treidezöllen auf de« Zolltarif bo « I90Z geantwortet. Rußland dat auf den Getreideexport angewiesen ist, das nur etwa 3 Proz seiner Getreideausfuhr zurück einführt, umgibt sich mit Zollmauern! Die erste Nachricht darüber klang so seltsam, daß man geneigt war den Versicherungen der russischen Regierung und der ruffischen Agrarier Glauben zu schenken, daß eS sich zunächst bloß um ein PressionSmittel gegen das deutsche Exportprämiensystem handele Immer mehr wird es aber klar, daß es stch tatsächlich um eine reine schutzzöllnerische Maßnahme handelt. Tie russischen Schutzzöllne find mit dem jetzigen Handelsvertrag mit Deutschland unzufrieden und benutzen die Getreidezölle als Sturmbock im Kampf gegen Deutschland . Die russischen Industriellen hoffen, dadurch sich den Weg zu neuen Zollerhöhungen frei gemacht zu haben. Sie haben aber Geister emporgerufen, die sie nicht mehr werden beherrschen können... Die russischen Agrarier sind mit dem Handelsvertrag von 190S höchst unzufrieden. Sie behaupten, daß die deutschen Zollerhöhungen ihnen nicht nur die Einfuhr nach Deutschland erschwert, sondern selbst den Markt in neutralen Ländern strittig gemacht haben. Es hat deshalb seit einiger Zeit unter ihnen eine lebhafte Bewegung zugunsten einer Tarifrevision eingesetzt. Natürlich könnte sie nur in der Richtung vor sich gehen, daß Rußland seine Industrie- und Deutschland seine Agrarzölle und zum Teil auch die Zölle auf russische Rohstoffe herabsetzen sollen. Um dieser tarif reformerischen Agitation den Boden abzugraben, haben die russischen Andustriellen die Einführung von Getreidezöllen vorgeschlagen. ES soll nämlich auch in Rußland ein gemeinsames Interesse die Agrarier mit den Schwerindustriellen verbinden. Da aber zunächst die zentralrussischen Landwirte an Getreidczöllen kein Interesse haben, so sind die russischen Müller vorgeschoben worden, denen die westrussischen Müller, die mit billigem deutschem Getreide arbeiten Konkurrenz machen. Die Getreidezölle find daher zunächst nur als «in Kampfmittel gegen die deutschen Exportprämien verteidigt wor den.. Ihr eigentlicher Sinn ist aber von vornherein der gewesen, den Weg für neue und erhöhte Jndustriezölle frei zu machen. Nun hat sich aber der russische Adel der Sache angenommen, und man darf wohl voraussagen, daß er auf seine Rechnung besser kommen werde als die jetzigen Treiber des Agrarschutzes. Wie es in Deutschland einst der Fall war, daß man zunächst den Agrariern bloß ein Linsengericht gegeben hat, aus dem dann allmählich die fette Suppe geworden ist, so daß heute die Industriellen in Deutsch - land tatsächlich als die Geprellten dastehen, so werden sich die Ver Hältnisse auch in Rußland entwickeln. Zwar werden die Getreide zölle auf die inneren Preise vorläufig keinen Einfluß ausüben. Aber auf Wunsch des Adels baut die Regierung in beschleunigtem Tempo Getreidespeicher , auf die gestützt die russischen Agrarier eine Wucher- Politik nach dem Muster ihrer deutschen Kollegen treiben werden Die Getreidezölle sind nur ein Glied in der Kette der zahlreichen Maßnahmen der ruffischen Regierung zugunsten des Adels. Die Genarrten werden nicht die russischen Agrarier, sondern die Jndu ftriellen, und die Leidtragenden das Volk, die Bguern und die Ar beiter sein. Selbst in der deutschen demokratischen, nicht allein in der reaktiv- «är-agrarischen Presse konnte man in der letzten Zeit lesen, daß Ruß land eine bauernfreundliche Politik treibe. Die russische Regierung «in Bmiernfreund! Dabei steht es fest, daß sämtliche Maßnahmen der Regierung vom„Rate des vereinigten Adels" vorgeschrieben werden. Selbst die Stolypinsche Agrar.reform" ist, wie kein Gc- ringerer als der berühmte Soziologe M. K o w al'e w Sly, auf .Grund