dem Boden der Ebokution, der Entwicklung, und deShald wissenwir auch, daß es in der Natur des Kapitalismus liegt, daß erseine eigenen Totengräber erzeugen muß,wie Marx gesagt bat. Daß der einzelne Arbeiter in diesem Kampfeein willenloses Spielzeug ist, daß der freie Arbeitsvertrag, vondem bürgerlich« Politiker soviel reden, ein Märchen aus der-gangenen Zeiten ist, das wird selbst in einer V e r ö f f e n t l i ch u n gdes Kaiserlichen Statistischen Amts über den Tarif-vertrag anerkannt, wo es im Band I Seite 6 heißt:„Nach Aus-Hebung der Zunftverfasiung war der freie Arbeitsvertrag für denArbeiter, was den Inhalt betraf, talsächlich nicht mehr da. DerArbeiter mußte Arbeit annehmen zu den Bedingungen, wie sie ihmgeboten wurden. Will der Arbeiter Einfluß gewinnen auf dieArbeitsbedingungen, so bearf es des Zusammenschlussesmit seinen B e r u f s g e n o s s e n in Organisationen."(HörtI hört l bei den Sozialdemokraten.) Mehr brauchen wir auchunseren Genossen draußen nicht zu sagen, als daß der freieArbeitsvertrag ein Ding der Unmöglichkeil für den einzelnen ist, daßer sich beruflich und politisch organisieren muß, nm Einflußauf die Arbeitsbedingungen zu gewinnen. Der Staatssekretär freilichsieht in dem Zusammenschluß der Massen eine Gefährdung der freienEntWickelung des Individuums, des Rechts auf Persönlichkeit. Nun, wirflnd die letzten, die nicht das schöne Goethesche Wort anerkennen:„Höchstes Glück der Erdenkinder sei doch die Persönlichkeit", aberwie kann man von einer freien Entwickclung des Individuums reden,angesichts dieser vom Kaiserlichen Statistischen Amt selbst zugegebenenTatsache, daß der einzelne Arbeiter keinen freien Arbeitsvertragschließen kann. Die Arbeiter waren nie frei und sind esheute nicht, sondern sie sind im steigenden Maße abhängig vomKapitalismus, sie sindein Anhängsel der Maschine geworden,wie Marx sagt. Und nicht allein die Arbeiter werden in dieserWeise vom Kapital vergewaltigt. Immer größere Schichten desVolkes werden proletarisiert. Trotz aller Liebeserklärungen desGrafen W e st a r p und seiner Freunde wird der Mittel st andzerrieben, die Zahl der Selbständigen geht zurück, die Zahlder Abhängigen nimmt zu.Die Großbetriebe haben von 189S— 1S07 zehnmalmehr zugenommen, als die Kleinbetriebe, wobei zu beachtenist, daß die Großbetriebe mit Hilfe der Maschinen nach den amt-lichen Darlegungen über Arbeitskräfte verfügen, die zehnmal so großsind, als die der Mittel- und Kleinbetriebs zusammengenommen.(Hörtl hörtl bei den Sozialdemokraten.) Ebenso groß wie in derIndustrie ist die Proletarisierung im Handel. 1882waren 42 Proz. der im Handel Beschäftigten selbständig, 1S02 nurnoch 29 Proz. Aber trotz alledem will man den Mittel-stand retten durch allerlei kleinliche Vorschläge, durch Mätzchen,wie aus dem famosen Eingeständnis des Fürsten Hohen-lohe hervorgeht, der in sein Tagebuch schrieb, alser von Verhandlungen des Reichstages über die Handwerker-organisationcn kam:„DaS Gesetz über die Handwerkerorganisationenist ein ziemlich törichtes Gesetz. Wenn aber die Hand-werker Zwangsinnungen haben wollen, so soll man sie ihnen geben."