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Hua dem neuen Hlbamen. Tis Londoner Boischafterkonferenz ist noch immer damit be- schäftigt, für den par oräre �loul'ci geschaffenen albanischen Staat die besten Grenzen berauszutüfteln, und wenn man dann noch einem stellenlosen Prinzen aus irgend einer europäischen  Fürstenfamilie die neugebackene albanische Krone, unter Umständen eine sehr ungesunde Kopfbedeckung, aufgesetzt hat, dann ist in Glanz und Gloria das neue Albanien fertig. Wer sich freilich über Bestand und Dauer diesesselbständigen" Staatswesens be- rechtigten Zweifeln hingibt, wird in seiner steptischen Auffassung sehr durch ein Büchlein bestärkt, das eine wirkliche Kennerin des Landes und seiner Verhältnisse, Maria Amelie Freiin o. Gobi   n*), soeben hat erscheinen lassen. Die Beobachtungen, die die Verfasserin wiedergibt, und ihre Auffassung von der Lage sind um so wertvoller, als sie der offiziellen Albanerpolitit des Wiener   Ballplatzes durchaus freundlich gegenüber steht und sogar eine begeisterte Freundin des neuen Staates ist. Aber auf der anderen Seite ist sie zu ehrlich und scharfblickend, um die tausend Bedenklichkeiten, die dieser künstlichen Netortenschöpfung der Bot- schafterkonferenz anhaften, zu übersehen oder zu vertuschen. Da- bei beschränkt sie sich durchaus auf die inneren Schwierigkeiten, läßt die große Politik ganz aus dem Spiel und erörtert gar nicht die Frage, ob nicht sehr bald die imperialistische Expansionspolitik Oesterreichs   und Italiens   derSelbständigkeit" Albaniens   den Garaus gemacht wird. Aber davon abgesehen, erwachsen schon aus der willkürlichen Abgrenzung des neuen Staates die bedrohlichsten Hemmnisse für seine ungestörte friedliche Entwickelung. Als Frau v. G o d i n in Valona   eingeschlossen ist und von den Verhandlungen der Bot- schafterkonferenz aus unverbürgte und spärliche Nachrichten zu ihr dringen, betont sie, wie wertvoll der Besitz der Gaue von Kossowo für den neuen Staat sein muß.Kossowo, in dem die gesündesten, tapfersten und tüchtigsten albanesischen Stämme ansässig sind, Kossowo wird Albanien   nicht entbehren können, und ich bin über- zeugt, daß es, falls beispielsweise Prizrend, Djakowa, Jpek oder Mitrowitza von Albanien   ausgeschlossen würden, zu erneutem Krieg und blutigen Kämpfen zwischen Albanesen und Serben kom- men würde, daß also dadurch die Ruhe auf dem Balkan   aufs neue zur Illusion gemacht würde." Inzwischen hat die Grenzregulierung wirklich Kossowo mit Prizrend, Tjakowo, Jpek und Mitrowitza Serbien zugesprochen; ein wenig tröstliches Bewußtsein für alle, denen die Ruh« auf dem Balkan   und der Welifricden am Herzen liegt! Aber auch das albanische Volk bietet nicht gerade eine sichere Bürgschaft für das Wachsen, Blühen und Gedeihen des alba- Nischen Staates. Mit einem gewissen Recht unterscheidet Frau v. G o d i n hier drei Schichten von recht verschiedener Art. Ein- mal die breite Masse des Volkes, die neun Zehntel aller Albaner umfaßt und in den unzugänglichen Bergnestern der unwirtlichen Gebirge haust. Sie steht auf einer äußerst niedrigen Stufe der Entwickelung, ist von jeder auch nur primitiven Zivilisation Welten- weit entfernt und geht ganz jn den engsten Stammesinteressen aus. Schon die Unwegsamkeit des Landes und der gänzliche Mangel an Verkehrsmitteln treibt jedes Torf und erst recht jeden Stamm in einen partikularistischen