der Protokolle des Adelskongresses festgestellt hat, in allen Details vom Adel ausgearbeitet und der Regierung zur Durchfüh- rung vorgelegt Wörden. Der Erbfeind der russischen Bauern, der Adel, wird nun in der deutschen „demokratischen" Presse als Baucrnfreund gelobt! Oder die„Bauernbank", die den Adel in den Jahren 1905 bis 1907 vor dem sicheren Bankrott gerettet hat und die dem Adel noch jetzt ungeheuerliche Preise zahlt, wird als «ine nachahmungswerte Institution empfohlen. Es ist natürlich hier nicht der Platz, die agrarpolitischen Maßnahmen der russischen Regierung zu analysieren. ES sei bemerkt, daß man schon ganz verblendet sein muh, wenn man nicht nur den Untersuchungen der russischen Genossen, sondern auch solchen von russischen Bauern� freunden, wie die„Volkstümler" sind, weniger Glauben schenkt, als denen der reaktionären agrarischen Schriftsteller, die eine Lustreise durch Rußland gemacht haben und denen man Potemkinsche Dörfer gezeigt hat. Unsere Leser dürfen wir wohl auf die interessante und mit guter Sachkenntnis geschriebene Untersuchung O g a n o w S- k h S in dem Sombartschen Archiv vom vorigen Jahre ver- weisen, der als russischer Bauernfreund den wirklichen Wert der Stolypinschen Reform doch richtiger zu schätzen versteht, als die Agrarier um den Prof. Serin g. Das aber nur nebenbei.— Worauf es uns ankommt, ist, festzustellen, daß auch mit den Agrar- zöllen dieselbe Politik wie mit der Stolypinsche«„Reform" verfolgt wird, nämlich die Stärkung des Adelsbesitzes. Deshalb haben aust die bäuerlichen Abgeordneten der Duma dagegen ge- stimmt, von den Sozialdemokraten ganz abgesehen. Es ist leicht einzusehen, daß big russischen Bauern aus Ge- treidczöllen keinen Nutzen ziehen können. Wird ihr Wert selbst für die intensiv und sür den Markt wirtschaftenden deutschen Bauern mit vollem Recht bestritten, so gilt dies um so mehr sür Ruh- land, wo die große Masse der Bauern nicht einmal im- stände ist, aus dem Besitz ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Ein russischer agrarischer Schriftsteller, auf den sich Oganowsky in dem erwähnten Artikel beruft, Z ü r st K u d a s ch e w, hat festgestellt, daß eine Bauernwirtschaft mit 6 Dessjätinen(6,56 Hektar) mit Verlust arbeitet; erst ein Besitz von 8— 10 Dessjätinen kann unter Umständen einigermaßen eine Bauernfamilie ernähren. Einen Borteil aus hohen Getreidepreisen dürfen also bloß Baurrnwirt- schaflen mit über 10 Dessjätinen Land ziehen. Man bedenke, daß die Ernteerträge in Rußland nicht mal die Hälfte der deutschen ausmachen, und daß dort Wald und Wiese einen viel größeren Umfang annehmen. Zwar macht fich ein Fortschritt nach der Rich- tung der Intensivierung des Betriebes bemerkbar, aber nur in den größeren Befitzklassen. Außerdem kann dieser naturgemäß nur sehr langsam, erst in Jahrzehnten zu bedeutenderen Resultaten füh- ren. Unter den günstigsten Voraussetzungen also könnten nur Wirt- schaftcn, die mehr als 10 Dessjätinen Land besitzen, irgendwelchen Nutzen aus Agrarzölle« ziehen. In Kleinrußland machen diese Bauernwirtschaften IL Proz., im südwestlichen Gebiet 10 Proz., im zentrallandwirtschafttichen«wa ZO Proz. und im Durchschnitt von ganz Rußland 33 Proz. aller Wirtschaften aus. Hohe Getreidepreise können folglich auch in Rußland nur einem winzigen Teil der Bauernschaft zugute kommen. Auf der anderen Seite stehen aber die alle mit hohen Getreidepreisen verbundenen Schäden, wie die unvermeidliche Bodenpreissteigerung und die Erholjung aller Warenpreise, unter denen auch die Bauernwirtschaft stark leiden muß. Um so weniger können sie von hohen Zöllen etwa? erwarten. Denn dem Großgrundbesitzer wird es, auf den staatlichen Bankkredit gc- stixtzt, wohl unter Umständen möglich