(Hörtl hörtl bei den Sozialdemokraten.) DaS ist docheine direkte Berhöhnung der Handwerker.Da war doch der jetzige Staatssekretär ehrlicher, alz er 1910sagte, er gehe mit einem gewissen Herzklopfen an die Erörterung der MitlelstandSsrage heran, weil er sich der außerordent-lichen Schwierigkeiten dieser Frage bewußt sei. Dabei handelt essich nicht um die Not des alte» Mittelstandes gegenüber der er-drückenden Konkurrenz des Großkapitals, sondern es kommt nun auchnoch der neue Mittel st and auf. die Privatangestellten, dievon einer halben Million im Jahre 1382 auf zwei Millionen 1907gesprungen sind. Während sich m derselben Zeit die Bevölkerungum 3b Proz. vermehrt hat, haben sie sich um 300 Proz. vermehrt.(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Ueber die Hälfte der An-gehörigen dieses neuen Mittelstandes hat unter 1800 MarkEinkommen, also kaum das Existenzminimum, und bei denFrauen ist es noch schlimmer, da habe»92 Proz. anter 1800 M. Einkommen.(Hörtl hörtl bei den Sozialdemokraten.) DaS ist ja kein Wunder,die zunehmende Proletarisierung deS Mittelstandes infolge derKonzentration des Kapitals zwingt die Söhne und Töchter desMittelstandes in das Erwerbsleben und infolge des immer größerwerdenden Angebots auf dem Arbeitsmarkt stehen die Löhne in garkeinem Verhältnis zu dem, was zur Existenz gebraucht wird. DieKonzentration des Kapitals nimmt so schnell zu, daß diejenigen, dieimmer gegen unsere AlkumulationStheorie eifern, eigentlich durchdie Praxis läng st von der Wichtigkeit unserer Be-hauptung überzeugt sein müßten, daß die Kluft zwischenBesitzenden und Besitzlosen immer schärfer wird. Man weist uns auf dieStatistik der preußischen Sparkassen hin, man erwähnt aber dabeinicht, daß drei Viertel aller dieser nur 600 M. Einlage haltenund daß diese drei Viertel nur ein Zehntel der Gesamt-einlagen ausmachen, während das eine Viertel der Bücher mit über600 M. Einlage neun Zehntel der Gesamteinlage ausmachen. DaSbeweist, daß es nicht die kleinen Leute find, die die großen Summensparen.(Sehr wahr I bei den Sozialdemokraten.) Ferner behauptetman uns gegenüber, daß die preußischen Steuerlisten ergeben, daßdie unteren Schichten der Steuerzahlendcn immer größer würden,ebenso die Zahl derer, die in eine höhere Stufe aufsteigen.DaS soll beweisen, daß sich die Einkommenverhältnisse derunteren Schichten der Bevölkerung verbessern. Diese schöneTheorie hat nur ein großes Loch. In Wahrheit kommt dieserscheinbare Zuwach« der Einkommen von der größeren Not. Dasklingt wie Unsinn, wie ein Widerspruch, aber es ist doch richtig, daßdie größere Wohlhabenheit von der größeren Not kommt. Weilnämlich das Einkommen der Männer zur Bestreilung der Lebens-bedürfnisse nicht mehr reicht, deshalb werden in steigendem Maßedie Frauen und Töchter mit zur Arbeit heran-gezogen(Sehr wahr I bei den Sozialdemokraten), und da dasEinkommen der Frau nicht selbständig versteuert, sondern zu demEinkommen des Manne« hinzugeschlagen wird, sieht eS nun mireinem mal so aus, als wenn das Einkommen derMänner gestiegen sei.(Sehr gut I bei den Sozialdemo-kraten.) In Wahrheit ist das Einkommen der Männer gefallen.gleich geblieben oder gering gestiegen, aber bei dengestiegenen Lebensmittelpreisen reicht es nicht mehr an« zur Durchführung der Lebenshaltung und daher müssen Frauen, Töchterund Sühne, die früher nicht mitarbeiteten, zur Arbeit heran-geholt werden. Wie sich die Verhältnisse bei derFrauenarbeitgeändert haben, beweist folgendes Beispiel: 1891 heißt eS in einervon der badischcn Regierung ausgenommenen Untersuchung über dieLage der arbeilenden Klassen in Baden:„Die Frau arbeitet s a stniemals in der Fabrik, sie ist nur ganz ausnahmsweise inder Lage, zur Erhöhung der Einnahmen beizutragen." 