Nr. 30.
32. Jahrgang.
1. Beilage des„ Vorwärts" Berliner Volksblatt.
Sonnabend, 30. Januar 1915.
Die Kämpfe im Argonner Walde.
I.
Im Kriege 1870 haben die Argonnen keine Rolle gespielt. Das Waldgebirge wurde zwar bei dem Marsche auf Sedan von deutschen Truppen durchzogen, die dabei wegen der spärlichen Ortschaften und des wenigen Wassers Mangel litten, es fanden darin aber teinerlei Kämpfe statt. Solche gab es auch nicht, als die Armee des Kronprinzen von Preußen zu Anfang September 1914 zwischen Argonnen und Verdun südwärts gegen die Marne vorrückte. Auch Mitte September noch war der Wald frei vom Feinde gewesen. Die Sache änderte sich, als zu Beginn des sich nunmehr entwidelnden Stellungskampfes das deutsche Westheer eine Linie eingenommen hatte, die von Reims her in west- östlicher Richtung nach der Maas bei Consenvoy führte. 3war erwartete man anfänglich auch jezt noch keine Waldkämpfe die deutschen Truppen führ ten vielmehr bei Binarville auf der Westseite und bei Chatel auf der Ostseite der Argonnen ihre Stellungen bis dicht an die Waldränder heran, während man das Gebirge selbst durch Detachements sperrte. Als aber die Franzosen namhafte Kräfte in den Wald führten, in der augenscheinlichen Absicht aus diesem heraus eine umfassende Bewegung gegen einen der am Walde angelehnten denischen Flügel einzuleiten, da war der Augenblid gekommen, wo die Argonnen eine neue militärische Bedeutung gewinnen mußten.
II.
-
Der Beschreibung der Kämpfe sei eine kurze Charakteristik der Argonnen vorausgeschidt.
Das Waldgebiet erstreckt sich in einer Tiefe von etwa 40 Nilometer in nordsüdlicher Richtung und hat eine wechselnde Breite bon 8-12 Kilometer. Es wird durch das Tal der Biesme in eine nordöstliche und südwestliche Hälfte von annähernd gleicher Größe geteilt und außerdem durch Bahn und Straße Clermont en Argonne- St. Menehould in einen fleineren Südteil und einen größeren Nordteil gerlegt. Für den Argonnenkampf tommt nur der nördlichste Teil des Waldes in Betracht; mit ihm die beiden Straßen Clermont- Flébille und Clermont- Le Four de ParisVienne le Château, von denen erstere außerhalb der Argonnen , Testere im Tale des Biesme führt. An besseren Querverbindungen. durch den Nordostteil der Argonnen bestehen nur die Sträßchen Montblainville- Servon und Varennes- Le Four de Paris, als Nord- Süd- Verbindung nur die auf dem Kamme des Waldgebirges laufende alte Römerstraße. Außerdem sind natürlich eine Unmenge von Holzabfuhrwegen vorhanden von mehr oder weniger fragwürdiger militärischer Brauchbarkeit. Diese ist von der Witterung sehr bedingt. Bei feuchtem regnerischen Wetter verwandeln fich die Wege wegen der lehmigen Bodenbeschaffenheit bald in grundlose Sümpfe.
Das Waldgebiet ist eine Mittelgebirgslandschaft, die etwa den flacheren Teilen des Thüringer Waldes entsprechen dürfte. Nach Often fällt es steil und plößlich zur Aire ab, im Innern weist es sahlreiche tiereingeschnittene Zaler und Schluchten auf; hier tritt überall der tahle Fels zutage. Die Argonnen sind ein echt franzöſischer Wald, der bekanntlich vorwiegend aus dichtem Busch von Buchen, Erlen, Eichen und Birken besteht, und alle 15 Jahre geschlagen wird, wobei das gewonnene Krüppelholz in den Kamin wandert. Nur einzelne Eichen und Buchen läßt der Franzose stehen und sich zu vollem Wachstum entfalten. Um diese Stämme schlingen sich die im französischen Walde so zahlreichen Kletterpflanzen wie der Epheu und die Waldrebe. Erstere bedeckt große Flächen des Waldbodens und diesem entwachsen in den Argonnen auch besonders schön und zahlreich ein fleiner immergrüner Strauch, die sogenannte Stechpalme, und der Besenginster. Der Wald ist wenig bewohnt. Nur Köhler, Holzhauer und Jäger gehen dort ihrer Beschäftigung nach. Das Innere des Waldes wird, schon seiner Undurchdringlichkeit wegen, von der Bevölkerung gemieden. Auch die Namen„ ruisseau de Meurissons"„ la Fille morte",„ Moulin de l'Homme mort" weisen darauf hin.
