Nr. 155. 24. Jahrgang.1. KcilM des Jotmätls" Sfiiiiiet BolliüHstt.ZoNabend, 6. luli 1907.Die beleidigten Siidwestafrihaner.Der Prozeß gegen unseren Genossen Oskar Geck von der Mann-kjeimer„Volkssiimme"— über den Ausgang(Verurteilung zu l MonatGefängnis) berichteten wir bereits in der letzten Donnerstag-nummer— war basiert auf zwei Artikel in der Nummer vom23. Januar 19(17 der„Volksstimme". Der eine,„Wie unsere„nalio-nale Ehre" in Afrika gewahrt wird", bildete den Text zu einemBilde, das— nach einer in Afrika aufgenommenen Moment-Photographie gefertigt— eine widerwärtige Massen-hinrichtungsszene an Negern darstellt. Der zweite Artikel,„Die Angst vor der Afrikawahrheit" handelt von den Bemühungender Staatsanwaltschaft zur Erlangung des Originals der vonder„V o l k s st i m m e" veröffentlichten Szene.An der Tatsache, daß die grausame Mnssen-Hinrichtunggenau so vor sich gegangen ist, wie sie von der„Volksftimme" bild-lich dargestellt wurde und an der Tatsache, daß sich„geschmackvolle"Menschen fanden, die dir Exekution an Ort und Stelle photogrnphischaufnahmen, konnte durch die Prozeßverhandlung nicht gerüttelttverden. Nur einen Umstand erachtete das Gericht als belastendfür den Angeklagten: daß er nämlich nicht berücksichtigt hatte, dieSzene könntedie Vollstreckung eines standrechtlichen KriegSurteilsdarstellen!! Worauf Genosse Geck replizierte, daß auch ein stand-rechtliches Kriegsurteil, auf Grund dessen siebe» Leutehingerichtet wurden, doch wohl human vollzogen werden müßteund nicht zum Sensationsstück für Schanlnsterne nnd für Amateur-Photographen herabgewürdigt werden dürfte!Die Zeugenvernehmunggewährte tiefe Einblicke in die Maximen unserer„Kolonisatoren."Die sieben Hingerichteten Schwarzen haben das furchtbare„Ver-brechen" begangen, daß sie entflohen, obwohl sie Gefangenewaren. Strafe Aufhängen! 1 1 Dergleichen Hinrichtungen fandenoft statt! Auf dem von der„Volksstimme" veröffentlichten Bildesind von den erhängten sieben Negern nur sechs zu sehen. Dersiebente war heruntergefallen, weilder Strick riß!Der Zeuge Abr. Schaffner- Neckerau, der von Februar 1904bis Januar 1907— also drei Jahre— in Südwestafrika war,erklärte vor Anhängigmachung des Prozesses: er könnte noch ganzandere Dinge erzählen, die da vorgekommen seien. Er wärein der Lage, eine ganze Reihe von Vorfällen vorzubringen,die das Licht der Oeffentlichkeit zn scheue» hätte». Er könnte,wenn er gesichert wäre, noch viel mehr erzählen. Wenn er auspackenwollte über die 5 Jahre, die er in Afrika war, würden die Leutewesentlich andere Eindrücke bekommen!— Vor Gericht war der ZeugeSchaffner sehr zurückhaltend, und schließlich wünschte er auf die Frage:ob er irgend etwas von Greueltaten wisse, die Aussage zu ver-weigern, weil er selber einmal mit drei Tagen strengen Arrestes be-straft worden war I Dem Grunde für diese für„Wüstwest"-Verhältnisse nicht unbeträchtliche Strafe wurde nicht weiter nach-geforscht.Eine außerordentlich intereffante und wichtige Episode aus derVerhandlung geben wir nach dem Berichte der Mannheimer„Volks-stimme" ausführlicher wieder: Unteroffizier Link, der noch aktiverSchutztruppler ist, hat die Ermächtigung erhalten, alles mitzuteilen,was er weiß. Der Verteidiger, Genosse Dr. Frank, richtet an ihndie Frage:Ist Ihnen bekannt, daß General v. Trotha einen Erlaß heraus-gegeben hat, wonach keine Gefangenen mehr gemacht, sondern diesich ergebenden Männer erschossen, die Frauen und Kinder aberdurch Schreckschüsse in die Wüste getrieben werden