daß die Kammer einen Wunsch, auf den sich die Beteiligten mitsolcher Einmütigkeit vereinigten und hinter dem die württem-bergische Presse jeder Parteirichtung stünde, nichtberücksichtigen wolle. Sehr mannhaft fürwahr und sehr entschiedenzugunsten der Aufhebung des Zcugniszwanges!Der Zufall will es, daß erst vor ganz kurzer Zeit im„Schwäbischen Merkur", dem Hanptorgan der württem»bergischen Nationalliberalen, das Bor gehen der Staats-an waltschaft gegen ein sozialdemokratischesBlattbesprochen wurde, wobei der ehreniverte„Merkur" erklärte, d a ß i ndiese in Falle dem Staatsanwalt auch aus der Anwendung der sonst nicht zu billigenden Zeugniszwangshast keinBorwurf gemacht werden köune, wenn es auf andereWeise nicht möglich sei, den wüsten Ton dessozialdenr akratischen Blattes zun, Verstummenzu bring enlDas ist ein wahres Kabinettstückchen„russischer" Auffassung vomBegriff der Preßfreiheit, Und nun das Mirakel! Der Mann, deraus der Generalversammlung am Sonntag so mutig für die Auf-Hebung des Zeugniszwangs eine Lanze brach, heißt AdolfHeller und ist— politischer Redakteur am„SchwäbischenMerkur"! Auch die übrigen Nedaktionsmitglieder dieses Blattessind Mitglieder des Journalistenvereins und stehen„einmütig" hinterden Worten ihres Borsitzenden,..Ist es nicht erquickend zu sehen, daß die Sorte derer, wo könnensprechen links und können schreiben rechts, noch immer nicht aus-gestorben und nicht nur in alten Lustspielen, sondern auch in dernationalliberalen Presse von heute anzutreffen ist?—Der neue Eiscnbahnminister. Wie vor einigen Tagen bürgerlicheBlätter zu wissen behaupteten, hätte der verstorbene Eisenbahn-minister Budde vor seinem Tode den EisenbahnbezirkspräsidentenBreitenbach als seinen Nachfolger empfohlen und scheineder Kaiser geneigt zu sein, diesem Rat zu folgen,Die Meldung findet durch eine heute abend vom WölfischenBureau verbreitetes Telegramm seine Bestätigung. Breitenbach istheute vornnttag von Wilhelm II, in Straßburg i. E. euch fangenund daraus zum Minister der öffentlichen Arbeiten ernannt worden.In politischer Hinsicht ist Breitenbach eine unbekannte Größe.Was er ist und bedeutet, muß erst noch die nächste Zeit lehren.—- Beförderung.Landgerichtsdirektor M a u ck i s ch in Leipzig ist in das Ober-landesgericht in Dresden befördert worden. Der genannte Richtertvar Borsitzender in der bekannten Verhandlung gegen unseren Ge-nassen Redakteur Heinig, die mit dem Aussehen erregenden Urteilvon LI Monaten Gefängnis, verhängt gegen die Tendenz der„Leipz.Volksztg.", am 12. Februar in erster Instanz endete. Während dasUrteil noch in der Revisionsinstanz schwebt, ist die Beförderimgerfolgt. Wenn politische Tendenzprozesse als Spnmgbrettzur Beförderung der mit der Aburteilung betrauten Richterdienen, so liegt in der Beförderung eine direkte Aufmunterung zurKlassenjustiz. Ob der Leipziger Tendenzprozeß der Grund zur Be-förderung nach Dresden war. entzieht sich unserer Kenntnis. Dienaheliegende Möglichkeit einer solchen Annahme wäre ausgeschlossen,wenn die Unabhängigkeit der Richter durch ein gesetzlich festgelegtesBeförderungssystem sicherer als heute gelegt wäre.—Rosa Luxemburg.Die Blätter vom Schlage der„Täglichen Rundschau",„DeutscheTageszeitung".