seine, eine Spekulation a la Hausse mit seinem Getreide zu treiben, die Zeit abzuwarten, wenn der russische Markt von einheimischem Getreide entblößt sein und ihnen das Getreide zu hohen Preisen abnehmen wird. Der ruffische jvemer kann aber unter dem Druck der ungeheuerlichen Steuerlast und der hohen Dodenpreise und Hypotheken sein Getreide nicht in seine Scheune«inholen, sondern ist gezwungen, es lange noch, bevor eK reif ist, an den Händler zu verkaufen. Nicht für ihn werden die Getreidespeicher gebaut, noch die Zölle eingeführt. Dem völlig bankrotten Adel sollen neue Millionen Steuergelder geschenkt wer- den, ihm soll die Massenauspowerung erleichtert werden. DaS ist der Sinn der Geireidezöllc. Wie wird sich nun der Handelsverkehr zwischen Deutschland und Rußland unter dem Einfluß der russischen Geireidezöllc gestalten Schon jetzt wird gemeldet, daß«ine Reihe von Mühlen an der West- lichen Grenze Rußlands , die billiges deutsches Getreide vermählt haben, ihren Betrieb einstellt. Der Weg nach Rußland ist für den ostdeutschen Roggen tatsächlich gesperrt. Deutschland hat an Roggen nach Rußland und Finnland ausgeführt: 1906/1910: 131 000 Tonne« 1911: 178 000, 1912: 126 000 und 1913: 231 000 Tonnen. ES ist un- gefähr ein Viertel der gesamten deutschen Roggenausfuhr. Der übrige Teil geht hauptsächlich nach Dänemark , Holland , Norwegen usw. Diese vier Länder allein haben 1910: 4,35 Millionen Tonnen Roggen eingeführt. Es ist also gar nicht ausgeschlossen, daß der deutsche Roggen dem russischen auf diesen Märkten jetzt um so mehr Konkurrenz machen werde. Die Folge wird aber dann wahrschein lich sein, daß auch die russischen Agrarier Exportprämien fordern und erhalten werden. Die tollen Zeiten des Wettbewerbs mit prämiiertem Zucker werden jetzt auf dem Getreidcmarkt wieder kehren, indem die nördlichen Länder ihr Vieh mit deutschem und russischem Roggen füttern werden, der dem einheimischen Volke vorenthalten wird. Der allgemeine Gctreidehandel zwischen Rußland und Deutsch - land stellt sich nach den russischen offiziellen Prblikationen wie folgt Es wurde ausgeführt Getreide(Weizen, Roggen, Mais, Hafer Gerste, Hirse, Buchweizen, Mehl usw., sowie Hülsenfrüchte) in Millionen Pud(zu 16,4 Kilogramm): 1896/1900 1901/1903 1906/1910 1911 Die Ausfuhr, die Im ganzen nach Deutschland nach Holland 444.2 89.1 6gL 608.9 126.8 112.1 615.3 174.9 123.2 824.1 290.9 182.9 nach Holland " angegeben wird, geht in Wirklichkeit ebenfalls nach Deutschland . Die gesamte Kussuhr hat sich fast verdoppelt, die nach Deutschland und Holland aber verdrei facht, so daß sie von 36 Proz. auf 4L Proz. in den Jahren 1906/10 und 55 Proz. der Gesamtausfuhr im Jahre 1911 gestiegen ist. W I Die Einfuhr von Getreide(ohne Hülsenfrüchte) nach Rußland ist relativ noch stärker gestiegen: von 1,6 Millionen Pud in den Jahren 1896/1900 auf 15,6 und 21,5 Millionen Pub in den Jahren 1906/10 bezw. 1911, davon aus Deutschland OB und 7,78 bezw. 7,96 Millionen Pud. Rußland ist also in erster Linie auf Deutschland angewiesen, und es ist blauer Dunst, wenn die Herren Industriellen den russischen Agrariern einzureden versuchen, Rußland könne leicht andere Märkte für sich finden. Zuerst nordamerikanischcs, jetzt argentinisches Getreide hat das russische aus England und den anderen offenen Märkten verdrängt. Auch in Deutschland ist die Einfuhr von russischem Weizen relativ zurückgegangen: von 42,9 Prozent 1896/1900) auf 38 Proz.