So sieht der Wald aus, der seit nunmehr vier Monaten Tag und Nacht widerhallt vom Lärm der Waffen und der durch die Erdarbeiten der Soldaten und die Verwüstungen der Feuerwaffen ein ganz neues Gepräge erhalten hat.
III.
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Meter. Manchmal wurden selbst größere Fortschritte gemacht, hier und da gelang es auch dem Feinde, vorübergehende kleine Erfolge zu erzielen oder unjer Borgehen durch Gegenangriffe zeitweise auf zuhalten. Beides vermochte jedoch nicht zu verhindern, daß die deutschen Truppen im Argonner Walde in unsausgejekier Angriffsbewegung, und zwar in fangjamem, aber ununterbrochenem Borwärtsschreiten begriffen find.
Als Ende September die ersten deutschen Truppen aus dem Airetal in westlicher Richtung in die Argonnen vorgeschoben wurden, hatten die Franzosen , nachdem sie aus den östlichen Waldteilen zurüdgeworfen worden waren, den südlich Binarville_geTegenen Waldteil stark besetzt und namhafte Kräfte aus dem Tale der Biesme nach Barricade Pavillon, St. Hubert Pavillon und Bagatelle Pavillon vorgefandi. Diese Truppen legten bei den dortigen Waldhütten Berhaue und Schüßengräben an und richteten sich darinnen zur Verteidigung ein. Vor diesen Sperren fanden die deutschen Jägerabteilungen Ende September ernsthaften Widerstand, so daß Verstärkungen in den Wald geschidt wurden, um den Feind zurückzuwerfen. Da aber auch dieser weitere Truppen dem Balde zuführte, so entspannen sich bier lebhafte Kämpfe, die auf aber ununterbrochenem Vorrüden geblieben sind, trotz der starken| Dementsprechend schwankte der Raumgewinn zwischen 25 und 1000 beiden Seiten mehr und mehr den Charakter des Stellungstrieges Sträfte, die der Feind uns nach und nach entgegenstellte. annahmen. Mitten im Walde entstand Schüßengraben hinter Schüßengraben, die durch Laufgräben untereinander verbunden wurden. Es wurden Unterstände gebaut, und als das Laub fiel, Um die Wende der Monate September und Oktober setzte der auch Geschütze in den Wald gebracht. Neben der natürlichen Be- Beginn der größeren deutschen Angriffe ein. Auf dem rechten schaffenheit des Waldes erschwerten Verhaue und Drahthindernisse Flügel drangen unsere Truppen von Binarville aus in die Westdem Gegner die Annäherung an die künstlich geschaffenen An- argonnen ein und warfen hier den Feind allmählich jüdwärts zurüd. lagen. Es begann nun ein Stampf von Graben gegen Graben, In der Mitte des Waldgebietes wurden Mitte Ottober dem Feinde vielfach von Schritt zu Schritt. Um unnötige Verluste zu vermei Barricade Pavillon und St. Hubert entrisjen, nachdem um die den, griff man zur Sappe. Mit ihr stellten sich auch die starken letztere heftig gekämpft worden war. In den nächsten Tagen drang Kampfmittel des Festungskrieges wie Minenwerfer, Hand- man von hier aus weiter nach Westen vor und näherte sich dem granaten, Revolverfanonen, Stahlblenden, Sandjackpadungen usw. Bicsmetale in Richtung auf Le Four de Paris, an welchen Ort ein und die Tätigkeit der Pioniere gewann eine erhöhte Bedeutung. man bis auf 400 Meter herankam und wo man sich festsezte und Diese Waffe fchritt dann auch zum Minenangriff, wenn andere sich hielt trotz aller Gegenangriffe, welche die Franzosen seitdem Mittel nicht zum Ziele führten. Aus allem ergab sich ein sehr hierher gerichtet haben. Auch Bagatelle Pavillon, einer der stärks Tangjames Vorschreiten des Angriffs und ein ungewöhnlicher Zeit- ften Stüßpunkte der Franzosen im Walde, mußte vom Feinde am verbrauch, da nur sorgfältige, wohlüberlegte Vorbereitungen zum 12. Oftober aufgegeben und dem deutschen Angreifer überlassen Erfolge führten. Zuerst hatte man keine Artilleric im Walde , dann werden. Die Wegnahme der