Nr. 333. 32. Iahrgaag.
i Kkilm des Jormirts" Jittlintt PolUIntt
Itfttflj, 3. Dnkmbtt 1915.
Ms öer öuögetkommWon. Die Hefteuerung üer Kriegsgewinne. (Sitzung vom 2. Dezember 1S16.) Wg. Dr. David(Soz.) polemisiert gegen den Staatssekretär, dem die sozialdemokratischen Vorschläge zu weit gehen. Ohne eine Feststellung der Vermögensbestände kann man eine brauchbare Unterlage für das Steuergesetz nicht finden. Es muh möglich sein. schon im kommenden Etat Einnahmen aus den Kriegsgewinnen erscheinen zu lassen. Der Wehrbeitrag ist dazu vorbildlich. Diese Summen müssen dem Vermögen entnommen werden. Der Ein- wand, daß man keine Arbeitskräfte hat. ist nicht stichhaltig;� eS stehen genügend entsprechend vorgebildete weibliche � Arbeitskräfte zur Verfügung. Auch unter den Garnisondienstfähigen, für die man keine Verwendung hat, gibt es sicher Leute, die sich zu diesen Arbeiten eignen. Unter Umständen kann man auch die einge- zogenen Beamten aus dem Feld« beurlauben lassen. Auf das Ends des nächsten JahreS darf die Veranlagung nicht verschoben werden, sonst fliegen die„goldenen Schmetterlinge" teilweise davon. Auch die Befürchtung trifft nicht zu, daß die Industrie zu einem gewissen Stillstand käme.— Staatssekretär Helffersch versichert, daß er alles tun wolle, Geld hereinzubekommen, er müsse aber daran festhalten, daß eine Veranlagung zum Ende dieses JahreS unmöglich ist. Die Veranlagung allein hindert die Ab- Wanderung ins Ausland nicht. Hier sind andere Schutzmaßnahmen nötig.— Abg. Erzberger vermag den vorgeschützten Mangel an Personal nicht als berechtigt anerkennen. Anders sei eS mit der Frage, ob die im Felde stehenden Zensiten sich richtig ein- schätzen können. Zu welchem Kurs solle man zum Beispiel Aktien einsetzen? AuS diesen Gründen scheine eS in der Tat nicht möglich, eine Veranlagung zum Sl. Dezember durchzuführen. An dem Gedanken müsse man festhalten, daß eine höhere Dividende als wie in den letzten drei Friedensjahren nicht verteilt werden darf. Damit werden große Summen zu Steuerzwecken festgehalten. Zu vermeiden sei aber, daß die gleichen Aktionäre, wie daS bei den„Schachtel"-Gesellschaften eintreten könnte, mehrmals von den Rücklagen betroffen werden.— Staatssekretär Helfferich stellt noch einmal fest, daß der Gewinn grundsätzlich in der letzten Hand desteuert werden soll. Die Gewinne unterliegen eben auch noch als Einkommen der einzelstaatlichen und der kommunalen Be- steuerung. Di« Begrenzung der zur Auszahlung kommenden Di- vidende wäre völlig ungerechtfertigt. Der Unternehmungsgeist darf nicht unterbunden werden, das aber wäre bte_ Folge der sozialdemokratischen Anregungen. Unter diesen Umständen bilde der vorliegende Entwurf tne beste Lösung. Den gesamten Gewinn. nicht nur den Mehrgewinn, treffen zu wollen, wäre eine neue Einkommensteuer, aber keine Kriegsgewinnsteuer mehr. Uebrigens müsse man bei Beurteilung der Höhe der Dividenden stet? auch den Kurs der Aktien in Betracht ziehen.— Abg. K e N(Soz.) tritt den Einwendungen entgegen, die gegen die Vorschläge des Abg. David erhoben wurden. Zuerst habe man die Kriegsgewinn- steuer erst nach dem Kriege vorlegen wollen; jetzt habe man sich doch entschließen müssen, die Steuer noch während de? Krieges vorzulegen. Di« Gründe, die man jetzt ins Feld führt, um eine sofortige neue Veranlagung unmöglich scheinen zu lassen, erscheinen nicht durchschlagend. Gewiß werde es auch dann noch möglich sein, sich der Steuerpflicht zu entziehen, diese Möglichkeit werde aber doch bei raschem Zugreifen erheblich vermindert. Die Er- bebung eines abermaligen Wehrbeitrages könne keine solchen Schwierigkeiten bereiten, die bei gutem Willen nicht zu über» winden wären. Damit schloß die Generaldebatte. In der Spezialdebatte wurden eine Reihe Anträge angenommen. Zunächst ein Antrag Bossermann, der bestimmt, daß die Sonderrücklage anteilig zu berechnen ist, wenn die Aktien sich im Besitz anderer Aktien- gesellschaften befinden.