sollten? Zeuge:Jawohl, ich war persönlich bei der Absperrung der Wüstedabei. Es kam ein Erlaß, daß die Eingeborenen vogelfreiwären. Wenn sie aber ohne Waffen an die Posten herankamen,wurden sie mit Proviant versehen und wieder abgeschoben IAndernfalls stand es dem einzelnen zu, von seiner Waffe gegendie Eingeborenen Gebrauch zu machen. Es ist aber nicht vor-gekommen, daß von diesem Rechte Gebrauch gemacht wurde.Bert.: Wenn die Männer sich ergeben wollten, sollten sie zu«sammengeschossen werden. Die Weiber und Kinder sind zuZehntausenden verhungert und verdurstet in der Wüste.Vors.: Ist Ihnen ein solcher Erlaß bekannt geworden?Zeuge: Nein, s o ist er mir nicht bekannt. Aber durch Zeitungs-Nachrichten hat man sich unterrichtet. Vert.: Ist es denn richtig.daß Eingeborene verdurstet in der Wüste aufgefunden wurden?Zeuge: Jawohl, die sind gefunden worden. Wieviele kann ichnicht sagen. Vert.: Ist es richtig, daß die Leute mit ihren Nägelnschuhtief das Erdreich aufgewühlt haben, nur um einen TropfenWasser zu finden? Zeuge: Ich war. wie gesagt, persönlich bei derAbsperrung der Wüste. Wenn die Hereroweiber gekommen wären,wäre es ihnen anders gegangen. Es waren sogar Leute zu denHereros geschickt worden, die ihnen solche Nachricht bringen sollten.Viele sind in der Wüste zu Grunde gegangen, die wenigsten habe»die englische Grenze erreicht.Die Geschworenen bejahten die Schuldfrage I, wonach derAngeklagte für schuldig befunden wird:Mitglieder der bewaffneten Macht, nämlich Angehörige derSchutztruppe, mit Beziehung auf ihren Beruf beleidigt zuhaben.(Z 185 R.-Str.-G.-B.)Dagegen verneinten sie die beiden anderen Schuldfragen.(§ 186, 187.)Das Urteil lautete außer auf einen Monat Gefängnis nochauf Tragung der Kosten des Verfahrens und Publizierung desentscheidenden Teiles des Urteils in der..Volksstimme".In derUrteilsbegründungheißt es: Bei der Strafabmessung kam zu Ungunsten des An-geklagten in Betracht, daß die begangene Beleidigung sich gegen„Truppen im F.elde" richtete und der Inhalt geeignet war,die Ehre der Soldaten aufs schwerste zu schädigen! Strafmilderndwurde angerechnet, daß die beleidigenden Aeußerungen in einemäußerst hitzigen Wahlkampfe im Zustande einer begreiflichen Er-regung getan wurden und der Angeklagte noch nicht bestraft ist.„üer interessante Prozeß hat eine Anzahlmöglicht, die im Trubel der Woche nach demnotam genommen zu werden verdienen.,Feststellungen et-�eters-Prozetz adCin flutomobilmord vor der Straf-hammer in Oeitnar.Weimar, den 5. Juli 1907.Nach zweitägiger Verhandlung vor der Strafkammer wurdevergangene Nacht 1 Uhr das Urteil gegen den RittergutsbesitzerBrauns aus Holzdorf bei Weimar wegen fahrlässiger Tötungeines Menschen gefällt. Das Urteil lautete auf drei MonateGefängnis.— Der„Vorwärts" berichtete kurz nach dem Vorfall,oaß am 16. April in einem Hotel in Weimar eine Anzahl Herren,sie einem K o h l e n s y n d i ka t e angehören, eine Sitzung hatten:oieselbe endete mit einem mehrstündigen Diner, bei welchem ,_ wieüblich, auch dem Wein und anderen alkoholischen Getränkenzugesprochen wurde. In angeheiterter Stiinmung erbot sichser Rittergutsbesitzer Brauns, abends einige seinerfreunde und Zechgenossen mit seinem Automobil nach Gotha zumhren. Der Angeklagte übernahm die Führung selbst und— wiedie Zeugen übereinstimmend aussagten— fort ging es im rasendenTempo. Die tolle Fahrt hatte aber kaum begonnen, da war derKunstmaler Professor Schnitze aus Weimar totgefahren.