jedoch bisher nicht geworden._ Ein deutsches Courridres. Am 10. Juli v. I. beim Brand der Zeche Borussia konnten nur 14 Leichen geborgen werden. Das Oberbergamt ließ wegen der mit der Bergung verbundenen Lebensgefahr(Gase) d i e Rettungsarbeiten einstellen und man setzte die Grube bis zur Ferse der vierten Sohle unter Wasser bezw. dämpfte das Wasser durch Kohlensäure. Erst vor wenigen Tagen gestattete man die Bergung der Leichen, vorläufig nur für die westliche Abteilung des Reviers II,wo man wie dieRheinisch- Westfälische Zeitung" schreibt die Verunglückten wußte." Man fand in der Tiefe von 423 Metern 22 Leichen teils gruppiert, teils vereinzelt, von denen nur eine einzige wegen der Schädelabnorniität rekognosziert werden konnte. Sie lagen zum Teilin krampfhast gekrümmter Lage mit zerschmetterten Gliedmaßen und entblößtem Oberkörper", fast wie Skelette eingetrocknet; die Haut ist lederartig und läßt das Knochengerüst durchsehen; die n, eisten sind bis zur Unförmlichkeit entstellt, die Kopfhöhlungen mit dichtem Schimmel ausgefüllt. Das genannte Blatt schließt:AuS dem Umstand, daß die Leichen alle mit entblößtem Oberkörper gefunden wurden, geht hervor, daß sie tatsächlich alle den Versuch gemacht haben, den Zuzug'gefähr- licher Gase dadurch zu hemmen, daß sie ihre Hemden auszogen und damit die Luken in den Wettertüren dichteten." Man vermutet, daß noch vier Leichen in der Grube liegen." Unter ähnlichen Umständen erhielten sich bekanntlich bei der Katastrophe in Courrieres mehrere Bergleute wochenlang am Leben. Daher läßt sich die Annahme nicht abiveisen, daß eine Fortsetzung der RettuugSarbeiten auch hier vielleicht das Leben der Verunglückten erhalten hätte._ Dem Verdienste seine Krone. Der nationalliberale Landtags- abgeordnete Schiffer, bisher LandgerichtSrat in Magdeburg  , ist nach einer Mitteilung derN. Hambg. Ztg." zum Landgerichtsdirektor in Berlin   ernannt worden.Die Regierung hat", schreibt daS Blatt. seine Ernennung aber noch nicht veröffentlicht, damit der Ab- geordnete Schiffer sein Mandat nicht verliert. Schiffer arbeitet bei den Nationalliberalen darauf hin, daß sie die preußische Schnlvorlage annehmen. Die Regierung hält, um sich feine Helsersdienste zu sichern, mit der Veröffentlichung seiner Eriiennung zurück." Herr Schiffer dürste sich dankbar erweisen. Ucbcr allerlei höfische Intrigen weiß unter dem Stichwort Unverantwortliche Ratgeber" dieDeutsche Tages- zeitung" zu berichten: Ein konservatives Proviuzblatt erzählt, daß unverantwort- liche Ratgeber die Stellung des Staatssekretärs v. Tirpitz z u e r- schüttern gesucht hätten und daß davon als verautwort- licher Leiter der Reichspolitik auch Für st Bülow be- troffen worden sei. Auch wir haben davon ge- hört, daß man bemüht gewesen ist, Mißtrauen gegen Herrn v. Tirpitz zu erzeugen, weil er bei der Flottenverstärkung ni-bt die uferlosen Wünsche der heißspornigen Flottenschwärmer berücksichtigt hat. Daß sich diese Machenschaften auch indirekt gegen den Kanzler richteten, liegt auf der Hand. Denn Fürst Bülow  ist inbezug aus die Flottenverstärkung mit Herrn v. Tirpitz einer Meinung. Bis jetzt haben die Machenschaften keinen Erfolg gehabt, und sie werden hoffentlich auch serner keinen Erfolg haben. Wenn aber gewisse flottenschwännerische Kreise sich nach dieser Richtung hin betätigen. dann dürfen sie sich nicht wundern, daß eine solche Betätigung als gemeingefährlich bezeichnet wird." Schon vor einiger Zeit wußten dieKöln  . Ztg." und die Schles. Ztg." von allerlei Versuchen zu erzählen, die Krankheit des Reichskanzlers dazu auszunutzen, besten Stellung zu untergraben. Allem Anschein nach haben die Intriganten versucht, von ver- schiedenen Seiten ihr Ziel zu erreichen. Für die Art. wie Minister entstehen und verschwinden, ist das Vorkommnis nicht uninteressant. Gesetz zur Sicherung der Bauzorderungen. In der heutigen Sitzung des Bundesrates wurde den AuSschußanträgen zu dem Antrage Preußen« betreffend den Entwurf eines Gesetze« über die Sicherung der Bausorderungen und betreffend die Regelung des Verkehrs mit Kraftfahrzeugen sowie des allgemeinen Fahrverkehrs hinsichtlich des AuSweichens der Fuhrwerke zugestimmt. Die Beratung der