Stumpfsinn hinein, der nichts ahnt und nichts wissen will von dem, was ein paar Meilen weiter vorgeht. Im Ljumagebiet zum Beispiel, dessen Bewohner Frau v. G o d i n den besten und tapfersten albanischen Stämmen zuteilt/ war man bei Ausbruch des Balkankrieges dem Ruf der türkischen Regierung zu den Waffen nicht gefolgt, weil man mit gesundem Mißtrauen eine Falle witterte. Zlls dann einige Wochen später die Abgeord- neten der albanischen Städte bereits nach dem Süden zogen, um in Valona   die provisorische Regierung zu bilden, wurden sie von den Ljumesen mit der erstaunten Frage aufgehalten, ob es denn wahr sei, daß der Sultan einen Streit habe. Dabei war damals Prizrend, nur wenige Stunden vom Ljumagebiet, schon von den Serben genommen! Aus der Waldursprllnglichkeit der sozialen Verhältnisse geht der Diebstahl als ökonomisches Hilfsmittel und die Blutrache als einzig mögliche Form der Selbstjustiz hervor. Der Albaner stiehlt mit der Unbefangenheit eines alten Spartaners, und wer die Ge- »)Aus dem neuen Albanien  ". Politsche und kulturhistorische Skizzen. Von Marie Amelie Freiin   v. Godin. Verlag von Josef Roller. Wien  .' Cm 1et2tes Nlort. Nach uns fragt! nicht nach unserm Gefühl, das wir an euch nicht verzettelt. Kampf, wenn ihr wollt, und Kampfesgewühl! Gefordert wird, nicht gebettelt! Wir haben euch so reich beschenkt mit Gründen, uns tief zu Haffen: Der Proletar, der furchtlos denkt, will sich nicht beugen lassen. Und habt ihr wirklich einen Mann niedergehetzt und gebrochen e i n letztes Wort wird irgendwann mit euch von uns allen gesprochen! Karl Zielke. Oer �evolwrjurift Es ist morgens, so kurz vor neun Uhr. Einer regnerischen, stürmischen Nacht ist ein grauer, trübseliger Tag gefolgt. Dichte Wolkenmassen hängen fast bis auf die Dächer herab und versperren dem Sonnenlicht den Zugang zu seiner eigentlichen Wirkungsstätte. Unablässig plätschert der Regen auf die Dächer und die Straßen- dämme nieder. Draußen vermag es nicht recht hell zu werden und in den Wohnungen ist alles in ein Halbdunkel gehüllt. Auf dem Korridor eines Gerichtsgebäudes drängt und schiebt sich ein Menschenknäuel durcheinander. Fast alle hatten sie eine Vorladung zu einer Gerichtssitzung in der Hand, die eben beginnen soll. Uniformierte Gerichtsdiener eilen mit Akten bepackt hin und her. Trübselig, wie das Wetter, ist die Stimmung der meisten Menschen, die sich hier versammelt haben. Kein ausgelassenes,'fröh- liches Wort wird laut. Plötzlich verstummt auch das leise Stimmen- gewirr. Alle weichen beiseite, um einem Trupp von Menschen Platz zu machen, der, von zwei Gefangenenaufsehern begleitet, auf dem Korridor erscheint. Der voranschreitende Aufseher reißt die Tür, die zum Sitzungsraum des Schöffengerichts führt, auf und läßt die Gefangenen eintreten. Von den draußen Harrenden blicken die einen mitleidig, die anderen gleichmütig auf die Gefangenen, die. einer nach dem andern in dem Schöffengerichtssaale verschwinden. Als der letzte hinter der Tür verschwunden war, folgen ihm auch die beiden Aufseher. Sie placieren die Gefangenen auf die beiden Anklagebänke, Auf der ersten fünf, auf der zweiten vier. legenheit. des Nachbars Hammel mitgehen zu heißen, versäumte, wäre bald in der ganzen Gegend als Trottel und Blödian ver- schrien. Ter Blutrache aber fällt nach wie vor ein rundes Drittel der männlichen Bevölkerung zum Opfer. Frau v. Godin erzählt zwei bezeichnende