— Nach derAussage mehrerer Zeugen soll trotz erregter Zurufe der Angeklagtesich geweigert haben, auszusteigen, so daß die um das Auto ver-sammelte Menschenmenge eine drohende Haltung einnahm.Kurz nach dem Unfall steuerte der Angeklagte in der kalt-blütigsten Weise sein Auto noch über Erfurt, Gotha nachEisen ach. Auch diese Fahrt brachte ihm, wie auch schonfrühere Fahrten, eine Strafverfügung wegen zu raschen Fahrens ein.— Damals lourde gegen den Angeklagten ein H a s t b e s e h l er-lassen, derselbe blieb aber gegen eine Kautionshinter-legung von 30000 M. auf freiem Fuße. Gegen 40 Personenwaren als Zeugen geladen, darunter befanden sich auch eine ganzeAnzahl Berg Werks direktoren, die damaligen Zechgenossendes Angeklagten. Von den sechs anwesenden Sachverständigen er-klärten fünf: Ingenieur Zeglin- Charlotten bürg. Ritt-meister v. Alten- Hannover, Direktor Schwarz- Eisenach,Graf Area und Baron v. Brandenberg, Kommandeurdes„Kaiserlichen freiwilligen Automobilkorps" aus Berlin,das Verhalten des Angeklagten als e i n w a n d s f r e i. Nurder Automobilfabrikant R u p p e- Apolda bezeichnete dasVerhalten des Angeklagten als unverantwortlich leichtfertig.Der Angeklagte ist Mitglied des Kaiserlichen freiwilligen Automobil-iorps. Auffällig mußte es deshalb schon erscheinen, wie GrafAreo und Baron v. Brandenberg in die Verhandlung eingriffen.Mehrfach erweckte es den Anschein, als ob diese neben den dreiRechtsanwälten Harme ning- Jena, Könitz- Berlin undTeg etmey er- Weimar die Verteidigung führten. Doch siekonnten den Freund nicht retten. Der Staatsanwalt betonte,daß er auf die Aussagen dieser fünf Sachverständigen wenigerWert lege, weil er das Empfinden habe, daß dieseGutachten im Interesse des Automobilsportsgemacht seien. Er halte eine ganz empfindliche Ve-strafung für angebracht und beantrage sechs MonateGefängnis.— Bei der Verkündung des Urteils betonte derPräsident, daß schon drei Monate Gefängnis eine sehrschlvere Strafe für einen Mann aus dem Standedes A»'geklagten bedeuten.(Mit diesem Hinweis scheintsich das Gericht auf den Standpunkt zu stellen, daß das Strafmaßmit Rücksicht auf den Stand erkannt werden muß, dem ein An-geklagter angehört: je„höher" der„Stand", desto„niedriger" dieStrafe— eine sehr beachtenswerte Auffassung!) Weiter betonte derVorsitzende noch, daß man es dem Angeklagten nicht anrechnenkönne, daß er anfänglich sein Automobil nicht verlassen habe. Daman anfänglich der Ansicht gewesen sei. daß es sich um einenArbeiter handele, der getötet worden sei, habe der Angeklagtemit„Ausdrücken des Klassenhasses" zu rechnen gehabt.Die Motivierung des Urteils ist recht eigenartig. Danach isteine Strafe um so niedriger zu bemessen, je„höher" der„Stand"des Delinquenten ist; eine eigenartige Tiefschätzung der„hohenStände". Ferner dokumentiert der entschuldigende Hinweis auf dieFurcht vor„Ausdrücken des Klassenhasses" wider Willen recht kraßdas böse Gewissen der„höheren Stände" über das Unrecht, das vonder herrschenden Klasse der arbeitenden Klasse zugefügt wird.Eue der Frauenbewegung.Die Heimarbeitin Birmingham, der großen englischen Fabrikstadt, und in Londonwar jüngst Gegenstand der Besprechung in einem Komitee desParlaments. Nach dem Zeugnis der Fabrikinspektoren beider Städteleiden besonders die Frauen unter der Heim-arbeit, die ihnen die schlimmste Sklaverei bringt. Die Knopf-fabriken von Birmingham, die Tausende von Frauen mit Heimarbeitbeschäftigen, zahlen so schlechte Preise, daß der Wochenverdienst oftnur 2—4 M. beträgt. 15 000—20 000 Heimarbeiter und-Arbeite-rinnen gibt es in Birmingham.