— Die Fortschrittler hatten beantragt, die Rücklage nicht nur au» dem Mehrgewinn, sondern au» dem Ge- winn überhauvt zu berechnen, wenn die vorhandenen Mittel aus dem zweiten Geschäftsjahr nicht ausreichen, die Rücklagen in ent- sprechender Höhe auch für das erste Geschäftsjahr zu machen, nach- dem die Gewinne daraus bereits verteilt sind. Die Anträge wurden angenommen. Das Zentrum beantragte zu§ 2, daß als Beginn des ersten Kriegsgewinnjahres der Juli 1214 festgesetzt werden soll. In der Vorlage wird der Monat Oktober vorgeschlagen. Der Antrag wurde zunächst abgelehnt, dürfte aber in der zweiten� Lesung wiederkehren. In der weiteren Besprechung wurde festgestellt, daß Produktiv- und Konsumgenossenschaften nicht in den Rahmen dieses Gesetzes fallen.— Von fortschrittlicher Seite wurde die Frage aufgeworfen, wie man die in die Form einer G. m. b. H. gekleideten Verkaufsorganisationen ausländischer Ge- sellschaften treffen könne. Man will versuchen, bis zur zweiten Lesung eine Form zu finden. § 4 des Gesetzes bestimmt, daß als Mehrgewinn, der von der Steuer getroffen werden soll, der Unterschied zwischen dem durch- schnittlichen srüheren Geschäftsgewinn und dem jewellS in einem Kriegsjahr erzielten Geschäftsgewinn gelten soll. Unter diesen Um- ständen würden alle jenen Gesellschaften nicht getroffen, die trotz großer Kriegslieferungen keine höheren Gewinne erzielt haben.— Bei Beratung des§ 8 verlangt Abg. Erzberger, daß die Kriegsgesellschaften nicht als gemeinnützige Gesellschaften behandelt lverden, sondern verpflichtet sind, ihre ganzen Gewinne, die in die Millionen gehen, dem Reich zu geben.— Staatssekretär Helffe- r i ch bemerkt dazu, daß diese Gesellschaften ihren Gewinn, soweit er ö Proz. übersteigt, zu gemeinnützigen Zwecken abliefern müssen. Eine längere Diskussion entstand über die Frage, ob die Rück- lagen verpfändet werden dürfen. Der Staatssekretär bejahte diese Frage, die Fortschrittler bekämpften dies« Auffassung.— Abg. Erz- b e r g e r empfiehlt noch, die Gehälter der Direktoren und der leitenden Beamten der KriegSgesellschaften recht erheblich herab- zusetzen.— Die Sozialdemokraten beantragten schließlich zu der Vermehrung der Rücklagen:„Die Sonderrücklag« ist der freien Verfügung der Gesellschaften entzogen." Dieser Antrag wurde vom Abg. Göhre damit begründet, daß diese Rücklagen sicher- gestellt werden müssen.— Der sozialdemokratische Antrag wurde einstimmig angenommen, damit ist die Beleihung der Rücklagen ausgeschlossen. Der§ 9 bedroht den, der vorsätzlich oder fahrlässig die Ver- anlagung oder Erhebung der Kriegsgewinnsteuer ge- fährdet, mit Geldstrafe bis zu 30 000 M. Dazu beantragte das Zentrum, das Wort„Veranlagung" zu streichen. Die Fortschrittler wollen bei Fahrlässigkeit keine Strafe eintreten lassen.— Staats- sekretär Helfferich bittet, den letzteren� Antrag nicht anzu- nehmen, weil der Nachweis der Vorsätzlichkeit nur sehr schwer zu führen ist.— Die Nationalliberalen beantragten nun, zu sagen: „grobe Fahrlässigkeit".— Letzterer Antrag wird gegen die Stim- men der Sozialdemokraten angenommen. Der Rest des Gesetzes wird genehmigt. Die folgend« Resolution der Sozialdemokraten soll am Diens- tag in der zweiten Lesung zur Abstimmung kommen:„Die Ver- bündeten Regierunyen werden ersucht. 1. eine Feststellung de? BermögenSstandeS nach Maßgabe des Wehrbeitrag». gesetzes von 1913 mit dem Stichtag des 31. Dezember 1915 schleunigst in die Wege zu leiten, 2. alsbald einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Erhebung eines erneuten Wehrbeitrags im Laufe des Steuerjahres 1913/17 vorsieht."
