Nr. 81. 33. Jahrgang.
DcilW des Joturätff Sttliner WsdlM
Mlvoch. 22. Mar; 1916.
Rujsijche Enthüllungen über Griechenlanös Politik. Die Petersburger„Retsch" bringt in ihrer Nummer dom 2. März einen Bericht ihres Pariser Berichterstatters E Dmitrijew, der in russischen politischen Kreisen großes Aufsehen erregt hat und in der Presse viel besprochen wird. Der Bericht lautet: „Aus hoch autoritativer diplomatischer Quelle hat man mir zur Veröffentlichung der Einzelheiten eines Vorganges mitgeteilt, der sich auf den Anfang des Krieges bezieht und noch heute die gesamte Balkanpolitik des Vierverbandes beeinflußt. Alle Schan- kungen des letzteren: die Inkonsequenz Londons , die Unschlüssig- keit von Paris , der Absenteismus Roms finden ihre ausreichende Erklärung in diesem Vorgang. Es erweist sich, daß der hellenische König lange vor dem bul - garischen Zaren an den Schutzmächten seines Landes Verrat geübt und sich den Oesterreichern und Deutschen verkauft hat. Was die Diplomatie und das Publikum früher nur vermuten konnten, ist jetzt urkundlich festgestellt. Wir können es dem König Konstantin persönlich verdanken, daß die„Breslau " und der„Goeben" ins Schwarze Meer gelangten und jetzt im Bosporus liegen. Der frühere Premierminister VenizeloS trug in den ersten Tagen des August 1914 England und Frankreich die Dienste Griechenlands an. Der britische Admiral im östlichen Teil des Mittelmeeres beschloß, von diesem Antrag Gebrauch zu machen, als die zwei deutschen Schiffe nach dem Bombardement der algeri- sehen Häfen in Messina Zuflucht suchten. ES war notwendig, ihnen den Weg zu versperren, sobald sie nach Ablauf der gesetzlichen Frist den Hafen verlassen sollten.< Italien hielt damals bekannt- lich noch strenge Neutralität ein.) DaS östliche Decken des Mittel- meeres war seiner Breite nach in Sektoren geteilt. Der südliche wurde der französischen EZkadre, der mittlere der britischen und der nördliche der griechischen übergeben. Die Aufgabe der letzteren war eine ausschließlich wachhabende. Ein griechischer Kreuzer mit Torpedobooten konnte die deutschen Schiffe nicht anhalten und hätte dazu auch nicht daS Recht gehabt. Die griechischen Schiffe sollten jedoch den griechischen Admiral durch drahtlose Delegraphie von der Annäherung der deutschen Schiffe benachrichtigen und die verbündeten Eskadres hätten diese dann einholen und mit ihnen in den Kampf treten können. Der Chef der griechischen Flotte, Admiral Kunduriotis, befehligte persönlich die Operationen zum Schutze des Ionischen Meeres. Kunduriotis übernahm diesen Auftrag, erklärte jedoch auf Be- fehl des Königs Konstantin dem Ministerpräsidenten VenizeloS, er ziehe es vor, die Ergebnisse seiner Beobachtung ihm, dem Haupte der Regierung, zu melden, anstatt einem ausländischen Admiral. Venizelos willigte ein. Bei der drahtlosen Telegraphie würde die Uebergabe der erhaltenen Mitteilungen an den englischen Admiral nur einige Minuten erfordert haben. Allein der britische Admiral erhielt keine Nachricht. ES stellte sich bald heraus, daß die„Breslau " und„Goeben" durch daS Ionische Meer in daS Aegäische Meer und von dort in die Darda- nellen durchgeschlüpft waren. Die Engländer und Franzosen hätten sie sicher bemerkt. Folglich hatten die Griechen sie schweigend durchgelassen. VenizeloS hatte von Kunduriotis kein Radiogramm erhalten. König Konstantin hatte ihm befohlen, die Annäherung der beut- schen Schiffe nicht an daS Marineministerium und