Beilage zum„Vorwärts" Berliner VolMatt.Ar. 126.Donnerstag, den 1. Inni 1893.16. Jahrg.VocvkeinolZlzrickken�Von der Agitation. Auch die zweite BreslauerWählerversammlung. in der Schoenlank aus Berlin sprach.war überaus stark besucht. Hunderte mußten wegen Platzmangelsumkehren. Der Verlauf der Versammlung war derselbe vor-treffliche, wie der der ersten.Im heffen-nassauischen Amt Usingen steht die politischeBildung noch sehr tief. Zu Pfingsten unternahmen sechs Partei-genossen aus Heddernheim eine dreitägige Agitationstour dahin,die an Widerwärtigkeiten überreich gewesen zu sein scheint. Sieschildern ihre Erlebnisse in der Frankfurter„Volksstimme" fol-gendermaßen:„Unsere Aufnahme war gerade keine gute zunennen, was in anbetracht des Umstandes, daß in fast sämmt-lichen Orten, die wir besucht haben, noch niemals eine sozial-demokratische Stimme abgegeben wurde, ganz erklärlich war.Gleich im zweiten Ort, den wir bearbeiteten, wurde uns einWillkommen wie:„Stromer, Vagabunden. Landstreicher,Faulenzer!" und dergleichen mehr zugerufen. Rufe wie:„Geht ham un lest die Bibel, deß iß gescheiter,".Schitt'en e Dippe voll Wasser über'n Kopp" wurden vielfach laut. Anmanchen Orten mußten wir uns schleunigst aus dem Staubemachen, um nicht eine Tracht Prügel zu bekommen. In Espa,dem letzten Ort, den wir besuchten, wurde uns bei Anführungder Lasten, welche die Annahme der Militärvorlage dem deutschenVolk auferlegen würde, die Antwort zu theil:„Unsere Söhnedienen mit Stolz und wenn wir noch einmal so viel Steuern be-zahlen mußten, so würden wir das mit Freuden thun. Steuernbezahlen ist für uns eine Ehrensache." Kaum glaublich in einerso armen Gegend! Auch wurde uns gesagt, als wir die Ein-wohner aus ihre schlechte Lage aufmerksam machten, welche sieauch zugaben:„Mit unserer Lage sind wir vollkommen zufrieden,weil sie uns der liebe Gott so bescheert hat." Diese Leute wollennur für«inen Kandidaten stimmen, der für die Militärvorlageeintritt. Trotz dieser im ganzen nicht günstigen Lage sind wirdoch der Ueberzengung, daß bei der demnächst stattfindendenWahl auch in diesen Orten wenigstens einige Stimmen für unfernKandidaten abgegeben werden, und damit der Ansang zumweiteren Vorwärtsdringen der Sozialdemokratie in diesem dunklenGebiete gemacht ist. Wir hatten nämlich, neben den geschildertenUnannehmlichkeiten, auch wieder Erfolge, die dieses erwartenlassen."»»Die„Graphische Presse",' das in Schkeuditz bei Halleerscheinende Publikationsorgan des Vereins der Lithographen,Sleindrucker und Berufsgenossen, des Deutschen Seneselder-Bundes, des Verbandes der Formstecher, Tapetendrucker und ver-wandter Berussgenossen:c., schreibt über die Frage:„WelcherPartei geben die Angehörigen der graphischenBerufe bei der Reichstagswahl ihre Stimme?":„Wer nicht will, daß die Rechte des Volkes immer mehr ge-schmälert werden, wer nicht will, daß unser deutsches Vaterlandzu einer riesigen Kaserne auf der einen und zu einem riesigenArmen- und Zuchthause auf der anderen Seite werde, der wähleam IS. Juni«inen Sozialdemokraten in den Reichstag."Todtenliste der Partei. Im Kantonsspital in Zürichstarb am 16. Mai im Alter von 49 Jahren der SchneiderJosef Rodius aus Mannheim. Er hat in Teutschland, be-sonders in Stuttgart, Ulm und München für unsere Sache ge-wirkt. 1837 siedelte er nach der Schweiz über, wo er bis zuseiner Erkrankung lebhaft für die Sozialdemokratie thätig war.»» MPolizeiliche?, Gerichtliche» ,e.