Stückchen. Jn Mawrowa steht das Haus des Hüssai, das sich mit einer anderen Sippe seit Jahrzehnten in Blutsfehde befindet. Vor zehn Jahren lebten noch dreißig Männer aus der Sippe der Hüssai heute nur noch ein Greis und ein Kind, alle anderen hat die Rache weggerafft,und wenn der Greis und das Kind sich nicht sehr hüten oder wenn in Albanien   nicht sehr rasch andere Verhältnisse eintreten, werden auch die Tage dieser beiden Letzten gezählt sein". Ein anderer Bluträcher, der seinen Bruder zu rächen hatte, tötete den Mörder durch einen Schutz aus dem Hinterhalt, schnitt der Leiche die Hand ab und brachte sie seiner Mutter als Beweis erfüllter Pflicht.Die F r a u," erzählt die Verfasserin,schnitt der Hand einen Finger ab, briet ihn im Kaminfeuer, ihn und trauerte nicht weiter um ihren toten Soh n." Dieser breiten Masse des Volkes, die doch eigentlich für den neuen Staat die feste Grundlage abgeben müßte, fehlt jedes natio- nale Zusammengehörigkeitsgefühl. So viele Köpfe, so viele Sinne, so viele mächtige Beis, so viele Gefolgschaften oder Parteien! Zwar ist diese Masse des Volkes stets bereit, zur Flinte zu greifen, wenn sie Steuern zahlen soll oder wenn sie sich durch den angekündigten Bau einer Eisenbahn bedroht glaubt, aber bei keinem ihrer zahl- reichen Aufstände gegen die Türkenherrschaft hatte sie das Ziel eines befreiten und selbständigen Albanien   vor Augen. Als 1912 bei der großen Versammlung der Aufständischen in Kossowo die zu den Rebellen übergegangenen türkischen Truppen das Scheriat, das mohammedanische Religionsgesetz, verlangten, riefen auch die katho- tischen Miriditen stürmisch:Wir wollen das Scheriat!", so wenig wußten sie, worum das Geschrei überhaupt ging. Und der Sohn eines Albanerführers fragte ein Mitglied der provisorischen Regie- rung in Valone ganz treuherzig:Albanien  , was ist das, kommt das in Italien   zu liegen?" Aber wenn diese Masse des Volkes zwar erschreckend roh und unzivilisiert ist, so setzt sich dafür die zweite, in den Städten an- sässige Schicht fast nur aus verlumpten Subjekten zusammen, die ein paar Brocken westeuropäischer Bildung aufgeschnappt haben, jedem nach dem Munde reden, für einen Schnaps jedem feil sind und meist als verächtliches und verachtetes Schmarotzerpack um den reichen Hochadel herumlungern. Nun glaubt Frau v. Godin bemerkt zu haben, daß diese verderbten Parasiten sich anschickten, im neuen Albanien   die große Rolle zu spielen, und in der Tat be- darf man ihrer zur Ausführung einer allgemeinen politischen Aktion, denn sie haben die Fühlung mit dem Volke, die der hohe Adel und die Intelligenz für Albanien   gleichbedeutende Begriffe, da nur der Angehörige der besitzenden Autokratie sich in west- europäischen Großstädten Bildung erwerben kann, während die Masse des Volk»«? aus Analphabeten besteht längst verloren haben. Diese Handvoll Adliger aber sind, von ein paar Großhändlern in den Hafenstädten abgesehen, die eigentlichen und einzigen Träger des nationalen Gedankens, der hier wie überall in wirtschaftlichen Notwendigkeiten wurzelt, nämlich in der Sehnsucht nach ruhigen Verhältnissen,so daß es auch albanesischen Grundbesitzern, wie sonst allen Grundbesitzern der Erde, wergönnt sein würde, den Er- trag ihrer Güter selbst einzuheimsen, albanesischen, großen und kleinen Handelsleuten, Ausfuhr und Einfuhr berechnen zu können, ohne daß ihnen durch Boykott, Krieg, Blockade