— Der Fabrikinspektor von Londonverlangte größere Machtbefugnis, um den Frauen, die durch dieHeimarbeit ausgebeutet werden, helfen zu können. In Londonwerden Pntzsachen am besten bezahlt und das Nähen von Taschenund Schirmen am schlechtesten, in der Heimarbeit natürlich, dieüberall die gleichen großen Uebelstände zeigt.Bersammlungen— Veranstaltungen.Friedenau. Am Sonntag Ausflug des Frauen- und Mädchen-Bildungsveceins nach Schmargendorf. Abmarsch mittags 1 Uhrvom Lokal Grube, Kaifer-Allee. Für Nachkommende: BartelsWirtshaus, Schmargendorf, Warnemünderstraße. Jedoch nurbei schönem Wetter.Schenkendorf und Umgegend. Sonntag, den 7. Juli, nachmittags3 Uhr, öffentliche Versammlung für Männer, Frauen undMädchen im Saale des Herrn Otto Paetsch. Vortrag des Ge-nossen Kurt Heinig über: Warum braucht die Frau Bildung?Gründung eines Frauen- und Mädchen-Bildungsvereins.Schöneberg. Montag, 8. Juli, bei Obst. Meiningerstr. 8. Vortragnur für Frauen: Frau Störmer über„Fraueuleiden". Montag,den 8. Juli, mittags 1 Uhr, bitten wir die Frauen und Kinder,welche an der Ferienkolonie teilnehmen, sich pünktlich bei Obstzu versammeln. Der Vorstand.Adlershof. Montag, 8. Juli, abends 8� Uhr, bei Wöllstein, Bis-marckstr. 24, Mitgliederversammlung. Vortrag des HerrnSteuer über:„Aufklärung unserer Kinder über geschlechtlicheDinge." Gäste sind willkommen. Der Vorstand.Reinickendorf-Ost. Dienstag, 9. Juli: Ausflug nach Tegel. Treff-punkt bei Gründer, Hoppestr. 24, morgens 8 Uhr. Abfahrt vonBahnhof Schönholz 8.20. Für Nachzügler Treffpunkt bei Jul.Klippensteiii, Tegel(am Wasser) bis 3 Uhr nachmittags.Der Vorstand.Borsigwalde-Tegel. Der Frauen- und Mädchen-BildungSverein ver-anstaltet DienSlag, den 9. Juli, eine Dampferpartie nach JörS-felde, Restaurant Gunnlich(Kurgarten). Abfahrt von derDampfer-Anlegestelle zu Tegel pünktlich 9 Uhr früh. NächsteVereiuSversanmilung den 24. Juli bei Kube.Berichts-Zeitung.Brutaler Mordversuch.Wegen eines mit seltener Energie unternommenen Mord-Versuchs stand gestern die Arbeiterfrau Martha V o r k a u f geb.Thimm vor dem Schwurgericht des Landgerichts III. Die 24jährigeAngeklagte, die schon wegen Diebstahls vorbestraft ist, hatte sichwegen verbuchten Mordes, Unterschlagung undDiebstahls zu verantworten. Die bei dem Gutsbesitzer Schnitzein Dallgow bei Spandau in Dienst stehende Magd AnnaPolomska sah ihrer Entbindung entgegen und brachte sihte' Hab-seligkeiten in zwei noch ziemlich neuen Reisekörben zur Auf-bewahrung zu der Angeklagten, die in Dallgow wohnt. DiePolomska ging nach Berlin in die Charit« und verließ diese nacherfolgter Entbindung etwa nach vier Wochen. Als sie dann bei derAngeklagten erschien, um ihre Sachen wieder zu holen, sah sie.daß diese einige ihrer Sachen trug. Sie bat vergeblich um ihre'Habe. Die Angeklagte machte allerlei Ausflüchte. Schließlich gabdie Angeklagte zu. daß sie die beiden Körbe verkauft und dieSachen teils verschenkt, teils verkaust, teils selbst getragen habe.Sie erklärte sich bereit, am nächsten Tage, Sonntag, 14. April,mit dxr Zeugin zusammen»lach Kpgndau zu fahren und dortErsatz für die veruntreuten Sachen zu kaufen. Beide gingen dannauch am 14. April morgens von Dallgow die Seegefelder Chausseeentlang, um den Bahnhof zu erreichen. Als die beiden Frauenin die Nähe der dort vorhandenen Brücke kamen, lockte die An-geklagte dqs Mädchen plötzlich auf die Wiesen,indem sie erklärte, sie müsse nach der Kolonie Neu-Seegefeld, umdort einem Herrn, dem sie die