Krieges. Die Regierung erwartete d'amals nicht, dcch die liberale Opposition sich ihr sofort zur Verfügung stellen würde und hielt es deshalb für notwendig, verschwommene Versprechungen abzugeben, um die Notwendigkeit des inne- ren Burgfriedens zu begründen. Als aber die Liberalen den Burgfrieden akzeptierten und sich grundsätzlich gegen die Auf- stellung von Gegenforderungen aussprachen, lenkte die Re- gierung sofort wieder in das Fahrwasser ihrer früheren Politik ein. Die Ernüchterung ist nun auch in den russischen liberalen Kreisen nicht ausgeblieben. Wirtschaftliche Miß- stände und sonstige innere Schwierigkeiten tun das ihrige, um diese Ernüchterung zu vertiefen und gewisse Voraussetzungen für kriegsfeindliche Stimmungen in der Bevölkerung zu schaffen. Angesichts dieser Gefahr sehen sich deshalb nun rechtsstehende Politiker und Regierungsmänner veranlaßt, die Sprache vom August wieder aufzunehmen und den Liberalen neue Zusagen zu machen. Indessen stoßen diese Lockungen bei den Liberalen auf größeres Mißtrauen als zu Beginn des Krieges. So erklärt das Hauptorgan der Liberalen, die Petersburger Ketsch", bei allem„Wohlwollen" des oben zitierten„leitenden Staatsmannes" könne„ein gegen- soitigesVerständnisvorläufignochnichtals erreicht betrachtet werde n". Soweit uns die Stim- mung in den bürgerlichen oppositionellen Kreisen Rußlands auch aus anderen Kundgebungen bekannt ist, glauben wir, daß die russischen Liberalen die sich jetzt bietende günstige Ge- legenheit benutzen werden, um sich einen größeren politischen Einfluß in der Regierung zu verschaffen. Selbstverständlich darf man bei der jetzt angeregten Idee eines russischen ..Koalitionsministeriums" nicht an die äußerste Linke denken, deren grundsätzliche Kriegsgegnerschaft sie davor behütet, in derartige politische Kombinationen, die von der Not des Krieges geboren den Krieg stärken sollen, mit hineingezogen zu werden. »»
Ein Appell an öas Sürgertum. Vetertturg,!t. Juni.(SS. T. 85.) Der Kongreß der rufst- schen Industriellen und Kaufleute hat einen Beschluß angenommen, in dem die Dringlichkeit einer Organisation der Arbeit zur Be- friedignng der durch den Krieg bewirkten Bedürfnisse anerkannt wurde. Dumapräsident Rodzianko hielt eine lange Rede auf dem Kongreß, in der er die Nottoendigkeit der Zusammenarbeit aller nutzbringenden Kräfte des Landes betonte, von denen die ilndustrie eine der bedeutendsten für das patriotische Werk der nationalen Verteidigung sei. Nachdem Rodzianko auf daS Schwinden de» Parteigeiste« unter den Mitgliedern der Duma hingewiesen datte, richtete er einen heißen und flammenden Appell an die vaterländische Gefinnung der Industriellen und Kaufleute und forderte sie auf, als Wahlspruch der gegenwärtigen Stunde daS Wort anzunehmen:.Alles für das Heer und alles für den Sieg über den Feindl Alle unsere Anstrengungen müssen sich auf die Befreiung Rußlands von jeglicher Bedrohung richten 1"
westlicher Kriegsschauplatz. der französische Tagesbericht. Paris , 10. Juni. (SB. T. 95.) Amtlicher Nach- mittagsbericht. Während der ganzen Nacht fand sehr heftiger Artilleriekampf im Lorettogebiete statt. Bei der Zuckerfabrik von Souchez unternahm der Feind um 9 Uhr abends einen Angriff, der sofort zurückgeschlagen wurde. Die Deutschen bombardierten Neuville-Saint-Vaast, der- suchten aber nicht, eS zurückzuerobern. Wir erzielten neue Gewinne im Labyrinth. Im Gebiete von Hebuterne be- haupteten wir unseren ganzen Gewinn, der sich auf einer Front von 1800 Metern in eine Tiefe von etwa einem Kilo- meter erstreckt. An den anderen Teilen der Front nichts Neues.