drei erwähnten Pavillons war cin ließ man sie auf Wegen und Schneisen vorkommen, endlich lernte großer moralischer Erfolg. Man begnügte sich nicht mit ihrem man es, sie überall im Walde zu verwenden. Eine Sonderheit Besike , sondern trug die Offensive weiter vorwärts. Aber auch bildeten bei den Franzosen die sogenannten„ Eselsbatterien"( Ge- für dieje blieb, wie bei den bisherigen Kämpfen, der schrittweise birgsgeschütze), eine Bespannungsart, die unseren Soldaten neu Angriff beftchen. Die Infanterie sappte und schanzte unentwegt, Ipar. Die Bevölkerung leistete den Franzosen Vorschub: in deutsche vielfach bei Nacht, um unnötige Verluste an Menschenleben zu ver Uniformen verkleidete Soldaten machten sich an unsere Leute meiden. Dem Infanteristen reichte der Pionier die Hand, der dem heran und versuchten diese auszuhorchen. Der deutsche Soldat ersteren lehrte, Bergmannsarbeit in feligen Boden zu leisten und und Argonnenfämpfer entwidelte sich bald zu größter Vielseitigfeit. Schnell und gut pazte er sich den neuen Verhältnissen an. Da wir bald den Franzosen überlegene Angriffsmittel zur Anwendung brachten, und unsere Soldaten, was Zähigkeit, Beharrlich feit und Angriffsluft betrifft, unübertrefflich waren, so bildete sich im Waldkampfe ein starkes Ueberlegenheitsgefühl über den Feind heraus, der abgesehen von gelegentlichen Gegenstößen in die Defensive gedrängt wurde. Der Feind vermochte unseren Angriffen nicht zu widerstehen, so daß unsere Truppen in zivar langfaniem
den Stollen unterirdisch weiter zu treiben. Bei den Kämpfen und Stürmen kämpften und stürmten beide Schulter an Schulter. Auch der Artillerist stellte sich im Schüßengraben ein. So entstand ein enges kameradschaftliches Verhältnis, wie es selbst im Frieden kaum zustande gekommen war, einer dem anderen vertrauend, jeder auf die Unterstützung des anderen bauend, sie alle jederzeit dem Tode ins Auge schauend.
Graben um Graben war so gewonnen. Bald war es ciner, bald stürmte man eine ganze Gruppe von Schühengräben hintereinander.
Wie langwierig diese Angriffe sind, mag aus der kurzen Schilderung des Angriffes einer Pionierfompagnie gegen eine im Walde gelegene beherrschende Höhe hervorgehen. feindliche Stellung wegzunehmen, von der aus die rüdwärtigen Es galt, eine Verbindungen eines deutschen Abschnittes dauernd gefährdet wurden. Hierzu wurden am 7. Dezember aus dem deutschen Schüßengraben drei Sappen vorwärts getrieben, am 18. Dezember war die linke Sappe bis auf etwa 8 Mieter an die feindliche Sappe Lerangekommen, als die Spize durch eine franzönsche Minensprzagung auf 10 Meter Länge wieder eingeworfen wurde. Die beiden auderen Sappen waren am gleichen Tage bis auf etiva 20 Meter an den feindlichen Schüßengraben vorgetrieben. Bis zum 19. Dezember war die linke Sappe wieder aufgeräumt und die beiden anderen bis auf 6 bis 8 Meter an den Gegner getrichen. Von den Sappenspisen aus wurden jest 3- Meter lange Stollen zur Aufnahme von Sprengladungen vorgetrieben, die am 20. zündfertig waren. 8 libr vormittags wurden die Minen gezündet. Gleich darauf stürzten die in den Sappen und den angrenzenden Teilen der Schüßengräben aufgestellten Sturmabteilungen gegen den Feind vorwärts, ihnen voraus Pioniere mit Handgranaten, Drahtscheren und Aerten ausgerüstet. Der durch die Sprengungen topflos gewordene Feind wurde aus seinen Stellungen geworfen. Die Sturintruppen folgten über ein feindliches Lager hinweg dem fliehenden Feinde noch etwa 800 Meter, bis sie dichtes Gestrüpp zipang, von der weiteren Verfolgung Abstand zu nehmen und sich einzugraven. Durch die Sprengungen und die geworfenen Handgranaten hatte der Feind eine größere Anzahl Toter, außerdem wurden 200 Gefangene ge