Die Lebensmittelversorgung Am Donnerstag begann der HauShaltSauSschuß de» Reichs tageS auch seine Beratung der Denkschrift der Regierung über die Lebensmittelversorgung. Abg. Graf Westarp als Referent be- dauert, daß das Ausland aus den Erörterungen den Schluß ziehen könnte, Deutschland könne ausgehungert werden. Ferner hat man im Ausland geschlossen, das deutsche Volk habe sich entzweit. Das Ausland ist dadurch in dem Willen bestärkt worden, den Krieg fort- zuführen. Es fehlt in der Hauptsache daran, daß daS deutsche Volk genügend aufgeklärt worden ist. Man hat den Konsumenten keinen Dienst erwiesen dadurch, daß man alle Schuld auf die Re- gierung schob. Mit dem Zwang allein ist es nicht getan. Es müsse aber versucht werden, zu praktischen, zweckmäßigen Maßnahmen zu kommen. An Lebensmitteln ist kein Mangel, wenn auch kein Ueberfluß besteht. Die Schwierigkeit liegt nur im Problem der Verteilung.— Redner macht nun«ine Reihe vertraulicher Mit teilungen. Die Produktion von Ersatzfuttermitteln hat günstige Resultate ergeben. Der Bestand an Schweinen ist erheblich ge- stiegen. Schwieriger liegt eS mit dem Schutz der Milch, und Butterproduktion. Die Produktion an Butter ist etwas zurück- gegangen, der Rückgang findet aber seinen Ausgleich durch die Einfuhr. Die Knappheit an Butter fit zurückzuführen auf die gesteigerte Nachfrage. Zusammenfassend könne gesagt werden, daß Mangel an Lebensmitteln nicht besteht, die Aushungerung Deutsch lands ist ausgeschlossen. Die Widerstandsfähigkeit Deutschlands wird aber noch wesentlich gehoben, wenn man sich zu Einstbränkun- gen entschließt. Dringend erwünscht sei, sich in der Krifik eine gewisse Reserve aufzuerlegen, denn e» fit jedenfalls nicht zu be- streiten, daß auf allen Gebieten viel gelefitet worden fit, wenn e» auch nicht möglich war, alle Wünsche zu erfüllen. Di« Beratung wird Freitag fortgesetzt. Sozialdemokratische Anträge zur LebeuAmittelversorguug. Die Vertreter der sozialdemokratischen Fraktion haben in der Budgetkommission folgende Anträge zur Lebensmittelversorgung gestellt: Die Kommission wolle beschließen, die verbündeten Regierun- gen zu ersuchen, die Verordnungen in der Lebensmittelversorgung weiter auszugestalten und für die Durchführung sichere Garantien zu schaffen. Insbesondere erweist sich als notwendig: I. Kartoffelversors-ng. ») Die Kartoffelversorgung fit durch neue strikte Durch- führung der Enteignung sicherzustellen. Di« dem Abgabezwang unterliegende Menge mutz bis zu 50 Proz. des Bestandes ohne Berücksichtigung künftiger Lieferungen erhöht werden, wobei der notwendige Bedarf für die Viehhaltung d«S eigenen Betriebe» zu berücksichtigen ist. Bei der Lieferung darf die gut« Eßkartoffel nicht zurückgehalten werden. b) Der Transport der Kartoffeln ist durch Frachtermähigung und eine genügende Bereitstellung von Eisenbahnwagen zu er- leichtern. c) Soweit die Hevbeischaffung der Kartoffeln durch Mangel an Arbeitskräften erschwert wird, ist