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gr. 264 31.? j KeilM ilts LWlllts" Kerlim NölkÄlltt. m- Die Internationale. Zur 50. Wiederkehr des GrünÜungstages am 28. September Am 23. August sollte in Wien der neunte Internationale Sozialistenkongretz zusammentreten, der nicht nur bestimmt war, in einer Reihe wichtiger praktischer Fragen eine Ver ständigung zwischen den sozialistischen Bruderparteien der einzelnen Länder herzustellen, sondern vor allem auch über die gemeinsame Abwehr der der Gesamtheit der Proletarier, ja der ganzen Welt Verderben drohenden Kriegsgefahr und über die Mittel zu ihrer Bekämpfung zu beraten. Es ist- anders gekommen, und die sich überstürzenden Ereignisse haben es verhindert, daß sich die Vertreter der sozialistischen Parteien der kriegführenden Länder noch über ihre Stellung zu und in diesem Kriege verständigen konnten. In Serbien haben die Sozialdemokraten gegen die Kriegskredite gestimmt, in der russischen Tuma haben sie sich der Abstimmung enthalten, in Oesterreich hatten sie überhaupt keine Gelegenheit, zu dieser Frage parlamentarisch Stellung zu nehmen, in Deutsch land und Frankreich aber haben die Sozialdemokraten für die Bewilligung der Kriegskredite gestimmt, in Belgien und Frankreich sind Sozialdemokraten in die Ministerien der nationalen Verteidigung eingetreten und haben an der Organi sierung des bewaffneten Widerstandes gegen den eindringen». den Landesfeind tätigen Anteil genommen. In England hat sich die Arbeiterpartei an der Propaganda für den Eintritt Freiwilliger in die Armee beteiligt, die Unabhängige Arbeiter- Partei aber hat ein energisches Manifest gegen den Krieg erlassen. So scheint es, als sollte die 50. Wiederkehr des Jahres- tages der Gründung der Internationale die abermalige Zer trümmerung dieses Bundes sehen. War es denn nicht auch das erste Mal der Krieg zwischen Teutschland und Frankreich , der die Auflösung der Internationale nach sich zog? Und liegen heute die Verhältnisse in dieser Hinsicht nicht noch un- günstiger als damals? Denn im Jahre 1870 hatte doch wenigstens ein Teil der deutschen sozialdemokratischen Reichs- tagsabgeordneten sich der Abstimmung über die Kriegskredite enthalten, und nach Sedan hatten beide Richtungen, des deutschen Sozialismus einträchtig gegen die Fortführung des Krieges angekämpft, und entsprechend hatten die französischen Sozialisten die Herrschaft Napoleons aus allen Kräften be- kämpft bis zu ihrem Sturz und sich erst nach Sedan für die nationale Verteidigung eingesetzt. Die Politik der deutschen und französischen Sozialisten stimmte also in jener schweren Zeit ganz überein. Zudem war damals der Krieg nur zwischen zwei Staaten geführt worden, große Teile der Internationale und ins- besondere dgs Land, in dem der Generalrat seinen Sitz hatte, waren von ihm nicht direkt berührt worden. Der Generalrat selbst, seine Unparteilichkeit und UnVoreingenommenheit waren von den Sozialisten keines der beiden kriegführenden Länder angefochten oder bezweifelt worden. Heute hingegen stehen gerade die wichtigsten industriellen Staaten fast alle gegen- einander in Waffen, und auch die anderen sind in ungleich höherem Maße in den Strudel mit hineingerissen. Stehen wir da nicht vor dem offenen Grabe der zweiten Internationale? Und ist nicht die Jnternationalität der sozialistischen Bewe- gung wieder auf lange Jahre zurückgeworfen? Die Geschichte wiederholt sich nicht; Wohl aber können wir aus ihr lernen, indem wir ihr ihre Gesetze abzulauschen suchen, indem wir ihren Zusammenhängen nachgehen. Die vor SV Jahren begründete Internationale Arbeiter- assoziation ist alsbald nach dem deutsch -französischen Kriege gescheitert, und sicherlich war dieser Krieg eine der wichtigsten Ursachen ihres Scheiterns; aber es war nicht