— Von den Exemplaren der Magdeburger„Volks-stimme", worin die militärgerichtlichcn Erkenntnisse gegen denUnteroffizier Lexut veröffentlicht waren, ist nur je eins vonder Polizei mitgenommen worden, eine Beschlagnahme also nichterfolgt.— Der Papierfabrikant Louis Staffel in Witzenhausen hatteden Redakteur der„A r b eit e r- C h r on i k Grillen-berger in Nürnberg, wegen Beleidigung verklagt, weil diesereinen Artikel aufgenommen hatte, worin behauptet war, daß dergenannte Fabrikant die Arbeiter durch Versprechungen von hohemLohn und guter Behandlung nach Witzenhausen locke; seien sieaber einmal dort, dann sähen sie, daß es ganz anders ist; erhindere die Arbeiter an ihrem Fortkommen, mache willkürlicheAbzüge und dergleichen. Die Verhandlung vor dem NürnbergerSchöffengericht nahm aber einen andern Verlauf, als der Fa-brikant gehofft habe» wird. Durch eine Reihe Zeugen wurdeerwiesen, daß der Artikel nichts weniger als übertrieben, sonderneher zu milde war. Staffel hat, wie die„Fränk. Tagespost" inihrem Bericht mittheilt, seine Arbeiter in roher Weise beschimpft,mit Maulschellen traktirt, aus nichtigen Gründen ihnen Lohn-abzüge gemachtz u. s. w. Eine Arbeiterin wurde in die Fabrik ge-nonimen mit dem Versprechen, daß sie pro Woche 12— 1ö M. erhalte; in der That erhielt sie 3—4 M.; ein auderer Arbeitererhielt Reiseeutschädigung, wie vereinbart; nach vier Wochen gabes Differenzen; der Mann trat aus der Arbeit und erhielt keinenLohn; ein Dritter mußte sich ein wahrheitsgetreues Zeugniß erstgerichtlich erkämpfen tc. Das Gericht erachtete den Wahrheits-beweis für vollständig erbracht und erkannte, da auch nach Formund Absicht des Artikels eine Beleidigung nicht vorlag, auf Frei-sprcchung Grillenberger's und Ueberbürdung aller Kosten aus denKläger.Wegen Beleidigung der Vorsteher der Schönkirchener Knochen-bruchgilde war der Redakteur des„Hamburger Echos",Gustav Stengele, vom Schöffengericht zu 300 Mk. Geld-strafe verurtheilt worden. Das Altonaer Landgericht setzte dasStrafmaß auf 1S0 M. herab.Uoltnles.Unterzeichnetes Wahl-Komitee bittet alle Parteigenossen,welche sich an den schriftlichen Wahlarbeiten beiheiligenwollen, ohne auf ein Entgelt dafür rechnen zu müssen, ihre Adressenbei dem Unterzeichneten abzugeben.— Namentlich diejenigenGenossen, deren Berus ihnen die Abfassung schriftlicher Arbeitenerleichtert, werden dringend gebeten, sich uns zur Verfügung zustellen und ihr- freie Zeit, speziell des Abends, dem Dienst derPartei zu widmen.Um sofortige Niederlegung der Adressen bittetDas Wahl-Komiteedes S. Berliner Neichstags-Wahlkreises.I. A.: Rod. Drescher, Linienstr. 50.Rixdorf. Achtung? Tie Parteigenossen, welche sich an derVerbreitung eines Flugblattes am Freitag, den 2. Juni, Abends7-/z Uhr. beiheiligen wollen, werden hierdurch ersucht, sich innachflehenden Lokalen zu melden:1. B. Schumme, Hermamiplatz 4.2. R. Papke, Ziethenstr. 71.3. C. Ostertag, Sreininetzstr. 34.4. L. Herrmann, Zigarrengeschäst, Nichardplah 10.6. A. Wiersing, Knescbeckstr. 