Paris , tt. Juni. (W. T. B.) Gestern abend wurde amtlich bekanntgegeben: In dem Abschnitte nördlich von ArraS dauerte der Artilleriekampf fort, wurde indeffen durch sehr dichten Nebel behindert. Ergänzende Berichte über die Einnahme von Neudille-Saint-Vaast stellen fest, daß der nördliche Teil des Dorfes sowie die vom Feinde errichtete Feldschanze mit der größten Hartnäckigkeit verteidigt wurden. Unsere Infanterie bemächtigt.e sich der ganzen Stellung in schrittweisem Kampfe von Haus zu Haus. Die Deutschen zogen sich erst bei der alleräußersten Notwendigkeit zurück und ließen viel Material, darunter ein 7,7 Zentimeter- Geschütz und mehrere Maschinengewehre, in unseren Händen. Wir fanden in den Häusern, Verbindungsgängen und Kellern nahezu tausend tote Deutsche . In der Gegend von Hebuterne nahmen wir dem Feinde am 7., 8. und 9. Juni sechs Maschinengewehre ab. In der Champagne griff der Feind bei Beaussjour unsere Schützengräben mit mehr als einem Bataillon an, wurde aber überall zurück- gewiesen. Viele Deutsche blieben tot auf dem Gelände. Auf den Maashöhen, besonders bei Eparges, heftiger Artilleriekampf, in deffen Verlauf unsere Geschütze die feind- lichen Batterien zum Schweigen brachten. vor Seekrieg. Zwei englische Torpedoboote in den Hrunö gebohrt. ßirntum, 11. Juui.(SB. T. 85.) Die«d»ir»litit teilt mit, daß a« 10. Juni frühmorgens die deide» Torpedoboote Nr. 10 vvd 1 2, welche a» der Opküste Englands operierte», durch ei» Unterseeboot iu den Grund gebohrt worden find; 30 Mann wurden gerettet und au Laad gebracht. weitere Tätigkeit der U-öoote. Liverpool , 11. Juni. (W. T. 85.) Meldung de? Reuterscheu BureauS. Ter b r i t i s ch e S ch o o o e r Ex P r e ß ist gestern durch ein deutsche ? Unterseeboot iu deu Grund gebohrt wordeu; drei Man» von der Besatzung ssud durch riue« dänischen Schoo»« w Plymouth gelandet worden. London , 11. Juni. (W. T. 93.)(Meldung des Reuter- schen Bureaus.) Die russische Bark„T h o m a s i n a" wurde auf der Ausreise in der Nacht von einem Unterseeboot torpediert. Die Besatzung wurde gerettet und in QueenStown ge- landet. Englische ßrachtkontrolle gegenüber Schweüen. Stockholm , 11. Juni. (W. T. 85.) Ein Aufsehen erregender Fall englischer Frachtkontrolle wird dem„SvenSla Dagbladet' aus Malrnö gemeldet. Ein dortiger Geschäftsmann hatte in Südamerika eine größere Warenmenge, die keine Kriegskonterbande ist, einge- kauft und mit einem dänischen Dampfer nach Malmö abgesandt. Der Dampfer wurde von Engländern aufgebracht und nach Kirlwall geführt. Die Ladung sollte nur fteigelassen werden, wenn daS Konnossement bei der britischen Gesandtschast in Kopenhagen längere Zeit deponiert wäre, vnd wenn der Empfänger schriftlich auf Ehre und Gewissen bezeugt hätte, daß die Waren nur für Schweden be- stimmt seien und unter keinen Umständen nach England feindlichen Ländern exportiert würden, und daß der Empfang« einen vom britischen Konsulat zu bestimmenden Revisor jederzeit Ein- stcht in seine Bücher gestatte, um die genaue Erfüllung seiner eingegangenen Verpflichtung zu gewährleisten. Ferner sollte er einen Betrag tu Höhe des vollen Wertes der Ladung bei einer Bank deponieren zur Verfügung des Konsulats, falls die Ber- pflichtung nicht innegehalten werde. Die Kosten für den Revisor sollte der Empfänger der Ladung tragen. Letzterer weigerte sich jedoch, seine Unterschrift unier daS ihm vorgelegte Schriftstück zu fetzen, das diese Verpflichtungen enthielt..SvenSka Dagbladet' nennt diese Forderung von englischer Seite schamlos, so daß man