1911 hat die-selbe badische Regierung eine ähnliche Enquete aufgenommen, undda heißt es jetzt:„Mit wenigen Ausnahmen kann sich die Familienur dadurch halten, daß zu der Einnahme des Mannes nochNebeneinnahmen durch Mitarbeit von Frau undKindern kommen".(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.)Also nach 20 Jahren alles völlig auf den Kopf gestellt, d i eFamilie zerstört, die ja angeblich nach Ihren Behauptungenvon uns zerstört werden soll, durch den Kapitalismus. JedeStatistik beweist, ja die ungeheure Zunahme der Frauenarbeit. Diese Zunahme geschieht doch nicht etwa au« Ueber-mut, au« Zeitvertreib, sie geschieht aus Not. ESist die Not, die auch die Mehrzahl der bürgerlichenFrauen hinauslreibl auf den Arbcilsmarkt. Wenn der Kongreßund die Ausstellung der bürgerlichen Frcmen im ZoologischenGarten auch zum Teil gestützt sein mag von denen, die sich ausder Sklaverei deS frühereu patriarchalischen Verhältnisses befreienund ihrem Leben einen geistigen Inhalt geben wollen, so wird dochder größte Teil der bürgerlichen Frauen durch die Not, durch da«geringere Einkommen der Eliern dazn bsrankaßi, hinauszugehenund einen Erwerb zu suchen.(Sehr wahr I bei den Sozial-demokraten.) Dieselbe hohe Dame, die einst das Wort prägte,Kirche, Kinder, Küche, Kleider füllten das Leben der Frau aus, hatja jetzt auch diese Ausstellung besucht und damit zugestehen müssen,daß der Kampf des Lebens über Küche, Kinder, Kirche, Kleiderhinausgeht und die Frau in das Eriverbsleben zwingt,wenn sie nicht zugrunde gehen will.(Sehr wahr! bei den Sozial-demokraten.) Dazu kommt, daß durch die Steuern und Zölledie Ernährung des Volkes eine immer schlechterewird. Wenn eine Familie von fünf Köpfen nach den Vorschriften,die da? Reichsmarineamt zur Ernährung der Marinesoldaten heraus-gegeben hat, leben wollte, so würde sie allein für Ernährung1700 M. ausgeben müssen, d. h. insgesamt ein Einkommenvon etwa 8000 M. haben müssen. Freilich, der„ChristlicheKinderfremid" hat ja ein sehr einfaches Rezept dafür empfohlen. Ersagt:„Wir spüre» von der ganzen Teuerung nichts, wir esseneinfach kein Fleisch. Die Welt ißt nicht nur zu viel Fleisch,si« ißt überhaupt zu viel. Wenn anstatt 14 Tage 365 Tage imJahre Fastenzeit wäre, so stünde es unendlich viel bester."(Heiterkeit und Hörtl hört! bei den Sozialdemokraten.) Die Notist nicht wegzuleugnen, sie erstreckt sich sogar auf die Schichtender Beamten, obwohl diese es noch immer bester haben alsdie Arbeiter. Ich erinnere an die Verhandlungen deS ersten deutschenUnterbeamtentageS im November vorigen Jahres, den die Herrenvon der Regierung so wenig gern gesehen haben, und an dieVersammlung in Magdeburg, wo die Unterbeamten er-klärten, weniger gelbe' Knöpfe, aber mehr Lohn müßten siebekommen.(Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten.) Selbstder Minister Vitztum von Eckstedt in Sachsen hat in seinerEröffnungsrede zum Hygienekongrcß aiierkannt, daß ein Not-st a n d besteht. Er sprach auch von der Wohnungsnot, dieeS mit sich bringt, daß in Berlin 600 000 Menschen in Wohnungenleben, wo auf ein Zimmer fünf und mehr Köpfe kommen. DaS isteine Folge des Bodenwuchers, der auch mit dem ganzenWirtschaftssystem zusammenhängt, einmal mit demerbärmlichen Dreiklasscnwahlsystem in den Gemeinden,mit dem Hausbesitzerprivileg und dann damit, daß der Boden auchals Ware behandelt wird, trotz aller ethischen Bedenken, die mandagegen äußertz Die Wohnungsfrage ist nicht als Sonderfrage zulösen, sondern nur im Zusammenhang mit der Gesamtverbesserungder Lage der arbeitenden Klassen.