77.Evangelisch-SozialeS. Am 31. Mar, dem Tage vor demZusammentritt des evangelisch-sozialen Kongresses hielt im Saaleder Berliner Stadtmission der Ausschuß des Gesammtverbandesder evangelischen Arbeitervereine Deutschlands eine Sitzung ab.Ein Programmeiitwurf für diese Vereine lag zur Berathung vor.Die Verhandlung ist interessant, weil sie zeigt, wie ängstlich mandarauf bedacht ist, alles zu vermeiden, was dem Kapitalisten auchnur im geringsten unangenehm erscheinen könnte, und wie allesdarauf hinausläuft, den Arbeitern Sand in die Augen zu streuen.Der Titel des Programmentwurfs erregte zunächst die Bedenkendes Pastors Lic. Weber. Ein festes soziales Programm für dieevangelischen Arbeitervereine dürfe indeß nicht aufgestellt werden,weil sonst gegen die Vereinsgesetzgebung verstoßen würde. Erempfehle daher den Titel:„Grundlinien für«in evangelisch-soziales Friedensprogramm als Anhalt für Vorträge und Tis-kussionen in Arbeitervereinen."Pastor Naumann bemängelt das Wort Friedens»Programm, das nach Bemäntelung aussähe. Pastor R a l e n b e ckfindet den Ausdruck sehr passend, da doch ein friedliches Ein-vernehmen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer erstrebt werde.Ereilich scheine damit nicht vereinbar, wenn in dem Programm-ntwurfe verlangt werde:„Einführung gesetzlich anerkannterGewerkschaften und Sicherung des vollen Koalitionsrechtes derArbeiter." Das sehe doch nach Begünstigung desStreiks(!) aus.Auf diese Aeußerung einigten sich die vorsichtigen Herrendahin, daß nicht jeder Streik unberechtigt sei, daß aber dieevangelischen Arbeitervereine mit aller Macht gegen unberechtigteStreiks seien. Dr. Lorenz bemerkt dabei, daß er das. was erseiner Zeit in seincin„Handbuch für evangelische Arbeitervereine"über Streiks ausgeführt hat, jetzt als unhaltbar anerkennt.Als Gäste nehmen hier das Wort Geheimrath Wagner undLandesökonomierath N o b b e. Ersterer warnt vor Frontmachengegen die Streiks im Allgemeinen; was hätten denn die Arbeiterfür ein anderes Mittel als die Streiks, um ihre Lage zu ver-bessern?Kandidat Ebert ist gegen das Wort Friedensprogramm:in Hamburg, seinem Wohnorte, würden die Sozialdemokratendie Evangelisch-Sozialen damit auslachen.(Das thun sieauch so.)Da Geh. Rath Wagner eine Erklärung zu den finanziellenund Steuerfragen in dem Programm vermißt hatte, schlug PastorArndt vor: Forderung einer in geometrischer Progression steigen-den Einkommensteuer, Aenderung des Erbrechts und nebenMinimal- Einkommen auch Festsetzung eines Maximal- Ein-kommens. Da warnte aber sofort Herr Geheimrath Wagnervor Eingehen in Einzelheiten, und es wurde nun der ganzen An-regung weitere Folge nicht gegeben.Eine weitere Diskussion schließt sich an den Satz des Pro-gramms:„Wir halten es für unsere Pflicht, die im Großbetriebbeschäftigten Arbeiter im Kampfe um die Erhöhung und Ver-edelung ihrer Lebenshaltung... ec. zu unterstützen."Lic. Weber beantragt, statt Kampf zu setzen: Streben.Pastor Ralenbeck meint, wenn die Herren für„Kampf"seien, so bedeute das einen Bruch mit der bisherigen Praxisder evangelischen Arbeitervereine.Ein Breslauer Prediger wirft ein:„Wenn wir„Kampf"stehenlassen, jagen wir m Schlesien die Arbeitgeber ausunseren Vereinen."In der Abstimmung wird das Wort„Kampf" mit IS gegen12 Stimmen und auch ein Vermittelungsvorschlag:„berechtigterKampf" mit 16 gegen IS Stimmen abgelehnt.Bei der Forderung des Programms:„Angemessene Kürzungder Arbeit(Maximal-Arbeitstag)" wünscht Lic. Weber: Regelungstatt Kürzu.ng.Kandidat E b e r t- Hamburg ersucht um Aufnahme desAchtstundentages. Wenigstens solle es als letztes Ziel gezeigtwerden; die Forderung sei doch ungemein