und andere derartige Segnungen die Frucht ihrer Mühen entrissen würde". Diese dünne Schicht des Hochadels war es denn auch, die in Valona   vor ein paar Monden die nationale albanische Fahne hißte und die provisorische Regierung zusammentrommelte, die freilich eine recht buntscheckige und zweifelhafte Sippe zu sein scheint. Ihr unbestrittenes Haupt ist der bekannte Ismail Kemal   Bei, ein alter schlauer Fuchs, von dem Frau v. Godin mit zarter Um- schreibung sagt, daß er, mit der Begabung fürgroßzügige Finanz- geschäfte", es stets verstanden habe,aus seinen Beziehungen auch mit auswärtigen Nationen Nutzen zu ziehen". Der Minister des Innern, Müfid Bei Libohovo, war immer, auch unter tür  - kischer Herrschaft, bestrebt, seine Person zur Geltung zu bringen und sich eine angesehene Stellung zu sichern. Ter Finanzminister Abdi Bei Toptani zeichnet sich dadurch aus, daß er ein Amt bekomemn hat, für das ihm, nach seiner eigenen Erklärung, jede, aber auch jede Vorbereitung und Vorbildung fehlt. Der Unter- Es sind alles sehr verhungert und verhärmt aussehende Gestalten. Einige tragen Gefangenenkleidung, die übrigen ihre eigene, sehr defekte Kluft. Jn dem Saal ist es trotz der hohen großen Fenster ebenfalls noch nicht hell geworden. Gegen die Fensterscheiben plätschert der Regen. Die Gefangenen blicken, bewacht von den Aufsehern, teils gleichgültig, teils mißmutig vor sich hin. Es sind junge und alte Männer, wie gemeinsame Not sie zusammengewürfelt hat. Ein ganz junges Bürschchcn, wohl kaum achtzehn Jahre alt, blickt traurig und niedergeschlagen vor sich hin. Angst und Schrecken malen sich in seinen Gesichtszügen. Er ist zum erstenmal in seinem Leben an Gerichtsstelle erschienen. Frohen Mutes ist er vor einigen Monaten auf die Wander- schaft gegangen. Jetzt ist er wegen Bettclnshochgegangen". Als er so dasitzt, kommen ihm die Tränen in die Augen. Ein älterer Mann, der neben ihm sitzt, stößt ihn an und sagt: Jungchen, heule doch nicht, den Kops wird et nicht kosten." Da ist jedoch schon der eine der Ausseher aufgesprungen.Ge- sprachen wird hier nicht," gebietet er. Fast in demselben Augenblick hat sich eine Seitentür geöffnet. Der Richter, die beiden Schöffen, der Amtsanwalt und der Gerichts- schreib« treten ein. Wie auf Kommando erheben sich die Gefangenen von den An- klagebänken. Gleich darauf beginnt die Verhandlung. Auf den Zuhörerbänken haben inzwischen einige Neugierige Platz genommen. Der Richter blättert eine Weile in den Akten.Ferdinand Weiß, Former," ruft er dann. Auf der ersten Anklagebank ruft ein kräftig aussehender Mann in den besten Jahren:Hier." Sie sind wegen BettelnS und LandstreichenS angeklagt," sagt der Richter. Landstreichen tu ich nicht," erwidert der Former.Ich suche Arbeit." Schon gut, das kennen wir schon," sagt der Richter.Eine Woche Haft wegen Bettelns. Wollen Sie die Strafe annehmen?" Der Former beißt auf die Zähne. Er weiß sich keinen Rat. Ja oder nein, wenn Sie Berufung einlegen, bekommen Sie vielleicht noch mehr," sagt der Richter streng.