„Staatsbürger-Zeitung" u. dergl. hatten behauptet,unsere Genossin Rosa Luxemburg sei nach russischem StaatsrechtRussin geblieben, da nach„russischen, Staatsrecht' eine Russin durchHeirat mit einem Ausländer ihre russische Staatszugehörigkeit nichtverliere. Wir hatten darauf hingewiesen, daß die staatsrechtlicheBehauptung des konservativen und antisemitischen Klüngels selbst-verständlich der Wahrheit widerspricht und offenbar nur aufgestelltwar, um Rußland zu einem völkerrechtswidrigen Vorgehen gegenunsere Genossin aufzuhetzen. Die„Petersburger Zeitung" bestätigtedann, daß der Staatsrcchtsscch, den das konservative und anti-semittsche Geschmeiß aufgestellt hatte, niemals russischen Rechtensgewesen ist. Die„Tägliche Rundschau" gibt fetzt selbst ihrefrühere Flunkerei auf staatsrechtlichem Gebiete zu. er-findet aber flugS eine neue. Das Rimpkersche Blatt.das bekanntlich als erstes unter den„Ordnungsblättern"zu einem Aderlaß an den Arbeitern vor dein 21. Januargeputscht hatte, bindet nunmehr seinen Lesern den Bären ans.„aufGrund von Sonderbestimmungen über die Heirat von Juden imAuslande" sei die russische Regierung berechtigt„die Gültigkeit derEhe Rosa LuremburgS mit dem Deutschen Lübeck nicht anzuerkennen".In Wahrheit gibt es solche Sondcrbestimmnngen nicht. Auf Grundder deutschen und der russischen Gesetze sowie auf Grund der Staats«vertrage ist Rosa Luxemburg Deutsche. Die Nichtanerkennung ihrerdeutschen StaatSzugehörigkeit wäre ein flagranter BölkerrechtSbruch.Seine Begehung trauen wir trotz der wiederholten Aufforderungdes mit der Moral eines Schöne-Brockhusen konkurrierenden Hinter-mannes der„Täglichen Rundschau" der russischen Regierung nichtzu. Unsere von den Jammcrkerlen der reaktionären Presse soglühend gehaßte Genossin Rosa Luxemburg ist übrigens nochimmer nicht im Besitze einer Anklageschrist. Soweit unsere In-formationen reichen, liegt auch keinerlei Anlaß zu einer auch nurscheinbar berechtigten Anklage vor.—Der Handabhauer von Breslau ist fiir die Breslauer Polizeinoch immer unauffindbar. Wie die.Breslauer Morgenzeitung" er-fährt, hat man am Montage den schwerverletzten Biewald nach demPolizeipräsidium geschafft und ihm dort zirka S0 Schutz leutemit der Frage vorgestellt, ob er denjenigen wiedererkenne,der ihn verletzt habe. Natürlich mußte Biewald dies in jedem Falleverneinen. Es erscheint auch völlig unmöglich, daß Biewald denSchutzmann rekognoszieren konnte, dessen Gesicht er zum erstenmalund nur in wenigen Augenblicken der Angst und des Schrecken? gesehenhat, noch dazu in einem mangelhaft erhellten Hausflur, Die einzige, demVerletzten gebliebene Erinnerung geht dahin, daß der Täter einuntersetzter, jüngerer Mann mit blondem Schnurr-b a r t war. ein Typ, der bekanntlich unter den Breslauer Schutz-leuten nicht eben zu den Seltenheiten gehört.Die behördlichen Ermittelungen, schreibt die Breslauer„Volks-wacht" dazu, sind also bisher völlig resultatlos geblieben. Das eineaber steht fest: wenn auch die amtlichen Nachforschungen versagen,die privaten Ermittelungen gehen rastlos weiterund werden nicht eher zur Ruhe kommen, als bis der Täter erniitteltist, den offenbar das Bewußtsein seiner Schuld zu feige macht, umsich selbst seiner Pflicht entsprechend anzuzeigen und die Verantwortungfür seine Tat auf sich zu nehmen.