beliebt.Eisenbahnsekrctär Schulze wünscht Aufnahme der staat-lichen Arbeilslosen-Versicherung in das Programm.Generalsekretär G ö h r e erklärt sich hiergegen. DieNationalökonomie stehe auf dem Gebiete der Arbeitslosen-Statistiknoch zu sehr im Anfangs.Dietrich(selbständiger Handwerker): Die Aufnahme derForderung:„Kürzung der Arbeitszeit" werde bei den Arbeit-gebern Mißverständnisse hervorrufen. Die Arbeitszeit regele sichdurch Angebot und Nachfrage.Pastor Naumann hält die Frage der Nrbeitslosen-Unter-stützung auch nicht für reif und ist auch nicht für die Aufnahmedes Achtstundentages. Dieselbe sehe zu sehr nach einem Hand-inhandgchen mit der Sozialdemokratie aus, wenn er selbst' auchfür den Achtstundentag sei.In der Abstimmung wird das Wort Kürzling mit 16 gegenIS Stimmen angenommen. Nach kurzer Diskussion wird dieForderung von 36 Stunden Sonntagsruhe angenommen. VastorNaumann hatte dazu bemerkt, daß in der betreffenden Reichs-tags-Sitzung die sozialdemokratische Fraktion die einzige war,welche für die vollen 36 Stunden stimmte; alle bürgerlichenParteien hätten dagegen gestimmt.Die Aufnahme des Befähigungsnachweises in das Programmwird abgelehnt. Die Programmberathung schließt mit einerDiskussion darüber, ob neben Förderung der Liebe zu Kaiser undReich auch noch zu„Fürst und Vaterland" gesetzt werden soll,was in der Abstimmung gegen 6 Stimmen angenommen wird.Stadtpsarrer T r a u b- Stuttgart vertritt dann den Antragdes württembergischen Verbandes:„Der Gesammtverband erklärtseine Zustimmung zu den Gedanken, welche Paul Lechler überdie Lösung der Wohnungsfrage in einer Broschüre niedergelegthat. Dabei seht der Gesammtverband voraus, daß dem Arbeiterder ihm in eigenen Angelegenheiten zukommende Einfluß zuer-kannt und gesichert bleibt." Redner bemerkt, daß aus dem Ge-biete der Wohnungssürsorge private Maßnahmen eine Besserungschwerlich erzielen könnten; auch Pastor Bodelschwingh habe ihmmilgetheilt, daß er diese Hoffnung aufgegeben habe.Kandidat Ebert- Hamburg tritt lebhast für Förderung derbereits vorhandenen Baugenossenschaften ein. Jede Lösung derArbeiterwohnungsfrage auf eine andere Weise, als daß den ArbeiternEigcnthum an Grund und Boden gegeben werde, sei verfehlt. DieGelder der Jnvalidenversicherungsanstalten müßten den Baugenossen-schaften gegeben werden. Damit werde sich dann in einigen Jahrensehr viel erreichen lassen. Er wisse, daß bereits mit den Sozial-deniokraten Unterhandlungen gepflogen sind, ob sie dann in dieGenossenschaften eintreten wollten. Auf diese Weise müßten dieSozialdemokraten auf den gesetzlichen Boden gedrängt unddarauf festgehalten werden.Fabrikant Paul L e ch l e r: Die Frage lasse sich auf privatemWege nicht mehr lösen; eine über ganz Deutschland ausgebreiteteOrganisation führe besser zum Ziele. Wo indessen Baugenossen-schaften bereits gegründet seien, da sollten diese auch weiterwirken.Der Antrag Traub wurde schließlich nnt dem Zusatz an-genommen:„Der Ausschuß behält sich vor, der Regelung derGrund- und Bodenfrage besonders näher zu treten. Von demBeschlüsse soll sämmtlichen deutschen Ministerien Kennlniß ge-geben werden.Die Mitglieder, welche dem evangelisch-sozialen Kongreß an-gehören, wurden beauftragt, dahin zu wirken, daß dieser nächstesMal in Süddeutschland zusammentrete.Einem Antrage des Bezirksverbandes Kassel, für nachhaltigestaatliche Unterstützung