durch Bereifitellung von De- fangenen Ersatz zu schaffen. ä) Für Fabrikkartoffeln gilt der Höchstpreis für Speise- kartoffeln mit einem Abzug, der dem geringeren Stärkegehalt der Kartoffeln enffpricht. Vom 1. Januar 1913 ab wird der Höchst- preis für solche Spefiekartoffeln, die nicht bi» zum 1. Dezember 1915 von den Landwirten bei der Reichskartoffelstelle ober ihren Organen angemeldet find, um 25 Proz. herabgesetzt. e) E» ist«in« Frist zu bestimmen, bi» zu der die Gemeinden die Höchstpreise für den Kleinhandel einführen müssen. II. Gemüse und Obst. ») Festsetzung von Höchstpreisen für Produzenten. Großhandel und Kleinhandel beim Verkauf von Obst und Gemüse, auch in ge- trocknetem Zustand, ferner für Konserven und Marmeladen. III. Vieh- und Flrischversergung. ») Einführung einer Fleischkarte, die den verbrauch gleich- mäßig regelt. d) Einführung einer kombinierten Karte, die dm Bezug von Butter, Schmalz, Margarine und Fetten regelt. c) Für Groß, und Kleinhandel Höchstpreise für alle Fleisch- arten, Flefichwaren und Wurst, abgestuft nach Fleischforten. d) Höchstpreise für Vieh ab Stall und Schlachtviehmarkt. Einführung eine» Schlußscheins beim Vieheinkauf und verkauf. t) Herabsetzung der Preise für Futterschrot aller Getreide- arten unter Zugrundelegung der von der Reichsgetreidestelle ge- zahlten Uebernahmepreise und de» MahllohneS. Höchstpreis für alle Futtermittel, insbesondere für Stroh, Häcksel und Heu. k) Besondere Berücksichtigung der Schweinemästereien und der Molkereien, die nicht mit landwirtschaftlichen Betrieben verbunden sind, bei Verteilung der Futtermittel.
IV. Znckerversorgung. ») Herabsetzung der Höchstpreise für VerbrauchSzucker. d) Preisermäßigung für die als viehfutter verwendbarm Rückstände der Zuckerfabrikation. V. Versorgung mit vreunmoterial. Höchstpreise für Bvmnmaterialim für Produzenten, Groß- und Kleinhandel. VI. Mohstoffverforguug. ») Mäßige Höchstpreis« für Rohstoffe. d) Herabsetzung der bisherigen Richtpreise für Leder. c) Aufhebung der Abgabe an die Militärverwaltung. d) Festsetzung von Höchstpreisen für technische Fette und deren Erzeugnisse. VII. Versorgung vom Ausland. ») Verleihung eines Einfuhrmonopols für Lebensmittel an die Zeirtraleinkaufsgefellschaft. Abgabe der eingeführten Lebens. mittel durch sie nur an Behörden und behördlich bestimmte ver- teilungSstellen. d) Festsetzung von Verkaufspreisen für von der Reichspreis- Prüfungsstelle al» dringend notwendig erklärten Nahrungsmittel, insbesondere Reis und Hülsenfrüchte, die die Preise der Inland»« waren derselben Art nicht übersteigen. Entschädigung der Zentral- einkaufSgesellschaft durch da» Reich für etwaige hieraus entstehen. den Verluste. tlenderung de» HöchstpreiSgrfetzeS. Dem ß 4 de» Gesetze«, betreffend Höchstpreise(vom 4. August 1914) al» Abs. 2 hinzuzufügen: Der Käufer bleibt straflos, wenn er nicht dm Verkäufer zur llederfchreitung des Höchstpreise» angereizt, verleitet oder ange- stiftet hat.