—Gestorben an BrcSlaucr Polizeihieben!Die B r e S l a u c r„Volkswacht" berichtet von, Donnerstag:Bei den Ereignissen, die am denkwürdigen Abend des IS. Aprilsich draußen vor dem Nikolaitore abspielten, erhielt unter anderemauch der Arbeiter Baum eine schwere Kopfverletzung. Er begabsich zunächst in privatärztliche Behandlung, mußte aber wegen einereingetretenen Gchirnvcreiterung vor einigen Tagen in das Aller-Heiligenhospital aufgenommen werden, wo der junge, noch nicht21 Jahre alte Mann, dessen Eltern in Schmolz wohnen, in der Nachtvon Mittwoch auf heute v e r st o r b e n ist.Ein Toter, eine abgehaueneHand— der BreslauerPolizeipräsident darf stolz sein auf seine umsichttge und besonneneSchutzmannschaft i—Rücksichtsvolle Behandlung.Das östliche Deutschland ist bekanntlich nicht dafür bekannt, daßdaselbst Menschen„niederen" Standes besonders rücksichtsvoll be-handelt werden. Die Landarbeiter zumal wissen ein Liedchen davonzu singen. Jedoch soll man nicht sagen, daß die großen Herren, diedort gebieten, nicht auch verstehen. Rücksicht walten zu lassen. Nuralles zu seiner Zeit und an seinem Ort. In der„Deutschen Tages-zeitung" las man dieser Tage folgende von großer Humanitätzengende Geschichte:„Der böse Elch. Daß die Elche mitunter recht un-gemütlich werden können, besonders in ihren ständigen Revieren,wo sie sich als Herren fühlen, ist bekannt, ebenso daß sie imMemeldekta sehr häusig der Post den Wegverstellen, und sogar m, griffsweise vorgehen, so daß derPostillon um Hülfe rufen muß. Auch die in jenen Gegenden zurKirche fahrenden Leute haben oft unter ihrer schlimmenLaune zu leiden. Ganz besonders arg hat es aber in dieserBeziehung letzthin im Tawellningker Revier ein alter Elchhirschgetrieben, wie der Oberförster von Tawellningken in der Sitzungdes„Allgemeinen deutschen JagdschutzvereinS" mitteilte. Der Elchwar vor dem Hochwasser auf den Kastauner Berg geflüchtet undhatte sich dort häuslich eingerichtet. Nun wollte eraber durchaus nicht die Begräbnisse dulden, die dort ganzin seiner Nähe auf dem Friedhose stattfinden sollten, und so mutzteman ihn direkt bewachen, um jeder Störung vorzubeugen.Das muß ihm aber auch wieder gar nicht zugesagt haben, denner wechselte nun seinen Standort und zog nach den eingedichtetenLändereien der Graffchaft Rautenberg hinunter. Hier wußte ersich seine Langeweile nicht anders zu vertreiben.als daß er den Dörfern in der Nähe Besuche ab-stattete und dort gewissenhaft die Leute von der Straße i ndie Häuser jagte. Er wurde dadurch schließlich zu einerwahren Landplage, und es blieb nichts anderes übrig, alspolizeilicherseits seinen Abschuß zu verfügen."Die Gegend, un, die es sich hier handelt, ist dieselbe, die indiesem Frühjahr wieder mal— wie fast alljährlich I— von einemfurchtbaren Hochwasser heimgesucht wurde. Wie daS alles zusammenhängt und woher es kommt, daß sich die dortigen Dorfbewohnersogar die„schlimmen Launen" der Elche gefallen lassen müssen, und daßman einen offenbar kranken Elch„ichr eher abschießt, als bis er zueiner„wahren Landplage" geworden ist und nahezu allen Berkehrunterbunden hat— das wolle der geneigte Leser aus folgenden Zeilenersehen, die unser Königsberger Bruderblatt aus Anlaß eine« ebensofurchtbaren Hochwasscrnnglücks im Memeldelta am 21. Februar 1iW3veröffentlichte:„Alle diese Schädigungen sdurch Hochwasser), dieJahr für Jahr wiederkommen können(ist bekanntlich prompt ge-Ichehen I), wären unmöglich gemacht, wenn man vor einigen Jahrenden rechtsseitigen tzilgedamm verlängert hätte und den Haffdeich,der das Memeldelta vor dem alljährlichen Rückstau aus demKnrischen Haff sichert, statt mehrere Meilen landeinwärts, in un-mittelbarer Nähe des Haffrandes aufgeschüttet hätte. Aber man scheutesich, die Jbenhorster und Tawellningker Forsten in das eingedeichteGebiet hineinzubeziehen, weil man dadurch dem ForstsiskuS erheblicheHaffbeiträge aufgeladen hätte. Auch einen großen Grundherrn, denGrafen Keyserlina zu Rautenberg. der in jener