nicht an daS Ministerium des Auswärtigen, sondern ausschließlich an das königliche PalaiS zu melden. Der König erhielt daS Telegramm, steckte eS in die Tasche und übergab eS VenizeloS erst, als die beut- schen Seeleute in Sicherheit waren. VenizeloS hatte nicht daS Recht, seinen König des Verrats zu überführen und mußte noch persönlich den griechischen Admiral rechtfertigen. Jetzt glauben natürlich die Verbandsmächte dem König nicht ein Wort; auch der bulgarische Zar hatte bis zum letzten Augenblick hoch und teuer geschworen, daß er sich nicht erlauben werde, gegen Rußland zu marschieren. Die VerbandSmächt« wagten früher nicht, eine Kampagne auf dem Balkan zu unternehmen, aus Furcht vor einem griechischen Angriff im Rücken. Gegenwärtig fordern sie, indem sie sich für den feindlichen Angriff auf die Stellungen vor Saloniki vorbereiten, die Demobilisierung Griechenlands . Kon- stantin gibt nach, aber äußerst ungern und langsam. Die Verbün. deten sind genötigt, einen starken Druck auf ihn auszuüben. Sie haben ein erprobtes Mittel in ihren Händen: die Blockade. Es besteht kein Zweifel, daß Konstantin eS vorziehen würde, im Verein mit den Bulgaren und Oesterreichern an der neuen Auf- teilung der Balkanhalbinsel teilzunehmen, anstatt im Rücken der Verbündeten die Rolle eine? Zuschauer» zu spielen. Ihn hält bloß der Gedanke zurück, daß die Verbündeten in der Lage sind, alle seine Hafenstädte zu zerstören, ehe der deutsche Kaiser ihm zu Hilfe eilen könnte. Griechenland kann in jedem beliebigen Augenblick auf? neue Verrat üben. ES ist deshalb notwendig, seine Demobilisierung eiilig zu Ende zu führen." Welchen Widerhall diese sensationelle Mitteilung DmitrijewS in der russischen Presse gefunden hat, geht auS dem Leitartikel der„Retsch" in der Nummer vom 4. März hervor. Nach einer kurzen Wiedergabe de» Pariser Berichts bemerkt das Blatt: „Der von unserem Korrespondenten geschildert« Vorgang be- zieht sich auf die Periode der„alten Geschichte" deS großen Krieges und wahrscheinlich haben viel« Leser in ihm hauptsächlich die Pi- kanterie der historischen Anekdote geschätzt. Allein einige neu hin- zutretende Umstände machen diesen Bericht gerade jetzt h ö ch st aktuell. Es ist wohl niemandes Aufmerksamkeit entgangen, daß in der Politik der offiziellen und namentlich der Hofkreise Griechenlands gegenüber den Verbandsmächten neuerdings eine Schwenkung eingetreten ist. In dem Maße, wie sich für Deutsch - land die Schwierigkeit herausstellt, die Balkanoperation m früherem Maßstabe fortzusetzen, während die Aussichten der Entente im nahen Orient sich dank den glänzenden Erfolgen der Kaukasus - armee verbessern, erinnert man sich in Athen immer häufiger und lieber daran, was Griechenland Rußland, England und Frank- reich zu verdanken hat. König Konstantin läßt buchstäblich keinen Zeitungskorrespondenten vorüber, ohne seinen Gefühlen zu den Mächten, deren Bemühungen da? unabhängige Griechenland ge- schaffen haben, in den expansivsten Worten Ausdruck zu geben. Wie sonderbar daS auch erscheinen mag, finden diese heuchlerischen Erklärungen offenbar«in gewisses Zutrauen, und noch kürzlich haben einige Ententeblätter den im„TempS " veröffentlichten um- fangreichen und ungeschickten Brief deS Thronfolgers Nikolai zu- stimmend kommentiert. Die Enthüllungen unseres Pariser Korre- spondenten sind gerade zur rechten Zeit erschienen, um die wirkliche Wahrheit aufzudecken und den inneren Wert der Gefühle, Absich-