Wäsche besorgte, zu sagen, daß erdie Wäsche sich abholen solle. Die Wiesen waren sehr naß und demMädchen wurde schon etwas unheimlich zu Mute. Ganz verdächtigwurde ihr, als die Angeklagte an einen Wassergraben herunter-ging und der Zeugin zurief:„sie solle doch auch her»unterkommen und sich„die schönen Fische an-sehen". Die Polomska erklärte nun, sie wolle überhaupt nichtweiter gehen und drehte sich um, weil sie den Rückweg antretenwollte. In demselben Augenblick stürzte sich dieAngeklagte von hinten auf die Zeugin, warf ihreine Bindfadenschlinge um den Hals und suchte sie her»unterzureißen. Es begann ein Ringen, wobei das von der Ent-bindung noch geschwächte Mädchen der Kraft der Angeklagten nichtstandhalten konnte. Das Mädchen hatte zu ihrem Glück ihrenFinger zwischen Schlinge und Hals zu bringen vermocht. Dochnun versuchte die Angeklagte durch Beißen und Kratzen dieZeugin widerstandsunfähig zu machen. Schließlich gelang es derletzteren, sich von der Schlinge zu befreien. Die Angeklagte ließjedoch nicht von ihr ab. Sie warf ihr nun ihr Taschentuch alsneue Schlinge um den Hals und zog dies fester und fester zu,bis das Mädchen halb ohnmächtig war. In diesem Zustandschleppte sie die Zeugin in den mit etlvas Wassergefüllten Graben und machte sie völlig willenlos, indemsie die eine Hand mit dem Taschentuch, die andere mit dem Bind»faden an einen am Graben stehenden Weiden»stamm festband. Dann raubte sie dem Mädchen das Porte-monnaie mit 2,50 M. Inhalt und entfernte sich. Erst nach langerMühe gelang es der Ueberfällenen, sich aus den Fesseln zu befreienund sie konnte sich bis zur Chaussee schleppen, wo sie vollständigerschöpft und ermattet zu Boden sank. Dort wurde sie von ihremDienstherrn ausgefunden, der sie in erbärmlichem Zustande vor-fand. Sie hatte eine große Strangulationsmarke am Halse, dasGesicht zeigte Kratzwunden, die Hand war zerbissen und das Haarin großer Unordnung. Herr Schultze sorgte dafür, daß der ArztDr. Noltenius der Zeugin schnell Hülfe leistete und die An»geklagte verhaftet wurde. Die Angeklagte be st ritt dieAbsicht der Tötung. Sie wollte glauben machen, daß das schwacheMädchen auf der Chaussee plötzlich auf sie eingedrungen sei. Siehabe sich das Mädchen vom Halse halten wollen, es sei zu einemHandgemenge gekommen und schließlich habe sie das Mädchen anden Weidenstamm gebunden, um ihr einen gehörigen Denkzettelzu geben,StaatSanwaltschaftsrat Michaelisbeantragte das Schuldig im Sinne der Anklage. Der durch dieBeweisaufnahme festgestellte Tatbestand stelle eine reine Apachen-geschichte dar; man könnte glauben, daß man sich gar nicht inDeutschland, sondern in den Abruzzen oder mittenin Rußland befände. Die Angeklagte habe sicherlich nichtbloß beabsichtigt, die Zeugin auszurauben oder ihr einen„Denk-zettel" zu geben, sondern sie wollte sie töten, weil die Zeugineinen Schadenersatz von 80 M. beanspruchte und hierdurch dieAngeklagte in eine schlimme wirtschaftliche Lage gebracht wordenwäre. Die Angeklagte habe ja auch seinerzeit eine Art Geständnisabgelegt. Als sie bei ihrer Verhaftung von dem Gendarmengefragt wurde, warum sie denn das Mädchen gewürgt habe, hatsie geantwortet:„Sie hat mir zu viel Schande gemacht!" Aufdie weitere Frage, woher sie denn den Bindfaden habe, hat siegesagt:„Den Hab ich mir von zu Hause mitgenommen!" DieSbeweise doch, daß sie auf einen Mord ausgegangen war.