Drei Tage. von Hau» Bäumler. Wolkenbruch. L........ den S. Mai ISIS. Wasser im Schützengraben! Das bedeutet Unbequemlichkeit im höchsten Maße. Das bedeutet Arbeit und wieder Arbeit. Die letzten Tage, die wir in Korpsreserve verbrachten, hatten wir immer so herrliche», sonniges Wetter, wie es an der Riviera nicht prächtiger sein kann. Und gerade als wir abgelöst wurden, trat ein Umschlag ein. E« war zunächst so schwül, daß man um- lallen konnte. Die Regenwolken lagen fast über unseren Köpfe». Jeden Tag gab es Gewitter. Bis zu unserer Ablösung mochte eS aber immer noch angehen. Als wir wieder einen Tag im Schützengraben gelegen hatten, gab es einen Wollen- brach, so gewaltig, wie ich ihn noch nie erlebt habe. Der Graben stand durchschnittlich einen halben bis dreiviertel Meter unter Wasser. Ein Teil der Unterstände war direkt voll gelaufen. Alle Zugangs- Wege zu unserem Graben waren unpassierbar. Durch das Auf- schlagen der Wassermassen wareir die Grabenwände total auf« geweicht. Der Grund des Grabens bildete eine einzige Schlamm- masse. Und wir? Wir standen mit drin in diesem scheußlichen Morast. Naß von oben bis unten. So begannen wir, den Schaden zu beseitigen. Ein Teil unserer Leute lief barfuß herum, die anderen hatten alles Zeug auf dem Leib«. Aber durchnäßt war alles. Eine Reihe von Mannschaften bewaffnete sich mit den Koch- geschirren. Wir bildeten eine Kette und begannen, das Wasser aus- zuschöpfen. von morgens bis abends wurde gearbeitet. Dann hatten wir deu Graben einigermaßen wasserfrei. Die ZugangSgräben waren genau in dem gleichen trostlosen Zustande. Was daS bedeutet, will ich kurz auSeinandttsetzen. DaS Gelände, in dem wir unS be- finden, ist sehr eben. Um gedeckt gegen Schuß rrnd Eicht in unsere Stellung zu kommen, haben wir einen sechs Kilomet« lange» Lauf- graben ausgehoben. Genau bei der Mitte diese» endlosen Grabens liegt da« Dorf L...... in dem unsere Küchen stehen, von dorther müssen wir unser ganzes Essen holen. Das ist jedesmal ein Spaziergang von 1'/, Stunden im Graben. Die Speisen müssen aber herangeschafft werden. Also hieß eS: Stiefeln, Strümpfe, Hole und Unterhose herunter und dann loZ durch die Grabenwäffer. Deine Phantasie reicht wohl kaum aus, um Dir vorzustellen, wie wir aussahen. Und dann durchnäßt, von oben bis unten mit einer dicken Schlammschicht bedeckt. Wenn das so bleibt, legen wir noch die Qualifikation als Lurche ab. Das ist der Schützengraben! Glücklicherweise haben wir jetzt eine große Druckpumpe bekommen. Die wird schon schaffen. ?Z. Das beiliegende Sträußchen Vergißmeinnicht blühte am Rande unseres Schützengrabens.
Himmel fahrtstag. L....... den 18. Mai IMfi. Heute herrschte nicht so hell«, lachender Sonnenschein wie an den vorh«gehenden Tagen. Eine diesige, feucht« und kalte Lust wehte üb« unseren Schützengräben am Himmelfahrtstage. Schon morgens in aller Frühe«tönte Musik von den franzö- fischen Stellungen herüber. Und noch am Mittag läuteten die Glocken. Um die Kaffeezeit saßen wir im Unterstand. Ein« von uns bemerkte beiläufig, daß dieser HimmelfahrtStag anscheinend ein besonders hoher Festtag bei den Franzosen sein müsse. Denn noch war am ganzen Tag kein Schuß gefallen. Da— Rak— tak— tak— tat— tak— tak— bum-- ratsch! Dazwischen Geknatter wie aus Maschinengewehren. Wir horchten gespannt auf und eilten in den Graben. Dort hörten wir, daß beim... ten Regiment ein Gefecht im Gange war. Die Infanterie sang ihr hohes Lied und die Ge- schütze begleiteten im tiefen Baß. Soll daS ein Angriff sein? ftagten wir uns. Nein! Das kann nicht sein, jetzt am hellen, lichten Tage wäre das Wahnsinn. Allmählich erstarb das Feuer in leisem Pianisfimo. Plötzlich setzte am rechten Flügel unseres Regiments das unheimliche Geknatter der Gewehre von neuem ein. Die Batte- rien in diesem Abschnitt begannen zu donnern. Deutlich hörten wir das Explodieren der Granaten. Gespannt schauten wir alle durch die Schießscharten. Aber vor unserer Front blieb alles ruhig. Wir kamen zu der Ueberzeugung, daß es sich um einen Feuerüberfall auf unsere Stellung handelte. Bald darauf erhielten wir Befehl, alle in die Unterstände zu gehen. Inzwischen hatte daS Feuer auf unser rechtes Nachbarregiment übergegriffen. Die