politische Uebersicht. FriedenSziele des HandelsvertragsvereinS. Am 23. November hat eine vertrauliche Sitzung des Gesamtausschusses und der Delegiertenversamm- lung de» HandelSvertragSvereinS stattgefunden. Die Tagung befchäfligte sich zunächst mit den wirlschaftlichen Verhält- nissen DeulichlandS gegenüber den drei feindlichen Hauptstaaten Großbritannien . Frankreich und Rußland . Dann wurde der Ver- iammlung eine allgemeine Erklärung zu den wirtschaftlichen FriedenSziele» vorgelegt, welche der Vereinsvorstand in seiner am Tage zuvor abgehaltenen Sitzung beschlossen hatte. Nach längerer Diskussion wurde die Erklärung mit einigen Abänderungen gegen zwei Stimmen angenommen. Der Vorstand erhielt den Auf- trag, die Erklärung dem Reichskanzler zu unterbreiten. Ueber den Inhalt der Erklärung wild nicht berichtet. Pressestimmen zur Fraktionsinterpellation. Zur Friedensinterpellation der Fraktion äußert sich nur das„Berl. Tageblatt" zustimmend: „Wir für unser Teil vermögen nicht einzusehen, warum eine so gefaßte Frage nicht an den Reichskanzler gerichtet werden und Nmrum der Reichskanzler sie nicht beantworten sollte. Will man einwenden, eine solche Aussprach« könnte im feindlichm Auslände als ein Zeichm von„Schwäche" gedeutet werden? Die militä- rifche Stellung Deutschlands und seiner Verbündeten ist eine so st a r k e, daß es uns gleichgültig sein kann, was nie zu bekehrende Ententeblätter erzählen. In England legt man sich ja auch keinen ng auf und kümmert sich wenig darum, wie diese? oder jenes ort ausgelegt werden könnte. Haben wir Grund, zaghafter zu fein, als man es in England ist? Eine andere Frage ist, ob Friedensverhandlungen eine Aussicht auf Erfolg haben würden. Jeder Friedenswunich kann, nicht nur im gegenwärtigen Falle, an zwei Klippen scheitern: an der Abneigung im gegne- rifchen Lager und an den A n s p r ü ch e n i m e i g e n e n. Vielleicht käme man einen Schritt weiter, wenn der Reichskanzler sich entschließen wollte, über den zweiten Punkt etwas Klarheit au schaffen. In jedem Falle kann, selbst wenn man über den Er- folg von Friedensschritten im jetzigen Moment sehr skeptisch denken mag. der deutschen Volksvertretung nicht das Recht verwei- gert werden, angesichts der außerordentlich günstigen militärischen Situation den verantwortlichen Leiter der Reichspolitik über seine Absichten und Ziele zu befragen. Und dieser Meinung müssen doch auch die Kreise der„Kreuzzeitung " sein, die ja in ihren Wünschen nach Freiheit der Aussprache weiter geht als wir, und eine solche Freiheit in der letzten Zeit wiederholt gefordert hat." Die„Berliner Neuesten Nachrichten" glauben schon jetzt die Antwort des Kanzlers vorahnen zu können. Sieschreiben: »Darum waren wir immer der Meinung, daß der Herr Kanzler, wenn denn über die Kriegsziele im einzelnen ge- schwiegen wird, nichts weiter tun sollte, als seinen Glauben an e,nen lange dauernden Krieg und an die Notwen- digkeit starker„realer Garantien" für Deutschland durch einen später einmal kommenden Friedensschluß zu bekunden und im übrigen keine halbamtlichen Zwischenspiele und Zweideutig- leiten und gelegentlichen Friedenssentimentalitäten, die wir ja ohnehin„verlernt" haben sollen, zu gestatten. AuS diesem Grunde haben wir eS bedauert, wenn nach dem prächtigen Gedenkerlaß des Kaisers bei Abschluß des ersten Kriegsjahres und nach der kräftigen ReichStagSrede des Kanzlers im August dieses Jahres die „Nordd. Alla. Ztg." kam und auf englische Reden, in denen das Wort„Friede" vorkam, oder auf Anzapfungen der sozialdemo- kratischen Presse drinnen und draußen oder auf Gerüchte von Friedensbemühungen des Papstes oder des jung-vermählten Herrn Woodrow Wilson mit Auslassungen einging, die jene kräftigen kaiserlichen und kanzlerischen Bekundungen nur abschwächen, ver- wischen und bei den Feinden weniger wirksam machen konnten. Wir hätten beispielsweise auch gewünscht, daß der Herr Unter- staatSsekretär Zimmermann gegenüber einem dänischen Sozialdemokraten nicht gesprochen hätte davon, daß wir zu einem „ehrenvollen" Frieden bereit wären gegenüber Feinden, die noch gar nicht einmal einsehen, daß sie bisher besiegt worden sind. und die uns oder„Preußen" oder„Potsdam " oder den„Militaris- muS" und da? Haus Hohenzollern vernichten wollen. Ohne Sentimentalität! Und doch„ehrenvoll"? Die Zeit der schönen Worte ist vorüber."