der im Krieg etwa zum Ausbruch gekommene nationale Gegensatz zwischen deutschen und französischen Anhängern, der die Internationale sprengte. * Als am 28. September 1864 in der St. Martins Hall in London die Versammlung englischer und französischer Arbeiter tagte, von der die Internationale ihren Ausgang nahm, war die Arbeiterbewegung in den verschiedenen europäischen Ländern in ihren Zielen und in den Methoden ihres Vor- gehens nichts weniger als einheitlich. Soeben hatte über- Haupt erst die Demokratie den bleiernen Druck der inter - nationalen Reaktion abzuschütteln begonnen, der feit 1843 auf ihr lastete, noch hatte nirgends eine reinliche Scheidung zwischen den Kräften der bürgerlichen und denen der pro« letarischen Demokratie stattgefunden, und im Proletariat selbst wogten und regten sich die inannigfaltigsten Ideen und Kräfte. Man braucht nur die Jnauguraladresse der Jnteruatio- nale. in der Marx zusammenfaßte, was an vorwärtsstreben- den und zukunftSsicheren Gedanken in der Arbeiterwelt jener Zeit überhaupt lebt«, mit dem Kommunistischen Manifest zu vergleichen, in dem besten Auwren 17 Jahre vorher die straffste und knappste Formulierung ihrer eigenen-Prinzipien und Ideen niedergelegt hatten, um zu sehen, wie wenig die erste Internationale in ihren Anfängen vom Geiste des Marxismus beherrscht Wurde. Doch Marx verließ fich darayf, daß die Ereignisse selbst, die wirtschaftlichen und politischen Kämpfe der Zeit ihm zu Hilfe kommen würden. Ihm handelte es sich vor allem darum, das Proletariat überhaupt zu wecken, ihm das Bewußtsein der Klassensolidarität und des Gegen- satzes zwischen seinen Lebensinteressen und denen der Bourgeoisie beizubringen. Dann würde es seinen Weg selbst weiterfinden. Die politische Atmosphäre des damaligen Europa war ge- witterschwül. Und nicht nur Marx und Engels , sondern sehr viele Demokraten mit ihnen erwarteten die Lösung der immer unerträglicher werdenden Spannung durch eine bürgerliche Revolution. Diese aber sollte, wie schon das Kommunistische Manifest erwartet hatte, nach ihrem ersten Sieg über Krone, Adel und Kirche über sich hinaus zu einem Kampf um den Siegespreis zwischen Bürgertum und Proletariat, zur pro- letarischen Revolution führen. Soziale Kriegsjahre aber zählen mehr als doppelt für die EntWickelung des Klassen- bewußtseins, für die geistige und sittliche Reifung des Pro- letariats. Im Verlauf dieser Kämpfe wären die soziale Er- kenntnis und die revolutionäre Entschlossenheit der Arbeiter- schaft mit Riesenschritten vorwärts geeilt. Doch die politische Revolution erfolgte nicht durch eine Erhebung des Bürgertums und der Arbeiterschaft, sondern sie wurde vollzogen auf den Schlachtfeldern der Lombardei , Böhmens und Frankreichs . Damit war aber auch die ganze Situation für das aufstrebende Proletariat verändert und daher auch für dessen Vertretung, die Internationale Arbeiter assoziation und nun galt es, zu der neuen Lage der Dinge Stellung zu nehmen, neue Wege zum Ziel der proletarischen Emanzipation zu beschreiten. Marx und Engels erkannten, daß nach 1871, nach der Niederwerfung der Kommune von Paris , auf ein Zusammen gehen eines revolutionären Bürgertums und des Proletariats nicht mehr zu zählen sei. Sie mußten sich eingestehen, daß das Proletariat künftig den Kampf allein zu führen haben werde, daß es aber noch zu schwach sei, ihn schon jetzt mit Aus ficht auf Erfolg aufnehmen zu können. Es blieb also nichts anderes übrig, als zu agitieren, zu organisieren, die Bewegung zu vertiefen und zm verbreiten, den Kampf um jeden Fuß breit Raumes innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft auf zunehmen und abzuwarten, bis die Fortentwickelung des Kapitalismus selbst in hinreichendem Maße nicht nur die Waffen geschmiedet, die ihm den Tod