Heftigkeit ließ nach Es war nur noch langsames Schützenfeuer. Da! WaS war das? Wir hörten, wie die Gewehrkugeln in unseren Graben einschlugen. Das Feuer wurde Wied« heftiger. Hart links von uns stand der Graben unter furchtbarem Granat- feuer. Wir blieben in den Unterstände». Nur dre 85«obachtungS» Posten standen im Graben. Mit einem SNale meinten wir, nn» in d« Hölle zu befinde». Unsere Artillerie begann ihre donnernde Sprache. Salve ans Salve lag in den ftanzöfischen Gräben. Die Infanterie vor un» schwieg bereits. Nur links und rechts von uns feuerte d« Feind weiter. Ununterbrochen öffneten unsere Kanonen ihre ehernen Schlünde. Die Erde unter uns dröhnte von den furchtbaren Explo» fionen der berstenden Granaten. Das vor uns liegende Dorf stand unter einem entsetzlichen Geschützfeuer. Alle Stellungen der Fran- zosen waren in Qualm und Rauch eingehüllt. So dick, so gelb, so schwarz, so weiß und so hoch standen diese Rauchschwaden, daß von dem Dorfe und den vielen Höhenzügen kaum etwas zu sehen war. Die ganze Gegend lag in Finsternis. Ein einziger Nebel lag über der Natur. Aber immer noch donnerten unsere Kanonen. I armer noch lag Salve um'Salve in den ftan - zöstscheu Gräben. Nur allmählich verstummte das Feuer. Die
kaum die Nachricht für völlig wahr hakten Linne, und doch sei die» Verlangen harmlos im Vergleich mit dem englischen Uebergriff gegen die neutrale Post, womit England da? Messer an die Pulsadern der ganzen Weltkultur setze. die amerikanische /Antwortnote. Der„Berliner Lokal-Anzeigeiff meldete Freitag- abend: „Die Antwortnote des Präsidenten Wilson in der„Lufi- tania"-Frage ist gestern abend auS Washington bei der hiesigen amerikanischen Botschaft eingetroffen, wo man die ganze Nacht hindurch angestrengt mit ihrer Dechiffrierung beschäftigt war. Heute mittag gegen 1 Uhr sprach dann Botschafter Gerard im Auswärtigen Amt beim Staatssekretär v. Jagow vor, um das Schriftstück seiner Regierung auftragsgemäß zu überreichen. Ueber den Inhalt der im übrigen recht umfangreichen Note ist noch nichts bekannt geworden." Die„Voss. Ztg." schreibt: „Die Beantwtung der Note wird längere Zeit in An- spruch nehmen. Sicher ist, daß sie nicht vor vierzehn Tagen fertig sein kann, da zunächst die Ankunft des Herrn Meyer- Gerhard abgewartet werden muß. den Botschafter Graf Bernstorff mit persönlichen Instruktionen an die deutsche Re- gierung und einem Jmmediatvortrag an den Kaiser betraut hat. Herr Meyer-Gerhard hat aber erst am 3. Juni New Jork verlassen und braucht 14 Tage bis zu seinem Eintreffen über Norwegen in Berlin . Erst nach Anhörung seiner Mitteilungen kann die Abfassung der Antwort an die amerikanische Re- gierung erfolgen." Ein üeutsiher �tisitattiaVZeuge in New gort wegen Verdachts des Meineids verhaftet. New Dort, 11. Juni. (W. T. 93.) Meldung des Reuter- schen Bureaus. Die„Federal Grandjury" hat nach den Zeugenaussagen des deutschen Reservisten Gustav Stahl dessen Verhaftung wegen Perdachts des Meineids angeordnet, weil er erklärt hatte, daß er auf der„Lusitania " Kanonen aufgestellt gesehen habe. der türkische Krieg. Scharmützel im Kaukasus . Pet«Siurg. 10. Juni. (W. T. 85.) Amtlicher Bericht d« KaukasuSarmee vom 8. Juni: In der Richtung auf Olty versuchten die Türken einen Angriff auf die Stellungen, die wir ihnen bei Zmatschara genommen hatten, wurden aber zurückgeworfen. Beim Turtumsee fand ein Bewehrkampf statt. Im Tale von O t t h- t s ch a i erbeuteten die Kosaken bei einem stürmische» Vorstoß einen türkischen Transport und machten die Begleitmannschaft med«. An den anderen Teilen der Front keine Veränderung. Versenkung eines russischen Torpedoboots - Zerstörers. Kouftuntiuopel, IL Jnni.(19. T. 8.) Bei eine» Gefecht tu der letzten Nacht im Schwarzen Me« versenkte der tür- lisch« Kreuzer„Mibilli" eisen große» russische« Torpedo- bootSzerstörer»ud kehrte unbeschädigt hierher zurück.