Gegend mehrere tausendMorgen Wiesen besitzt, wollte man möglichst wenig belästigen. Borallen Dingen aber wollte man den Herren Elchen, die»och in einerAnzahl von über 100 Häuptern in den Jlenhorster und TawellningkerForsten Hausen, ihre sumpfigen Reviere belasten und damit einseltenes und sehr„feudales" Jagdvergnügen fürnoch langeZeitfichern..."MajestätSibeleidigung.Von der Strafkammer in Posen wurde am Donnerstag derverantwortliche Redakteur der polnischen satirischen Zeitschrift„Pokraku", v. Rakowski, zu einer Gefängnisstrafe von 3 Monatenwegen Majestätsbeleidigung verurteilt. In der Nummer 34 vom26. August v. I. war ein Gedicht enthalten, in welchem der GnefenerErzbischof v. Stablewski angegriffen wurde, weil er gelegentlich dosKaiscrbesuches in Gnescn die Kirchenglocken läuten ließ. DiesesGedicht soll auch gleichzeitig die MajestätSbclcidigung enthaltenhaben. Die Verhandlung fand unter Ausschluß der Oeffentlichlcitstatt.—_Der Weltpoftkongreff hielt vorgestern ein« Plenarsitzung ab undbegann mit der Beratung des Textes der von der ersten Kommissionausgearbeiteten neuen Konventton. Die Bersamnilung stimmte derin der Konvention vorgesehenen erheblichen Herabsetzung der Ge-bühren für den Weltverkehr zu, desgleichen der Erhöhungdes Einheitsgewichtes für Briefe von IS auf20 Gramm, unter Beibehaltung der Tax« von25 Centimes<20 Pfennig) für da» ein-fache Port«,während für die folgenden Portosätze auf Autrag der englischenDelegierten die Taxe von 25 auf 15 Centimes herabgesetztwerden soll.Morenga abermals ausgebrochen.Amtlich wird gemeldet:Jene Hoticntottendande, die von unseren Truppen in denkleinen KaraSbergen eingeschlossen war. hat versucht.nach dem unteren Löwenfluß auszubrechen. Die bei Gawachabstehende 7. Kompagnie des Feldrcgiments Rr. 1 griff den Gegneram 4. und 5. Mai an. Am 5. Mai kam es in schwierigem Ge-birgslande zu einem crnsten Gefechte, in dessen Verlauf der Gegnerseine Stellung räumte. Alle in der Nähe befindlichenTruppen haben die weitere Verfolgung aufgenommen. Nach deramtlichen Verlustliste wurdenun, 4. Mai bei Gawachab leicht verwundet: GefteiterHermann S ch», i d t, geb. am 23. November 1381 zu Brauns-dorf, Flcischschnß rechten Unterarm.Am 5. Mai sind im Gefecht am Löwenfluß südlich Gawachabgefallen: Gefreiter Gustav Weiß. geb. an, 4. August 1881zu Rottweil, Herzschuß? Reiter Friedrich Dorsch, geb. am30. November 1884 zu Siebeneich, Bauchschuß; Reiter HermannHubria, geb. am 7. August 1385 zu Luzine. Brust- undBauchschutz.Schwer verwundet: Leutnant Wilhelm v. Oppen, geb. am15. März 1882 zu Breslau, Schuß linker Oberarm, linke Brustseite.Leicht verwundet: Oberarzt Dr. Walter von Haselberg,geboren am 30. Januar 1875 zu Stralsund, Gefreiter BrunoKöhler, geboren am 29. September 1832 zu Oberkolmnitz, ReiterEdwin Müller, geboren an, 27. Januar 1382 zu Langenleuba,Reiter Karl Rani er, geb. am 17. April 1885 zu Stadthagen.Es ist also den Hottentotten abennals gelungen, durchzubrechen.Die amtliche Meldung sucht diesen Mißerfolg durch eigenartigeStilisierung des Berichts— der Feind habe„versucht" durch-zubrechen und„seine Stellung geräumt"— vergebens zu ver-ichleiern.