der Baugenossenschaften einzutreten, wirdzugestimmt.Ebert- Hamburg führt noch aus: die Evangelisch-Sozialenmüßten versuchen, in die fachvereinlichen Organisationen derSozialdemokraten einzutreten, was zunächst durch Vordringen indem Kassenwesen zu geschehen habe. Durch Gründung von Zuschuß-lassen werde man vielleicht im stände sein, die in den Händender Sozialdemokraten befindlichen freien Kassen matt zu setzen.Hierauf wurde eine Kommission von fünf Pfaffen gewähltzur Auswahl neuer Bundeslieder für das Liederbuch der evan-gelisch-sozialen Arbeitervereine. Nachdem dann noch das bisherigegeschäftssührende Komitee wiedergewählt und um einige Mannverstärkt worden war, wurden die Verhandlungen mit dem un-vermeidlichen Gebet geschlossen.Die Angst unserer Gegner vor den geistigen Waffenzeigte sich, für Jedermann ersichtlich, auch wiederum in der am30. Mai Abends im„Eiskeller" zu Friedrichshagen statt-gehabten„Versammlung der konservativen und gemäßigtliberalen Wähler", welche durch das zahlreiche Erscheinender Sozialdemokraten zu einer„großen" geworden war.— Dader gemeinsame Reichstagskandidat der„Konservatiren und ge-mäßigt Liberalen", Prof. Dr. I r m e r, dessen Rede sich nicht imgeringsten über das Niveau der seichten Phrasen der konservativenWah'.literatur erhob, besonders stark in„Antisemitismus" machteund sich dabei— von häufigen Zwischenrufen unterbrochen—schließlich in den gewohnten Anspielungen und persönlichenAngriffen auf Staothagen, Singer u. a. erging, verlangten einigeGenossen, besonders Mitglieder des sozialdemokratischen Wahl-komitees, das Wort. Aber weder eine Erwiderung auf die An-griffe, noch eine allgemeine Diskussion wurde von den„muthiaen"Gegnern zugelassen und die an Professor Dr. Inner unter Ver-sicherung vollster Redefreiheit persönlich gerichtete Einladung,in unserer nächsten Versammlung am künftigen Sonnabend zuerscheinen und dort seine Verdächtigungen und Angriffezu wiederholen, lehnte der tapfere konservativ- liberal-antisemitische Mischmasch-Kandidat von vornherein ab.— Selbstmanchem Anhänger gefiel das Abschneiden der Diskussion nicht.Interessant war noch die Erklärung von Jrmer auf die gelegent-lieh seiner Verherrlichung von Bismarck ertönenden Zurufe hin,daß er nur den Bismarck von 184t1 gemeint habe, nicht denheutigen.— Dies genügt wohl zur Charakteristik. Die Antwortaus solches Gebahren wird am 15. Juni gegeben werden.Von den Antisemiten nimmt das amtliche„TeltowerKreisblatt" keine Inserate mehr auf. Das Kreisblalt erklärt dieswie folgt:„Der Verleger glaubt es mit seiner entschiedenenStellung zur konservativen Sache nicht vereinigen zu können, inden redaktionellen Spalten mit aller Wärme für den konservativenKandidaten einzutreten, und im Jnseratentheil«„gegen Bezahlung"dem Gegner desselben Vorschub zu leisten."— Wir erinnern unsaber— so bemerkt dazu ein anderes Vorortsblatt—, daß nochbis vor kurzem gerade im redaktionellen Theile des„TeltowerKreisblattes" die schönsten Reklaine-Artikel für den Antisemitismuserschienen sind.llnbekanute Wohlthäter, schreibt unS«in Lokalberichterstatter, versehen die Aorortsblätter des NiederbarnimerKreises in diesen Tagen mit Druck-Beilagen, welche sich„Reichskanzler Gras von Caprivi und die Wehrfrage"(aus denReden des Reichskanzlers in der Reichstagssessiou 1892/93) be-titeln. Sehr komisch wirken die einzelnen Kapitel-Ueberschriftendes Druckwerkes, die, sensationell aufgebauscht, lebhaft an dieKapitelanfänge eines Schauerromans erinnern. Da heißt es u. A.:„Tie Funken fliegen über unfern Hof," oder„Väter und Söhne;schwere Zeiten und ein kleines Geschlecht!"