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Nr. 91.

Erscheint täglich außer Montags. Preis pränumerando: Viertel­jährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10- Mt., wöchentlich 28 Pfg. frei in's Haus. Einzelne Nummer 5 Pfg. Sonntags: Nummer mit tluftr. Sonntags- Beilage Neue Welt" 10 Pfg. Post- Abonnement: 8,30mt. pro Quartal. Unter Kreuz­ band  : Deutschland   u. Desterreich­Ungarn 2 Mt., für das übrige Ausland 3 Mt.pr.Monat. Eingetr. in der Post Zeitungs- Preisliste für 1894 unter Nr. 6919

Vorwärts

11. Jahrg.

Insertions- Gebühr beträgt für die fünfgespaltene Betttzetle oder deren Raum 40 Pfg., für Vereins- und Bersammlungs- Anzeigen 20 Pfg. Inserate für die nächste Nummer müffen bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition abgegeben werden. Die Expedition ist an Wochen­tagen bis 7 Uhr Abends, an Sonn­und Feittagen bis 9 Uhr Vor­mittags geöffnet. Fernsprter: Amt 1, Nr. 1508. Telegramm- Adresse: Sozialdemokrat Berlin Berliner  

Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands  .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.

Freitag, den 20. April 1894.

Der Schluß der Selfion. stoßender und harmloserer Form wiederkehren

Früher, als es beim Zusammentreten des Reichstags im vorigen November erwartet wurde, ist die Session ge­schlossen worden.

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Das reichhaltige Steuerbouquet" des Herrn Miquel und sein kunstreicher Automat" schienen Grund zu end losen Debatten zu bieten; und man war darauf gefaßt, daß die Session nicht einmal vor Pfingsten zu beendigen sei, und daß vermutlich sogar eine Vertagung bis zum Herbst werde eintreten müssen.

werden, auch in der nächsten Session kräftig zu Leib gehen und ihnen das Lebenslicht ausblasen.

Expedition: SW. 19, Benth- Straße 3.

Politische Leberlicht.

Berlin  , den 19. April. Herr Miquel ist unzweifelhaft ein geschlagener Mann- Aus dem Reichstag  . Man soll doch nie phrophezeien! allein geschlagen ist er noch lange nicht. Er ist einer jener Wir hatten gestern die Unvorsichtigkeit begangen, der heutigen, politischen Schlangenmenschen, die keine Knochen haben und letzten Sigung des Reichstags eine kurze Dauer anzukündigen. sich in die unglaublichsten Stellungen hineinwinden und Wir hatten nicht mit Herrn Gamp und anderen unbarm­zwängen, und aalglatt auch wieder herausschlüpfen können. herzigen Redewüthrigen gerechnet. Und so ist denn, ohne In dieser Session hat er freilich nicht geschickt operirt. daß darum mehr gesagt worden wäre, als wir vermuthet, Er war zu pfiffig, was stets ins Gegentheil umschlägt. heute richtig fast 5 Stunden lang von 11 bis 4 Uhr- Besseren Grund, mit der verflossenen Session zufrieden geredet worden. Und zwar wurden diese Reden fast aus­Es ist anders gekommen. Das Steuerbouquet" des zu sein, hat Herrn Miquel's Chef und- Nebenbuhler, schließlich nur zur Börsensteuer deren Annahme von Herrn Miquel liegt zerpflückt auf dem Müllhanfen, der der Reichskanzler, Herr v. Caprivi  . Herr v. Caprivi ist vornherein feststand gehalten. Automat" liegt zerbrochen daneben, und es fehlt nicht an über kein ausgestrecktes Bein gestolpert; er hat seinen Bei der Abstimmung blieb nur die Linke, Freifinn und Leuten, die da glauben, daß der vielgewandte Finanz- russischen Handelsvertrag nebst verschiedenen Sozialdemokratie, fizen. virtuos und Steuerfinder diesmal nicht mehr auf die kleineren Handelsverträgen glücklich in den Hafen gebracht; Die hierauf folgenden Petitionsberichte wurden, wie Beine komme, sondern demnächst seinen zwei Lieblings- und er hat es erlebt, daß die staatserhaltenden Herren das im Reichstage von jeher üblich, fast ohne Debatte er schöpfungen" Gesellschaft leisten werde. Junker, die ihn um jeden Preis stürzen wollten, eine Reihe ledigt. Nur bei dem Bericht der Kommission zu den schwerster und blamabelster Niederlagen erlitten. Petitionen über die Zulassung der Frauen zum ärztlichen Ja, sie wollten ihn um jeden Preis stürzen, die Nimmer- Studium nahm Bebel das Wort, um den Standpunkt unserer satten, weil er ihrem Appetit einige Schranken auferlegen, Partei zu dieser Frage kurz darzulegen. ihnen, den Edelsten der Nation" nicht das ganze Mark der Nation als Futter hinwerfen wollte.