—_Nachklänge zum Eiscnacher Wahlkrawall.Die Darstellung der Vorgänge bei dem sogenannten Wahl-krawall in Eisenach, wie sie der Bezirksdirektor Trautvetter inErsenach beliebt hatte, hat bekanntlich im weimarischen Landtageund auch im Reichstage zu lebhasten Auseinandersetzungen geführt.Der BezirkSdircktor hatte sich bemüht, die ganze Schuld der Sozial-demokratie in die Schuhe zu schieben. Den Antisemiten war diesaus der Seele gesprochen. Bei ihrem Antrag betreffend den Schutzder Versammlungsfreiheit spielten die Angaben des EiscnacherBezirksdirektors eine große Rolle. Abg. Baudert wies demgegenüberauf den Wert einer solchen Darstellung hin, indem er behauptete,daß der Bezirksdirektor positiv unwahre Behauptungen ausgestellthabe.— Letzteres hatte auch die freisinnige. EiscnacherTagespost" behauptet. Sie beschuldigte den Bezirksdirektor,daß er die Vorgänge bei der ReichstagSwahl in Eisenacho dargestellt habe, wie sie sich„in feinem Kopf« abgemalt'hätten. Darüber war der Herr BezirkSdirektor aufgebracht. Erschickte dem Blatte eine langatmige„Berichtigung", die aber nurzu einem Teile Aufnahme fand. Dabei wiederholte die„EiscnacherTagespost" ihre Behauptungen, daß die DarstellungSweise des Be--zirksdirektorS der Wahrheit widerspreche.Nunmehr rief der Herr Bezirksdirektor den Staatsanwalt umHülfe an. Er. der stüher selbst Staatsanwalt war. scheint nachalledem sicher auf eine Verurteilung des renitenten Redakteurs gerechnet zu habe». Doch hat er sich verrechnet. Obwohl die Staats-anwaltschaft im öffentlichen Interesse dem Wunsche des Bezirks-direttors entsprach und das Verfahren einleitete, wurde keine B e-strafung des Redakteurs erzielt.—Hiidland.Und weiter Blutvergießen tRom. 8. Mai.(Eig. Ber.)Das Unglaubliche ist geschehen: In T u r i n, der Stadtmit dem ruhigsten, diszipliniertesten Proletariat Italiens,hat man auf streikende Arbeiter geschossen! Ohne ernstlicheProvokation, aus bloßer brutaler Blutgier haben die Poli-zisten ihre Revolver gegen eine wehrlose Menge gerichtet undacht Menschen verwundet. Das Turiner Proletariat hatsofort die richtige Antwort gefunden: Alle Arbeiter allerBerufe haben heute früh die Arbeit verlassen, der Tramver-kehr ruht, die Läden sind geschlossen, die Fabxiken sind still-Nur die Krankenwärter und die Setzer der Tageszeitungenhaben beschlossen, ihren Dienst weiter zu versehen.Der Streik, der der Anlaß zu dieser eniinent crnstenSituation war» ist am 2. Mai ausgebrochen. Er betraf, wiewir bereits berichtet haben, zunächst etwa LOW Textilarbeite-rinnen, die den Zehnstundentag forderten. Die Textilbarone— dieselben, die sich den„Witz" gemacht hatten, den 2. Maials„Feiertag der Unternehmer" zu feiern lehncken jedeUnterhandlung ab und schrieben dem Bürgermeister vonTurin, Senator F r o l a, der seine Vermittelung anbot, einenso unverschämten Brief, dast dieser ihn einfach zurück sandtetInfolge dieses brutalen Verhaltens der Unternehmer griffder Ausstand auf verwandte Industrien über, so daß am5. Mai bereits 12 000, am 6. 15 000, am 7. 80 000 Arbeiterstreikten. Die Arbeitskammer und die sozialistischen Stadtvcr-ordneten forderten nun von der Stadtverwaltung ein Lokal.in dem die Streikenden sich versammeln konnten, da die Ar-beitskammer die Masse nicht fassen konnte und es offenbarunvorsichtig war, die Ausständigen auf den öffentlichenPlätzen zu lassen. Während der Stadtrat noch überlegte, ober dieser ebenso berechtigten wie dringenden Forderung statt-geben sollte, erfolgte das Blutbad.Seit gestern nachmittag ließ man Kavallerie in denStraßen vor den Textilfabriken patrouillieren. In der Näheder großen Turiner Arbeitergenossenschaft„AssociazioneGenerale degli operai", wo große Menschenmassen aufgestautwaren, ließ man einen Kavallerieangriff machen, angeblichweil Steine auf das Militär geworfen worden waren. Manließ die Kavallerie in gestrecktem