bringen, sondern auch die Männer gezeugt haben würde, die diese Waffen führen. Doch gegen diese Taktik des AbWartens machte sich in der Internationale selbst eine immer stärker werdende Opposition geltend. Anarchisten und Blanquisien drängten zu sofortigem Losschlagen, und nun mußte es zu dem brs dahin vermiedenen offenen Kampf zwischen diesen Richtungen und der Marxschen kommen. Auf dem Haager Kongreß unterlag Bakunin , aber die in der Internationale verbliebenen Blanquisien stellten für diese eine kaum geringere Gefahr dar, der der Generalrat nur dadurch entgehen zu können glaubte, daß er seinen Sitz nach New Jork verlegen ließ und damit die Internationale praktisch auflöste. Tatsächlich hatte diese unter ben obwalten­den Verhältnissen ihre Rolle ausgespielt. Ins Leben gerufen, um das internationale Proletariat auf die bevorstehenden Kämpfe vorzubereiten, es zum Selbstbewußtsein zu erwecken und ihm einen geistigen Mittelpunft, eine Führung in den bevorstehenden revolutionären Kämpfen zu geben, war sie in dieser Form nicht mehr lebensfähig, sobald die historischen Ereignisse die Voraussetzung ihres Bestandes, das Nahen einer großen bürgerlichen Revolution, als illusorisch nachgewiesen hatten. Nun galt es, eine ganz neue Taktik zu schaffen, nicht mehr auf den Anschluß an ein revolutionäres Bürgertum zu rechnen, fondern die eigenen Kräfte zu organisieren zum großen Kampf mit der ganzen bürgerlichen Welt. Hier stand ein zähes, opferreiches Ringen von unabsehbarer Dauer bevor, und dieses konnte zunächst nur auf dem Boden der einzelnen Staaten einsetzen. Erst als die nationalen sozialistischen Parteien eine gewisse Entwickelungshöhe erreicht hatten, konnte und mußte eine neue Internationale entstehen. Die neue Internationale stand von vorne herein auf ganz anderen Grundlagen als ihre Vorgängerin. Auch in ihr herrschte anfangs keineswegs Einhelligkeit. In Paris (1889) tagten zwei Kongresse neben einander, und selbst in London noch(1896) kam es zu sehr scharfen Auseinandersetzungen mit den An- archisten, die erst 1966 endgültig von den Kongressen aus- geschlossen wurden, und selbst noch in Amsterdam (1964) prallten die Gegensätze innerhalb der sozialistischen Partei selbst hart genug aufeinander. Aber trotz aller oft heftigen Aus- einandersetzungen und Meinungsverschiedenheiten hat sich doch in immer steigendem Maße das prophetische Wort Friedrich Engels bewahrheitet, daß die neue Internationale vom Geist bei Marxismus durchbrungen sM werde. Und das geschah nicht nur infolge der sieghaften Macht theöretischer tnarxisttscher Beweisführungen; diese Ueberzeugung wurde den Vertretern des internationalen Proletariats in von Tag zu Tag steigen- dem Maße durch die Ereignisse aufgedrängt, durch die Wirt- schaftlichen und politischen Verhältnisse, unter denen sie leben, durch die Kämpfe, die sie zu führen gezwungen sind. So kam es, daß immer mehr sich auf den internattonalen Kongressen trotz aller Unterschiede des Temperaments und der politischen Einschätzung von Personen und Ereignissen eine einheitliche Grundstimmung durchsetzte, daß bei den er- regtesten Debatten auf beiden Seiten mit marxistischen Argu­menten gefochten wurde. Und diese Einheitlichkeit der Grundauflasiung, der Denk- weise, die nicht auf theoretischen Erwägungen beruht, sondern auf dem Zwang der praktischen Bedürfnisse des täglichen Kampfes, sie macht sich auch jetzt geltend in dieser Zeit, wo die neue Internationale abermals in Todesgefahr zu schweben scheint. Aber die Differenzen so heftig sie auch formuliert werden betreffen nur die Taktik, nicht aber die gemeinsamen Grundsätze. Denn Einstimmigkeit herrscht überall darüber, daß es die Pflicht der Arbeiterpartei eines Landes sei, die demokratischen Rechte und die nationale Selbständigkeit zu