ten und Worte der Vertreter der griechischen Königsfamibie er- kennen zu lassen." Soweit der biedere Leitartikel der„Retsch", der in seinem Eifer, dem Ministerium des Aeutzern zu dienen, die Kleinigkeit übersehen hat, seine Belehrung an die Adresse der französischen Regierungskreise schon deshalb deplaziert ist, weil die Mitteilung seines Korrespondenten— aus Paris stammt und deshalb den französischen Regierungskreisen kaum unbekannt ist. Jedenfalls ist es recht symptomatisch, in wie maßloser Weise von liberaler russischer Seite der Erfolg der Kaukasusarmee übertrieben wird, und in welchem Maße die russische Presse jetzt das Recht für sich in Anspruch nimmt, der jedenfalls weitsichtigeren und klügeren Politik der Ententegenossen in der täppischsten Weise Belehrungen zu erteilen.(z) Mgeorönetenhaus. 31. Sitzung. Dienstag, den 21. März, vormittags 11 Uhr. Am Ministertisch: Frhr. v. Schorlemer, Dr. Lentze. Zunächst wird das Fisch ereigesetz in zweiter Lesung auf Antrag deS Abg. Frhr. v. M a l tz a h n(1) en bloc einstimmig an- genommen. ES folgt die zweite Beratung deS Gesetzes über die Erhöhung der Steuerzuschläge- ES werden danach die Steuerzuschläge für Einkommen über 2400 M. und bei der Ergänzungssteuer um Beträge erhöht, die von 8 Proz. bis 100 Proz. bei der Einkommensteuer steigen und bei der Ergänzungssteuer 50 Proz. der zu entrichtenden Steuer ausmachen. Die Kommission hat die Geltung dieses Gesetzes auf ein Jahr be- schränkt. Die Kommission beantragt ferner folgende Resolutionen: 1. auf Freilassung von Aktiengewinnen von über Sll2 Proz. bei der angekündigten Neugestaltung des Steuerwesens für solche Aktienbesitzer, die mit mindestens i/1 an der betreffenden Gesell- schaft, die ohnehin Steuern zahlt, beteiligt sind. 2. Die Regierung soll im Bundesrat dahin wirken, daß das Reich jeden weiteren Eingriff auf dem Gebiete der direkleu Be« steuerung vermeide und so den Bundesstaaten die Möglichkeit, ihre Kulturaufgaben zu erfüllen, ungeschmälert erhalten bleibe. 3. auf Bestellung hauptamtlicher Veranlagungskommissare in Veranlagungsbezirken mit weniger einfachen Verhältnissen, 4. auf Vorlegung einer Reform des Kommunalabgabengesetzes gleich nach dem Kriege. Eine Resolution Dr. Friedberg fnatl.) ersucht die Regierung, im Bundesrat darauf hinzuwirken, daß durch Reichsgesetz eine feste Abgrenzung zwischen dem Reich und den Einzel- staaten in Beziehung auf Steuern und Abgaben erfolgt. Die Abgg. Porsch sZ.) u. Gen. wünschten Ausbau des K i n d e r p r i v i l e g S bei der kommenden Steuerrevifion. Die Abgg. Braun(Soz.) u. Gen. beantragen, die Einkommen bis 6500 M. in diesem Gesetz frei zu lassen und wünschen eine Er« höhung der Steuerzuschläge bei der Einkommensteuer für die Aktiengesellschaften bis auf 180 Proz.. für die sonstigen Steuerpflichtigen auf 126 Proz. und bei der Ergänzungssteuer äuf 7b Proz. der zu entrichtenden Steuer. Ferner beantragen die Sozialdemokraten eine Resolution, bei der Neugestaltung des Einkommensteuergesetzes darauf Bedacht zu nehmen, daß 1. die Grenze, des steuerfieien. Ginkommens heraufgerückt, 2. der so entstehende Einnahmeausfall durch eine stärkere Heranziehung der Einkommen über 100 000 M. wettgemacht. 