(1906/10) und auf gar bloß 24 Proz. im Jahre 1912, während sich der argentinische Weizen von 14,2 au' 27,8 Proz. und im Jahre 1912 auf 24 Proz. deS gesamten ein- geführten Weizens gehoben hat. Jede Erschwerung der russischen Einfuhr nach Deutschland kann daher den völligen Verlust des deutschen Markte» leicht zur Folge haben. Dagegen ist die Getreide einfuhr auS Deutschland nach Rußland doch noch relativ gering:«in Zwanzigstel der Ausfuhr nach Deutschland . <?» ist ferner zu beachten, daß Deutschland kaum in der Lage sein wird, seinen Roggencxport nach Rußland in den nächsten Jahren in gleichem Matze wie in den vorhergehenden zu steigern. Der Ausdehnung des RoggenbaueS sind gewisse Grenzen gesetzt. Man darf wohl auch annehmen, daß die Einsuhrscheine doch auf gehoben und folglich die Exportprämien wegsallen werden. Schon heute wird durch sie der einheimische Markt entblößt und sie rufen daher den weitgehendsten Widerstand hervor. Ferner machen ver- chiedenc Länder gegen sie Einwände. Beim Abschluß von neuen Handelsverträgen wird man nicht mehr auf ihnen bestehen können. Andererseits wird Rußland noch lange auf die Getreide ausfuhr angewiesen sein. Nicht, daß Rußland einen wirklichen Getrcideüberschuh produziere; nein, das russische Volk hungert selbst und führt dennoch aus. Die Getreideausfuhr ist auch keine wirtschaftliche Notwendigkeit, wie die» die russischen Imperialisten behaupten. Ohne sein Milliardenbudget könnte Rußland eine gewaltige Industrie entwickeln und einen inneren Markt für das Getreide schaffen. Da aber die Rüstungsausgaben ungeheuere Summen verschlingen, und zur Aufnahme von immer neuen Schulden zwingen, so wird Rußland noch lange auf den Getreide export angewiesen sein, um seine Zinsen an das Ausland zahlen zu können. Ist es aber dann klug, sich die ausländischen Märkte zu versperren? Der vom Adel diktierte nationalistische und agrarische Kurs hat schon zur Kündigung des Handelsvertrage» zwischen Ruß land und den Vereinigten Staaten geführt; jetzt werden die Handelsbeziehungen auch mit Deutschland erschwert. Wird wenigstens die russische Industrie davon Vorteil ziehen können? Keineswegs. Rußland hat sehr hohe Jndustriezölle. In den neuen Handelsverträgen von 1906 wurden sie noch erhöht. Trotz dem kaust es in steigendem Maße Fabrikate im Auslände. Die Einfuhr dieser ist von 1902 bis 1912 um 150 Proz. gestiegen. Ein ach aus dem Grunde, weil die russische Industrie schon aus Mangel an Kapital und an geschulten Arbeitern die Maschinen gar nicht selbst herzustellen vermag, die sie selbst braucht. Wurde an Maschinen 1902 für 51,5 Millionen Rubel eingeführt, so kellte sich der Maschinenimport 1912 auf 146,2 Millionen Rubel, also auf fast das Dreifache. Selbst Rohstoffe und Halbfabrikate kann Rußland nicht ausreichend produzieren. Zum Teil deshalb, weil die Produktion dieser Gegenstände syndiziert ist, d. h. ab- ichtlich eingeschränkt wird, so daß die Regierung selbst vorschlagen mußte, Roheisen und Naphtha zollfrei einführen zu lassen. Unter normalen Verhältnissen würde daher Rußland einen ehr guten Markt für Deutschlands Industrie darstellen. Die Ausfuhr nach Rußland ist voN'.l908 bis 1913 von 460,2 auf 879,9 Millionen Mark gestiegen, hat sich also beinahe verdoppelt, während die GesomtauSsuhr von 6,4 auf 10,1 Milliarde oder bloß um rund 60 Proz., die Ausfuhr nach Europa allein von 4,94 auf 7,68 Milliarden oder gar'nur um 66 Proz. gestiegen ist. Die deutsche Industrie hat also große» Interesse an der Erhaltung des russischen Marktes, ebenso wie umgekehrt die russische Landwirtschast auf den Markt angewiesen ist. In Deutschland wird aber die Handels- Politik von den Agrariern diktiert; und die russischen Agrarier wollen dem Beispiele ihrer deutschen Kollegen folgen. In der Duma wurde mit den gleichen Argumenten wie im Reichstage für Agrarzölle gesprochen: den Agrarzölle« habe angeblich Deutsch - land seine landwirtschaftliche Blüte zu verdanken; man müsse daher den gleichen Weg gehen. In Wirklichkeit steht bei unö die