Srpan als ßrledensvermittler. lieber den Haag wird gemeldet, daß Bryau einen Aufruf an das amerikanische Volk gerichtet habe, worin er anläßlich der bevorstehenden Veröffentlichung der amerikanischen Note an Deutschland erklärt, daß die Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und Wilson nicht persönlicher Art seien. Sie seien zurückzuführen auf zwei verschiedene Systeme, das alte. das sich auf Gewalt, und das neue, das sich auf reine Ueber-
I französische Artillerie war schon längst zum Schweige» gebracht. Schließlich wurde eS ganz still. Todesruhe lag üb« unk«« Welt. Die Nacht sank herab. Dunkel und rabenschwarz. Mau konnte die Hand nicht vor Auge« sehen. In Nacht und Nebel hegt nun die Stätte de» Grauens. Eine diesige, feuchte und kalte Luft weht über nns«e und die feindlichen Gräben.... Pfingstfrieden im Weltkrieg. St. A.. 83. Mai 1915. So liege ich nun auch am dritten der großen christlichen Feste dem Feinde gegenüber. Nicht im eigentlichen Schützengraben, aber unmittelbar dahinter vor einem Dorfe. DaS Dorf selbst existiert allerdings nur noch auf der Karte von Frankreich . Iu mein« Erinnerung wird eS fortleben als ein paar Schutthaufen mit einigen traurigen Mauerresten. Ab« heute sehe» wir daS Bild der Zerstörung und Verwüstung nicht. Heute sehen wir ein anderes und nur dieses. Heute ist Pfingsten. Die Natur hat ihr herrlichstes Kleid angelegt. Die Pfingsten sind heute so wie sie sein müssen, wie wir sie uns in Deutschland jedes Jahr wünsche», wo sie aber nur selten unseren Wünschen genügen. Alle Schäden, die der Krieg verursachte, alles Häßliche, das« hervorgebracht, hat die Natur iu großer Barmherzigkeit mit einem wundersamen Kleide verdeckt. Wie ein Arzt hat sie versucht, die Wunden zu heilen. Links von mir steht ein riesiger Apfelbaum. Er ist über und über mit Blüten bedeckt. Im Winter sauste eine Granate durch seine Krone und schmetterte sie zur Hälfte zu Boden. Auch der Stamm erhielt einen Treffer. Nur noch ein kleines Stück Borke stellt die Verbindung zwischen Krone und Stamm her. Also ein Schwerverwundet«. Und doch Wied« genesen. Jetzt bedeckt er mit seinen schönen rotweitzen Blüten den Rasen unter sich. Und wo die Natur nicht heilen konnte. hat sie versucht, Besserung zu erzielen. Nicht weit von mir ragen die Reste eines Hauses aus dem Boden. An ein späteres Ausbessern ist nicht mehr zu denken. Es ist zu Tode getroffen. Nun hat der Frühling ein grünes Efengewand um die Ruine gewoben. Wie ein Somm«pcwillou steht es von weitem aus. Man»«gißt wahr- hastig, daß hi« ans diesem Klecken ein Teil des furchtbarste» Krieges aller Zeiten auSgefochten wird. Und das ist gut so! Denn gerade wir Soldaten, die wir nun zehn Monate an der Front stehen, empfinden das Bedürfnis, uns einmal so recht innig dem Natur- genuß hingeben zu können. Und wie herrlich, wie schön ist es hier rings um uns her! Wie ein gigantischer Riesenteppich sind die Wiesen vor uns ausgebreitet. Hundert Arten bunter Blumen bilden die kostbare Stickerei, die der Frühling darauf webte. Und dann erst die Bäume in ihrem tausendfältigen Grün. Man kann sich nicht satt sehen an all der Pracht dieser wunderbaren Cham - pagne. Und in dem Baumgeäst, den Hecken, den Büschen, an der Erde und in der Luft— ein Flöten und Pfeifen, ein Singen und Jubilieren, ein Zwitschern und Zirpen... Die Natur hat Große» an uns getan, daß sie uns für einige Stunden wieder zu fühlenden, empfindenden Menschen gemacht hat.