(Sehr wahr l bei den Sozial-demokraten.) Aus alledem ergibt sich, daß nicht von einem Bremsender Sozialreform die Rede sei» kann, sondern daß wir auf allenGebieten des Reichsanits des Innern eine hundertfach ver-stärkte Tätigkeit entfalten müssen, um auch nuretwa« von dem nachzuholen, was in den ganzen Jahren versäumtist. Statt dessen sehen tvir, daß man nicht vorwärts arbeiten will,sondern gegen die Arbeiter wirtschaitlich und politisch vorgehen will.Die Gewerkschaften, dies notwendige Produkt unserer ganzenVerhältnisse, ohne die nach dem Kaiserlich Statistischen Aint dieArbeiter überhaupt keinen Arbeitsvertrag abschließen können,sollen vernichtet und zerstört werden. In seinerAbschiedsrede hat sich der Führer d e r S ch a r f m a ch e r, HerrB u e ck, klar dahin ausgesprochen, es sei unerschütterliche Absicht,die Gewerkschaften niederzuzwingen, zu zerschlagen, zu vernichten.(Hört I hört I bei den Sozialdemokraten.) Vor den Wahlen spuktedie Strafprozeßnovelle, während der Wahlen beteuerte man, ankeine Ausnahmegesetze zu denken, und gestern sind im sächsischenLandtag unter Führung eines konservativen Abgeordneten An-träge eingebracht worden, die die sächsische Regierung im Bundes-rat als Voischläge für eine neue Zuchthauövorlage vertreten soll.(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Nun könntendie Herren sich ja bei unserem Kollegen, dem Grafen Posa-d o w s k h, darüber Belehrung holen, wie es mit so einer Zuchthaus-Vorlage geht.(Heiterkeit bei den Sozialdemokraten.) Gras Posa-dowsky ist ja inzwischen zur Einsicht gekommen, daß mit solchenGesetzen nicht gegen die Arbeiter vorgegangen werden kann, aber erkann eS nicht hindern. daß er als Kronzeuge von denen auf-gerufen wird, die dieselben Wege wandeln wollen, die er seiner-zeit gegangen ist. Nun gibt eS Unterschiede bei den Scharf-machern. Die einen verlangen ganz brutal Ausnahme-g e s e tz e, die anderen sagen wie gestern Herr S ch i f f e r e rvon den Nationalliberalen im Abgeordnetenhause: Wirbrauchen keine Ausnahmegesetze, zum Schutze der Arbeits-willigen genügt die rücksichtslose Anwendung der be-stehenden Gesetze.(Abg. Ledebour: DaS hat auch GrafW e st a r p gesagt.) Daß die Nationalliberalen sich die Konservativenzum Muster nehmen, wissen wir ja. Diese Leute sagen sich eben,wie der sagenhafte Müller von Sanssouci: ES gibt noch Richterin Berlin. Sie meinen, eS wird schon Richter geben in Sachsenund Preußen, die imstande sind, aus Grund der bestehenden GesetzeSchreckensurteile zu fällen, die weit über die Absicht derGesetzgeber hinausgehen. Solche Urteile können wir Ihnen täglichdutzendweise zusammenstellen. Dort, wo eS sich„bloß"um Leben und Gesundheil der Arbeiter handelt, werdennichtswürdig geringe Strafenüber Unternehmer verhängt, die sich gegen die Arbeiterschutzgesetzeversündigen(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten), aber wehe demArbeiter, der sich in den Maschen der heutigen Gesetzgebung versängt.Nun, wir werden all diese Versuche abwarten. Wir haben die felsen-feste Ueberzeugung, daß sie an dem gesmiden Sinn der Arbeiterklasseund der geschichtlichen Notwendigkeit in sich zufammeufallen werden.Was Sie auch versuchen mögen, Sie werden auf Granit beißen.