«So kommen Sie nach acht Tagen raus." Ich nehme die Strafe an," sagt der Former mit leiser Stimme. Verzichtet auf Berufung," wendet sich der Richter an den Gerichtsschreiber. Wieder blättert er in den vor ihm liegenden Akten. Franz Gutjahr, Tischler," ruft er dann. Auf der Anklagebank erhebt sich ein alter müder.Greis. Sein Haar und Bart sind stark ergraut. Sie sind unverbesserlich," fährt der Richter fort.Der Mann ist sechsunddreihigmal wegen Bettelns und. LandstreiHenS vorbe-. richtsmimster Gurrakuqjihat in Florenz   Naturwissenschaften studiert, ohne daß man von besonderem Erfolg dieser Studien ge- hört hätte". Ter Justizminister P o g a hat von der Rechtswissen- schaft nicht mehr Ahnung als jeder Laie. Der Minister für Acker- bau und Handel, Pandelitschali, versteht von seinem Ressort so viel wie der Justizminister von dem seinen, und so geht es durch alle Posten durch. Aber auf die persönlichen Eigenschaften kommt es hier gar nicht so sehr an. Wäre Ismail Kemal   Bei ein unbestechlicher Staatsmann, Müfid Bei Libohovo ein aufrechter Charakter, Abdi Bei Toptani ein Finanzgenie und P o g a ein tief- gründiger Rechtsgelehrter, noch immer wäre es dann e i n Ding, denn die Hauptsache ist, daß die provisorische Regierung einen Minister des Innern ohne Verwaltungsapparat umfaßt, einen Unterrichtsminister ohne Schulen, einen Justizminister ohne Ge- richte, einen Finanzminister ohne Budget und einen Kriegsminister ohne Heer. Tie ganze provisorische Regierung schwebt dergestalt, ohne Rückhalt in den Volksmassen, völlig in der Luft und ist sich dessen auch wohl bewußt, denn, schreibt Frau v. Godin: Man mutz das spöttische Lächeln gesehen haben, mit dem die Minister selbst etwa sagten:Ich muß ins hohe Ministerium!" oder mit dem sich etwa ein anderer erkundigte:Haben Sie heute Seine Majestät schon gesprochen?", um richtig zu verstehen, daß im Grunde alle diese Männer die gleiche Meinung hatten, wie jener von ihnen, der vor mir lachend sagte:Was sind wir doch für eine Maskerade!" So wird das ganze neue Albanien   nur eine Maskerade sein, aus der freilich für Europa   eines Tages schauerlicher Ernst werden kann, wenn in diesem vor wenigen Jahren noch unbekannten Erden- Winkel die Interessen Serbiens  , Montenegros  , Oesterreichs   und Italiens   auseinanderprallen. Schmutz und freiheit. Die Unterrichtskommission der französischen  Deputiertcnkammer hat einen Antrag angenommen, der die Wiedereinführung der Theaterzen für bezweckt. Der Polizei soll das Recht zustehen, Stücke, die das Verbrechen ver» herrlichen, oder Stücke, die die Sitten gefährden, zu verbieten. Man muß den Parisern im allgemeinen lassen, daß sie in ihren öffentlichen Darbietungen der Erotik einen Spielraum lassen, der sehr oft bis zur zügellosen Ausschweifung geht. Wenn man hört, daß in gewissen Theatern Schauspielerinnen so gut wie nackt auftreten, ohne daß man von einer Wiedereinführung der Theater- zensur gehört hätte, muß man den Pariser   Machthabern schon eine gewisse Weitherzigkeit auf diesem Gebiete bescheinigen. Wenn jetzt die Wiedereinführung der Theaterzensur geplant ist, muß die Entwickelung zu einem Zustand geführt haben, der in seiner erotischen Frechheit unhaltbar geworden ist. Die Tendenzen, die von dem französischen   Antrag getroffen werden sollen, sind nun indessen auch bei uns vorhanden. Tie Verherrlichung des Verbrechens hat sich freilich vorläufig mehr im Kino und in der epischen Schundliteratur ausgelebt, die ersten Ansätze einer Verbrecher d r a m a t i k aber haben wir auch schon er- lebt, und die Spekulation in erotischen Schlüpfrigkeiten floriert so glänzend, daß viele Bühnen überhaupt nur von ihr leben. Die Freunde der Freiheit haben darum auch bei uns allen Grund über die französische   Meldung