3. die Selbsteinschätzung für alle Steuerpflichtigen festgelegt wird. Abg. v. Hassel fl.): Wir stimmen den Kommissionsbeschlüssen zu. Die Sozialdemo- kraten, die olle Kriegslasten im Reich durch direkte Besteuerung auf« bringen wollen, vergessen, daß eine zu weit getriebene direkte Be- steuerung die Bildung von Kapital verhindert, damit die Industrie lahmlegt und so die Arbeiter am meisten schädigt. Diesen Stand- Punkt hat auch der Sozialdemokrat K o l b vertreten. lHört! hört! rechts.) ES fragt sich, ob mit dem uns vorliegenden Steuergesetz in Verbindung mit den direkten Steuern der Kommunen die Grenze, bei deren Ueberschreitung die Kapitalsbildung verhindert wird, nicht schon erreicht ist.(Sehr richtig I rechts.) Der Antrag der Kom- Mission, der dort auf unseren Antrag hin angenommen worden ist und der wünscht, daß das Reich jeden weiteren Eingriff auf dem Gebiete der direkten Besteuerung vermeidet, soll eine Warnung an die sein, die es angeht. Ich bitte, ihm einstimmig zuzustimmen. (Bravo I rechts.) Abg. Zimmer(Z.): Auch wir werden im Interesse der Aufrechterhaltung einer ge- ordneten Finanzwirtschaft der Vorlage zustimmen. Der Antrag Braun, die Einkommen bis 6S00 M. frei zu lassen von der Er- höhung. geht unS zu weit, und ebenso die Erhöhung der Zuschläge auf über 100 Proz.— DaS Kinderprivileg hätte viel werter aus- gebaut werden sollen, darauf müßten wir gerade bei der jetzigen Teuerung den Hauptwert legen. DaS ist auch ein Mittel, um dem Geburtenrückgang zu steuern. Der Resolution der Kommission über die direkte Besteuerung des Reiches stimmen wir zu. Erfreulicher- weise hat ja auch der Reichsschatzsekretär eine weitere direkte Be« steuerung durch daS Reich für ausgeschlossen erklärt. Der Antrag der Nationalliberalen hingegen erscheint uns nicht durchführbar. Die Anträge Braun lehnen wir erst recht als zu weitgehend ab. Abg. Dr. Friedberg(natl.): Mit Rücksicht auf die besonderen Verhältnisse, in denen wir leben, werden auch meine Freunde der Vorlage zustimmen. Aller- dings geht die Besteuerung reichlich weit. Besonders die Aktien- gesellschaften werden davon schwer betroffen. Unser Antrag, dem entgegenzuwirken, ist leider in der Kommission nicht angenommen worden, man hat sich auf eine Resolution in dieser Richtung für die Zukunft beschränkt. Sehr wichtig ist auch, daß an die Spitze der Veranlagungskommissionen Fachleute kommen, damit die Veran- lagung nach einheitlichen Grundsätzen erfolgt.(Sehr richtig I) Leider war auch diese Verbesserung nicht in diesem Gesetz durchzusetzen.— Redner befürwortet des weiteren seineu Antrag. Finanzminister Dr. Lentze: Die Begrenzung des Gesetzes auf ein Jahr halte ich nach wie vor nicht für richtig. Denn die kommenden Jahre werden sicher auch mit Fehlbeträgen abschließen und es ist nicht angenehm, jedes Jahr mit neuen Steuererhöhungen zu kommen. Aber ich muß mich mit der Begrenzung auf ein Jahr bescheiden. Die Hauptsache ist ja, daß die 100 Millionen bewilligt werden.— Bei Annahme des sozial- demokratischen Antrages würden 86,76 Proz. der Steuer- Pflichtigen nicht von der Steuererhöhung berührt. Durch das Gesetz werden schon 84 Proz. freigelassen. Aber das genügt natürlich den Herren nicht. Ech bin überzeugt, das Gesetz hätte formuliert werden können wie er wollte, er wäre doch durch einen Antrag der Sozial- demokraten übertrumpft worden. Ich bin immerhin erstaunt, daß die Herren auch bei einem so sozialen Gesetz wieder mit weiter- gebenden Anträgen kommen. Die Erhöhung der Zuschläge muß eine gewisse Grenze finden, wenn die Steuer nicht als Erdrosselungs- steuer wirken soll. DaS wäre der Fall, wenn man, wie der Antrag Braun will, noch über 100 Prozent Zuschlag hinausgehen wollte.