(Lebhafte Zustimmung bei den' Sozialdemokraten.) Wir wissen, daß,wenn Sie von dem Schutz der Arbeitswilligen sprechen.von der Freiheit der Arbeiter, e-S sich um den Schutz desUnternrh»! erprofits und um die Freiheit der Ausbeutung handelt(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten), und wir wissen, daß dieAnhänger dieser Anschauung von der äußersten Rechtenbis zu der Grenzlinie zu finden find, die unsereFraktion von allen anderen scheidet. Ich erinneredaran, daß in einer Delegiertenversammlung des Hansabundes ge-äußert wurde:„Die Industrie leidet unter den hohenArbeiterlöhnen, unter den Schikanen einer über-triebenen Arbeiterschuygesetzgebung."(Hört! hört Ibei den Sozialdemokraten.) Und Herr R i e ß e r erklärte, das Tempoder Sozialpolitik dürfe nicht so sehr beschleunigt werden.Hat doch auch Herr B a s s e r m a n u erst neulich von einer„maß-vollen besonnenen" Sozialpoliiik gesprochen.Aus das Maß kommt es an. Wer soll das Maß bestimmen?Die Arbeiterklasse oder das Unternehmertum? Soll das Maß be-stimmt werden durch das Fortschreiten der Kultur oderdurch das Fortschreilen des Profits? Das sind die beidenGegensätze, die sich gegenüberstehen. Von der kleinsten Verbesserungan, die wir heute als ganz selbstverständlich betrachten, hat dasUiiternebinerlum jeden Fortscheitl auf dem Gebiete des Arbeiter-lchutzes bekämpft. Und Iva« wir überhaupt an Arbeiterschutz haben,daß wir nicht 16 Stunden arbeilen, daß Frauen und Kinder nichtden ganzen Tag beschäftigt werden dürfen, alles dies istgegen den Willen des Unternehmertums durchgesetztworden. Bei jedem klenisten Bei langen hieß eS, wenn daS durchgeführt wird, dann müsse» ivir die Fabriken schließen. Redner(iest zum Beweise eine Stelle au« einem älteren Schriftstellervor. in der ei heißt, daß durch die Einführung deS ArbeilerschutzeSdie Industrie von der Konkurrenz des Auslandes überwuchert werdenwürde, und fährt fort, diese Stelle stammt aus dem Jahre 1843, midzwar von dem berühmten englischen Historiker Maeaulay. DamatSalso wurden schon dieselben Gründe vorgebracht wie jetzt, obgleichdoch in der Zwischenzeit allerlei Arbeiterichutzinaßregeln eingeführtworden find— die Lage ist ja etwas besser geworden, das leugnenwir ja nicht—, ist die Industrie nicht zugrunde gegangen, dieVerelendung der Massen nicht in dem Maße fort-eschritten, wie sie fortgeschritten wäre, wennie Sozialpolitik nicht geweseu wäre.(Sehr richtig Iei den Sozialdemokraten.)Wir haben nun eine Reihe �on Anträgen gestellt, umIhnen zu zeigen, was wir als dringend notwendig erachten, und wasunserer Auffassung nach schon jetzt ohne weiteres eingeführt werde»könnte. Andere Redner meiner Fraktion werden ja auf Einzelheitennoch zurückkommen, aber im allgemeinen sind die Fragen ja schongenugsam behandelt. Da ist zunächstder Maximalardeitstag»wir fordern dieachtstündigeArbeitszeit; diese Forderungwird ihnen heute nicht mehr so lächerlich vorkommen, wie es früherwar, wir verlangen, daß sie für alle Betriebe ein-geführt wird. Je mehr die Arbeitszeit verkürzt wird,desto mehr wird die Industrie gezwungen, zu höherenBctriebsformen, zu einer feineren Technik überzugehen.Wenn Menschenfleisch nicht so billig wäre, so hätten wirschon längst eine weiter entwickelte Technik, so hätten� wir schon längstmehr arbeitsparende Maschinen. Dies wird bestätigt durch eineSchrift, die aus dem Reichsamt des Innern kommt; allerdingshandelt es sich dabei— um den Katalog zur Turiner Weltausstellung,da steht ganz deutlich drin, daß man die Erfahrung gemacht hat,daß eine Verkürzung der Arbeitszeit eine Zunahmeder Produktion mitfich gebracht hat, nicht eineAbnahme. Das ist das, was wir