Diätenvorlage in der Zweiten badischen Kammer führte zu dem Resultat, daß nunmehr rückwirkend für diese Session ein Diätensatz von s e ch s M a r k pro Tag an die zu Karlsruhe   ansässigen Abgeordnelen bezahlt werden soll. Die außer- halb der Residenz wohnenden Volksvertreter empfangen wie bisher das Doppelte. Die Diäten werden auch für die Sonn- und Feier- tage bezahlt, fo lange die Kammer nicht vertagt ist. Eio Opfer der polizeilichen Revolutionsangst. Die Magde- b u r g i f ch eV o l k s st un m e" meldet am Schluste ihrer Berichts über die Maifeier zu M a g d e b u r g: Ohne Blutvergießen sollte aber diesmal die Maifeier nicht abgehen. Ein Schutzmann wurde durch«inen Revolverschuß schwer verletzt und am Nachmittag. als sich draußen imLuifenpark" die Maifeiernden harm­loser Festlichkeit hingaben, hauchte der Bedauernswerte sei» Leben aus. Freilich, Arbeiter, Maidemonstranten waren eS nicht, die dem Mann die tödliche Verletzung beibrachten. Er fiel von der Kugel eines seiner Kameraden.... Die Beamten hatten natürlich wieder Revolver bekommen, damit sie dieRevolution" im Keime ersticken konnten, und einer von ihnen, der Schutzmann Hecht  , war damit beschäftigt, sich das Schießeisen näher anzusehen. Offenbar war er nicht vertraut mit dem Mechanismus des Mord- gewehrs, denn plötzlich ging der Schuß los und die Kugel flog dem Schutzmann Schmidt IV in den Unterleib, ihm die Leber verletzend. Man nahm im Krankenhause noch eine Operation an dem Unglücklichen vor, aber es war vergeblich, gegen 3 Uhr nachnüttags starb er. Der Verstorbene war ein bei seinen Kameraden und beim Publikum außerordentlich beliebter Beamter, der seinen Dienst immer mit viel Takt und Umsicht versah. Er stand im besten Mannesalter und hinterläßt eine Frau, die in nächster Zeit ihrer Ent- bindung entgegensieht. Kürzlich hat sich schon einmal ein Polizeibeamter mit seinem scharfen Säbel die ganze innere Handfläche aufgeschnitten. Diesem Vorfall reiht sich jetzt der Tod des Schutzmanns Schmidt IV an. Beide Ereignisse sind Folgen der lächerlichen Revolutionsangst der herrschenden Kreise und der Sucht, durch übertriebene Schueidigkeit zu glänzen. DaSbedauerliche Versehen", womit die frommeGermania  " ihre Veröffeiitlichiing der Aufforderung zur Anwendung des Wohnungs- boykotts gegen den Lehrer Etges in Werden entschuldigen will, wird in ein eigentümliches Licht gerückt durch die Tatsache, daß noch eineni größeren Zentrumsblatt, derEssener Volkszeitung", dasselbeVersehen" passiert ist. Bemerkenswert ist auch, daß die Kölnische Volkszcitung" keinVersehen" des Essener Blattes ihrer Partei in der Veröffentlichung der Aufforderung vermutet, sondern mit Aufwand wissenschaftlichen Rüstzeugs die Essener Volkszeitung" derbe rüffelt. Allerdings geschah das erst, nachdem dieKöln  . Ztg." dieEntgleisung" derEssener Volks- zeitnng" angenagelt hatte. Sehr dringlich scheint also derKöln  . Volkszeitung" die Ver- teidigung der wahren Toleranz, die bei aller sachlichen Gegnerschaft Gehässigkeit gegen die Person verbietet und die nach ihrer Ver- sicherung für alle Katholiken Pflicht ist, nicht gewesen zu sein. Denn sie muß doch dieEssener Volkszeitung" ebenso früh zu Gesicht be- kommen haben, wie die nationalliberaleKölnische Zeitung  ". Wes- halb hat übrigens das führende Zentrumsblatt des Rheinlaudes denn nicht längst die kleine Kaplanspresse zur wahren Toleranz be- kehrt, die so gerne zu Gewalttätigkeiten gegen sozialdemokratische Flugblattverteiler auffordert? Und weshalb hat das nie die duld- sameGermania  " getan? Opfer der deutschen   Kolonialpolitik. Nach amtlicher telegra- phischer Meldung aus Dar eS Salaam   sind an Krankheiten gestorben: Unteroffizier Peter Barth, geboren am 14. Januar 1879 zu Kirn  , früher im Infanterie-Regiment Nr. 69. am 23. April d. I. auf Etappe Kiukulla, Bezirk Kilwa  , an Dysenterie; Unteroffizier Otto Bahn, geboren am 27. September 1882 zu Drossen  , früher im Jnfanterie-Regiment Nr. 112, am 27. April in Jlindi, Bezirk Kili- matinda, an Herzschwäche, Malaria und Dysenterie.   Frankreich  . Russeiihetze in Frankreich  . Paris  , 2. Mai.  (Eig. Ber.) Die Bourgeoisdemokratie sinkt immer tiefer in den Pfuhl der Schande. Das Ministerium Sarrien-Clemenceau-Briand liefert nicht nur der zarischen Regierung die Ersparnisse des Landes für den Kriegsfonds der Gegenrevolution auS, sondern es ist eben daraugegaugen, eine Russenhetze im größten Stil iuS Werl zu setzen. In Paris   leben jetzt viele Tausend ausgewanderte Russen, Studenten und Arbeiter, besonders viel russische   Juden, zum größten Teil Schneider. Die Regierung hat nun die Maidemonstrationen als Belegenheit benutzt, gegen dieselästigen Ausländer" nach be- rüchtigtem preußischem Muster mit größter Brutalität vorzugehen. Die Polizeibeamten hatten gestern den Befehl erhalten, alle Ans- länder, die ihnen in der Nähe der Arbcitsbörse in den Weg käme», zu verhaften! Wie sie diesen Auftrag ausführten, zeigt ein Bericht des konservativenFigaro": Eine kleine Gruppe blasser, blonder, junger Leute über- schreitet die Place de la Rvpublique, ohne zu manifestieren. Ein Polizeioffizier, Herr Faralicq, tritt ihnen entgegen:Sie sind Russe», nicht wahr? Und Sie gehen nach der Arbcitsbörse?"Ja." Gut." Und aus ein Zeichen sind sie von einer Abteilung Polizisten umringt und werden sämtlich in die Kaserne des Chateau d'Eau abgeführt." Diese Leute nun. die nicht einen Ruf ausgestoßen, nicht die geringste Feindseligkeit gegen daS Land, in dem sie leben, auch nicht gegen seine jetzige Regierung, untemommen haben, werden sämtlich ausgewiesen! Herr Lop ine hat es gestern nacht allen Journalisten erzählt. Nun hat er eine förmliche Treibjagd veranstaltet, um möglichst vielFremde" zur Strecke zu bringen. Man kann sie nicht bestrafen, denn sie haben nichts Ungesetzliches begangen, aber sie werden aus dem Gebiete derdemokratischen" Republik   erbarmungslos hinausgetrieben. Zwischen dem Polizei- Präsidenten des republikanischen Paris   und dem der preußischen Hauptstadt wird das schärfste Auge keinen Unterschied herausfinden. Der regierende bürgerliche Radikalismus sucht sick auS dieser unwürdigen Situation mit faulen Redensarten herauszuwinden. Die Blätter der äußersten Linken erheben in ihren Artikeln über die gestrigen Kundgebungen wohl formell Protest gegen das brutale Vorgehen der Polizei, jedoch im ganzen sind sie mit der Taktik der Regierung einverstanden! Diese heuchlerische Demagogie ist aber mit ihrem Latein ganz zu Ende. Die Aktion der radikalen Re- gierung gegen das Proletariat hat der Humanitären Windbeutelei den Todesstreich versetzt. Interessant wird eS immerhin sein, wie sich dieGesell« chaft der Freunde des russischen Volkes", die im vorigen Jahre gegründet worden ist und zumeist RcgierungSradikale zu ihren Mitgliedern zählt, angesichts der Ausweisungen verhalten wird. Sie lvird doch die Gelegenheit, dem russischen Volke ihre Freundschaft" zu bezeigem nicht vorübergehen lassen wollen.-- Wen» sich nach dem oben Geschilderten im Augenblick auch daS S y st e m der französischen   Regierung von dem der borussischen Machthaber wenig unterscheidet, so sticht doch das Verhalten der richterlichen Beamten Frankreichs   vorteilhaft ab von der Manier in gewissen anderen Ländern. jener Manier: nach Vorkon, mnissen. wie sie sich am 1. Mai in Paris   abspielten, durch Verurteilung zu empfindlichen Freiheitsstrafen den Schein von Liebedienerei gegen die respektive Regierung zu erwecken. Schon die Schnelligkeit, mit der man dergleichen Dinge in Frankreich   aburteilt, sticht vorteilhaft ab von der deutsch  -preußischen Langsamkeit in gleichen Fällen. Die Pariser   Richter scheinen die Taktik nicht zu kenneu, Sünder vom Schlage der am 1. Mai Verhafteten monatelang in der UntersuchungS- Haft aus die Aburteilung ivarten zu lassen. Schon am 2. Mai standen 61 verhaftete Demonstranten vor den Pariser Schwurgerichte» und wurden wegen Beleidigung der Polizisten oder wegen Widerstandes zu Gefängnisstrafen von zwei Tagen bis zu einem Monat verurteilt. Ein Ausländer(vermutlich Deutscher  ) namens Werk, der Polizisten mit Steinen beworfen hatte, erhielt sechs Monate Gefängnis zudiktiert. Inzwischen durchschnüffelt der Pariser   Untersuchungsrichter A n d r ö die bei den Haussuchungen beschlagnahmten Papiere, um Material für weitere Konfiskationen in derKomplott'-Angelegenheit zu entdecken.>