Sache so, daß der Fleiß und die Intelligenz der deutschen Ar- beiter über die Hemmnisse gesiegt haben, die der wirtschaftlichen Entwickclung durch die Agrarzölle gesetzt wurden. Was die Landwirtschaft selbst betrifft, so macht stch der Schaden dieser Politik schon jetzt in den enorm gestiegenen Bodenpreisen und der starken Verschuldung bemerkbar. Man kann schon jetzt sicher sagen, daß die deutsche Landwirtschaft einer schweren Kriiis entgegentreibt. In Rußland werden die Agrarzölle und die Ge- treidespeicher, verbunden mit der„Nationalisierung des Kredits". die Landwirte zu Getreidespekulationen im großen Maßstab ver- leiten, die naturgemäß nicht anders enden können wie alle Speku- lationen bis jetzt geendigt haben, nämlich mit einem großen Krach. Die Erhöhung der Jndustriezölle wird andererseits die Macht der Kartelle noch festigen, die Entwickelung der Industrie aber nur hemmen und dem Handelsverkehr beider Länder im höchsten Maße schaden. Mus öer Partei. Gegen de» Polizeikurs. In zahlreichen Protestversammlungen beschäftigte fich in den letzten Tagen die Arbeiterschaft Württembergs mit der immer stärker anwachsenden Bedrückung der Arbeiterschaft durch Polizei und Justiz. Die Versammlungen waren durchweg glänzend besucht und von einem frischen kampfeSfteudigen Geiste beseelt. Die Stuttgarter Parteigenossen nahmen am Sonnabendabend in einer glänzend be- suchten Versammlung Stellung zu dem auch in Württemberg immer mehr Eingang findenden reaktionären Polizeigeist. Nach einem Referat des Genossen Westmeyer, der den Versammelten den ganzen Komplex reaktionärer Machenschaften vor Augen führte. wurde unter lebhaftem Beifall die folgende Willenserklärung an- genommen: Die heute im Dinkelackerschen Saalbau Versammelten erklären: Die Arbeiterschaft ist gewillt, mit den schärfsten Mitteln, wenn eS sein muß. mit dem.Massenstreik, ihr Recht zu ver- teidigen und die Angriffe der Reaktion abzuwehren. Sie begrüßt freudig den Beschluß der Berliner Parteigenolsen, zur Erringung neuer demokratischer Recht« und zur Abwehr der Reaktion den Maffenstreik zu propagieren. Zur kraftvolleu Durchführuug deS Kampfe» ist notwendig der feste Zusammenschluß aller derjenigen. die unter dem Drucke des ausbeuterischen Kapitalismus leiden, die Stärkung unserer politischen und gewerkschaftlichen Organisafton, die gründlichste Aufklärung und die Erziehung der Arbeiterschaft zu klassenbewußten Kätnpfern. Die Befreiung der Arbeit kann nur das Werk der Arbeiterklasse selbst sein. Sozialdemokratie und Kaiserhoch. In einer Parteiversammlung für DreSden-Altstadt legi« Genosse Gradnauer seine Haltmrg in der Kaiserhoch-Sngelegen- heit dar. Er gehört zur Minderheit der Fraktion. In der lebhaften Debatte traten alle Redner Gradnauer entgeg en. All- gemein wurde dem Wunsche Ausdruck gegeben, daß die Diskussion über das Kaiserhoch möglichst bald zu Ende gehe, da die Partei sich mit ihr näher liegenden Dingen besser beschafftgen könne. Mehr- fach wurde ausgesprochen, daß die FraktionSbeschlüsse auch eingehalten werden müßten und daß die Mehrheit der Genossen zweifellos auf der Seite der Mehrheit der Fraktion stehe. Eine Resolution, die daS Sitzenbleiben beim Kaiserhoch billigt, wurde, da die gepflogene Aussprache genüge, aus Wunsch der Versammlung zurückgezogen._ Aus den Organisationen. Der am 21. Juni in Witten abgehaltenen Gcncralversamm- lung des Wahlkreises B o ch u m- G e l f e n ki r ch c« wurde der Geschäftsbericht vorgelegt, aus dem hervorgeht, daß die Mit- aliederzahl im vergangenen Jahre um 778 zugenommen hat. Sie betrug 6698, darunter 1486 weibliche.