—Der Verteidiger beantragte, die Haupt-Schuldfrage zuverneinen und die Angeklagte der Körperverletzung und der Unter-schlagung für schuldig zu befinden. Die Geschworenen be»j a h t e n die Schuldsragen nach versuchtem Totschlag.Unterschlagung und Diebstahl. Der Vertreter der An»klage beantragte mit Rücksicht auf die von der Angeschuldigten.zutage gelegten unglaublichen Brutalität eine Zuchthaus»strafe von 3 Jahren. Das Urteil des Gerichts lauteteauf 3 Jahre und eine Woche Zuchthaus unter An-rechnung einer Woche Untersuchungshaft.Ein wirklich„schwerer" Diebstahlwurde in der Nacht zum 11. Februar auf dem Grundstück derElektromotorgesellschaft am Schiffbauerdamm ausgeführt. Eswurden dort nämlich nicht weniger, als 8 Zentner Kabel»d r a h t gestohlen und als Transportmittel ein neuer grauer Hand-wagen im Werte von 600 M. gleichfalls entwendet. In derselbenNacht tburden in der Reinickendorferstrahe zwei verdächtige Männerangehalten, die einen Wagen mit sehr schwerer Ladung fortschoben.Auf die Frage, was sich in dem Wagen befände, antworteten diebeiden:„Lumpen". Es zeigte sich aber, daß es Kabeldraht war.Nunmehr hielt eS der eine der Wagenführer für angebracht.schleunigst zu verschwinden. Der andere wurde festgehalten undauf der Polizeiwache als der vielfach vorbestrafte Hugo Sommerfestgestellt. Er behauptete gestern vor Gericht, daß er von demDiebstahl nichts wisse, sondern auf dem Heimwege einen ihm un-bekannten Mann getroffen habe, der sich mit der schweren Ladungabquälte; da habe er au» gutem Herzen ihm beim Schieben desWagens geholfen. Sommer verbüßt zurzeit eine zweijährige Zucht»hausstrafe, wegen der Ausplünderung eines Konfektionsgeschäftesan der Ecke der Beussel- und Turmstraße, die er am Tage vor demDrahtdiebstahl ausgeführt hat. Die 7. Strafkammer verurteilteihn wegen dieses„schweren" Diebstahls zu einer Zusatzstrafe von6 Monaten Zuchthaus. Mit ihm war der Arbeiter Max Stephanangeklagt, der seinerzeit den Diebstahl in der Beusselstraße aus-baldowert hatte. Er wurde jetzt zu 9 Monaten Gefängnis ver-urteilt._„Mauscheln ohne Asizwana" ist kein Glücksspiel"dessen Duldung einen Gastwirt strafbar macht. So entschiedgestern im Widerspruch mit der Ansicht des Kriminalkommissarsv. Manteuffel in einer Strafsache wider den Gastwirt Hoppe inCharlottenburg das Landgericht. Das Schöffen-gericht hatte diesem freigesprochen und die Berufungs»kammer kam gleichfalls zu einem freisprechenden Ur-teil. Wir möchten. aber doch vor der Annahmewarnen, daß in allen Fällen ebenso entschieden wird. Es gibtkein Spiel, das nicht als Glücksspiel aufgefaßt werden kann. Obim Einzelfalle das Gericht die Glücksspielnatur annimmt, hängtdavon ab. ob nach Ueberzeugung des Gerichts lediglich der Zufallzu entscheiden habe. Die Entscheidung selbst ist also mehr oderweniger ein Glücksspiel. Pokern gilt bekanntlich als Glücksspielund doch hat das Reichsgericht es für rechtsirrtumsfrei erachtet,daß das Pokern des oldenburgischen Ministers der Justiz— keinGlücksspiel sei._Wer ist verantwortlich?Wegen fahrlässiger Körperverletzung unter Außerachtlassungeiner Berufspflicht ist am 4. April vom Landgericht Hamburgder Kapitän des oldenburgischen Dampfers„Rotterdam",Andreas Schmidt, zu einer Geldstrafe von 300 M. ver-urteilt worden. Am 4. November v. I. wurden Säcke mit Zuckerverladen, die mittels Drahtseils in den Dampfer befördert wurden.Dieses Seil zerriß und der herunterfallende Sack verursachte dieinkriminierte Körperverletzung. Das Seil war zerrissen, weil eSkurzspleißig war. Der Angeklagte, der seit 19 Jahren Kapitän ist.mußte, wie das Urteil ausführt, wissen, daß bei kurzspleißigeg