Die Anfragen Liebknechts. Die Drucksachen Nr. 152 bis 153 de« Reichstags enthalten fünf kleine Anfragen", die Genosse Dr. Liebknecht an den Reichskanzler gerichtet hat. Eine sechste Anfrage hat der Präsi- dent des Reichstags zurückgewiesen. Die fünf, die er zur ovd- nungSmäßigen Erledigung weitergegeben hat, betreffen den Friedensschluß, die Verantwortung für den Ausbruch des Krieges, die Ueberwachung der auswärtigen Politik, die wirtschaftlichen Maßregeln und die Neuorientierung der inneren Politik. Das„Berl. Tageblatt" teilt weiter mit, daß tatsächlich«lue weiter«„kurze Anfrage" de» Abg. Dr. Liebknecht, die sechste der von ihm eingereichten, vom ReichStagSpräfidenten Dr. Kaetnpf zurückgewiesen worden ist.„Der Präsident stützt sich dabei nicht auf Bestimmungen der Geschäftsordnung, die solche Fälle nicht vorsieht, sondern auf ein ungeschriebene» Recht, wenn er für sich im Namen deS Haufe» die Befugnis in Anspruch nimmt, An- fragen oder Anträge, die strafbaren Inhalt? sind oder die Sicher- heit de» Reiches gefähvden, von der Vorlegung, Drucklegung und Erörterung auszuschließen. In dem vorliegenden Fall« sollen nach unseren Erkundigungen solche Bedenken in höchstem Maße vor- gelegen haben." Daß dem Präsidenten ein solches Recht zusteht, ist durchaus bestritten. Die bürgerliche Presse äußert sich über die Anfragen Lieb« knechts natürlich sehr unwillig. Die„Voss. Ztg." meint: schon die Andeutungen deS Inhalts der„Anfragen" genügen zur Auf- klärung, weshalb die sozialdemokratische ReichstagSfraktion öffent- lich von Dr. Liebknecht abgerückt ist. Auch mehrere andere Blätter verweisen auf die Mißbilligungsresoludion der Fraktion. Die Deutsche Tageszeitung" ergänzt deren Hinweis noch durch folgende Bemerkung: «Eine hiesige nationale Korrespondenz macht der sozialdemo- kratischen ReichstagSfraktion zum Vorwurf, daß sie den Abgeord- neten Liebknecht nicht ihrerseits aus der Fraktionsgemein- chaft ausgeschaltet habe, sondern sich damit begnüge, ihn mit der papiernen Waffe einer Zurückweisung zu bekämpfen. Der orwurf ist nicht begründet. Nach den Grundsätzen der ozialdemokratischen Partei kann über die Zugehörigkeit eines Mit- gliede» zur sozialdemokratischen Fraktion nicht diese bestimmen, 'andern nur der Parteitag." Die„Voss. Ztg." zitiert schließlich eine Notiz der„Bremer Bürgerzeitung:„ES wäre wohl notwendig zu erfahren, od dieser Beschluß der ReichstagSfraktion einstimmig gefaßt wurde. Lied- knecht abzuschütteln, wo er im Lazarett liegt und sich nicht ver- 1 teidigen kann, wo seine kurzen Anfragen nicht einmal veröffentlicht