Die Frage der Erschließung neuer Steuerquellen für die Kommunen ist sehr schwierig, aber sie muß doch im Hinblick auf die schwierige Lage der Kommunen sehr reiflich erwogen werden. Mit Rücksicht auf die Kommunen ist auch eine weitgebende Durchführung� des Kinderprivilegs, der ich an sich sehr ihmparhisch gegenüberstehe, schwierig. Also das Gesetz ist ein Provisorium. Hoffentlich gelingt es nach dem Kriege ein Gesetz zustande zu bringen, das alle Wünsche befriedigt.(Heiterkeit.) Abg. Cassel(Vp.): Eine Folge des Gesetzes wird fein, daß viele Tochtergesellschaften von Aktiengeiellschaften aufgelöst werden. Dadurch entgehen den betreffenden Kommunen wieder große Einnahmen.— Der Resolution der Kommission gegen die direkte Besteuerung durch das Reich können wir nicht zustimmen, dagegen sind wir für eine Abgrenzung der direkten Besteuerung im Reich und in den Einzel- staaten. Die hauptamtlichen Veranlagnngskommissare wären sehr wünschenswert auch im Interesse deS Staates selbst.(Sehr richtig I links.) Die Mängel der jetzigen Einschätzungen hat der Finanzminister selbst schon vor 4 Jahren anerkannt.(Hört I hört I links.) Daß inzwischen eine Besserung in diesen Verhältnissen eingetreten ist, ist sehr wenig wahrscheinlich, vor allem im Hinblick auf die Arbeitsüberlastung der Landräte, die deshalb vielfach die Einschätzung untergeordneten Organen überlassen. Viele Landräte sind selbst dafür, daß ihnen die Aufgabe abgenommen wird. In all den Fällen, wo Hauptamt« liche Veranlagungslommissare angestellt sind, hat sich �sofort eine Erhöhung der eingegangenen Steuern ergeben.(Hört I hört I) Durch eine richtige Stenereinschätzung könnte mindestens die Hälfte der Summe, die hier aufgebracht werden soll, schon bei den jetzigen Steuersätzen für den Staat hereingeholt werden.(Hört! hört! links.) Den Antrag Braun können auch wir nicht verstehen; da stimme ich dem Minister ganz zu. Dagegen werden wir für die Resolution Braun stimmen. Als Ergänzung müßten wir die Auf- Hebung des§ 23 deS Einkommensteuergesetzes verlangen, der die Arbeilgeber verpflichtet, das Einkommen ihrer Angestellren anzugeben. (Sehr richtig! links.) Eine Reform des Kommunalabgabengesetzes ist dringend notwendig. Finanzminister Dr. Lentze betont gegenüber einer Anfrage des Vorredners, daß cm � den bisherigen Wahllisten durch die Erhöhung der Steuerzuschläge nichts geändert werde. Abg. Hirsch(Soz.): Wenn es zur Deckung des vorhandenen Defizits nur die beiden Möglichkeiten gäbe, eine neue Defizitanleihe aufzunehmen oder die Stcuerzufchläge zu erhöhen, so würden wir den Weg der Steuer- zuschlüge der Defizitanleihe vorziehen. Es fragt sich aber, ob es nicht noch einen dritten Weg gibt, um daS Defizit zu decken. In der Kommission ist er auch bereits angedeutet worden. ES können durch Streichung gewisser Etatspositionen noch viele Millionen ge- Wonnen werden. Dabei denken wir an die Positionen, die an- geblich zur Förderung der Jugenderziehung, in Wirklichkeit aber zur Bekämpfung der sozialdemokratischen Jugend- organisation trotz des Burgfriedens dienen.(Sehr wahr I bei den Sozialdemokraten.) Ferner an die bekannten Ausgaben f ü r Geheimfonds im Interesse der Polizei, an die Kampfpositionen gegen die dänische und polnische Bevölkerung� So- lange solche Positionen nicht aus dem Etat gestrichen sind, wird es sich eine Partei, die auf dem Boden der Gleichberechtigung aller Staatsbürger steht, doppelt und dreifach überlegen müssen, ob sie den neuen Steuern ihre Zustimmung geben kann. Im übrigen haben wir keine Veranlassung, bereits im gegenwärtigen Zeitpunkt der Verhandlungen unsere endgültige Stellungnahme zur Vorlage festzulegen.. MemV wir eine wlrksich'e Reform vorgelegt bekommen hätten, wäre es zweifellos möglich gewesen, die Minderbemitielleu mehr als bisher von. der Steuerpflicht zu entlasten, und vor ollem den Gemeinden Mittel und Wege an die Hand zu geben. Es ist dringend notwendig, daß unmittelbar nach Beendigung deS Krieges eine Novelle zum Kommunalabgabengesetz dem Landtag unterbreitet wird.