seit Fahrzehnten gepredigt haben.Wir verlangen Ruhepausen bei der Arbeit. Wir verlangen auchRuhepausen, die tagelang dauern, also Ferien, Urlaub mitvoller Fortzahlung des Lohnes. Die kaiserlicheWerft in Kiel, die ein hochqualifiziertes � Arbeiterpersonalbraucht, hat bereits Ferien eingeführt, und sogar in der T e x t i l-i n d u st r i e finden wir einzelne Betriebe mit mehr als 10 000 Ar-beitern, die Ferien eingeführt haben; aber das sind Wohlfahrts-einrichtungen, die immer einen unangenehmen Beigeschmack haben.(Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten.) Deshalb verlangen wirgesetzliche Einführung von Ferienim Sommerhalbjahr von zwei Wochen. Wenn Sie auch jetzt nichtsdavon wissen wollen, die Zeit wird kommen, wo Sie dieser Forderungnähertreten müssen.— Wir verlangen ferner besseren Schutzgegen dieUnfälle. Man sagt freilich. Unfälle gehörten zur Naturmancher Betriebe. Aber jeder Techniker weiß, daß die Natur eines jedenBetriebes so umgestaltet werden kann, daß die Unfälle vermiedenwerden. Die Unfallvorrichlungen allein helfen freilich auch nicht;denn wenn der Arbeiter zu sehr a b g e a r b e i t e t ist, um genaunoch auf seine Arbeit achten zu können, dann passiert trotz allerVorrichtungen ein Unfall. Aber viele neue Unfallvorrichtungen ließensich schaffen. Ich Hab- schon vor f ü n f z e h n I a h r e n diesemHause eine Schutzvorrichtung vorgeschlagen, die das Hinaus-fliegen von Webeschützen verhindert. Jahrzehntelanghat man gesagt, das ginge nicht, und doch handelt es sichum ein einfaches Mittel. ES muß nur daS Anbringen von Netzenzwischen dem Webstuhl und dem Arbeiter vorgeschrieben werden. Dashaben wir vor 15 Jahren verlangt und jetzt heißt eS im Gewerbe-auffichtSbericht M ü n st e r, daß solche Netze eingeführtworden sind. Warum werden sie nicht für daS ganze DeutscheReich durch BundeSratSverordnung vorgeschrieben?(Sehr richtig ibei den Sozialdemokraten.) Dann verlangen wirbesseren Schutz in der chemischen Industrie.Je mehr die unglaublichsten Stoffe in der Industrie verarbeitetwerden, desto notwendiger ist ein Schutz gegen chemische Ein-Wirkungen, ein Schutz vor den Gewerbekrankheiten. Leider hatder Bundesrat es abgelehnt, die Gewerbekrankheiten generell alsUnfälle zu bezeichnen, nur in gewissen Fällen darf eine Gewerbe-krankheit als Unfall bezeichnet werden. Gegen die Gewerbekrank-Hessen ließe sich noch unendlich viel tun. Das Arbeitsamt inBasel, das unter besonders vortrefflicher Leitung steht, hat ganzausgezeichnete Vorschläge hierfür ausgearbeitet, aber bei uns imReich werden diese Vorschläge nicht durchgeführt. Nichts geschiebt,nicht einmal für die Frauen; ja noch mehr: Wo Be-stimmungen vorhanden sind, die einen Schutz gewähren können,werden sie nicht durchgeführt, und der Bundesrat ist bereit, un-genügende, schädliche Bestinimungenlfür Jahre long zu verlängern.Eine solche Verordnung betrifft das T b o m a s-Schlackenmehl, dasder Landwirtschaft großen Nutzen gebracht hat, aber denen, die eSherstellen müssen, schweren Schaden bringt: die Arbeiterwerden krank. Endlich kam im Jahre 1899 eine BundcSratsverord-nung, aber sie war ungenügend: daS Reichsamt des Innern hattebeabsichtigt, für die Thomasschlacken-Jndustrie den Achtstundentageinzuführen, aber daS Unternehmertum setzte den Zehnstunden-t a g durch.(Hört I hört! bei den Sozialdemokraten.) 