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Die Seffion begann unter eigenthümlichen Umständen. In der kurzen Session, zu welcher der Reichstag   nach den Wahlen des 15. Juni zusammengekommen war, hatte die Regierung mit Ach und Krach eine kleine Majorität für die damals noch-neue Militärvorlage erlangt; eine Majorität für die nothwendige Deckung" war jedoch nicht zu erlangen, und so kam die Regierung in die selt: same Lage, daß sie zwar eine Vollmacht zur Bergrößerung der Armee hatte, aber nicht die Mittel zur Durchführung getheilt haben. Die Interpellation selbst' frägt an, wie gedenten die des Beschlusses. Sie war ins Wasser gesprungen und der In ihrer demagogischen Wuth proklamirten die Junker verbündeten Regierungen die durch die Zollgesetzgebung Reichstag   war nicht nachgesprungen, um sie mit ihrer der nacktesten Junkersozialismus, verlangten entstandenen Schädigungen der Finanzen des Reichs in einer Militärvorlage herauszuholen. Staatsunterstützung in Scheffeln, Getreide- Monopolpreise, die Landwirthschaft nicht beeinträchtigenden Weise auszu­und Wiedereinführung der Leibeigenschaft  - denn auf gleichen?"

Der letzte Punkt der Tagesordnung, Interpellation der Abgeordneten Förster und Genossen brachte noch eine sehr Er hat die Angriffe abgewehrt, und seine Position be- gereizte Auseinandersetzung zwischen dem Führer der Kon hauptet und befestigt, während die Junker die Niederlage fervativen, Freiherrn von Manteuffel, und dem Reichs. ihres Gönners und geheimen Bundesgenossen und Protektors tanzler.

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Kommt Zeit, kommt Rath! dachte die Regierung der einzige Gedanke, der in solchen verzwickten Situationen möglich und natürlich ist. Herr Miquel, der vielgewandte, ver­sprach Rath zu schaffen. Der Reichstag   hatte, ehe er nach Annahme der Militärvorlage sich trennte, den Wunsch ausgedrückt, daß die nothwendig werdenden Steuern auf die trag fähigen Schultern gelegt werden.

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etwas anderes läuft der Kanizsche Antrag nicht hinaus-; In der Begründung sprach Graf zu Innhausen und der Reichstag hat sie mit erdrückender Majorität ver- Knyphausen über alles mögliche und noch einiges, nur nichts urtheilt, gebrandmarkt und heimgeschickt. Don den Reichsfinanzen. Dies konstatirte in scharf