„Sollen wir unsereGrcnzprovinzen preisgeben? Vertheidigungskrieg heißt dasSchreckliche des Krieges im eigenen Lande."„Landwehrfrauen,paßt auf! Die verkrüppelte Wehrpflicht."„Ein Beispiel dafür.was wir durch die Verweigerung erreichen. Die Rekruten-mutter."— Als Druck und Verlag dieses sonderbaren Agitations-flugblattes ist W. Möser, Berlin, Stallschreiberstraße 34/SS, angegeben.Auf Veranlassung de» Kultusministers werden im In-stitut für Infektionskrankheiten hierfelbft von Mitte Juni d. I.ab unentgeltliche Vorlesungen für praktische Aerzteüber Cholera abgehalten werden. Jeder Cyklus dieser Vor-lesungen ist aus eine Woche und auf räzlich zwei Stunden be-rechnet. Es können dazu etwa 50 Zuhörer zugelassen werden.Anmeldungen wolle man an den Direktor des Instituts, Geh.Medizinalrath Koch, Chariteestr. 1 Hierselbst, richten.In der Juni-Session deS Schwurgerichts am Landgericht I wird der Landgerichts- Direktor Hoppe den Borsitzführen. Unter den zur Verhandlung anstehenden Sachen befindetsich auch die Anklage gegen den Schriftsteller JohannesBernd t wegen versuchten Mordes. Auch die Anklagesachegegen den Stenererheber K l u t h wird das Schwurgericht nocheinmal beschäftigen, da die Revision des Angeklagten in einigenPunklen von Erfolg gewesen ist.Eine Nacht im Kirchthurme zugebracht haben kürzlichhier fünf Kinder aus der Müllerstraße. Der 17 Jahre alteGymnasiast K., dessen Vater ein in den Ruhestand versetzterEisenbahnbeamter ist, holte am Sonntag Nachmittag kurz vor6 Uhr die 17- und löjährigen Töchter und den 13 Jahre altenSohn des Sekretärs Sch. aus der elterlichen Wohnung zu demGottesdienste in der Neuen Nazarethkirche ab. Ihnen schloß sichdie 17jährige Tochter der Wittwe M. an. Nach dem Gottes-dienste stieg die kleine Gesellschaft mit Erlaubniß eines Kirchen-dieners aus den Thurm bis zur Glvckenstube und ergötzte sich ander schönen Aussicht. Als die Kinder wieder hinabsteigen wollten,merkten sie. daß sie eingeschlossen waren. Sie mußten dahereinige bange Nachtstunden in dem Thurm« zubringen, bis esihnen bei Tagesanbruch gelang, sich nach außen hin bemerkbarzu machen und die Besremng aus dem Thurme zu bewirken.Dem Dienstmädchen Elli B. ist es offenbar ernst umden Selbstmordversuch gewesen, den es vorgestern ausnoch nicht aufgeklärten Gründen gemacht hat. Die B. hat zu-erst eine Dosis Schweinsurter Grün verschluckt, daraus sich diePulsadern aufgeschnitten und ist schließlich ans dem zweitenStockwerk aus den asphaltirten Hof gesprungen, wo man sieschwer verletzt gefunden hat. Als die B. im Krankenhaus ein-geliefert wurde, befand sie sich noch am Leben.In dem Selbstmörder, der am Montag im WestenderForst erschossen aufgefunden wurde, ist der Militäresfektenhändlermid Reisende der Liqueurfabrik von I. Burgheiin Nachfolger inStettin, Otto Nielsen, der mit seiner aus der Ehefrau und zweiKindern im Alter von neun und fünf Jahren bcstehendei,Familie im ersten Stock des Hauses Alte Leipziger-straße 21 wohnte, ermittelt worden. Die Veranlassung zuseinem freiwilligen Tode scheint in dem schlechten Gangeseines Geichatts gesucht werden zu müssen. Nielsen hat oft