(Sehr richtig!) Gegenüber unserem Antrag, die Einkommen unter 6S00 M. von den neuen Steuerzuschlägen freizulassen, kam der Minister mit dem Argument, wir hätten den Antrag nicht auS sachlichen Gründen, sondern aus agitatorischen Gründen gestellt. Ich hätte gedacht, daß wenigstens in einer Zeit, wo angeblich Burgfriede herrscht, vom Regierungstisch derartige versteckte Angriffe gegen un» nicht erfolgen können. Selbstverständlich haben wir das Recht, zu jeder Vorlage der Regierung Abänderungsanträge einzubringen, das werden wir uns niemals nehmen lassen.(Sehr richtig! bei den Sozialdemo- kraten.) Sachlich ist unser Antrag vollauf begründet. Sein finanzieller Effekt spielt für die Regierung keine Rolle. Der Minister� hat selbst ausgeführt, daß die neuen Zuschläge für die Einkommen bis 6600 M. noch nicht einmal zwei Millionen einbringen. Im übrigen haben wir auch den Weg angegeben, wie der Ausfall wieder eingebracht werden kann, nämlich dadurch, daß mit der Progression nicht Halt gemacht wird bei den Einkommen von 100 000 M. Wir beantragen 126 Prozent Zuschlag bei den Einkommen von 200 000 M. Das sind 9 Prozent, und wenn bei 100 000 M. 8 Prozent erhoben werden, so ist 9 Prozent bei 200 000 M. wahrhastig nicht zuviel. Der Minister hat von der erziehlichen Wirkung des Steuerzahlens gesprochen. Nun, diese erziehliche Wirkung bekommt heute schon jeder Staatsbürger in reichlichem Maße zu kosten. Wir dürfen doch nicht vergessen, in wie hohem Maße die preußischen Staatsbürger mit indirekten Reichs st euern belastet sind. Gerade der jetzige Zeirpunkt ist der denkbar ungeeignetste, um die kleinen und mrttleren Einkommen noch weiter zu belasten. Und gerade vom Standpunkte der Herren aus, die sich fortgesetzt als Freunde des Mittelstandes aufspielen, ist der Widerstand gegen unseren Antrag unbegreiflich. Mit seiner Aeußerung. daß je höher die Produktion ist, desto mehr die Sucht zur Steuerhinterziehung zutage treten werde, hat der Finanzminister gewissen Kreisen der Besitzenden gerade kein schmeichelhaftes Zeugnis ausgestellt.(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Gerade das Herrenhaus müßte sich bereit er- klären, dafür zu sorgen, daß die besitzenden Kreise entsprechend Opfer bringen.(Sehr wahr I bei den Sozialdemokraten.) Unsere Wünsche bezüglich der zu erwartenden Reform haben wir in einem Antrag niedergelegt, der selbstverständlich nicht erschöpfend ist. Der Wunsch auf Heraufrückung der Grenze des steuerfreien Einkommens ist durchaus berechtigt. Wenn die Regierung im Jahre 1883 die Einkommen bis zu 1200 M. freilassen wollte, dann ist eS angesichts des gesunkenen Geldwertes wirklich nicht zu viel verlangt, wenn man heute mit der Grenze auf mindestens 1500 M. hinauf- geht. Der durch Annahme unseres Antrages entstehende Ausfall von Steuern könnte entweder gedeckt werden durch eine stärkere Pro« gression hei den hohen Einkommen und bei den Vermögen oder aber durch eine gerechtere Heranziehung aller Einkommen und Vermögen zur Steuer. Dies wird am besten erreicht, wenn man den Landräten die Veranlagungsgeschäfte abnimmt und besondere Steuerkommissare im Hauptamt an- stellt, aber nicht nur in Gegenden mit schwierigen Verhältnissen, sondern ganz allgemein.(Sehr richtig! links.) Eine große Ungerechtigkeit bedeutet der§ 23, dessen Aufhebung wir beantragen, und durch den die Arbeiterklasse prozentual weit höher belastet wird, als alle übrigen Schichten der Be« völkerung. Für einen weiteren Ausbau des Kinder Privilegs sind wir selbstverständlich zu haben. Wenn der Finanzminister gegen den Antrag ins Feld führt, daß dadurch den Kommunen Ginnahme- quellen genommen würden, so vergißt er, daß wir gleichzeitig eine durchgreifende Reform des Kommunalabgabengesetzes verlangen. Der Minister hat mit seinen früheren Vorschlägen wenig Glück ge- habt. Das liegt vielleicht daran, weil sie verhältnismäßig der- nünstig waren und deshalb keine Aussicht auf Annahme hatten. (Heiterkeit und Sehr gut I bei den Sozialdemokraten.) Hoffentlich werden aber die Herren, die sich früher den Borschlägen der Regie-