Auch der Heimstätten- Antrag, der die Bildung eines, pointirter Weise der Reichskanzler, ohne weiter auf den an die Scholle gehefteten Stammes billiger Landarbeiter vorgetragenen Jammer über die Noth der Landwirthschaft bezweckt, hatte so geringen Erfolg, daß er in letter Stunde einzugehen. Herr Miquei verstand das in seiner Weise; er flocht zurückgezogen ward. Nun erhob sich Herr von Manteuffel, um in wohl das bekannte Steuerbouquet und befestigte es an den Am ärgsten aber wird die Herren Junker das Schicksal vorbereiteter, mit giftigen Ausfällen auf den Kanzler ge Schultern Derer, die bisher Alles zu tragen gehabt haben, ihrer beiden Kollegen: Graf Moltke und v. Polenz spickter Rede der konservativ- agrarischen Oppofition ein und die also tragfähig sein müssen nämlich der gewurmt haben, an denen noch unmittelbar vor Thorschluß Programm für ihr nächstes Verhalten vorzuzeichnen. Die Armen, des arbeitenden Volks. Es war ein die parlamentarische Hinrichtung, durch Kassirung des Rede hatte zwar auf die Interpellation gar keinen Bezug, gründlicher Aderlaß, den er vorbereitete; und er erfann Mandats wegen ungefeßlicher Praktiken, in aller Form aber sie war eine Kriegsansage in strikter Form und insofern auch einen sehr kunstvollen Apparat, der die Abzapfung des Rechtens vollzogen ward." verdient fie volle Beachtung. Blutes mechanisch regeln" sollte. Das war der famose An unseren Genossen ist es, dafür zu sorgen, daß Automat". anstatt dieser unwürdig befundenen Junker zwei ehrliche Der böse Reichstag ließ sich nicht imponiren, und die Sozialdemokraten in den Reichstag   geschickt werden! Hauptleistung der soeben geschlossenen Session ist: daß das Und an dem deutschen   Volk und der deutschen   Wähler­Steuerbouquet mit sammt dem Automat in den Ortus ver- schaft in ihrer Gesammtheit ist es, in den beginnenden senkt ward. Barlamentsferien auf die Herren Volksvertreter vermittels einer gesunden und urwüchsigen politischen Pädagogik so eindringlich zu wirken, daß wir in der nächsten Session vor einem großen Boltes verrath ge schützt sind.

Freilich auch aus der Unterwelt führen mitunter Wege zurück. Und das deutsche   Volk hat scharf zu machen über seine Konsuln und Tribunen, damit fie fest bleiben und den Miquel'schen Steuerplänen, die unter weniger ab­

Feuilleton.

Der Inde.

Deutsches Sittengemälde

aus der ersten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts.

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Von C. Spindler  .

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Der Kanzler antwortete mit schneidendem Hohn, daß diese Rede wohl die Niederlage gelegentlich des Antrages Kanitz decken sollte und Herr von Bennigsen trat in einer Bemerkung zur Geschäftsordnung dieser Auffassung bei. Mit großer Mehrheit wurde hierauf die Vertagung bea schlossen. Damit war das Ende der Session herbeigeführt.

Die nun folgenden Formalien könnten wir übergehen, wenn Herr Liebermann von Sonnenberg   nicht auch diese Gelegenheit zu einer seiner bekannten Rüpeleien benützt hätte. Als nämlich unsere Abgeordneten nach dem üblichen des Gewandes hatte der Kämpfer um den linken Arm ge­wickelt, den rechten Aermel aufgeknöpft und aufgeschürzt. Mit einem derben Haarzauser entließ er den bestraften Wälschen, da ihm Huß zugerufen hatte: Dant, junger Der Papst eilte an das Fenster, trat aber alsobald Freund! schone aber in dem Verblendeten den Menschen!" schamroth zurück, da er den Verrathenen ersah, der in seinen Eifrig begann er nun, während der Gefangene in die Gaffe Banden ruhig wie ein Heiliger daherschritt, und, als wollte geführt wurde, wo das Kloster, sein angewiesener Kerker er den heiligen Vater an sein gegebenes Wort mahnen, stand, die alte Ordnung seines Kleides wieder herzustellen. den Blick zu ihm in die Höhe warf. Des Volkes Auflauf Da vernahm er hinter sich die Worte, die eine volltönende

Erfüllung folgt meiner Rede auf dem Fuße. Da tömmt der Huß die Straße herab, umringt von Bartisanen und gebunden, wie mich dünkt. Das heutige Verhör hat dem nach den Ausschlag gegeben!"