10 Jahrespäter, im Jahre 1909, wurde für die ThomaSschlacken-Jnduftriezwar das Schutzalter von 16 aus 13 Jahre hinauf-gesetzt, aber der Zehnswndentag ist geblieben. Jetzt ist eineneue Verordnung gekommen, die, wenn man sich durch das Amts-deutsch hindurchwürgt, sich damit zu begnügen scheint, feste Säckevorzuschreiben. Das ist ja ganz nützlich, aber da« genügt dochnicht. Wie der Gewerbeinspektorenbericht Trier beweist, ist in derTbomasschlackenindustrie ein sehr hoher Prozentsatz von Arbeiternkrank, obgleich ein jährlicher Wechsel von 500 Proz. stattfintzet, sodaß viele Arbeiter wohl erst in der nachfolgenden Stellung krankwerden. Dabei ist das jetzige Verfahren, daß das Thomasmehl ge-mahlen wird, gar nicht notwendig. Professor MathesiuS inCharlottenburg hat ein Verfahren angegeben, daß da« Thomasmehlunter einem Dampfdruck von 12 Atmosphären hergestellt wird, ohnegemahlen zu werden. Der Düsieldorfer Gcwerbe>nspeklorcnberichtbegrüßt das neu« Verfahren mit Freude, meldet dann aber 1906,daß von dem neuen verfahren wieder Ab st and genommensei. und zwar deshalb, weil ein mächtige» Syndikat, das dieThomaSschlockenindustrie beherrscht, sich beim ReichSamt de' Innernfür das alt« Verfahren eingesetzt hat.(Widersprucham BundesratStisch.) Ich habe schon vor einiger Zeit in unsererZeitschrift„Die neue Zeit� darauf hingewiesen,ohne daß darauf eine Erwiderung gekonnnen wäre, undich vertraue auch auf die Autorität deS Professor MathesiuSund des Düsseldorfer GewerdeinipektorenberichteS. Ichwill nicht länger auf Einzelheiten eingehen, aber einen Punktmuß ich noch hervorheben. das ist das ablehnende B e r-halten de« Bundesrats gegenüber den Beschlüssen desReichstages. Wir haben ja da das umfangreiche Heft bekomnien,in dem die Beschlüsse deS Bundesrats zu den Beschlüssen de« Reichs-tageS abgedruckt sind, aber aus allen denen heraus hört man nurdas schroffe„Nein I". z. B. hören wir aus der Zelluloid-industrie alle Augenblicke von schrecklichen Unfälle». DerReichstag hat eine Resolution angenommen, Schutzmahregelnfür das Deutsche Reich zu treffen, der Bundesrot abererklärt, daS müsse man den Einzelstaalen überlassen. Aberin der Mehrzahl der Einzeistaaten haben die Arbeiter„nix to seggen",dafür sorgt das Wahlrecht. Das Reich soll zu weisschichtig sein,aber ist Oesterreich nicht auch ein großes Gebiet mit verschieden-artige» Gegenden. Warum geht den» da die einheitliche Regelungfür die Zelluloidindustrie? Und so ist eS auf allen Gebieten. Indem verdienstvollen Buch, das der Deutsche Metall-arbeiter-Verband herausgegeben hat, werden z. B. für dieMetallichleifercien Schutzmaßcegeln vorgeschlagen. DerReichstag hat sich für solche ausgesprochen. Der Bundesrat weist auchdieies Gebiet an die Bundesstaaten. Am 17. März 1910 hat der Reichstagbeschlossen, Arbeiter zur Baukontroll« heran zu-ziehen; der Bundesrat leinet ihm keine Folg«.(Hört! hörtl beiden Sozialdemokraten.) Und ebenso liegt es auf allen anderen Be-bieten, z.B. betreffend das Reichs wohnungsges�tz, dasKoalitionsrecht der Landarbeiter, bei allen möglichenDingen, die schon längst spruchreif find! Wenn da nicht» zustandekommt, so liegt eS daran, daßder gute Wille fehlt.Und nicht einmal die-bestehenden Arbeiterschutzgesetze werdendurchgeführt, weil die G e w e r b e a u f> i ch t eine mangelndeist.(Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten.) Seit zwei JahrzehntenHab« ich die unangenehme Aufgabe, die Mängel der GewerbeaufsichtHervorzuheben. Gewiß ist eS besser geworden, aber demgegenüber.was gejcheheu könnt«, geschieht viel»» weniO. Bon 1902 bis