einen Augenblick nachzu» denken. Wenn jene Tendenzen selbst in Paris   die Aufhebung der Zensurfreiheit herbeiführen konnten, werden sie die Ein- f ü h r u n g eben derselben Freiheit bei uns schwerlich erleichtern. Man könnte darauf erwidern:Aber mein Gott, gerade auf dem Gebier der erotischen Schlüpfrigkeiten läßt unsere feudale Zensur ja eine wohltuende Toleranz walten. Streng ist sie nur gegen Arbeiterbühnen und ern st hafte Kun st werke." Das stimmt. Aber eben weil die Literaten der erotischen Schlüpfrigkeit sich einer gewissen polizeilichen Duldung erfreuen, sollte jeder Demokrat mißtrauisch werden. Warum toleriert die Polizei sie? Weil sie das Publikum entnerven und weil ein entnervtes Publikum auch im politischen Kampf entnervt sein wird. Wenn das Innere durch Ibsen   oder TolstoisMacht der Finsternis" oder HauptmannsWeber" aufgerüttelt wird, kann die politische Harm- losigkeit leicht Schaden nehmen; in den Kokottenstücken aber lernt straft," sagt der Richter, zu den Schöffen gewandt.Sechs Wochen Haft und Ueberweisung an die Landespolizeibehörde," diktiert er dem Gerichtsschreiber. Der Amtsanwalt und die Schöffen nicken. Auch der Angeklagte sagt nichts. Er ist auf den Standpunkt angelangt, wo ihm alles egal ist. Als nächster kam der junge Mann ran, dem vorher schon die Tränen in die Augen traten. Der Fall liegt ja eigentlich milde," sagt der Richter.Aber solch ein junger Mensch soll arbeiten. Drei Tage Haft." Jetzt stürzten dem jungen Menschen die Tränen wie Gießbäch« hervor. Zu sagen wußte er nichts. Sind Sie einverstanden oder wollen Sie Berufung einlegen?" fragte der Richter. Der junge Mann schwieg. Er kämpfte mit sich. Erstens sitzen Sie länger und zweitens, weniger bekommen Sie nicht." Die Worte des Richters klangen hart und streng. Der junge Mann machte eine nickende Kopfbewegung. Was blieb ihm auch übrig? Einverstanden" diktierte der Richter dem Schreiber. Schnell waren dann noch ein paar Mann abgeurteilt. Vi�r- zehn Tage, drei Wochen und eine Woche setzte es, immer wegen Bettelns. Als nächster folgt Walter Müller, Schmied," sagte der Richter, während er in den Akten blätterte. Der Angeklagte erhob sich. Sie sind ebenfalls wegen Bettelns angeklagt," wandte sich der Richter an ihn. Ich habe andere Menschen zur Befolgung eines christlichen Gebots angehalten," erwiderte der Schmied ruhig. Was haben Sie?" fuhr ihn der Richter an. Der Schmied verlor seine Ruhe jedoch nicht.Es steht doch in der Bibel, wohlzutun und mitzuteilen vergesset nicht; denn solche Opfer gefallen Gott   wohl," sagte er. Nach der Bibel haben wir hier nicht zu fragen, sondern nach dem Gesetz." kreischte der Richter.Gebettelt haben Sie. Vorbe- straft sind Sie auch. Also eine Woche Haft. Wollen Sie Berufung einlegen? Ja oder nein?" Sie sind ja der richtige Revolverjurist." erwiderte der Schmied mit fester aber ruhiger Stimme. Jetzt brauste der Richter wutentbrannt auf. Sein Gesicht ver- färbte sich rot. Die Adern an den Schläfen quollen auf. Solch eine Frechheit." sagte er. Und nach einer kurzen Pause fuhr er fort:Ter Mann kriegt drei Tage Hast wegen Ungebühr vor Gericht. Er ist sofort zur Verbüßung dieser Strafe abzuführen." Mit erhobenem Haupt folgte der Schmied dem Aufseher, der ihn abführte._. Der Richter beruhigte sich während der ganzen Sitzung nicht. Der Ausdruck Revolverjurist hatte ihn tief verwundet. Er war ihm Sll die Nieren gegangen.