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Das muß Ew. Heiligkeit nicht;" erwiderte der Herzog tobte um den Gefangenen her, und die zum Tode entsetzten, Frauenstimme sprach:" Seht, mein Herr von Königseck! fest: Wahrlich nicht, so lange Ihr auf Freunde rechnen in ohnmächtiger Wuth sich verzehrenden Freunde und das wäre ein Mann nach meinem Geschmack. Schnelle tönnt, deren starte Arme Euch über der Fluth halten. Ihr Hüter des Dulders waren durch die ungestüme Menge von Entschlossenheit und kecke That zieren das starke Geschlecht!" habt drei nicht unbedeutende Wächter über Gure Sicherheit seiner Seite gerissen worden. In geringer Entfernung von Verwundert sab sich der junge Mann nach der Sprecherin aufgestellt durch kluges Werben. Desterreich, Baden und des Papstes Wohnung hatte ein neuer Auftritt in dem um und erblickte die herrliche Gestalt eines stolzen Burgund halten Euch aufrecht gegen die gesammte Macht Zuge statt. Ein untersetzter Kerl, der Diener eines Weibes, das gerade mit einem Rückblick auf ihn, am Arme des Lügelburger's und seines Anhanges." italienischen Doktors, hatte sich Bahn durch das Getümmel eines zierlich gekleideten Begleiters, in die Thüre eines an " Dem Markgrafen vertraue ich nicht ganz," versette gemacht, um den Keher zu sehen, dessen Verhaftung dem sehnlichen Hauses trat. Der geschl.ßte Sut, mit bunten Johannes bedenklich, und der Herzog von Burgund ist blindwüthenden Böbel neue Waffen in die Hände gab. Die Federn bekränzt, den das Frauenbild auf dem braunen weit. Wie, wenn im Augenblicke der Gefahr die beiden Wächter des Gefangenen, die jede mitleidige Seele mit Haupthaar trug, die Perlenschnur, mit welcher ihre Stirne Stüßen wichen?" Lanzenstöcken von ihm jagten, ließen den frechen Burschen geschmückt war, das bauschige Gewand mit Goldspangen Dann habt Ihr mich," antwortete Friedrich mit heran, der mit viehischer Rohheit den Wehrlosen ins Ge- und köstlichem Belzbesaß, die gelben Schnabelschuhe mit tühnem Stolze. Alles Erdreich ist Desterreich unterthan! ſicht schlug. Huß litt die Mißhandlung mit Standhaftig- Pelz gefüttert; und die schweren silbernen Schellen, die den Das Wort ist ewig und ich halt's Euch, sollt's mich Land feit und stummer Lippe, aber die Vergeltung saß der Un- breiten Sammtgürtel zierten, verriethen den Reichthum und und Leute kosten. Frei führe ich Euch von dannen, ohne that schon auf der Ferse. Ein junger Mann packte den den hohen Stand der schönen, trotz ihrer Blässe anziehenden daß man's wagen dürfte, Euch ein Haar zu krümmen." tückischen Italiener beim Kragen und warf ihn mit einem Frau. Der junge Geistliche war von dem überraschenden Wackrer Fürst!" rief der Papst, von einer dankbaren Fußstoße zur Erde nieder. Zugleich sah er sich kampfluftig Schauspiel fest gebannt auf seiner Stelle, bis ihn das Regung übermannt: Solcher Treue rühmen wir uns in mit gebalten Fäusten unter den Umstehenden um, er- Geräusch vieler an ihm vorbeikommenden Menschen era Wälschland nicht. Ihr richtet uns auf in unserem Kummer, wartend, ob nicht jemand Lust haben möchte, die Partei innerte, daß er sich auf der Straße befinde. Der Herzog und niemand ist würdiger, der Bannerträger des heiligen des Geschlagenen zu nehmen. Die Rechtlicheren unter dem von Desterreich kehrte mit seinem Gefolge in seinen Hof Stuhls zu heißen, denn Ihr, edler Habsburger  . Der Herr Volte und den Zuschauern an den Häuſerfenstern riefen zurück. Prächtig gekleidete Zinkenbläser traten dem Geleite der Heerschaaren sei ferner mit Euch!" ihm Beifall zu. Das Gesindel fürchtete sich vor gleich voraus, ihre blizenden Instrumente ruhig in den Händen Ein Gewoge und Gebrause wurde auf der Straße ver wichtigen Schlägen. Um so mehr fiel aber die Begebenheit tragend, um sie an jeder Kreuzstraße erschallen zu lassen, nehmlich. Der Herzog trat ans Fenster, warf einen Blick auf, als der Jüngling in die lange schwarze Schleppentracht den Ruhm ihres Gebieters zu verkünden. Trabanten in hinab, und wintte dem Bapste mit den Worten: Seht, junger Subdiakonen gekleidet war. Die Rappe mit der Desterreichs Farben, die Hellebarden auf der Schulter, folgten, feht, heiliger Bater, ob ich ein falscher Prophet bin. Die Quaftentroddel saß trozig in die Stirn gedrückt, die Schleppe und hinter dem stolz flatternden Banner mit Desterreichs