schützen, wenn es sein muß, auch mit den Waffen in der Hand gegen einen auswärtigen Feind. Diese beiden Forderungen sind ja auch selbstverändlich. Es ist klar, daß gerade die Sozialdemokratie, die die domo- kratischen Rechte in dem Lande, in dem sie wirkt, seit Jahr­zehnten in schwerem, opferreichem Kampfe gegen die Herren- klaffen erobert und verteidigt hat, nicht ruhig zusehen kann, wenn diese'Rechte direkt oder indirekt durch den Einbruch einer feindlichen Macht gefährdet werden. Aber auch die nationale Selbständigkeit und Unabhängigkeit ist für den Befreiungs- kämpf des Proletariats eine Notwendigkeit und muß daher von diesem mit allen Mitteln verteidigt werden. Denn nicht nur leiden unter nationaler Unterdrückung die Armen viel mehr als die Wohlhabenden, die ihre Kinder leicht auch dje Sprache des Herrenvolkes können lernen lassen, und die sich im Verkehr mit Gerichten und Behörden bezahlter Dolmetsche und Rechtsanwälte bedienen können. Die nationale Unter- drückung verfäscht zugleich den Klassenkampf, sie erschwert die Einsicht in die soziale Struktur der Gesellschaft, in die gesell- schaftlichen und wirtschaftlichen Gegensätze innerhalb der eigenen Nation und bereitet dadurch den Boden für die nationalistische Demagogie. Freilich gehen bei ihrer Beurteilung der Situation dabei die Parteigenossen in den verschiedenen Ländern von sehr verschiedenen tatsächlichen Voraussetzungen auS. Die deutschen Sozialdemokraten sahen die furchbaren Ereignisse, die über sie hereinbrachen, in anderem Lichte als die französischen, belgi­schen, englischen, russischen und serbischen. Für sie und ihre österreichischen Freunde handelte es sich um einen Angriff der russischen Autokratie auf die Unabhängigkeit und die Vergleichs- weise demokratischen Einrichtungen und Rechte des deutschen Volkes. Die Sozialdemokraten der übrigen Welt sahen vor allem das Eindringen der deutschen Waffen tu das neutrale Belgien , in das republikanische Frankreich . Die Situation der Internationale ist daher heute eine völlig andere als nach dem Deutsch -Französischen Kriege. Da­mals handelte es sich um eine ganz neue Einstellung der Taktik, über deren Grundsätze eine Einigung innerhalb der Internationale selbst nicht erzielt werden konnte, um eine durchgreifende Aenderung des ganzen Planes und Aufbaues der Internationale, zu deren Verständnis die theoretischen Grundlagen, die Vertrautheit mit den Gedankengängen des wissenschaftlichen Sozialismus, noch fast durchweg? fehlten. Heute sind diese Grundlagen vorhanden. Der Marxismus ist nicht die theoretische Erkenntnis weniger Führer, seine Grundzüge sind heute die klar erkannten Lebensnotwendig­keiten der gesamten Bewegung. Und auch die Taktik der Internationale wird grundlegende Aenderungen selbst durch den Krieg kaum erfahren. Noch wissen wir nicht, was die nächste Zukunft in ihrem Schöße birgt. Die Ereignisse überstürzen sich und können uns jeden Augenblick vor die schwersten Entschlüsse stellen. Gewiß hat der Krieg auch weite Klüfte aufgerissen zwischen den sozia- listischen Parteien der Länder, die einander feindlich gegen- überstehen. Aber solange ihnen allen da? Bewußtsein bleibt, daß sie nichts anderes sind als die Vertreter der Proletarier- klasse; solange sie sich lediglich lenken und leiten lassen von dem unverrückbaren Ziel, die vollständige und endgültige Be­freiung dieser Klasse vom Joche des Kapitals im Kampfe mit der Bourgeoisie und ihrer Staatsgewalt mit allen Kräften zu fördern, solange sie also Sozialdemokraten bleiben, solange wird auch eine Brücke über jede Kluft zu schlagen sein, solange brauchen wir noch nicht die Hoffnung aufzugeben auf den Fortbestand und die Wiedererweckung der großen zukunfts- reichen und zukunftsfrohen Internationale deS proletarischen Klassenkampfes.