Galopp in dieMenge hineinreiten, bis der Corso Siceardi leer gefegt war.Einige Carabinieri und Polizisten in Zivil folgten den Ar»beitern, die sich in den Flur des Genossenschaftshauses zurück-zogen und schössen im Hausflur auf die Waffenlosen! ESwurden 12 bis 15 Revolverschusse auf die Arbeiter abgegeben:Einer ist am Kopf getroffen, zwei am Unterleib, andere imRücken. Als die Menge die Verwundeten forttragen sah, legtesich plötzlich ein eisigeS Schweigen über die eben noch lärmendeSchar. Kein Ruf, kein Steinwurfl Unter beängstigenderTotenstille wurde die unerhörte Kunde der Gewalttat auf-genommen.Die Polizei hat gestern abend noch weitere Roheiten ver-sucht und ist gewaltsani in das Gcnossenschaftshaus einge-,drungen, mit blanker Waffe Säbelhiebe austeilend. Aberdie unheimliche Ruhe ist nicht mehr von den Turiner Ar»beitern gewichen. Der Gencratstreik ward beschlossen, ohneBeratung, ohne Abstimmung. Die Nachricht, daß die Textil-barone gestern abend den Zehnstundentag bewilligthatten, wurde teilnahmlos aufgenommen. Es war zu spät.Ganz Turin steht im Ausstand; auch die Militärwerkstätteund die staatlichen Tabakfabriken ruhen. Die benachbartenGemeinden M o n c a l i c r i und Venaria Reale habensich der Bewegung angeschlossen.»„»Breslau-Turin! Turin-Breslau! Die Internationaledes Säbels und des Revolvers arbeitet gutlWir teilten gestern mit, daß die Herren Senatoren deritalienischen Regierung ihre Unzufriedenheit wegen ihrerSchwäche gegenüber den Arbeitern ausgesprochen haben. Obdie Bluthunde jetzt zufriedengestellt sind?—Ernste Stunden.Wir erhalten aus Rom folgendes PrivatteleMMim:Der Generalstreik ist heute in Rom, Genua» Livorno,Mailand und vielen anderen Städten vollkommen durch-geführt. In Rom ist viel Militär zusammengezogen, und eserfolgen zahlreiche Verhaftungen. Aber bis jetzt s�8 Uhrabends) ist kein ernsterer Zwischenfall erfolgt. Dagegen wirdvon bedenklichen Konflikten aus Mailand und Budrio g?-meldet.Zum Protest gegen das Verhalten der Regierung legtenheute sämtliche sozialistischen Abgeordneten ihre Mandatenieder! Auf einen Antrag Sonninos hin nahm die Kammerdie Mandatsniederlegung nicht an. Unsere Parteifraktionbeharrt aber bei ihrem Entschluß.England.Die Schulvorlage.London, 7. Mai.(Eig. Ber.)Die nächsten Tage werden sowohl im Parlament wie in Ver-sammlungen und in der Presse mit lebhaften Debatten über dieSchulvorlage ausgefüllt fein. Für uns Sozialisten hat die ganzeAufregung keinen Sinn, denn eS handelt sich um einen kon-fessionellen Zank. Aber die Aufregung wird von den verschiedenenKonfessionen gegen die Regierung ausgenutzt. Die anglikanischeKirche lStaatskirche), die Katholiken(von der ganzen irischen Parteiunterstützt) und die frommen Juden haben sich vereinigt, um diekonfessionelle Schule zu schützen, die von der neuen Vorlage be»droht wird.Der wichtigste Paragraph ist der erste. Er lautet:„Am und nach dem 1. Januar 1908 wird eine Schule nurdann als eine öffentliche Volksschule betrachtet werden, wenn sievon der Lokalbehörde verwaltet wird."lfm diesen Punkt wird der ganze Kampf toben. ES ist deshalbnötig, feine Grundlagen zu betrachten:Vor dem Jahre 1902 gab eS in England öffentliche Volksschulen(Boarck Schools) und freiwillige oder konfessionelle Schulen. Beideerhielten Zuschüsse von der Zentralregierung(vom Staat), aber dieHaupteinnahme der Loerä ScKool« kam aus Lokal steuern(Gemeindesteuern), während die konfessionelle Schule auf frei,willige Beiträge ihrer Bekenner angewiesen war. In de«