� Die geringe Zunahme wird darauf zurückgeführt, daß an die Stelle der nach dem Norden und Westen deS Jndustriebezirks auswandernden einheimischen Arbeiter fast ausschließlich Zuzügler aus dem Osten treten, denen der OrganisationSgedanke meist vollständig fehle. Im Geschäfts- jähre wurden die Beiträge der männlichen Mitglieder von 10 Pf. wöchentlich auf 25 Pf. zweiwöchentlich erhöht und für die weiblichen Mitglieder unter Gratislieferung der„Gleichheit" von 6 Pf. auf 16 Pf. Ein kleiner Prozentsatz ging durch die Er- hühung verloren. Die Rote Woche brachte 1031 Mit- glieder und 934 Volksblattabonnenten. ES wurden 43 öffentliche Volks- und 16 öffentliche Frauen» Versammlungen abgehalten. Flugblätter wurden 686 800, Bro- schüren 21 000, Frauenzeitungen 12000,„Gleichheit" 9000 und die Monatsschrift„Wahrheit" in 67 200 Exemplaren verbreitet. Es wurden 148 Mitgliederversammlungen und 144 Vorträge ge- halten, außerdem beteiligten sich an 3 Kursen zu je 4 Abenden rund 400 Personen. Die Einnahmen betrugen einschließlich 8409 M. Bestand 42 265 M., die Ausgaben 29 780 M., davon an den Parteivorstand 4529 M.) und an den Bezirk Westl. West- falen 2667 M.i, so daß ein Bestand von 12 686 M. verbleibt. Tie Zahl der Gemeindcvertretcr betrug an 16 Orten 27. Ein Antrag: Die Generalversammlung wolle an den Parteitag den Antrag stellen, die Abonncntcnvcrsicherung in eigener Regie ftär die Parteiprcsse einzuführen, wurde nach ein- gehender Diskussion mit 36 gegen 24 Stimmen abgelehnt. Ein weiterer Antrag: Die Generalversammlung möge beschließen, an den Parteitag den Antrag zu stellen, in einen verschärften Wahlrecht«- kämpf einzutreten und Mittel und Wege zu suchen, um einen möglichen politischen Massenstreik auch mit Erkolg durchzuführen, wurde gleichfalls abgelehnt. « Die Kreis Versammlung für den 2. württ. Wahlkreis, die am 21. Juni in Cannstatt tagte, beschloß mit großer Mehrheit die Anstellung eines Krcissckretärs, der je zur Hälfte vom Kreis und vom LandeSvorstand besoldet wird und bei der Erledigung der Geschäfte deS Landessekretariats mitwirken öll, soweit ihm die Arbeit im 2. Kreis Zeit dazu küßt. A!S Sekretär wurde der seitherige KreiSvorfitzendc Fischer- Cannstatt getvästtt. Eine Resolution, die auf die verschärften politischen Kämpfe hinweist und den Berliner Beschluß betr. Propaganda des Massenstreiks begrüßt, wurde a n g c n o in m c n. Eine weitere Resolution, die das Sitzenbleiben der Reichstags- fraktion beim Kaiserhoch billigte, wurde durch II ebergang zur Tagesordnung erledigt, da man in dieser Frage dem Partei- tag nicht vorgreifen will. Beschlossen wurde, ,m ganzen Wahlkreis den Zehnpfcnnig-Wochenbeitrag dutchzuftihren. Als neuer Kreisvorsitzendcr wurde G rö tz i n g c r- Cannstatt gewählt. Zum Parteitag sollen vier Delegierte und zwar durch Uradstiin- mung gewählt werden. » Auf der WablireiSkonfereuz Darmstadt - «ronzerau waren 33 Orte durch 47 Delegierte vertreten. Räch dem Bericht de» PartetsekretärS Genossen Raab hat sich durch die letzten Gemetndewahlen die Zahl der sozialdemokratischen Gemeinde- Vertreter von 73 aus 93 erhöht, die sich auf 31 Orte verteilen. Die Zahl der Parinmitglieder beträgt 3847, gegen 8508 im Botjahr. Davon find 168 weibliche Mitglieder. Für die Jugendpflege hat ein J?! eingesetzter KreiS-JugendauSschuß wirksam mitgeholfen. D,e Zahl der Abonnenten deS„GolkSfreundeS" ist»m rund 370 auf In der längeren Diskussion wurde von ländlichen Genossen Kritik an der Redaktion grübt, insbesondere Mängel am Inhalt vorgetragen. Die allgemeine politische Lage behandelte Reichs- tagiabg.ordiwter Dr. Quessel. Da,.Kaiserhoch" nahm dave: emen breiten Raum«in. Der Referent hegt starke Bedenken gegen die neue Takftk des Sitzenbleiben« beim Kaiserhoch im Reichs- tage. CS war eine Konzession an den SchetttradtkaliSmüs, der die
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